Max Stirner
Der Einzige und sein Eigentum
Max Stirner

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1. Meine Macht

Das Recht ist der Geist der Gesellschaft. Hat die Gesellschaft einen Willen, so ist dieser Wille eben das Recht: sie besteht nur durch das Recht. Da sie aber nur dadurch besteht, daß sie über die Einzelnen eine Herrschaft übt, so ist das Recht ihr Herrscherwille. Aristoteles sagt, Gerechtigkeit sei der Nutzen der Gesellschaft.

Alles bestehende Recht ist – fremdes Recht, ist Recht, welches man Mir »gibt«, Mir »widerfahren läßt«. Hätte Ich aber darum Recht, wenn alle Welt Mir Recht gäbe? Und doch, was ist das Recht, das Ich im Staate, in der Gesellschaft, erlange, anders, als ein Recht von Fremden? Wenn ein Dummkopf Mir Recht gibt, so werde Ich mißtrauisch gegen mein Recht; Ich mag sein Rechtgeben nicht. Aber auch wenn ein Weiser Mir recht gibt, habe Ich's darum doch noch nicht. Ob Ich Recht habe, ist völlig unabhängig von dem Rechtgeben des Toren und des Weisen.

Gleichwohl haben Wir bis jetzt nach diesem Rechte getrachtet. Wir suchen Recht und wenden Uns zu dem Zwecke ans Gericht. An welches? An ein königliches, ein päpstliches, ein Volksgericht usw. Kann ein sultanisches Gericht ein anderes Recht sprechen, als dasjenige, welches der Sultan zu Recht verordnet hat? Kann es Mir Recht geben, wenn Ich ein Recht suche, das nicht mit dem Sultansrechte stimmt? Kann es Mir z. B. den Hochverrat als ein Recht einräumen, da er doch nach des Sultans Sinne kein Recht ist? Kann es als Zensurgericht Mir die freie Meinungsäußerung als Recht gewähren, da der Sultan von diesem meinem Rechte nichts wissen will? Was suche Ich also bei diesem Gerichte? Ich suche sultanisches Recht, nicht mein Recht; Ich suche – fremdes Recht. Solange dies fremde Recht mit dem meinigen übereinstimmt, werde Ich freilich auch das letztere bei ihm finden.

Der Staat läßt nicht zu, daß man Mann an Mann aneinander gerate; er widersetzt sich dem Zweikampf. Selbst jede Prügelei, zu der doch keiner der Kämpfenden die Polizei ruft, wird gestraft, es sei denn, daß nicht ein Ich auf ein Du losprügele, sondern etwa ein Familienhaupt auf das Kind: die Familie ist berechtigt, und in ihrem Namen der Vater, Ich als Einziger bin es nicht.

Die Vossische Zeitung präsentiert Uns den »Rechtsstaat«. Da soll Alles durch den Richter und ein Gericht entschieden werden. Das Ober-Zensur-Gericht gilt ihr für ein »Gericht«, wo »Recht gesprochen wird«. Was für ein Recht? Das Recht der Zensur. Um die Rechtssprüche jenes Gerichts für Recht anzuerkennen, muß man die Zensur für Recht halten. Man meint aber gleichwohl, dies Gericht biete einen Schutz. Ja Schutz gegen den Irrtum eines einzelnen Zensors: es schützt nur den Zensurgesetzgeber vor falscher Auslegung seines Willens, macht aber gegen die Schreibenden sein Gesetz umso fester durch die »heilige Macht des Rechts.«

Ob Ich Recht habe oder nicht, darüber gibt es keinen andern Richter, als Mich selbst. Darüber nur können Andere urteilen und richten, ob sie meinem Rechte beistimmen, und ob es auch für sie als Recht bestehe.

Fassen Wir inzwischen die Sache noch anders. Ich soll das sultanische Recht verehren im Sultanat, das Volksrecht in Republiken, das kanonische Recht in katholischer Gemeinde usw. Diesen Rechten soll Ich Mich unterordnen, soll sie für heilig halten. Ein »Rechtssinn« und »rechtlicher Sinn« solcher Art steckt den Leuten so fest im Kopfe, daß die Revolutionärsten unserer Tage Uns einem neuen »heiligen Rechte« unterwerfen wollen, dem »Rechte der Gesellschaft«, der Sozietät, dem Rechte der Menschheit, dem »Rechte Aller« u. dergl. Das Recht »Aller« soll meinem Rechte vorgehen. Als ein Recht Aller wäre es allerdings auch mein Recht, da Ich zu Allen mitgehöre; allein, daß es zugleich ein Recht Anderer oder gar aller Andern ist, das bewegt Mich nicht zur Aufrechterhaltung desselben. Nicht als ein Recht Aller werde Ich es verteidigen, sondern als mein Recht, und jeder Andere mag dann zusehen, wie er sich's gleichfalls bewahre. Das Recht Aller (z. B. zu essen) ist ein Recht jedes Einzelnen. Halte sich Jeder dies Recht unverkümmert, so üben es von selbst Alle; aber sorge er doch nicht für Alle, ereifere er sich dafür nicht als für ein Recht Aller.

Aber die Sozialreformer predigen Uns ein »Gesellschaftsrecht«. Da wird der Einzelne der Sklave der Gesellschaft, und hat nur Recht, wenn ihm die Gesellschaft Recht gibt, d. h. wenn er nach den Gesetzen der Gesellschaft lebt, also – loyal ist. Ob Ich loyal bin in einer Despotie oder in einer Weitlingschen »Gesellschaft«, das ist dieselbe Rechtlosigkeit, insofern Ich in beiden Fällen nicht mein, sondern fremdes Recht habe.

Beim Rechte fragt man immer: »Was oder Wer gibt Mir das Recht dazu?« Antwort: Gott, die Liebe, die Vernunft, die Natur, die Humanität usw. Nein, nur deine Gewalt, deine Macht gibt Dir das Recht (deine Vernunft z. B. kann Dir's geben).

Der Kommunismus, welcher annimmt, daß die Menschen »von Natur gleiche Rechte haben«, widerlegt seinen eigenen Satz dahin, daß die Menschen von Natur gar kein Recht haben. Denn er will z. B. nicht anerkennen, daß die Eltern »von Natur« Rechte gegen die Kinder haben oder diese gegen jene: er hebt die Familie auf. Die Natur gibt den Eltern, Geschwistern usw. gar kein Recht. Überhaupt beruht dieser ganze revolutionäre oder Babeufsche Grundsatz auf einer religiösen, d. h. falschen Anschauung. Wer kann, wenn er sich nicht auch auf dem religiösen Standpunkte befindet, nach dem »Rechte« fragen? Ist »das Recht« nicht ein religiöser Begriff, d. h. etwas Heiliges? »Rechtsgleichheit«, wie sie die Revolution aufstellte, ist ja nur eine andere Form für die »christliche Gleichheit«, die »Gleichheit der Brüder, der Kinder Gottes, der Christen usw.«, kurz fraternité. Alle und jede Frage nach dem Rechte verdient mit Schillers Worten gegeißelt zu werden:

Jahre lang schon bedien' ich mich meiner Nase zum Riechen;

Hab' ich denn wirklich an sie auch ein erweisliches Recht?

Als die Revolution die Gleichheit zu einem »Rechte« stempelte, flüchtete sie ins religiöse Gebiet, in die Region des Heiligen, des Ideals. Daher seitdem der Kampf um die »heiligen, unveräußerlichen Menschenrechte«. Gegen das »ewige Menschenrecht« wird ganz natürlich und gleichberechtigt das »wohlerworbene Recht des Bestehenden« geltend gemacht: Recht gegen Recht, wo natürlich eines vom andern als »Unrecht« verschrien wird. Das ist der Rechtsstreit seit der Revolution.

