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Es war an einem milchwarmen Juli-Abend, als die Droschke zweiter Güte Nr. 8345 in nordöstlicher Richtung die Stallschreiberstraße durchrumpumpelte, dieselbe Richtung in der Seydelstraße beibehielt und dann in den Spittelmarkt einbog.
In der Stallschreiberstraße erheben sich rechts und links Häuser, reihenartig angeordnet, mit Fenstern und Thüren. Einige Fenster waren frisch geputzt, einige zum letzten Male vor acht Tagen, Hier und dort standen Thüren geöffnet; die meisten waren geschlossen. Auch waren Drücker an den Thüren, im Winter kalt anzufassen, im Sommer warm, jetzt fühlten sie sich 22 1/2 Grad Celsius an, denn das war die herrschende Temperatur.
Der Kutscher der Droschke Nr. 8345 hatte einen Hut auf, einen wachsledernen von schwarz glänzender Farbe. Sein dunkelblauer Rock war nicht mehr neu, jedoch zum Wegwerfen noch nicht alt genug; es war ein Rock, wie so ein Droschkenkutscherrock ist: an den Ellbogen ordnungsliebend geflickt, vorn an der Brust mit Fett- und Weißbiertröpfelungen, in die sich feiner grauer Staub eingenistet, versteckt, und mit glitze-glatzeblanken Knöpfen. Das Knopfputzen hatte unser Droschkenkutscher vom Militär her sicher in den Fingern wie Hans von Bülow die Beethoven'schen Sonaten: es war ihm unmöglich, sie anders als vollendet sauber zu halten.
In der einen Hand hielt er die Peitsche, mit der andern lenkte er das Roß. Das Pferd hatte vier Beine, zwei Ohren und einen langen schwarzen Schwanz. Sein Fell war mit rothbraunen Haaren besetzt, nur mitten auf der Stirn bildeten weiße Haare ein unregelmäßiges häßliches Mal. Das Pferd war überhaupt häßlich, schrecklich häßlich, ganz abscheulich häßlich.
Als das Gefährt das Asphaltpflaster des Spittelmarktes erreicht hatte, hörte das Rumpumpeln des klapprigen Wagenkastens auf; die Räder glitten wie mit Kunstbutter geschmiert über den geebneten Straßendamm dahin; deutlich vernahm man nun den Gang des Pferdes. Klack, klack, klick, klack – klang es – klack, klack, klick, klack. Aus dem »klick« konnte ein feinsinniger Beobachter heraushören, daß das Hufeisen an dem linken Hinterfüße nicht fest saß, denn sonst hätte es ebenso klacken müssen wie die anderen drei Eisen und nicht klicken.
Der Kutscher der Droschke zweiter Klasse Nr. 8345 erhob die Hand, welche die Peitsche hielt, einen halben Meter hoch und ließ sie rasch wieder fallen. Durch diese Bewegung ward das obere Ende der Peitsche gezwungen, einen Bogen zu beschreiben, dessen Krümmung wiederum auf die am äußersten Ende des Stockes befestigte Schnur übertragen wurde. Es war eine ledergeflochtene Schnur, vorn mit einer Schmitze aus starken, durch den Gebrauch theilweise zerfitzten Hanffasern.
Ph–t, fluppte die Schnur, als sie die Luft durchschnitt und auf die magere Flanke des Gaules niederfuhr.
Der Droschkenkutscher verzog keine Miene; auch ließ der mit vogelflugartiger Geschwindigkeit erledigte Vorgang das Pferd vollkommen kalt.
Sie waren beide in dem entmenschenden Sumpfe der Großstadt gleichgültig geworden gegen die Einzelheiten realistischer, vom sehenden Poeten unmittelbar dem Leben zu entnehmender Beobachtung, sie fühlten nicht, daß die möglichst naturgetreue Abbildung und Einzelmalerei des allbekannten Alltäglichen die wahre Kunst ist, welche dem Naturalisten dieselbe erhebende Empfindung verursacht, als wenn er sich ungewaschen und ungekämmt im Spiegel sieht.
Sie konnten sich nicht zu dem Seelengenusse aufschwingen, den das geistige Erfassen des Kleinsten in der Wirklichkeit gewährt; die realistische Analyse der einfachsten Thatsachen war ihnen total Hekuba. – Was dagegen macht ein Realist aus einem einzigen Peitschenschlage! Er braucht noch nicht einmal zu knallen, sondern blos: … ph–t!
So fuhren sie poesielos in die anbrechende Nacht hinein, ein Droschkenkutscher und ein Droschkengaul, blind gegen sich selbst, gegen ihre eigene realistische Erscheinung im Dasein.
Auf dem Bocke unter den Füßen des Kutschers lag ein Segeltuchkoffer, neben ihm lehnte ein großer Schloßkorb.
»Jüh!« rief der Kutscher dem Pferde zu, »sonst kommen wir zu spät!« – Das Pferd setzte sich in Trab, klack, klack, klick, klack! – Das elektrische Licht der Leipzigerstraße fiel mondscheinglimmrig auf das Gefährt und auf die in dem offenen Wagen Sitzenden. Es waren ihrer Drei: eine ältere Dame und zwei jüngere; muthmaßlich Mutter und Töchter.
»Halt!« schrie die Aeltere plötzlich, »Kutscher, halt!«
Der Kutscher zog die Zügel an, das Pferd glitt mit den Füßen noch eine Strecke auf dem glatten Asphalt weiter. Dann stand es.
