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Drittes Kapitel
In dem vorhergehenden zweiten Kapitel hatte ich die feste Absicht gehabt, den verehrten Leser mit dem berühmten Maler Johann Heinrich Fuseli bekannt zu machen, und zwar durch die Vermittlung des Professors Buffers. Ich hatte in einem sehr liebenswürdigen Brief das Marine- und Armeewarenhaus gebeten, mich von meinem Versprechen zu dispensieren, nur erfundene Personen in meiner Fabel auftreten zu lassen. Ich hatte feierlich erklärt, daß die historische Persönlichkeit Fuseli ein durchaus lauterer Mensch, wenn auch nicht englischer Abstammung, gewesen sei.
»Die einzige auffallende Schwäche«, schrieb ich, »die er besaß und die er mit seinem Freund, dem Maler und Dichter William Blake, teilte, war eine Neigung zum kernigen Fluchen, und da ich in meiner Erzählung bestrebt sein werde, Johann Heinrich Fuseli in möglichst wenig Situationen zu bringen, wo er von dieser seiner Schwäche Gebrauch machen kann, so glaube ich, daß seine Einführung in meine Fabel den Kredit Ihres so respektabeln Hauses nicht schädigen kann. Ich werde auch, wenn es irgendwie möglich ist, Fuseli nicht mit dem Generalmajor Sir Reginald Bulber 57 zusammenbringen, denn ich bin mir bewußt, daß ich mit dem Auseinanderbringen nachher nicht so leicht fertig werde. Sollte ich aber zu dem Aufeinanderprallen dieser beiden heftigen Menschen gezwungen werden, sei es durch die Logik oder nur durch die Schreibmaschine, dann werde ich das nur in der Gegenwart von Fuselis bestem Freund William Blake tun. Ich weiß, daß Blake sehr oft zu Fuseli gesagt hat: ›Fuseli, wenn ich schon zu fluchen aufgehört habe, dann fängst du immer wieder von neuem an. Laß uns doch endlich einmal gemeinsam aufhören!‹ Ich werde das Blake in dem gegebenen Augenblick sagen lassen und, wenn Fuseli sich weigert, kurzerhand das Kapitel schließen . . .«
Auf diesen Brief hat mir das Marine- und Armeewarenhaus bis heute noch nicht geantwortet. Da ich aber als Schriftsteller daran gewöhnt bin, daß man meine Briefe erst viele Monate nach dem Eingang eventuell beantwortet, so will ich weiter zuwarten. Ein guter Schriftsteller muß warten können, und wenn er den Mut aufbringt, bis über seinen Tod hinaus zu warten, dann braucht ihm um den Enderfolg nicht bange zu sein. –
Professor Buffers hatte die Absicht gehabt, noch am 58 gleichen Morgen den Maler Johann Heinrich Fuseli in der Broadstreet aufzusuchen. Man hatte ihm erzählt, daß Fuseli ein bedeutender Katzenmaler sei, der für diese Tiere eine besondere Vorliebe besitze und sie in allen möglichen Positionen male. Auf seinem letzten Bild sei das Konterfei einer Katze, bei deren Anblick dem kühlsten Menschen die Haare zu Berg ständen.
Die Originalkatze wollte und mußte Professor Buffers kennenlernen, um sie – hinter Buffers stand die ganze Kaufkraft des Kriegsministeriums – wenn irgend möglich zu erwerben. Sie sollte dann die Stammutter eines Katzengeschlechtes werden, wie es die britischen Inseln noch niemals beherbergt hatten. Diese Überkatzen gedachte dann Buffers nach vollendeter Erziehung mit durchschlagendem Erfolg gegen die Ratten einzusetzen . . . Der Generalmajor Sir Reginald Bulber durfte von diesen Plänen natürlich kein Wort erfahren, und auch im Kriegsministerium hatte sich Buffers in tiefes, aber um so eindruckvolleres Schweigen gehüllt. Soldat und Gelehrter betrachteten sich damals, nicht zum Schaden der Völker, mit Mißtrauen. Erst seitdem die beiden ihre Scheu voreinander gründlich ablegten und sehr intime Freunde wurden, geht die Weltgeschichte besonders interessanten Zeiten entgegen. – 59
Wie ich schon erzählte, nahm die Feierlichkeit vor dem Katzensaal geraume Zeit in Anspruch, und es war Buffers an diesem Vormittag nicht mehr möglich, seinen geplanten Besuch auszuführen. Der Hunger, der in Beziehungen zu dem Patriotismus steht, regte sich bei ihm, und er eilte nach Hause.