Ihr wollt gegen die Andern »im Rechte sein«. Das könnt Ihr nicht, gegen sie bleibt Ihr ewig »im Unrecht«; denn sie wären ja eure Gegner nicht, wenn sie nicht auch in »ihrem Rechte« wären: sie werden Euch stets »Unrecht geben«. Aber euer Recht ist gegen das der Anderen ein höheres, größeres, mächtigeres, nicht so? Mitnichten! Euer Recht ist nicht mächtiger, wenn Ihr nicht mächtiger seid. Haben chinesische Untertanen ein Recht auf Freiheit? Schenkt sie ihnen doch, und seht dann zu, wie sehr Ihr Euch darin vergriffen habt: weil sie die Freiheit nicht zu nutzen wissen, darum haben sie kein Recht darauf, oder deutlicher, weil sie die Freiheit nicht haben, haben sie eben das Recht dazu nicht. Kinder haben kein Recht auf die Mündigkeit, weil sie nicht mündig sind, d. h. weil sie Kinder sind. Völker, die sich in Unmündigkeit halten lassen, haben kein Recht auf Mündigkeit; sie hörten auf, unmündig zu sein, dann erst hätten sie das Recht, mündig zu sein. Dies heißt nichts anderes, als: was Du zu sein die Macht hast, dazu hast Du das Recht. Ich leite alles Recht und alle Berechtigung aus Mir her; Ich bin zu Allem berechtigt, dessen Ich mächtig bin. Ich bin berechtigt, Zeus, Jehova, Gott usw. zu stürzen, wenn Ich's kann; kann Ich's nicht, so werden diese Götter stets gegen Mich im Rechte und in der Macht bleiben, Ich aber werde Mich vor ihrem Rechte und ihrer Macht fürchten in ohnmächtiger »Gottesfurcht«, werde ihre Gebote halten und in Allem, was Ich nach ihrem Rechte tue, Recht zu tun glauben, wie etwa die russischen Grenzwächter sich für berechtigt halten, die entrinnenden Verdächtigen totzuschießen, indem sie »auf höhere Autorität«, d. h. »mit Recht« morden. Ich aber bin durch Mich berechtigt zu morden, wenn Ich Mir's selbst nicht verbiete, wenn Ich selbst Mich nicht vorm Morde als vor einem »Unrecht« fürchte. Diese Anschauung liegt Chamisso's Gedicht »das Mordtal« zu Grunde, wo der ergraute indianische Mörder dem Weißen, dessen Mitbrüder er gemordet, Ehrfurcht abzwingt. Ich bin nur zu Dem nicht berechtigt, was Ich nicht mit freiem Mute tue, d. h. wozu Ich Mich nicht berechtige.

Ich entscheide, ob es in Mir das Rechte ist; außer Mir gibt es kein Recht. Ist es Mir recht, so ist es recht. Möglich, daß es darum den Andern noch nicht recht ist; das ist ihre Sorge, nicht meine: sie mögen sich wehren. Und wäre etwas der ganzen Welt nicht recht, Mir aber wäre es recht, d. h. Ich wollte es, so früge Ich nach der ganzen Welt nichts. So macht es Jeder, der sich zu schätzen weiß, Jeder in dem Grade, als er Egoist ist, denn Gewalt geht vor Recht, und zwar – mit vollem Recht.

Weil Ich »von Natur« ein Mensch bin, habe Ich ein gleiches Recht auf den Genuß aller Güter, sagt Babeuf. Müßte er nicht auch sagen: Weil Ich »von Natur« ein erstgeborener Prinz bin, habe Ich ein Recht auf den Thron? Die Menschenrechte und die »wohlerworbenen Rechte« kommen auf dasselbe hinaus, nämlich auf die Natur, welche Mir ein Recht gibt, d. h. auf die Geburt (und weiter die Erbschaft usw.). Ich bin als Mensch geboren ist gleich: Ich bin als Königssohn geboren. Der natürliche Mensch hat nur ein natürliches Recht, weil Macht, und natürliche Ansprüche: er hat Geburtsrecht und Geburtsansprüche. Die Natur aber kann Mich zu dem nicht berechtigen, d. h. befähigen oder gewaltig machen, wozu Mich nur meine Tat berechtigt. Daß das Königskind sich über andere Kinder stellt, das ist schon seine Tat, die ihm den Vorzug sichert, und daß die anderen Kinder diese Tat billigen und anerkennen, das ist ihre Tat, die sie würdig macht – Untertanen zu sein.

Ob Mir die Natur ein Recht gibt, oder Gott, die Volkswahl usw., das ist Alles dasselbe fremde Recht, ist ein Recht, das Ich Mir nicht gebe oder nehme.

So sagen die Kommunisten: die gleiche Arbeit berechtige die Menschen zu gleichem Genusse. Früher warf man die Frage auf, ob nicht der »Tugendhafte« auf Erden »glücklich« sein müsse. Die Juden folgerten auch wirklich so: »Auf daß Dir's wohlgehe auf Erden.« Nein, die gleiche Arbeit berechtigt Dich nicht dazu, sondern der gleiche Genuß allein berechtigt Dich zum gleichen Genuß. Genieße, so bist Du zum Genuß berechtigt. Hast Du aber gearbeitet und lässest Dir den Genuß entziehen, so – »geschieht Dir Recht«.

Wenn Ihr den Genuß nehmt, so ist er euer Recht; schmachtet Ihr hingegen nur darnach, ohne zuzugreifen, so bleibt er nach wie vor ein »wohlerworbenes Recht« derer, welche für den Genuß privilegiert sind. Er ist ihr Recht, wie er durch Zugreifen euer Recht würde.

In heftiger Bewegung schwankt der Streit um das »Recht des Eigentums«. Die Kommunisten behaupten: »die Erde gehört rechtlich demjenigen, der sie bebaut, und die Produkte derselben denjenigen, die sie hervorbringen.« Ich meine, sie gehört dem, der sie zu nehmen weiß, oder, der sie sich nicht nehmen, sich nicht darum bringen läßt. Eignet er sie sich an, so gehört ihm nicht bloß die Erde, sondern auch das Recht dazu. Dies ist das egoistische Recht, d. h. Mir ist's so recht, darum ist es Recht.

Sonst hat eben das Recht »eine wächserne Nase«. Der Tiger, der Mich anfällt, hat Recht, und Ich, der ihn niederstößt, habe auch Recht. Nicht mein Recht wahre Ich gegen ihn, sondern Mich.

Da das menschliche Recht immer ein Gegebenes ist, so läuft es in Wirklichkeit immer auf das Recht hinaus, welches die Menschen einander geben, d. h. »einräumen«. Räumt man den neugeborenen Kindern das Recht der Existenz ein, so haben sie das Recht; räumt man's ihnen nicht ein, wie dies bei den Spartanern und alten Römern der Fall war, so haben sie's nicht. Denn geben oder »einräumen« kann es ihnen nur die Gesellschaft, nicht sie selbst können es nehmen oder sich geben. Man wird einwenden: die Kinder hatten dennoch »von Natur« das Recht zu existieren; nur versagten die Spartaner diesem Rechte die Anerkennung. Aber so hatten sie eben kein Recht auf diese Anerkennung, so wenig als sie ein Recht darauf hatten, daß die wilden Tiere, denen sie vorgeworfen wurden, ihr Leben anerkennen sollten.

Man spricht so viel vom angebornen Rechte und klagt:

Vom Rechte, das mit uns geboren ist,
Von dem ist leider nicht die Frage.