»Wir müssen umkehren,« rief die Aeltere. »Ich habe das Portemonnaie zu Hause vergessen.«
»Dann kommen wir nicht mehr zum Zuge zurecht,« sagte der Kutscher.
»O, Mama!« riefen die beiden Jüngeren wie aus einem Munde, »und Morgen früh geht das Schiff.«
Es waren nicht nur muthmaßlich Mutter und Töchter, sondern wirklich!
»Kinder, wir können doch nicht ohne Geld in die weite Welt reisen.«
»Ich hatte mich so unendlich gefreut,« sprach die eine der Töchter. »Mama, daß Du auch immer und immer etwas liegen lassen mußt!« Sie zog ihr Tüchlein aus der Tasche und weinte.
»Vorwärts, Kutscher! vorwärts!« rief die Aeltere. Und klack, klack, klick, klack – – – – – – klack, klack, klick, klack – – – klack … klick … klack – – –
Ursprünglich fing diese »Pienchens Brautfahrt« betitelte Geschichte ganz anders an und war auch ganz anders, als sie jetzt ist. Ich hatte sie kurz und bündig geschrieben, so wie es von Alters her Gebrauch war, wie ich es Denen nachzumachen versuchte, die man früher nachahmenswerth nannte, und gab mich der Hoffnung hin, mit Fleiß und umsichtiger Beachtung der Sprachregeln eine Erzählung zu formen, die, wenn auch nicht allen, so doch manchen meiner Nebenmenschen einige Kurzweil bereiten möchte. Ich hatte die Absicht, die allmälig heranwachsenden Gestalten meiner Einbildung so recht von Herzen lieb zu gewinnen, damit sie lebendig würden, denn wie im Dasein der Körperwelt allein die Liebe Leben giebt, so ist auch sie es, die den Schemen der Gedankenwelt Wesenheit verleiht, daß man sie abmalen und wiedergeben kann, als wären sie Fleisch und Blut. Ich wollte sie mit ausgesuchten Worten und fein gefeilten Sätzen so hübsch zeichnen, wie mir eben möglich, und sie in eine blühende Umgebung thun, in einen Garten, wo Goldregen und Schneeballen und junges Frühlingsgrün die natürliche Dekoration zu dem Vorspiel bilden sollten. Sonnenschein und Nachtigallensang dazu; den Sonnenschein am Tage goldig und rein, den Nachtigallensang am Abend, wenn der Westen rosig dämmerte, als wolle er das Kommende ausplaudern. Das Kommende war nämlich die Rosenzeit. Wohin das Auge blickte Rosen, nichts als Rosen in den lieblichsten Farben. Sogar die alte Pappel war bis an die absterbende Spitze hinauf von Rosen umwunden. Mit den blüthenquellenden Ranken spielte die oben dahinziehende klare Luft, unten in dem Garten, inmitten der Rosengluth, von Rosenduft umwoben, wandelte ein seeliges Paar. Die Nachtigall schwieg, ihre Zeit war vorüber. Aber der Garten hallte von wonnigem Jubel wieder. »Ich liebe Dich, ich liebe Dich!« so klang es, und alle Rosen waren singende Engel, und was sie sangen, das war das ewige Lied der Liebe.
Mein Garten war das Menschenherz, und da die Liebe einzog, erblühten die Rosen in ihm.
Als ich die Geschichte in dieser Weise etwa bis auf die Hälfte gefertigt hatte, sandte ich sie mit einem ausgesucht höflichen Begleitschreiben an den Redakteur einer maß- und tonangebenden Zeitung, mit der allerdings verwegenen Bitte, meiner Feder Werk gütigst darauf zu prüfen, ob es sich für die p. p. Zeitung möglicherweise eigne, worauf ich alsdann, im Falle der gütigen Bejahung, den Schluß baldigst zu liefern mich zu verpflichten hoffen wagen dürfte. – Nicht ohne Zagen schrieb ich den Brief; ich hatte ihn nicht nur vorher in Kladde entworfen, sondern legte auch bei der Reinschrift ein Linienblatt unter. Man kann Redakteuren gegenüber nie ergebenst genug sein. Denn Jeder von ihnen ist unverantwortlicher Herrscher in seinem Bereiche. Wenn ich nicht fürchtete, eine Majestätsbeleidigung zu begehen, würde ich mehr sagen, aber ich werde mich hüten. Sie mutzen es Einem nachträglich auf.