Ein Schriftsteller oder eine Schriftstellerin, die in unserer Zeit literarischen Ehrgeiz besitzen, haben es nicht schwer, zum Erfolg zu gelangen, wenn sie ihre Helden in dem richtigen Augenblick eines natürlichen oder, besser gesagt, eines unnatürlichen Todes sterben lassen. Vor einigen Jahren hielt ich vor meinen Kolleginnen der Feder – von meinen Kollegen kam nur einer, und der hat sich seitdem der Beleuchtungsbranche gewidmet – einen Vortrag über das Grausamkeitsbedürfnis unserer Zeit. Die Damen haben sehr aufgepaßt und bereits im folgenden Jahre ihre Helden und Heldinnen rücksichtslos abgeschlachtet, manchmal schon im ersten Kapitel, und dann hatten sie es außerordentlich schwer, auf anständige Weise zu dem letzten Kapitel zu gelangen. Diejenigen aber, die es vorzogen, erst gegen den Schluß hin dem Tode zu seinem Recht zu verhelfen, mußten dafür auch besonders komplizierte Todesarten erfinden. Darüber litt 60 natürlich der Fluß der Handlung, weil er zu oft durch Nachdenken unterbrochen wurde, und wenn auch sehr oft das letzte Kapitel allen gerechten Anforderungen des Publikums und der von ihm abhängigen Kritik entsprach, ein eigentliches Meisterwerk hat keine von ihnen erzeugen können. Ich selbst war von der Wirkung meines Vortrages sehr betroffen und traurig darüber, daß ich die eigentliche Ursache war, daß vielen edlen Menschen, wenn auch nur Romanfiguren, aus oft ganz unbegründeten Ursachen das Lebenslicht ausgeblasen wurde. Damals habe ich mir geschworen, in meinen eigenen Werken keinen einzigen Menschen mehr umzubringen, und ich werde meinen Schwur unter allen Umständen halten, auch in dieser Fabel von der wahren englischen Katze. Wenn aber eine von den erwähnten Damen böse wird und in der Öffentlichkeit erklärt, daß mein Schwur ein Meineid sei, denn meine letzte Novelle »Dichterlos« habe einen Helden, der auf besonders grausame Art sterbe, dann erwidere ich, auch in der Öffentlichkeit, sofern die Zeitungen mein »Eingesandt« abdrucken werden. Ich werde erklären, daß mein Held, der Dichter, nicht ermordet wird, auch nicht Selbstmord verübt, sondern den Zeitumständen gemäß langsam verhungert. Für eine Schriftstellerin kommt diese Todesart kaum in Betracht, weil sie sich aus fast nichts ein vollständiges Mittagessen herstellen 61 kann. Auch ein Schriftsteller besitzt meistens die notwendige Gewandtheit, um sich dieser Todesart zu entziehen, aber für den Dichter ist sie selbstverständlich und gar nichts Besonderes. Ich sei erfreut, werde ich hinzufügen, daß sie meine Novelle gelesen habe, wenn auch vielleicht etwas oberflächlich. Immerhin sei ich erfreut, wenigstens einen Leser zu besitzen und außerdem sogar noch eine kompetente Kollegin.
Also, der Kriegsminister, Lord Purple, war nicht tot, er war nur während der statistischen Auseinandersetzungen des Professor Buffers sanft eingeschlafen. Als er nach einiger Zeit erwachte und sein Blick auf den leeren Sessel fiel, lächelte er und schüttelte mehrmals den Kopf. Dann drückte er auf die Schelle.
»Hauptmann Butts!« sagte er zu dem eintretenden Diener.
»Bereits da, Mylord!« erwiderte dieser und zog beide Flügeltüren auf, denn Hauptmann Butts war eine sehr große und breite Persönlichkeit und trug eine Uniform mit zahlreich blitzenden Knöpfen, von denen Frau Fama im Kriegsministerium behauptete, sie seien alle aus reinem Gold. Er galt als sehr wohlhabend und war nicht nur deswegen beliebt bis in die allerhöchsten Kreise.