Was für ein Recht wäre denn mit Mir geboren? Das Recht, Majoratsherr zu werden, einen Thron zu erben, eine prinzliche oder adlige Erziehung zu genießen, oder auch, weil Mich arme Eltern zeugten, – Freischule zu bekommen, aus Almosenbeiträgen gekleidet zu werden, und endlich in den Kohlenbergwerken oder am Weberstuhle Mir mein Brot und meinen Hering zu verdienen? Sind das nicht angeborene Rechte, Rechte, die von meinen Eltern her durch die Geburt auf Mich gekommen sind? Ihr meint: nein; Ihr meint, dies seien nur mißbräuchlich sogenannte Rechte, es seien eben jene Rechte, welche Ihr durch das wirklich angeborene Recht abzuschaffen trachtet. Dies zu begründen, geht Ihr auf das Einfachste zurück und behauptet, Jeder sei durch die Geburt dem Andern gleich, nämlich ein Mensch. Ich will Euch zugeben, daß Jeder als Mensch geboren werde, mithin die Neugeborenen einander darin gleich seien. Warum sind sie's? Nur deshalb, weil sie sich noch als nichts Anderes zeigen und betätigen, als eben als bloße – Menschenkinder, nackte Menschlein. Dadurch sind sie aber sogleich verschieden von denen, welche bereits etwas aus sich gemacht haben und nicht mehr bloße »Menschenkinder« sind, sondern – Kinder ihrer eigenen Schöpfung. Die letzteren besitzen mehr als bloß angeborene Rechte: sie haben Rechte erworben. Welch' ein Gegensatz, welch' ein Kampffeld! Der alte Kampf der angeborenen Menschenrechte und der wohlerworbenen Rechte. Beruft Euch immerhin auf eure angeborenen Rechte; man wird nicht ermangeln, die wohlerworbenen Euch entgegenzustellen. Beide stehen auf dem »Rechtsboden«; denn jeder von beiden hat ein »Recht« gegen den Andern, der Eine das angeborene oder natürliche, der Andere das erworbene oder »wohlerworbene«.

Bleibt Ihr auf dem Rechtsboden, so bleibt Ihr bei der – Rechthaberei. Der Andere kann Euch euer Recht nicht geben, er kann Euch nicht »Recht widerfahren lassen«. Wer die Gewalt hat, der hat – Recht; habt Ihr jene nicht, so habt Ihr auch dieses nicht. Ist diese Weisheit so schwer zu erlangen? Seht doch die Gewaltigen und ihr Tun an! Wir reden hier natürlich nur von China und Japan. Versucht's einmal, Ihr Chinesen und Japanesen, ihnen Unrecht zu geben, und erfahrt's, wie sie Euch in den Kerker werfen. (Verwechselt damit nur nicht die »wohlmeinenden Ratschläge«, die – in China und Japan – erlaubt sind, weil sie den Gewaltigen nicht hemmen, sondern, möglicherweise, fördern.) Wer ihnen Unrecht geben wollte, dem stünde dazu nur Ein Weg offen, der der Gewalt. Bringt er sie um ihre Gewalt, dann hat er ihnen wirklich Unrecht gegeben, hat sie um ihr Recht gebracht; im andern Falle kann er nichts, als ein Fäustchen in der Tasche machen, oder als ein vorlauter Narr zum Opfer fallen.

Kurz, fragtet Ihr Chinesen und Japanesen nicht nach dem Rechte, fragtet namentlich nicht nach dem Rechte, »das mit Euch geboren ist«, dann brauchtet Ihr auch nichts nach den wohlerworbenen Rechten zu fragen.

Ihr schreckt vor den Andern zurück, weil Ihr neben ihnen das Gespenst des Rechtes zu sehen glaubt, das, wie in den homerischen Kämpfen, als Göttin an ihrer Seite helfend mitzufechten scheint. Was tut Ihr? Werft Ihr den Speer? Nein, Ihr schleicht umher, um den Spuk für Euch zu gewinnen, damit er auf eurer Seite mitfechte: Ihr buhlt um die Gunst des Gespenstes. Ein Anderer früge einfach so: Will Ich, was der Gegner will? »Nein!« Nun, so mögen tausend Teufel oder Götter für ihn kämpfen, Ich schlage doch drauf los!

Der »Rechtsstaat«, wie ihn unter Andern die Vossische Zeitung vertritt, verlangt, daß die Beamten nur durch den Richter ihres Amtes sollen entsetzt werden können, nicht durch die Administration. Eitle Illusion. Wenn gesetzlich bestimmt würde, ein Beamter, der einmal trunken gesehen wird, soll sein Amt verlieren, so müßte der Richter auf Aussage der Zeugen ihn verurteilen usw. Kurz, der Gesetzgeber dürfte nur alle möglichen Gründe genau angeben, welche den Verlust des Amtes nach sich ziehen, möchten sie auch noch so lächerlich sein (z. B. wer seinen Vorgesetzten ins Gesicht lacht, wer nicht sonntäglich in die Kirche geht, wer nicht alle vier Wochen zum Abendmahl geht, wer Schulden macht, wer unanständigen Umgang hat, wer keine Entschlossenheit zeigt usw., soll entsetzt werden. Diese Dinge könnte der Gesetzgeber z. B. bei einem Ehrengerichte aufzustellen sich einfallen lassen), so hätte der Richter lediglich zu untersuchen, ob Beklagter sich jene »Vergehen« habe »zu Schulden kommen lassen«, und müßte nach erfolgtem Beweis gegen ihn »von Rechts wegen« die Absetzung aussprechen.

Der Richter ist verloren, wenn er aufhört, mechanisch zu sein, wenn er »von den Beweisregeln verlassen wird«. Dann hat er nur noch eine Meinung, wie jeder Andere, und entscheidet er nach dieser Meinung, so ist das keine Amtshandlung mehr; er darf als Richter nur nach dem Gesetze entscheiden. Da lobe Ich Mir noch die alten französischen Parlamente, die, was Rechtens sein sollte, selbst prüfen und nach eigener Zustimmung erst registrieren wollten. Die richteten wenigstens nach eigenem Rechte und mochten sich nicht zu Maschinen des Gesetzgebers hergeben, wenngleich sie als Richter freilich ihre eigenen Maschinen werden mußten.

Man sagt, die Strafe sei das Recht des Verbrechers. Allein die Straflosigkeit ist ebenso sein Recht. Gelingt ihm sein Unternehmen, so geschieht ihm Recht, und gelingt's nicht, so geschieht ihm gleichfalls Recht. Wie Du Dich bettest, so schläfst Du. Begibt sich Jemand tollkühn in Gefahren und kommt darin um, so sagen Wir wohl: es geschieht ihm Recht, er hat's nicht besser gewollt. Besiegte er aber die Gefahren, d. h. siegte seine Macht, so hätte er auch Recht. Spielt ein Kind mit dem Messer und schneidet sich, so geschieht ihm Recht; aber schneidet sich's nicht, so geschieht ihm auch Recht. Dem Verbrecher widerfährt daher wohl Recht, wenn er leidet, was er riskierte; warum riskierte er's auch, da er die möglichen Folgen kannte! Aber die Strafe, welche Wir über ihn verhängen, ist nur unser Recht, nicht das seine. Unser Recht reagiert gegen das seinige, und er »behält Unrecht«, weil – Wir die Oberhand gewinnen.

Was aber Recht, was in einer Gesellschaft Rechtens ist, das kommt auch zu Worte – im Gesetze.

Wie auch das Gesetz sei, es muß respektiert werden vom – loyalen Bürger. So wird der gesetzliche Sinn Old Englands gerühmt. Dem entspricht ganz jenes euripideische Wort (Orestes, 412): »Den Göttern dienen Wir, was immer auch die Götter sind.« Gesetz überhaupt, Gott überhaupt, so weit sind Wir heute.

Man bemüht sich, Gesetz von willkürlichem Befehl, von einer Ordonnanz zu unterscheiden: jenes gehe von einer berechtigten Autorität aus. Allein ein Gesetz über menschliches Handeln (ethisches Gesetz, Staatsgesetz usw.) ist immer eine Willenserklärung, mithin Befehl. Ja, wenn Ich das Gesetz Mir auch selbst gäbe, es wäre doch nur mein Befehl, dem Ich im nächsten Augenblick den Gehorsam verweigern kann. Es mag Jemand wohl erklären, was er sich gefallen lassen wolle, mithin durch ein Gesetz das Gegenteil sich verbitten, widrigenfalls er den Übertreter als seinen Feind behandeln werde; aber über meine Handlungen hat Niemand zu gebieten, Keiner Mir mein Handeln vorzuschreiben und Mir darin Gesetze zu geben. Ich muß Mir's gefallen lassen, daß er Mich als seinen Feind behandelt; allein niemals, daß er mit Mir als seiner Kreatur umspringt, und daß er seine Vernunft oder auch Unvernunft zu meiner Richtschnur macht.