Nach einem endlosen halben Jahre brachte der Postbote mir das Manuskript wieder in das Haus. »Für unser Blatt völlig unbrauchbar,« hieß es in dem Beischreiben. »Haben Sie denn überhaupt geschlafen, Verehrtester, (diese Herablassung that mir wohl), entging Ihnen denn gänzlich, daß eine Richtung, wie Sie eingeschlagen, heut zu Tage total abgethan ist? Wissen Sie denn nichts vor dem Umschwunge in unserer Literatur? Haben Sie noch nichts vom Realismus gehört, nichts vom Naturalismus? Was wir verlangen, sind all' unseren Sinnen tönende, riechende Bilder der Wirklichkeit, so scharf wie nur möglich! Wahrheit, so nackt wie nur möglich. Natur, so natürlich wie nur möglich, wenn möglich noch natürlicher. Sie haben einiges Talent, der Stoff Ihrer Erzählung »Pienchens Brautfahrt« scheint etwas herzugeben, bearbeiten Sie ihn naturalistisch! Wenn wir Sie voll und ganz zu den Unsrigen, zu den Verfechtern des Realismus zählen können, dürfen auch Sie ganz und voll auf uns rechnen. Ergebenst u.+s.+w.«
»Goldene Freiheit des Schaffens,« rief ich schmerzerfüllt, »Dir soll ich entsagen! Der größte Tyrann der Menschheit, die Mode, befiehlt also. Sie hat das Joch aufgerichtet, unter das ich mich beugen muß, wenn ich mit in dem Ringe springen will, der moderne Literatur heißt, wenn ich nicht zu den Ausgestoßenen gehören will, die Niemand druckt, die Niemand liest. Alle Martern der Verdammten sind in Dante's Hölle geschildert bis auf eine. Das ist die Qual des ungedruckten und ungelesenen Autors. Sie war dem Florentiner zu grauenhaft, sonst hätte er Gebrauch von ihr gemacht.«
Nachdem ich den Brief gelesen und nicht wußte, was zu beginnen war, warf ich einen Blick auf Ta'alihene, damit der mich tröste und berathe. Er blieb aber stumm und richtete seine leeren Augenhöhlen ins Weite wie immer und winkte mit seiner spinnenfingerigen Hand »komm hierher« wie immer. Ta'alihene ist nämlich in das Gehäuse der Pendeluhr eingesperrt; uns Beide trennt die durchsichtige Scheibe. Ich kann nicht zu ihm hinein, so viel er auch winkt, weil drinnen kein Platz für mich ist, und er kann nicht zu mir hinaus, weil er die Thür des Uhrkastens nicht zu öffnen vermag. Er hat gar keine Kräfte, er hält sich kaum auf den Füßen und ist immer dicht vor dem Umfallen. Und doch, wenn ich ihm seinen rechten Namen gebe, ist er stärker denn Alle. Nichts ist auf Erden, was er nicht meistere, darum heißt er Ta'alihene, das ist Arabisch und lautet auf Deutsch: »Komm hierher«. Sein Heimathland ist Japan. Dort hat ein fleißiger Handwerksmann ihn aus dünnem Draht, schmiegsamem Papier und weißer Farbe zusammengebastelt: ein allerliebstes kleines Todtengerippe, ein Hinstellfigürchen, wie es niedlicher für fünfzig Pfennige gar nicht sein kann. Ich kaufte es in einer Japanwaarenhandlung, weil es mir ungemein drollig vorkam, als ich es jedoch zu Hause auspackte, fand man es grauenvoll. Es war auch in der Tasche verbogen und glich einem Haufen Unglück. Als ich die Drahtbeine und Drahtarme ausgerenkt, sein Rückgrat und die Rippen anatomisch gerichtet, sah es annehmbarer aus. Ich sperrte es in den Uhrkasten. Mit der linken hocherhobenen Hand deutet es von unten herauf auf das Zifferblatt, mit der rechten winkt es: Komm her zu mir. Deshalb der Name Ta'alihene.
Die weibliche Partei unseres Hauswesens hätte Ta'alihene längst hinausgeworfen, aber Keine wagt es, ihn anzurühren. Darum muß ich die Uhr jetzt alle vierzehn Tage selbst aufziehen. Die Anna – unser dienendes Wesen – hat durchaus keinen Zeitsinn. Stets sagt sie, sobald sie etwas unpünktlich besorgt hat: »Ich dachte, es wäre erst sechs« oder »schon vier« oder wie Zeit und Auftrag zusammen liegen sollten. Ihr ist in Folge dessen das »Denken« ein- für allemal untersagt. Trotzdem denkt sie jedesmal, wenn sie recht unüberlegt und übereilt gewesen ist, aber jedesmal hinterher.
Seit Ta'alihene in der Uhr wohnt, theilt sie die Zeit nur nach eigenem Gutdünken ein und behauptet, wegen des Schrecklichen darinnen könne sie überhaupt keine Uhr mehr ohne Schauder ansehen. Wird sie Abends zum Einholen geschickt, bleibt sie jetzt statt der halben Stunde, an die sie das Hauswesen allmälig gewöhnte, eine ganze Stunde aus und schiebt die Schuld auf Ta'alihene. Ich weiß es aber besser. Es ist ein schmucker Garde-Füsilier, bei dem sie in zärtlichem Geplauder die Zeit vergißt, während wir auf den Aufschnitt und die frischen Eier warten und mit jeder Minute hungriger werden.
Aus diesen und verwandten Gründen ward der dringliche Antrag gestellt, Ta'alihene dem Feuertode im Ofen zu überantworten. – »Nein,« entschied ich kurz und bündig, »Ta'alihene bleibt; ich kann ihn nicht mehr missen. Punktum!«
Drei Tage finstere Gesichter. – Angebrannte Löffelerbsen. – Krach in der Küche mit der Anna, die zum nächsten Ersten zieht. – Drei Tage allmäliger Aufhellung. – Nudeln von unübertrefflicher Güte. – Die Anna wird wieder zu Gnaden angenommen. – Friede und Freude waren wieder ungetrübt. Nur ein leiser Mißklang stahl sich in die Harmonie der Seelen: die Frage, ob es sich nicht sehr hübsch ausnähme, wenn in dem Uhrkasten ein Vorhängelchen aus schöner grüner Seide angebracht würde. Grün sei überdies so wohlthuend für die Augen.
Wie vermöchte ich jedoch ferner mit Ta'alihene zu sprechen, wenn ein grüner Seidenlappen ihn meinem Anblicke entzöge? Wir sind die besten Freunde geworden. Ich frage ihn und sehe ihn an. Dann beantworte ich die Frage von seinem Standpunkte aus, so gut ich vermag. Er ist viel klüger als ich; keine irdische Eitelkeit trübt seinen Blick, er schaut die Dinge, wie sie sind. Und aufrichtig ist er. Wenn ich mit Wünschen und Hoffnungen, der Selbsttäuschung hingegeben, mich schmeichelnd belüge, dann lacht er. Ich frage, warum lachst Du, Ta'alihene? Er lacht und lacht, bis ich begriffen, welch ein Narr ich war. Hat er mich dahin gebracht, sieht er wieder eben so japanisch papierköpfig aus wie immer.
Diesmal that er keine Aeußerung. Ich stand vor einer Lebensfrage. Sollte ich dem eigensten inneren Leben für immer den Abschied geben, das den Schreibenden durchströmt wie die verborgenen Adern das Erdreich, welche als Quelle an den Tag drängen, oder sollte ich mit den Modewölfen heulen und, betäubt durch das Geschrei, mir einreden, gut getauscht zu haben?
Wieder fragte ich Ta'alihene. – Er grinste.
»Ei, mein Freund, ich verstehe Dich. Was ist die Zeitspanne literarischen Hexensabbaths gegen die weite rollende Ewigkeit? Ich mache ein Tänzchen mit. Siehst Du, wie Du lachst? – Ta'alihene, wenn ich Dich nicht hätte, welch' ein Trauerspiel wäre das Dasein!«
Nun stürzte ich mich in den Natura-Realismus und studirte mit Eifer die Werke der neuesten Schule. Oft war es schwere Schmierstiefelarbeit, durchzukommen, so hatten sie den Unrath des Lebens angehäuft, die musenverlassenen Brüder. Manchmal auch schlief ich dabei ein, so breit waren die Schilderungen der gewöhnlichsten Dinge. Etliche Male wiederum erlustigten sie mich höchlich, aber da ich der Lernende war und die jungen Realisten die Unterweisenden, zwang ich mich alsogleich zur Ernsthaftigkeit, denn wenn ein Schüler seine Herren Lehrer auslacht, das halte ich geradezu für sündhaft.
Es dauerte nicht lange, da hatte ich das Rezept heraus, wie Realismus gemacht wird. Munter schrieb ich darauf los und »Pienchen's Brautfahrt« war bald soweit gediehen, daß der neue Anfang an den Redakteur gesandt werden konnte, der mir so viel Hoffnungsreiches versprochen.
Erinnerungen lähmen zwar die Schwingen der Hoffnung und oft erfuhr ich schon, daß Versprechungen ebenso regenbogenfarbig schimmern wie Seifenblasen und ebenso leer sind, aber diesmal spannte ich die Erwartungen den Erfahrungen zum Trotz bis auf das Höchste: ich hatte die Forderung erfüllt und war zum Realismus übergetreten, er mußte halten, was er zugesagt, und mich voll und ganz in die Clique ziehen. Clique heißt auf deutsch zwar etwa so viel wie Spießgesellschaft, – auch Rotte – aber das schadet nichts; irgend einer anzugehören, war stets der Kern meines geheimsten Sehnens. Selbst Ta'alihene hatte ich ihn zu verbergen gesucht. Mich überlief ein Freudezittern bei dem Gedanken an den Augenblick, in dem ich von den Genossen feierlich aufgenommen und von ihnen ganz und voll anerkannt würde, wie sie sich gegenseitig patentiren.
Da aber kam der Postbote und brachte mir »Pienchen« wieder zurück. Der Redakteur schrieb: »Als Versuch recht brav, jedoch lange nicht realistisch genug. Hauptfehler: – viel zu viel Handlung. Sie müssen die Mutter erst vier Seiten lang beschreiben, bevor sie den Mund aufthut, und dann kommen mindestens drei Seiten Beschreibung auf die Tochter, ehe sie antworten darf. Verehrtester, beschreiben, beschreiben und noch einmal beschreiben ist der Hauptwitz des Realismus. Der Droschkenkutscher und der Gaul sind Ihnen ziemlich gelungen, nur wäre dieser noch etwas häßlicher zu wünschen. Das lose Hufeisen, welches klick sagt, und das tief naturalistische Eingehen in die Mechanik des Peitschenschlages sind einfach groß, das würden unsere Besten nicht besser gemacht haben. Diese beiden Leistungen nehme ich von dem Uebrigen aus. Der Rest ist … Geruchlosigkeit.«
»Habe ich Ihnen nicht gesagt, Sie sollen riechende Bilder schreiben? Den Geruchsinn in die Literatur eingeführt zu haben, das ist das riesengroße Verdienst der Realisten. Jäger roch sich allmälig durch, bis er die Seele errochen hatte – wir sind auch nicht auf die Nase gefallen. Früher genügte es, Mitgefühl zu erwecken, wenn Thränen aus den Augen des Lesers flossen, war der Autor entzückt. Verrückt würden wir heute sagen. Der Autor, bei dessen dunstenden Schilderungen der Leser sich die Nase zuhält, das ist der Meister, der hats erreicht. Also wo, wann, wie wollen Sie es in Ihrer Erzählung riechen lassen? – Ergebenst u.+s.+w.«
Mit wendender Post erwiderte ich: »Nichts leichter als das. In der Straße, durch welche die Droschke rüttelt, stehen bekanntlich einige Hausthüren offen, während andere geschlossen sind. Eine der geöffneten Thüren führt zu einem Konditorladen und ein kräftiger Geruch nach Schokolade erfüllt die Gasse. Ihr hochachtungsvollst ergebenster u.+s.+w.«
Aber die Antwort, die nun kam! – P. P.! »Bedaure, Ihre Arbeit »Pienchens Brautfahrt« als ungenügend ablehnen zu müssen. Schokolade riecht nicht realistisch. Ergebenst u.+s.+w.«
Nun war meine Geduld zu Ende. Ohne vorher mit Ta'alihene Rücksprache zu nehmen, machte ich Revolution. Ich empörte mich gegen den Zeitungstyrannen. Ich ballte die Hände, ich fluchte fürchterlich. Dann nahm ich eine Postkarte, adressirte sie und schrieb darauf: »P. P! Sie Zebu!« Hochachtungsvoll u.+s.+w.