Es dauern die Staaten nur so lange, als es einen herrschenden Willen gibt, und dieser herrschende Wille für gleichbedeutend mit dem eigenen Willen angesehen wird. Des Herrn Wille ist – Gesetz. Was helfen Dir deine Gesetze, wenn sie Keiner befolgt, was deine Befehle, wenn sich Niemand befehlen läßt? Es kann der Staat des Anspruches sich nicht entschlagen, den Willen des Einzelnen zu bestimmen, darauf zu spekulieren und zu rechnen. Für ihn ist's unumgänglich nötig, daß Niemand einen eigenen Willen habe; hätte ihn Einer, so müßte der Staat diesen ausschließen (einsperren, verbannen usw.); hätten ihn Alle, so schafften sie den Staat ab. Der Staat ist nicht denkbar ohne Herrschaft und Knechtschaft (Untertanenschaft); denn der Staat muß der Herr sein wollen Aller, die er umfaßt, und man nennt diesen Willen den »Staatswillen« .

Wer, um zu bestehen, auf die Willenlosigkeit Anderer rechnen muß, der ist ein Machwerk dieser Anderen, wie der Herr ein Machwerk des Dieners ist. Hörte die Unterwürfigkeit auf, so wär's um die Herrschaft geschehen.

Der eigene Wille Meiner ist der Verderber des Staats; er wird deshalb von letzterem als »Eigenwille« gebrandmarkt. Der eigene Wille und der Staat sind todfeindliche Mächte, zwischen welchen kein »ewiger Friede« möglich ist. Solange der Staat sich behauptet, stellt er den eigenen Willen, seinen stets anfeindenden Gegner, als unvernünftig, böse usw. dar, und jener läßt sich das einreden, ja er ist es wirklich schon deshalb, weil er sich's noch einreden läßt: er ist noch nicht zu sich selbst und zum Bewußtsein seiner Würde gekommen, mithin noch unvollkommen, noch beschwatzbar usw.

Jeder Staat ist eine Despotie, sei nun Einer oder Viele der Despot, oder seien, wie man sich's wohl von einer Republik vorstellt, Alle die Herren, d. h. despotisiere Einer den Andern. Es ist dies nämlich dann der Fall, wenn das jedesmal gegebene Gesetz, die ausgesprochene Willensmeinung etwa einer Volksversammlung fortan für den Einzelnen Gesetz sein soll, dem er Gehorsam schuldig ist, oder gegen welches er die Pflicht des Gehorsams hat. Dächte man sich auch selbst den Fall, daß jeder Einzelne im Volke den gleichen Willen ausgesprochen hätte und hiedurch ein vollkommener »Gesamtwille« zu Stande gekommen wäre: die Sache bliebe dennoch dieselbe. Wäre Ich nicht an meinen gestrigen Willen heute und ferner gebunden? Mein Wille in diesem Falle wäre erstarrt. Die leidige Stabilität! Mein Geschöpf, nämlich ein bestimmter Willensausdruck, wäre mein Gebieter geworden. Ich aber in meinem Willen, Ich, der Schöpfer, wäre in meinem Flusse und meiner Auflösung gehemmt. Weil Ich gestern ein Narr war, müßte Ich's zeitlebens bleiben. So bin Ich im Staatsleben besten Falls – Ich könnte ebensogut sagen: schlimmsten Falls – ein Knecht Meiner selbst. Weil Ich gestern ein Wollender war, bin Ich heute ein Willenloser, gestern freiwillig, heute unfreiwillig.

Wie zu ändern? Nur dadurch, daß Ich keine Pflicht anerkenne, d. h. Mich nicht binde oder binden lasse. Habe Ich keine Pflicht, so kenne Ich auch kein Gesetz.

»Allein man wird Mich binden!« Meinen Willen kann Niemand binden, und mein Widerwille bleibt frei.

»Es müßte ja Alles drunter und drüber gehen, wenn Jeder tun könnte, was er wollte!« Wer sagt denn, daß Jeder Alles tun kann? Wozu bist Du denn da, der Du nicht Alles Dir gefallen zu lassen brauchst? Wahre Dich, so wird Dir Keiner was tun! Wer deinen Willen brechen will, der hat's mit Dir zu tun und ist dein Feind. Verfahre gegen ihn als solchen. Stehen hinter Dir zum Schutze noch einige Millionen, so seid Ihr eine imposante Macht und werdet einen leichten Sieg haben. Aber wenn Ihr dem Gegner auch als Macht imponiert, eine geheiligte Autorität seid Ihr darum doch nicht, er müßte denn ein Schächer sein. Respekt und Achtung ist er Euch nicht schuldig, wenn er sich auch vor eurer Gewalt in Acht nehmen wird.

Wir pflegen die Staaten nach der verschiedenen Art, wie »die höchste Gewalt« verteilt ist, zu klassifizieren. Hat sie ein Einzelner – Monarchie, Alle – Demokratie usw. Also die höchste Gewalt! Gewalt gegen wen? Gegen den Einzelnen und seinen »Eigenwillen«. Der Staat übt »Gewalt«, der Einzelne darf dies nicht. Des Staates Betragen ist Gewalttätigkeit, und seine Gewalt nennt er »Recht«, die des Einzelnen »Verbrechen«. Verbrechen also, so heißt die Gewalt des Einzelnen, und nur durch Verbrechen bricht er die Gewalt des Staates, wenn er der Meinung ist, daß der Staat nicht über ihm, sondern er über dem Staate sei.

Nun könnte Ich, wollte Ich lächerlich handeln, als ein Wohlmeinender Euch ermahnen, keine Gesetze zu geben, welche meine Selbstentwicklung, Selbsttätigkeit, Selbstschöpfung beeinträchtigen. Ich gebe diesen Rat nicht. Denn würdet Ihr ihn befolgen, so wäret Ihr unklug, und Ich wäre um meinen ganzen Gewinn betrogen. Von Euch verlange Ich gar nichts, denn, was Ich auch forderte, Ihr würdet doch gebieterische Gesetzgeber sein und müßt es sein, weil ein Rabe nicht singen, ein Räuber ohne Raub nicht leben kann. Vielmehr frage Ich diejenigen, welche Egoisten sein wollen, was sie für egoistischer halten, sich von Euch Gesetze geben zu lassen, und die gegebenen zu respektieren, oder Widerspenstigkeit, ja völligen Ungehorsam zu üben. Gutmütige Leute meinen, die Gesetze müßten nur das vorschreiben, was im Gefühl des Volkes als recht und billig gelte. Was aber geht Mich's an, was im Volke und dem Volke gilt? Das Volk wird vielleicht gegen den Gotteslästerer sein; also ein Gesetz gegen Gotteslästerung. Soll Ich darum nicht lästern? Soll Mir dies Gesetz mehr sein, als ein »Befehl«? Ich frage!

Lediglich aus dem Grundsatze, daß alles Recht und alle Gewalt der Gesamtheit des Volkes angehöre, gehen sämtliche Regierungsweisen hervor. Denn keine derselben ermangelt dieser Berufung auf die Gesamtheit, und der Despot so gut als der Präsident oder irgend eine Aristokratie usw. handeln und befehlen »im Namen des Staates«. Sie sind im Besitze der »Staatsgewalt«, und es ist völlig gleichgültig, ob, wäre dies möglich, das Volk als Gesamtheit alle Einzelnen, oder ob nur die Repräsentanten dieser Gesamtheit, seien deren Viele, wie in Aristokratien, oder Einer, wie in Monarchien, diese Staats –Gewalt ausüben. Immer ist die Gesamtheit über dem Einzelnen, und hat eine Gewalt, welche berechtigt genannt, d. h. welche Recht ist.