»Er mag mich verklagen,« sagte ich zu mir selbst, »dann kommt die Angelegenheit an die große Glocke und das Publikum spricht sein Urtheil.«
Er aber klagte nicht. Wahrscheinlich war ihm fremd, zu welcher Thierfamilie das Zebu gehört, sonst hätte er den Staatsanwalt auf mich gehetzt. –
Mit den Realisten war ich fertig. Es giebt aber noch andere Richtungen und Cliquen. Auf gut Glück packte ich »Pienchen« wieder ein und unterbreitete sie einem Feuilletonverwalter einer anderen Zeitung.
Das Manuskript kam sehr bald wieder in meine Hände. Schon die ersten Zeilen hatten sein Schicksal besiegelt. »Unser Blatt ist teutsch und allen Fremdworten abhold,« schrieb der Rücksender; »Ihre Arbeit aber wimmelt von unteutschen Ausdrücken. Gleich in dem ersten Satze entrüstet uns das unteutsche »Juli-Abend« statt des teutschen Heumond-Abend, darauf folgt das russische »Droschke« und sofort das lateinische »Nummer« ( numerus). Dergleichen dürfen wir unsern bereits zur Sprachreinlichkeit erzogenen Lesern nicht bieten, wenn wir nicht viele vorausbezahlt habende Vierteljahrsabnehmer verlieren wollen. Gefallen hat uns jedoch, daß Sie das altdeutsche »rumpumpeln« wieder in seiner ganzen Vollklangswirkung anwenden, wie es bereits Grimm in dem 5. Stück seiner Hausmärchen that. Es ist ein vorzügliches Wort, vermuthlich ur-arischen Ursprungs, bei dem durch emsiges Spüren im Sanskrit jedoch noch festgestellt werden muß, ob die Wurzel √ rump oder die Wurzel √ pump zu Grunde liegt. Vielleicht auch kann es als seltenes Beispiel zwiegewurzelten Stammes gelten: ein Aehnlichkeitsfall zu den ebenfalls spärlichen, doppelt gewurzelten Moorrüben. Welch ein Ackerfeld für wissenschaftliche Forschung!
Sollte dieses Zeitwort wider Erwarten auf ein ägyptisches – oder – zurückgeführt werden, dann wäre es als nichtarisch, mithin als unteutsch in seinen allerersten Anfängen, wie die übrigen Fremdworte einfach hinauszuwerfen. Vor dem endgültigen Bescheide der Fachgelehrten können wir uns daher mit Ihrer Erzählung nicht weiter befassen, warten Sie den Austrag der Streitfrage ab. Ergebenst u.+s.+w.«
»Ta'alihene,« rief ich, »haben wir zu solchem Warten Zeit?« – Ta'alihene schüttelte sein Todtenköpfchen. So schien es mir. Ich wenigstens an seiner Stelle hätte also verneint, denn streitende Gelehrte sind noch nie einig geworden. Und wenn der Tod ihnen Sand in den Mund stopfte, nähme der Streit dennoch kein Ende: einmal Ausgesprochenes ist nicht zu ertödten. Das lebt. Nur im Vergessen könnte es Ruhe finden. Wer aber kann vergessen, wann er will? So viele Mühe er sich auch giebt, schließlich muß er doch bekennen, daß das Gedenken mächtiger ist als das vergessen. Das erfuhr ich auch diesmal. Unsanft aus dem erträumten Cliquenhimmel gestürzt, erwachte ich wieder zur Besonnenheit, holte reuevoll die erste Bearbeitung von Pienchens Brautfahrt hervor, sie unbekümmert um Realisten, Naturalisten und Germanisten zu Ende zu führen.
Bald merkte ich jedoch zu meinem Schrecken, daß die Fortsetzung sich dem Anfange nicht gleichartig anschloß. Gröber war das Gefüge der Gedanken und diese selbst waren wie verschüchtert und wagten sich kaum zu zeigen.