Der Heiligkeit des Staates gegenüber ist der Einzelne nur ein Gefäß der Unehre, in welchem »Übermut, Böswilligkeit, Spott- und Schmähsucht, Frivolität usw.« übrigbleiben, sobald er jenes Heiligtum, den Staat, nicht anerkennenswert findet. Der geistliche Hochmut der Staats-Diener und Staats-Untertanen hat köstliche Strafen gegen den ungeistlichen »Übermut«.

Wenn die Regierung alles Spiel des Geistes gegen den Staat als strafbar bezeichnet, so kommen die gemäßigten Liberalen und meinen: Laune, Satire, Witz, Humor usw. müßten doch sprudeln dürfen, und das Genie müsse Freiheit genießen. Also zwar nicht der einzelne Mensch, aber doch das Genie soll frei sein. Ganz in seinem Rechte sagt da der Staat, oder im Namen desselben die Regierung: Wer nicht für mich ist, ist wider mich. Die Laune, der Witz usw., kurz die Komödierung des Staatswesens hat die Staaten von jeher untergraben: sie ist nicht »unschuldig«. Und ferner, welche Grenzen sollen zwischen schuldigem und unschuldigem Witze usw. gezogen werden? Die Gemäßigten kommen bei dieser Frage in große Verlegenheit und es reduziert sich Alles auf die Bitte, der Staat (Regierung) möge doch nicht so empfindlich, so kitzlig sein; er möge in »harmlosen« Dingen nicht gleich Böswilligkeit wittern und überhaupt ein wenig »toleranter« sein. Übertriebene Empfindlichkeit ist allerdings eine Schwäche, ihre Vermeidung mag eine lobenswerte Tugend sein; allein in Kriegszeiten kann man nicht schonend sein, und was unter ruhigen Verhältnissen verstattet sein mag, hört auf erlaubt zu sein, sobald der Belagerungszustand erklärt ist. Weil dies die wohlmeinenden Liberalen wohl fühlen, so beeilen sie sich zu erklären, daß ja bei der »Ergebenheit des Volkes« keine Gefahr zu fürchten sei. Die Regierung wird aber klüger sein und sich so etwas nicht einreden lassen. Sie weiß zu gut, wie man Einen mit schönen Worten abspeist, und wird sich an diesem Schaugerichte nicht genügen lassen.

Man will aber seinen Spielplatz haben, denn man ist ja ein Kind und kann nicht so gesetzt sein, wie ein Alter: Jugend hat keine Tugend.

Nur um diesen Spielplatz, nur um ein paar Stunden lustigen Umherspringens feilscht man. Man verlangt nur, der Staat solle nicht, wie ein griesgrämlicher Papa, allzu mürrisch sein. Er solle einige Esels-Prozessionen und Narrenspiele erlauben, wie im Mittelalter die Kirche sie gestattete. Die Zeiten aber, wo er dies ohne Gefahr gewähren konnte, sind vorüber. Kinder, die jetzt einmal ins Freie kommen, und eine Stunde ohne Zuchtrute verleben, wollen nicht mehr in die Klause . Denn das Freie ist jetzt nicht mehr eine Ergänzung zur Klause, nicht eine erfrischende Erholung, sondern sein Gegensatz, ein aut – aut. Kurz der Staat darf sich entweder nichts mehr oder er muß sich Alles gefallen lassen und zu Grunde gehen; er muß entweder durchaus empfindlich, oder, wie ein gestorbener, unempfindlich sein. Mit der Toleranz ist's aus. Reicht er erst den Finger, so nimmt man gleich die ganze Hand. Da ist nicht mehr zu »spaßen«, und aller Spaß, wie Laune, Witz, Humor usw. wird zum bittern Ernst.

Das Geschrei der »Freisinnigen« um Preßfreiheit läuft gegen ihr eigenes Prinzip, ihren eigentlichen Willen. Sie wollen, was sie nicht wollen, d. h. sie wünschen, sie möchten gern. Daher fallen sie auch so leicht ab, wenn einmal sogenannte Preßfreiheit erscheint, dann möchten sie Zensur. Ganz natürlich. Der Staat ist auch ihnen heilig, ebenso die Sitte usw. Sie betragen sich nur als ungezogene Bälge gegen ihn, als pfiffige Kinder, welche die Schwäche der Eltern zu benutzen suchen. Der Papa Staat soll ihnen erlauben, Manches zu sagen, was ihm nicht gefällt, aber der Papa hat Recht, ihnen durch einen strengen Blick einen Zensurstrich in ihr vorlautes Gewäsch zu ziehen. Erkennen sie in ihm ihren Papa, so müssen sie sich in seiner Gegenwart die Zensur der Rede gefallen lassen, wie jedes Kind.

Läßt Du Dir von einem Andern Recht geben, so mußt Du nicht minder Dir von ihm Unrecht geben lassen; kommt Dir von ihm die Rechtfertigung und Belohnung, so erwarte auch seine Anklage und Strafe. Dem Rechte geht das Unrecht, der Gesetzlichkeit das Verbrechen zur Seite. Was bist Du? – Du bist ein – Verbrecher!

»Der Verbrecher ist des Staates eigenstes Verbrechen!« sagt Bettina. Man kann dieses Wort gelten lassen, wenn auch Bettina selbst es nicht gerade so versteht. Im Staate vermag nämlich das zügellose Ich, Ich, wie Ich Mir allein angehöre, nicht zu meiner Erfüllung und Verwirklichung zu kommen. Jedes Ich ist von Geburt schon ein Verbrecher gegen das Volk, den Staat. Daher überwacht er auch wirklich Alle, er sieht in Jedem einen – Egoisten, und vor dem Egoisten fürchtet er sich. Er setzt von Jedem das Schlimmste voraus, und hat Acht, polizeilich Acht, daß »dem Staat kein Schaden geschieht«, ne quid respublica detrimenti capiat. Das zügellose Ich – und das sind Wir ursprünglich, und in unserem geheimen Inneren bleiben Wir's stets – ist der nie aufhörende Verbrecher im Staate. Der Mensch, den seine Kühnheit, sein Wille, seine Rücksichtslosigkeit und Furchtlosigkeit leitet, der wird vom Staate, vom Volke mit Spionen umstellt. Ich sage, vom Volke! Das Volk – Ihr gutherzigen Leute, denkt Wunder, was Ihr an ihm habt – das Volk steckt durch und durch voll Polizeigesinnung. – Nur wer sein Ich verleugnet, wer »Selbstverleugnung« übt, ist dem Volke angenehm.

Bettina ist im angeführten Buche durchweg gutmütig genug, den Staat nur für krank zu halten und auf seine Genesung zu hoffen, eine Genesung, welche sie durch die »Demagogen« bewirken will; allein er ist nicht krank, sondern in voller Kraft, wenn er die Demagogen, die für die Einzelnen, für »Alle« etwas erwerben wollen, von sich weist. Er ist in seinen Gläubigen mit den besten Demagogen, Volksführern, versehen. Nach Bettina soll »der Staat den Freiheitskeim der Menschheit entwickeln, sonst ist er Rabenmutter und sorgt auch für Rabenfutter!« Er kann nicht anders, denn eben indem er für die »Menschheit« sorgt (was übrigens schon der »humane« oder »freie« Staat sein müßte), ist der »Einzelne« für ihn Rabenfutter. Wie richtig spricht dagegen der Bürgermeister: »Wie? der Staat habe keine andere Verpflichtung, als bloß der Verpfleger rettungsloser Kranker zu sein? – Das klappt nicht. Von jeher hat der gesunde Staat des kranken Stoffes sich entledigt, aber nicht sich damit gemischt. So ökonomisch braucht er nicht mit seinen Säften zu sein. Die Räuberäste ohne Zagen abgeschnitten, damit die andern blühen. – Man erbebe nicht über des Staates Härte, seine Moral, seine Politik und Religion weisen ihn darauf an; man beschuldige ihn keiner Gefühllosigkeit, sein Mitgefühl sträubt sich dagegen, aber seine Erfahrung findet nur in dieser Strenge Heil! – Es gibt Krankheiten, in welchen nur drastische Mittel helfen. Der Arzt, welcher die Krankheit als solche erkennt, aber zaghaft zu Palliativen greift, wird nie die Krankheit heben, wohl aber den Patienten nach kürzerem oder längerem Siechtum unterliegen machen!« Die Frage der Frau Rat: »Wenn Sie den Tod als drastisches Mittel anwenden, wie ist da zu heilen?« klappt nicht. Der Staat wendet den Tod ja nicht gegen sich an, sondern gegen ein ärgerliches Glied; er reißt ein Auge aus, das ihn ärgert usw.