Ich sah einmal eine Schaar spielender Kinder, die festtäglich gekleidet am ersten sommerlichen Maiensonntag auf dem Anger vor dem Thore singend, haschend, blumenpflückend sich froher Kinderseligkeit Hingaben, als plötzlich ein betrunkener Landstreicher unter sie taumelte. Wohl befreiten Erwachsene die Kinder von dem Unhold, allein die harmlose Fröhlichkeit war verdorben; scheu unterbrachen die Kleinen ihre auf Zureden wiederbegonnenen Spiele und blickten um sich, ob auch ein neues Garstiges von irgendwo daherkäme. So wollte, was ich zu sagen gedacht, auch nicht wieder froh werden und die vorher klar erschauten Bilder erschienen trübe und fleckig. Die Rosengartenschreibweise war mir verloren gegangen, da ich sie verleugnet hatte.
Das war eine rechte Noth. O hätte ich vergessen können.
Das Lesen wirkt auf uns ein, ohne daß wir es merken; allgemach hängt es uns Grundsätze an, die wir nicht mit derselben Leichtigkeit los werden, wie sie sich einschlichen. Was anfangs Bedenken hervorrief oder gar Ekel, verliert das Abstoßende durch tägliche Wiederkehr und vergnügt zuletzt. Wenn aber das Gemeine gefällt, dann wird es durch Gewohnheitserziehung zur Sitte.
Ein großes Weh überkam mich, als ich erwog, daß unser Volk hinausgetrieben werden könnte auf die staubige Landstraße des schmucklosen Alltagslebens, und es nur das wahr, schön und höchste Kunst wähne, was eben so elend und niedrig, wie das Thierische im Menschen und das Unreine auf Erden. Wird es dann der Noth inne werden, in die es gerieth?
Gottgesegnet alsdann der Dichter, der die unentweihte Goldharfe rührt und die Sehnsucht nach dem Rosengarten des Herzens weckt.
Wie aber, wenn ich im Unrecht wäre, wenn die neuen Anschauungen als Frucht der Zeitläufte unabwendbar den Sieg behaupteten und alle Diejenigen sich irrten, welche der rücksichtslosen Abzeichnung der natürlichen, selbst der krankhaften Geschehnisse nicht beistimmen? Denn es sind tüchtige Männer unter den vordrängenden Vertretern des Neuen, und die Geschichte weiß, wie heftig befehdete Geistesrichtungen über allen Widerstand triumphirten und Recht behielten.
»Ta'alihene,« fragte ich, »auf welche Seite schlägst Du Dich? Wo wird der Tod, wo wird das Leben sein? Wofür entscheide ich mich?« – Er gab kein Zeichen. – »Ich hätte Dein Schweigen voraussehen müssen,« sprach ich. »Deine Stunde ist Dein Geheimniß.«
So war ich denn auf meine Nebenmenschen angewiesen, daß der Kundigen Einer die Zweifel löse. Da reifte der Entschluß in mir, mich geradezu an einen Professor der neueren Literatur zu wenden. Der mußte es wissen.
Professoren sind die geistigen Leuchten, welche der Staat auf geeignete Plätze stellt, wie der Magistrat die Laternen der Stadt. Da giebt es Thranlampen, Oellampen, Petroleumlampen, Gasflammen, elektrische Glühlichter und das Alles überstrahlende Bogenlicht, in das man nur durch eine Schutzbrille hineinschauen kann. Sie alle erhellen das Dunkel der Nacht wie die Professoren das Dunkel der Unwissenheit. Der Magistrat stellt die Laternen nicht aus lauter Freigebigkeit hin, daß Verspätete den Weg finden und Schwankende sich an dem Pfahl halten können, sondern legt für solche Nutzeinrichtungen die Steuer auf des Bürgers lastgewohnte Schulter. Deshalb hat auch Jeder, der dem Steuereinnehmer offen ins Gesicht sehen kann, das Recht, seinen Antheil der Nachtbeleuchtung in Anspruch zu nehmen, wie es ihm paßt. Dieses Verhältniß übertrug ich auf die geistigen Leuchten des steuereinziehenden Staates und kam zu dem Ergebniß, daß ich ebenfalls ein Anrecht auf Erhellung hätte. Allerdings schmolz mein Recht, als ich mein Bischen Steuer durch alle Professoren, Soldaten, Beamte, Kunstwege, Kanäle, öffentliche Bauten u.+s.+w. dividirte, auf ein Millionstel Pfennig zusammen, aber trotzdem ging ich. Denn ob der Anspruch groß oder klein … Recht bleibt Recht.
Das Licht der neueren Literatur nahm mich mit achtunggebietender Liebenswürdigkeit an. Ich legte ihm den Zwiespalt, der mich beunruhigte, in dringlicher Rede vor, ich sagte ihm Alles, was mich bewegte – vielleicht zu viel für den Millionstel Pfennig – aber ich benutzte die Gelegenheit wie Jemand, der in fremdsprachigem Orte einen Landsmann trifft. Als ich geendet, sprach er: »Was Sie mir soeben sagten, ist höchst interessant, aber ich vermag Ihnen keinen Rath zu geben, denn ich gehe nur bis Goethe inklusive.« – Schüchtern entgegnete ich: »Meine Meinung war, daß die Wissenschaft sich auch um die Gegenwart kümmere, wie soll unser Volk aus dem Wirrsal finden, in das es Gefahr läuft zu verrennen, wenn es einseitiger Führung überlassen wird? Ist das Schriftthum nicht dasselbe für das Gemüth, was die Umgebung für den Körper? Selbst der Gesündeste empfängt in Fiebergegenden die Keime der Krankheit und durchseuchte Orte setzen dem Festesten zu, wo der Schwache ganz erliegt. Die Hygiene strebt, das Volk zu bewahren, daß es körperlich erstarke und von Schaden befreit bleibe, wer erbarmt sich der Seele des Volkes?«
»Mit den Tagesfragen sich zu beschäftigen, ist nicht die Aufgabe der strengen Wissenschaft; sie würde dadurch von ihren Zielen abgelenkt werden,« war die Antwort. »Die Gegenwart ist als fließend aufzufassen, als ein unruhiges, unfertiges, der Forschung sich entwindendes Objekt. Ein heute gefälltes Urtheil über das werdende kann morgen durch das Gewordene ad absurdum geführt werden und mit ihm die Autorität des Gelehrten. Goethe dagegen ist konsolidirt und ein unverrückbarer Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung, die an ihm fortwährend Entdeckungen macht. Ihr Vertrauen soll jedoch das meinige nicht beschämen, ich will Ihnen jetzt schon mittheilen, was einer späteren Veröffentlichung vorbehalten bleibt, nämlich daß Goethe wahrscheinlich am vierten Februar 1780, zwei Tage bevor er sich zum ›Tasso‹ niedersetzte, Makkaroni mit Parmesankäse gegessen hat. Die Tragweite dieser, von mir mit unsäglicher Mühe aufgespürten Thatsache, ist von ungeheuer wissenschaftlicher Bedeutung. Sie wirft ein helles Licht auf die innersten Beziehungen zwischen dem Dichter und seinen Schöpfungen.«
Ich dankte gerührt für die gütige Erleuchtung und verabschiedete mich von der Laterne, um Entschuldigung bittend, daß ich ihre vom Staate besoldete Leuchtkraft im Rückwärts scheinen unterbrochen hätte. Mit überlegenem Lächeln ward ich entlassen.
»Jetzt ist mir Alles einerlei,« murmelte ich auf dem Nachhausewege. »Pienchen wird nun so, wie sie geräth. Die Hauptsache ist ein Verleger. Lebenfristendes Chausseesteinklopfen habe ich nicht gelernt, palasterbauendes Bierbrauen ebenso wenig, ich muß schon beim Schreiben bleiben.« – Ich bürstete meinen Hut und ging auf die Suche. Das Geschick wollte mir wohl.
Der Verleger hatte nicht nur Zeit, die Vorlesung des begonnenen Werkes zu gestatten, sondern auch Lust zu Unternehmungen. Das ist selten. Gewöhnlich sind die Pressen vollauf beschäftigt und die Zeiten für den Verlag der gerade angebotenen Arbeit ungünstig. Als ich eine Weile gelesen, rührte der Verleger die elektrische Klingel, und der alsbald erscheinenden Maid befahl er, Gänseleberpastete und eine Flasche Wein aufzutragen.
Meinem Erstaunen begegnete er mit der Erklärung: »Was Sie hier auf dem Tische sehen, ist meine sogenannte praktische Kritik. Lobe ich einen Autor mit den Ausdrücken superlativster Anerkennung, wird er eitel, darauf anmaßend und stellt dann Forderungen, auf die ein solider Verleger bei dem jetzigen niedrigen Zinsfuß nicht eingehen kann. Drücke ich dagegen meinen Beifall in Gänseleberpasteten und in Bordeaux oder in Kaviar, Hummersalat und altem Rheinwein aus, so verpflichte ich mich erstens durch kein ausgesprochenes Wort und futtere zweitens den Autorendünkel nicht an, weil drittens jedes einigermaßen dankbare Gemüth die Kosten des Gebotenen bei den Honorarbedingungen in Anschlag bringt und sich in den Grenzen hält, welche ein ersprießliches Geschäft ermöglichen. Befriedigt das Geschriebene mich weniger, giebt es statt der Pastete Leberwurst aus dem Budikerkeller und eine Weiße. Unbrauchbare Autoren bekommen garnichts, die sitzen so lange trocken, bis sie gehen.«
Ich fand diese Art der Kritik vortrefflich und aß und trank. Es war eine Kritik ohne Bitternisse, denn die Galle wird von der Pastetenleber sorgsam abgetrennt. Das Schwarze darin waren, wie der Herr Verleger mich versicherte, Trüffeln.
Nach dieser höchst angenehmen Unterbrechung ward die Vorlesung des Manuskriptes wieder aufgenommen. Der Verleger schwieg. Dann kam es mir vor, als wenn er die Pastete allmälig immer weiter schob und aus meinem Armbereiche zu entfernen suchte. Das machte mich besorgt. Gefiel ihm die Fortsetzung nicht? Auch den Kork drückte er fest in die Mündung der Weinflasche und mir damit den Stachel der praktischen Kritik in die freudeschwellende Brust.
»Sind Sie unzufrieden?« fragte ich kleinlaut.
»Es muß mehr Humor hinein,« entgegnete er, »das Publikum will lachen.«
»Lachen?« fragte ich bestürzt. »Wenn ich es irgend ernst meinte, dann ist ›Pienchens Brautfahrt‹ ein Zeugniß dafür. Aber ich bescheide mich. Ich bin im Besitze einiger älterer unfehlbarer Scherze. Die kann ich hinein geben.«
Die Pastete kam wieder näher. Ebenso die Flasche.