»Für den maladen Staat ist's der einzige Weg der Rettung, den Menschen in ihm gedeihen zu lassen.« Versteht man hier, wie Bettina, unter dem Menschen den Begriff »Mensch«, so hat sie Recht: der »malade« Staat wird durch das Gedeihen »des Menschen« genesen, denn je vernarrter die Einzelnen in »den Menschen« sind, desto besser steht sich der Staat dabei. Bezöge man's aber auf den Einzelnen, auf »Alle« (und halb und halb tut dies die Verfasserin gleichfalls, weil sie über »den Menschen« im Unklaren stecken bleibt), so klänge es etwa, wie Folgendes: Für eine malade Räuberbande ist's der einzige Weg der Rettung, den loyalen Bürger in ihr gedeihen zu lassen! Darüber ginge ja eben die Räuberbande als Räuberbande zu Grunde, und weil sie das spürt, darum erschießt sie lieber Jeden, der einen Zug hat, ein »ordentlicher Kerl« zu werden.

Bettina ist in diesem Buche eine Patriotin oder, was wenig mehr, eine Philanthropin, eine Menschenbeglückerin. Sie ist ganz in derselben Weise mit dem Bestehenden unzufrieden, wie es das Titelgespenst ihres Buches nebst Allen ist, die den guten, alten Glauben, und was daran hängt, zurückführen möchten. Nur denkt sie umgekehrt, die Politiker, Staatsdiener und Diplomaten verdürben den Staat, während jene dasselbe den Böswilligen, den »Volksverführern« in die Schuhe schieben.

Was ist der gewöhnliche Verbrecher anders, als einer, der das verhängnisvolle Versehen begangen hat, nach dem zu streben, was des Volkes ist, statt nach dem Seinen zu suchen. Er hat das verächtliche, fremde Gut gesucht, hat getan, was die Gläubigen tun: die nach dem trachten, was Gottes ist. Was tut der Priester, der den Verbrecher vermahnt? Er stellt ihm das große Unrecht vor, das vom Staate Geheiligte, das Eigentum desselben (wozu ja auch das Leben der Staatsangehörigen gerechnet werden muß) durch seine Tat entweiht zu haben; dafür könnte er ihm lieber vorhalten, daß er sich besudelt habe, indem er das Fremde nicht verachtete, sondern des Raubes wert hielt: er könnte es, wenn er nicht ein Pfaffe wäre. Redet mit dem sogenannten Verbrecher als mit einem Egoisten, und er wird sich schämen, nicht, daß er gegen eure Gesetze und Güter sich verging, sondern daß er eure Gesetze des Umgehens, eure Güter des Verlangens wert hielt; wird sich schämen, daß er Euch mitsamt dem Eurigen nicht – verachtete, daß er zu wenig Egoist war. Aber Ihr könnt nicht egoistisch mit ihm reden, denn Ihr seid nicht so groß wie ein Verbrecher, Ihr – verbrecht nichts! Ihr wißt nicht, daß ein eigenes Ich nicht ablassen kann, ein Verbrecher zu sein, daß das Verbrechen sein Leben ist. Und doch solltet Ihr's wissen, da Ihr glaubt, daß »wir allzumal Sünder sind«; aber Ihr denkt Euch über die Sünde wegzuschwindeln, Ihr begreift's nicht – denn Ihr seid teufelsfürchtig – daß die Schuld der Wert eines Menschen ist. O wäret Ihr schuldig! So aber seid Ihr »Gerechte«. Nun – macht eurem Herrn nur alles hübsch gerecht!

Wenn das christliche Bewußtsein oder der Christenmensch ein Kriminalgesetzbuch verfaßt, was kann da anders der Begriff des Verbrechens sein, als eben die – Herzlosigkeit. Jede Trennung und Kränkung eines herzlichen Verhältnisses, jedes herzlose Verhalten gegen ein heiliges Wesen ist Verbrechen. Je herzlicher das Verhältnis sein soll, desto schreiender ist seine Verhöhnung, desto strafwürdiger das Verbrechen. Den Herrn soll Jeder, der ihm untertan ist, lieben: diese Liebe zu verleugnen, ist ein todeswürdiger Hochverrat. Der Ehebruch ist eine strafwürdige Herzlosigkeit, man hat kein Herz, keine Begeisterung, kein Pathos für die Heiligkeit der Ehe. Solange das Herz oder Gemüt Gesetze diktiert, genießt nur der herzliche oder gemütliche Mensch den Schutz der Gesetze. Daß der Gemütsmensch die Gesetze gebe, heißt eigentlich nur, der sittliche Mensch gebe sie: was dem »sittlichen Gefühl« dieser Menschen widerspricht, das verpönen sie. Wie sollte z. B. Untreue, Abfall, Eidbrüchigkeit, kurz alles radikale Abbrechen, alles Zerreißen altehrwürdiger Bande in den Augen derselben nicht heillos und verbrecherisch sein? Wer mit diesen Forderungen des Gemütes bricht, der hat alle Sittlichen, alle Gemütsmenschen zu Feinden. Nur die Krummacher und Konsorten sind die rechten Leute, um einen Strafkodex des Herzens konsequent aufzustellen, wie ein gewisser Gesetzentwurf zur Genüge beweist. Die konsequente Gesetzgebung des christlichen Staates muß ganz in die Hände der – Pfaffen gelegt werden, und wird nicht rein und folgerichtig werden, solange sie nur von – Pfaffendienern, die immer nur halbe Pfaffen sind, ausgearbeitet wird. Dann erst wird jede Ungemütlichkeit, jede Herzlosigkeit als ein unverzeihliches Verbrechen konstatiert werden, dann erst jede Aufregung des Gemüts verdammlich, jede Einrede der Kritik und des Zweifels anathematisiert werden; dann erst ist der eigene Mensch vor dem christlichen Bewußtsein von Haus aus ein überführter – Verbrecher.

Die Revolutionsmänner sprachen oft von der »gerechten Rache« des Volkes als seinem »Rechte«. Rache und Recht fallen hier zusammen. Ist dies ein Verhalten eines Ichs zum Ich? Das Volk schreit, die Gegenpartei habe gegen dasselbe »Verbrechen« begangen. Kann Ich annehmen, daß Einer gegen Mich ein Verbrechen begehe, ohne anzunehmen, daß er handeln müsse, wie Ich's für gut finde? Und dieses Handeln nenne Ich das rechte, gute usw.; das abweichende ein Verbrechen. Mithin denke Ich, die andern müßten auf dasselbe Ziel mit Mir losgehen, d. h Ich behandele sie nicht als Einzige, die ihr Gesetz in sich selbst tragen und darnach leben, sondern als Wesen, die irgend einem »vernünftigen« Gesetze gehorchen sollen. Ich stelle auf, was »der Mensch« sei, und was »wahrhaft menschlich« handeln heiße, und fordere von Jedem, daß ihm dies Gesetz Norm und Ideal werde, widrigenfalls er sich als »Sünder und Verbrecher« ausweise. Den »Schuldigen« aber trifft die »Strafe des Gesetzes«!

Man sieht hier, wie es wieder »der Mensch« ist, der auch den Begriff des Verbrechens, der Sünde, und damit den des Rechts zu Wege bringt. Ein Mensch, in welchem Ich nicht »den Menschen« erkenne, ist »ein Sünder, ein Schuldiger«.

Nur gegen ein Heiliges gibt es Verbrecher; Du gegen Mich kannst nie ein Verbrecher sein, sondern nur ein Gegner. Aber den, der ein Heiliges verletzt, nicht hassen, ist schon ein Verbrechen, wie St. Just gegen Danton ausruft: »Bist Du nicht ein Verbrecher und verantwortlich, daß Du nicht die Feinde des Vaterlandes gehaßt hast?«

Wird, wie in der Revolution, das, was »der Mensch« sei, als »guter Bürger« gefaßt, so gibt es von diesem Begriffe »des Menschen« die bekannten »politischen Vergehen und Verbrechen«.

In alledem wird der Einzelne, der einzelne Mensch, als Auswurf betrachtet, und dagegen der allgemeine Mensch, »der Mensch« honoriert. Je nachdem nun dies Gespenst benannt wird, wie Christ, Jude, Muselmann, guter Bürger, loyaler Untertan, Freier, Patriot usw., je nachdem fallen sowohl die, welche einen abweichenden Begriff vom Menschen durchführen möchten, als diejenigen, welche sich durchsetzen wollen, vor dem siegreichen »Menschen«.

Und mit welcher Salbung wird hier im Namen des Gesetzes, des souveränen Volkes, Gottes usw. geschlachtet.

Wenn nun die Verfolgten sich vor den strengen, pfäffischen Richtern listig verbergen und wahren, so schilt man sie »Heuchler«, wie St. Just z. B. diejenigen, welche er in der Rede gegen Danton anklagt. Man soll ein Narr sein und sich ihrem Moloch überliefern.

Aus fixen Ideen entstehen die Verbrechen. Die Heiligkeit der Ehe ist eine fixe Idee. Aus der Heiligkeit folgt, daß die Untreue ein Verbrechen ist, und es setzt daher ein gewisses Ehegesetz eine kürzere oder längere Strafe darauf. Aber diese Strafe muß von denen, welche die »Freiheit als heilig« ausrufen, als ein Verbrechen wider die Freiheit angesehen werden, und nur in diesem Sinne hat auch die öffentliche Meinung das Ehegesetz gebrandmarkt.

Die Gesellschaft will zwar haben, daß Jeder zu seinem Rechte komme, aber doch nur zu dem von der Gesellschaft sanktionierten, dem Gesellschaftsrechte, nicht wirklich zu seinem Rechte. Ich aber gebe oder nehme Mir das Recht aus eigener Machtvollkommenheit, und gegen jede Übermacht bin Ich der unbußfertigste Verbrecher. Eigener und Schöpfer meines Rechts – erkenne Ich keine andere Rechtsquelle als – Mich, weder Gott, noch den Staat, noch die Natur, noch auch den Menschen selbst mit seinen »ewigen Menschenrechten«, weder göttliches noch menschliches Recht.

Recht »an und für sich«. Also ohne Beziehung auf Mich! »Absolutes Recht«. Also getrennt von Mir! Ein an und für sich Seiendes! Ein Absolutes! Ein ewiges Recht, wie eine ewige Wahrheit!

Das Recht soll nach liberaler Vorstellungsweise für Mich verbindlich sein, weil es durch die menschliche Vernunft so eingesetzt ist, gegen welche meine Vernunft die »Unvernunft« ist. Früher eiferte man im Namen der göttlichen Vernunft gegen die schwache menschliche, jetzt im Namen der starken menschlichen gegen die egoistische, die als »Unvernunft« verworfen wird. Und doch ist keine andere wirklich als gerade diese »Unvernunft«. Weder die göttliche noch die menschliche Vernunft, sondern allein deine und meine jedesmalige Vernunft ist wirklich, wie und weil Du und Ich es sind.

Der Gedanke des Rechts ist ursprünglich mein Gedanke oder er hat seinen Ursprung in Mir. Ist er aber aus Mir entsprungen, ist das »Wort« heraus, so ist es »Fleisch geworden«, eine fixe Idee. Ich komme nun von dem Gedanken nicht mehr los; wie Ich Mich drehe, er steht vor Mir. So sind die Menschen des Gedankens »Recht«, den sie selber erschufen, nicht wieder Meister geworden: die Kreatur geht mit ihnen durch. Das ist das absolute Recht, das von Mir absolvierte oder abgelöste. Wir können es, indem Wir's als absolutes verehren, nicht wieder aufzehren, und es benimmt Uns die Schöpferkraft; das Geschöpf ist mehr als der Schöpfer, ist »an und für sich«.

Laß das Recht einmal nicht mehr frei umherlaufen, zieh' es in seinen Ursprung, in Dich, zurück, so ist es dein Recht, und recht ist, was Dir recht ist.

Einen Angriff hat das Recht innerhalb seiner, d. h. vom Standpunkte des Rechtes aus erleben müssen, indem von Seiten des Liberalismus dem »Vorrecht« der Krieg erklärt wurde.

Bevorrechtet und Gleichberechtigt – um diese beiden Begriffe dreht sich ein hartnäckiger Kampf. Ausgeschlossen oder zugelassen – würde dasselbe sagen. Wo gäbe es aber eine Macht, sei es eine imaginäre, wie Gott, Gesetz, oder eine wirkliche, wie Ich, Du, – vor der nicht alle »gleichberechtigt« wären, d. h. kein Ansehen der Person gölte? Gott ist jeder gleich lieb, wenn er ihn anbetet, dem Gesetze gleich genehm, wenn er nur ein Gesetzlicher ist; ob der Liebhaber Gottes oder des Gesetzes bucklig und lahm, ob arm oder reich u. dergl., das macht Gott und dem Gesetze nichts aus; ebenso wenn Du ertrinken willst, ist Dir als Retter ein Neger so lieb als der trefflichste Kaukasier, ja ein Hund gilt Dir in dieser Lage nicht weniger als ein Mensch. Aber wem wäre auch umgkehrt nicht jeder ein Bevorzugter oder Zurückgesetzter? Gott straft die Bösen mit seinem Grimm, das Gesetz züchtigt die Ungesetzlichen, Du lässest Dich vom Einen jeden Augenblick sprechen und weisest dem Andern die Tür.

Die »Gleichheit des Rechts« ist eben ein Phantom, weil Recht nichts mehr und nichts minder als Zulassung, d. h. eine Gnadensache ist, die man sich übrigens auch durch sein Verdienst erwerben kann; denn Verdienst und Gnade widersprechen einander nicht, da auch die Gnade »verdient« sein will und unser gnädiges Lächeln nur Dem zufällt, der es Uns abzuzwingen weiß.

So träumt man davon, daß »alle Staatsbürger gleichberechtigt nebeneinander stehen sollen«. Als Staatsbürger sind sie dem Staate gewiß alle gleich; schon nach seinen besonderen Zwecken aber wird er sie teilen und bevorzugen oder hintansetzen, mehr jedoch muß er sie noch als gute und schlechte Staatsbürger voneinander unterscheiden.

Br. Bauer erledigt die Judenfrage von dem Gesichtspunkte aus, daß das »Vorrecht« nicht berechtigt sei. Weil Jude und Christ, jeder etwas vor dem andern voraushaben, und in diesem Voraushaben ausschließlich sind, darum zerfallen sie vor dem Blick des Kritikers in Nichtigkeit. Mit ihnen trifft der gleiche Tadel den Staat, der ihr Voraushaben berechtigt und zu einem »Vorrecht« oder Privilegium ausprägt, dadurch aber sich den Beruf, ein »freier Staat« zu werden, verkümmert.

Etwas hat nun aber Jeder vor dem Andern voraus, nämlich sich selbst oder seine Einzigkeit: darin bleibt Jedermann ausschließlich oder exklusiv.