»Ich fürchtete, die Ungleichheit der Schreibweise habe Ihr Mißfallen erregt,« fuhr ich fort. »Theils ist sie modern beeinflußt, theils althergebracht …«
»Das macht nichts,« unterbrach er mich, »der Deutsche kümmert sich nicht um die Form, der liest schlankweg. Im Gegentheil, gerade das Durchwachsene halte ich für günstig. Mir scheint jedoch, als wenn der Stoff für einen Band zu knapp wäre. Haben Sie ein Loch offen gelassen, damit wir auf zehn bis zwölf Bogen kommen?«
»Gewiß,« rief ich. »Ein wirkliches Loch, nämlich die Doktorengrube.«
Er schenkte ein und legte mir eigenhändig von der Pastete vor. Ich war zu gerührt, daß ich essen konnte; aber ich aß doch.
»Ich habe noch eine Bedingung,« begann er.
»Die wäre?«
»Sie dürfen keine der Hauptpersonen verloben. Die Nebenfiguren dagegen können Sie so viel verheirathen, wie Sie Lust haben.«
»Jeder Leser wird erwarten, daß Pienchen –«
»Wie wollen Sie einen zweiten Theil schreiben, wenn Pienchen verlobt ist?« entgegnete er und räumte den Tisch ab.
»Ich möchte Pienchen so gern mit Myrthen kränzen,« war meine Antwort. »Ich glaube ja, daß manches Mädchen aus buchhändlerischen Rücksichten zwei Bände lang warten und weinen muß, bis sie im dritten den Mann kriegt, der ihr von Anfang an zugedacht war, aber haben Sie Mitleid mit Pienchen.«
Er klingelte unerbittlich. Die Maid kam und schleppte die huldreiche Kritik hinaus.
»Ueberlegen Sie,« sprach er.
Ich war an das Fenster getreten und blickte hinab auf das Gewühl der Straße. Omnibusse, Pferdebahnwagen begegneten einander, die Leute, welche darin saßen, kannten sich nicht, theilnahmlos fuhren sie vorüber. Die Menschen auf dem Bürgersteige eilten daher, keiner kümmerte sich um den andern, jeden leitete sein eigenes Vorhaben. Keiner verrieth, was ihn trieb, ob Sorge, ob frohe Erwartung; für den Ausgang legt das Antlitz die Maske der Straßenglätte an. »Mache es ebenso, wie die da drunten,« raunte eine innere Stimme mir zu. »Verlobe Pienchen heimlich, aber sage es nicht. Sei weltklug.« – Da fiel mir die Leberpastete schwer aufs Gewissen. Nein, einen solchen Verleger konnte ich nicht hintergehen.
»Gut,« sprach ich. »Nur mit Ihrer Einwilligung wird Pienchen verlobt. Lassen Sie mir jedoch die Hoffnung, daß Sie selbst als Mitpflegevater ihr den Segen geben.«
»Einverstanden. Wenn die Autoren nur immer auf die Buchhändler hören wollten, stände es besser mit ihnen;« sagte er milde, »sie würden wenig Anlaß zum Klagen haben. Aber wie schwer ist ihnen beizubringen, daß schließlich Alles in der Welt Geschäft ist. Machen Sie sich fleißig an die Arbeit; sobald der Sommer kommt und die Reisen beginnen, muß Pienchens Brautfahrt fertig sein.«
»Pienchen mit den Schwalben zugleich!« rief ich fröhlich aus. »Was wohl Ta'alihene dazu sagen wird? Wissen Sie, allerhöchstgeschätztester Herr Verleger, man kann ihm vieles einreden, aber daß schier Alles in der Welt Geschäft sei, das glaube ich, glaubt er nicht. Ta'alihene wenigstens läßt nicht mit sich handeln.«
»Ist das ein Freund von Ihnen?«
»Wir sind unzertrennlich bis an den letzten Tag!«
»Sie sollten sich einen zeitgemäßeren Freund anschaffen,« sagte der Herr Verleger. »Es fehlt ihm an Lebenserfahrung, sonst würde er praktischer denken. Sehen Sie Stanley, das ist der Mann des Tages; er wäre es nicht, wenn er kein so außerordentlicher Geschäftsmann wäre; ja, man kann sagen, er ist das Afrika durchquerende Geschäft. Deshalb findet er eben so viele begeisterte Anhänger. Und unter uns gesagt: der Naturalismus ist nur eine Art von literarischem Guanogeschäft. Es giebt einige Leute, die machen aus Geschäft Patriotismus, andere Umsturz und so weiter. Oeffnen Sie nur die Augen.«
»Das weiß Ta'alihene viel besser,« entgegnete ich. »O, er ist der Klügste. Denn Sie wissen, wer zuletzt lacht …«
»Lacht er denn?«
»Immer und immer.«
»So –«
Da ich nun bereits längere Zeit trocken gesessen hatte, fühlte ich den Augenblick des Abschiedes gekommen. – Als ich auf der Straße war, versuchte ich vergebens, meinem Gesichte die übliche Ausgehverfassung zu geben; ich pfiff mir sogar ein Liedchen, ein Spottlied auf die Tyrannen, die mein Pienchen so schnöde abgewiesen hatten.
Ich durfte pfeifen, denn ich hatte einen Verleger.