Und wieder macht Jeder von einem Dritten seine Eigentümlichkeit so gut als möglich geltend und sucht vor ihm, wenn er anders ihn gewinnen will, diese anziehend erscheinen zu lassen.

Soll nun der Dritte gegen den Unterschied des Einen vom Andern unempfindlich sein? Verlangt man das vom freien Staate oder von der Menschheit? Dann müßten diese schlechterdings ohne eigenes Interesse sein, und unfähig, für irgendwen eine Teilnahme zu fassen. So gleichgültig dachte man sich weder Gott, der die Seinen von den Bösen scheidet, noch den Staat, der die guten Bürger von den schlechten zu trennen weiß.

Aber man sucht eben diesen Dritten, der kein »Vorrecht« mehr erteilt. Der heißt dann etwa der freie Staat oder die Menschheit oder wie sonst.

Da Christ und Jude deshalb von Br. Bauer niedrig gestellt werden, weil sie Vorrechte behaupten, müßten sie durch Selbstverleugnung oder Uneigennützigkeit aus ihrem beschränkten Standpunkte sich befreien können und sollen. Streiften sie ihren »Egoismus« ab, so hörte das gegenseitige Unrecht und mit ihm überhaupt die christliche und jüdische Religiosität auf: es brauchte nur keiner von ihnen etwas Apartes mehr sein zu wollen.

Gäben sie aber diese Ausschließlichkeit auf, so wäre damit wahrlich der Boden, auf dem ihre Feindschaft geführt wurde, noch nicht verlassen. Sie fänden allenfalls ein Drittes, worin sie sich vereinigen könnten, eine »allgemeine Religion«, eine »Religion der Menschlichkeit« u. dergl., kurz eine Ausgleichung, die nicht besser zu sein brauchte als jene, wenn alle Juden Christen würden, wodurch gleichfalls das »Vorrecht« des Einen vor dem Andern ein Ende nähme. Es wäre zwar die Spannung beseitigt, allein in dieser bestand nicht das Wesen der beiden, sondern nur ihre Nachbarschaft. Als Unterschiedene mußten sie notwendig gespannt sein, und die Ungleichheit wird immer bleiben. Das ist wahrhaftig nicht dein Fehler, daß Du gegen Mich Dich spannst und deine Absonderlichkeit oder Eigentümlichkeit behauptest: Du brauchst nicht nachzugeben oder Dich selbst zu verleugnen.

Man faßt die Bedeutung des Gegensatzes zu formell und schwächlich auf, wenn man ihn nur »auflösen« will, um für ein Drittes »Vereinigendes« Raum zu machen. Der Gegensatz verdient vielmehr verschärft zu werden. Als Jude und Christ seid Ihr in einem zu geringen Gegensatz und streitet Euch bloß um die Religion, gleichsam um Kaisers Bart, um eine Lappalie. In der Religion zwar Feinde, bleibt Ihr im Übrigen doch gute Freunde und z. B. als Menschen einander gleich. Gleichwohl ist auch das Übrige in Jedem ungleich, und Ihr werdet euren Gegensatz erst dann nicht länger bloß verhehlen, wenn Ihr ihn ganz anerkennt, und Jedermann vom Wirbel bis zur Zehe sich als einzig behauptet. Dann wird der frühere Gegensatz allerdings aufgelöst sein, aber nur deshalb, weil ein stärkerer ihn in sich aufgenommen hat.

Nicht darin besteht unsere Schwäche, daß Wir gegen Andere im Gegensatze sind, sondern darin, daß Wir's nicht vollständig sind, d. h. daß Wir nicht gänzlich von ihnen geschieden sind, oder daß Wir eine »Gemeinschaft«, ein »Band« suchen, daß Wir an der Gemeinschaft ein Ideal haben. Ein Glaube, Ein Gott, Eine Idee, Ein Hut für Alle! Würden Alle unter Einen Hut gebracht, so brauchte freilich keiner vor dem andern den Hut noch abzunehmen.

Der letzte und entschiedenste Gegensatz, der des Einzigen gegen den Einzigen, ist im Grunde über das, was Gegensatz heißt, hinaus, ohne aber in die »Einheit« und Einigkeit zurückgesunken zu sein. Du hast als Einziger nichts Gemeinsames mehr mit dem Andern und darum auch nichts Trennendes oder Feindliches; Du suchst nicht gegen ihn vor einem Dritten Recht und stehst mit ihm weder auf dem »Rechtsboden«, noch sonst einem gemeinschaftlichen Boden. Der Gegensatz verschwindet in der vollkommenen – Geschiedenheit oder Einzigkeit. Diese könnte zwar für das neue Gemeinsame oder eine neue Gleichheit angesehen werden, allein die Gleichheit besteht hier eben in der Ungleichheit und ist selbst nichts als Ungleichheit: eine gleiche Ungleichheit, und zwar nur für denjenigen, der eine »Vergleichung« anstellt.

Die Polemik wider das Vorrecht bildet einen Charakterzug des Liberalismus, der gegen das »Vorrecht« pocht, weil er sich auf das »Recht« beruft. Weiter als zum Pochen kann er's darin nicht bringen; denn die Vorrechte fallen nicht eher, als das Recht fällt, da sie nur Arten des Rechtes sind. Das Recht aber zerfällt in sein Nichts, wenn es von der Gestalt verschlungen wird, d. h. wenn man begreift, was es heißt: Gewalt geht vor Recht. Alles Recht erklärt sich dann als Vorrecht, und das Vorrecht selber als Macht, als – Übermacht.

Muß aber der mächtige Kampf gegen die Übermacht nicht ein ganz anderes Antlitz zeigen, als der bescheidene Kampf gegen das Vorrecht, der vor einem ersten Richter, dem »Rechte«, nach des Richters Sinn auszufechten ist?

Zum Schlusse muß Ich nun noch die halbe Ausdrucksweise zurücknehmen, von der Ich nur so lange Gebrauch machen, wollte, als Ich noch in den Eingeweiden des Rechtes wühlte, und das Wort wenigstens bestehen ließ. Es verliert aber in der Tat mit dem Begriffe auch das Wort seinen Sinn. Was Ich »mein Recht« nannte, das ist gar nicht mehr »Recht«, weil Recht nur von einem Geiste erteilt werden kann, sei es der Geist der Natur oder der der Gattung, der Menschheit, der Geist Gottes oder der Sr. Heiligkeit oder Sr. Durchlaucht usw. Was Ich ohne einen berechtigenden Geist habe, das habe Ich ohne Recht, habe es einzig und allein durch meine Macht.

Ich fordere kein Recht, darum brauche Ich auch keins anzuerkennen. Was Ich Mir zu erzwingen vermag, erzwinge Ich Mir, und was Ich nicht erzwinge, darauf habe Ich kein Recht, noch brüste oder tröste Ich Mich mit meinem unverjährbaren Rechte.

Mit dem absoluten Rechte vergeht das Recht selbst, wird die Herrschaft des »Rechtsbegriffes« zugleich getilgt. Denn es ist nicht zu vergessen, daß seither Begriffe, Ideen oder Prinzipien Uns beherrschten, und daß unter diesen Herrschern der Rechtsbegriff oder der Begriff der Gerechtigkeit eine der bedeutendsten Rollen spielte.

Berechtigt oder Unberechtigt – darauf kommt Mir's nicht an; bin Ich nur mächtig, so bin Ich schon von selbst ermächtigt und bedarf keiner anderen Ermächtigung oder Berechtigung.

Recht – ist ein Sparren, erteilt von einem Spuk; Macht – das bin Ich selbst, Ich bin der Mächtige und Eigner der Macht. Recht ist über Mir, ist absolut, und existiert in einem Höheren, als dessen Gnade Mir's zufließt: Recht ist eine Gnadengabe des Richters; Macht und Gewalt existiert nur in Mir, dem Mächtigen und Gewaltigen.


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