»Butts«, sagte der Kriegsminister, »wenn ich nicht mitten in der Arbeit wäre, dann würde ich Sie bitten, 62 mir eine oder zwei von Ihren leichten Geschichten zu erzählen, damit mein Hirn wieder in Gang kommt; Professor Buffers, der große Gelehrte, ist dagewesen und hat seine ganze Weisheit vor mir ausgeleert.«
»Unmöglich, Mylord, ein Mann wie Buffers leert sich nicht aus! Es sind immer noch Reserven vorhanden.«
Bei dem militärischen Wort »Reserven« wurde der Kriegsminister ganz lebhaft.
»Lieber Butts, ich glaube, Sie verkehren nicht viel in gelehrten Kreisen?«
»Warum, Mylord?«
»Nun, dann wüßten Sie, daß die Gelehrten noch viel schneller ihre geistigen Reserven einsetzen wie wir unsere militärischen. Als ich den Samuel Johnson gezwungenerweise kennen lernte, da hat er mir beim ersten Male mit seinem großen Wissen gewaltig imponiert. Beim zweiten Male waren seine Reserven in der Hinsicht schon ganz erschöpft und der schlechte Geruch überwog. Er wusch sich sehr selten . . . Butts, Sie machen ein trauriges Gesicht, das steht einem so gut aussehenden Mann wie Ihnen schlecht an! Was ist mit Ihnen los?
»Mylord, das Regenwetter in den letzten Tagen setzt mir sehr zu!«
»Mir auch, Butts, alles, was mit Wasser zusammenhängt; aber erzählen Sie das nicht den Herren von der 63 Admiralität, die würden das vollständig falsch verstehen . . . Was nun die Herbstparade anbetrifft, vergessen Sie nicht, daß unser gnädiger König dieselbe traditionsgemäß zu Fuß abnehmen muß. Also, das Terrain muß glatt sein wie der Fußboden in einem Ballsaal. Das ist natürlich Unsinn, Butts, glatt darf er nicht sein, denn wenn Majestät mit seinem allerhöchsten schweren Gewicht fallen würde, dann könnten wir uns beide auf das Land zurückziehen, wahrscheinlich mit einem Trauerrand um den Hut. Ich wollte natürlich sagen, daß das Terrain eben sein muß, und selbst wenn sich nur ein Ameisenhaufen darauf befindet, so muß er abrasiert werden; seine Majestät hat in den letzten sieben Monaten wieder 16 Pfund zugenommen! . . .«
* * *
Als Hauptmann Thomas Butts aus dem Kabinett des Kriegsministers trat, setzte er sich einige Augenblicke in einen Sessel im Vorzimmer. Aus der Brusttasche zog er ein Blatt Papier und las zum dritten oder vierten Male die Verse, die darauf geschrieben waren. Sie waren an ihn, Hauptmann Thomas Butts, gerichtet und lauteten: 64
Warum denn trag' ich ein fremdes Gesicht Und bin wie die übrigen Menschen nicht? Seh' ich auf, jeder stutzt, mein Wort wird mein Feind, Bin ich still und gedrückt, verlier' ich den Freund. |
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DemVers mach' ich Schande! Mein Bild, was ist's wert? Als Mensch bin ich nichts und mein Sinn ist verkehrt; Meine Feder ist scheußlich, mein Pinsel eine Schand', Mein Talent liegt vergraben und mein Ruhm, der verschwand. |
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Drum: man hat zuwenig oder zuviel aus mir gemacht, Komm ich stolz, ist man neidisch, komm ich sanft, bin ich veracht'. |
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Darunter stand der Name des Verfassers: | |
William Blake. |
* * *
Patriotische Kundgebungen in Großbritannien werden nie von langer Hand her vorbereitet, aber wenn sie einmal in Gang gekommen sind, dann hören sie so bald nicht auf. Die Hände in den Hosentaschen ballen sich in vaterländischer Begeisterung und sind schnell 65 bereit, einem unsympathischen Nasenbein, das aber vielleicht ganz unschuldig ist, entgegengeschleudert zu werden.
Professor Buffers, der es sehr eilig hatte, trat als erster auf die Straße und lief dabei einem Polizeidiener in die Arme, der sich bei ihm erkundigte, was dieser verdammte Lärm zu bedeuten habe, der die Ruhe im ganzen Quartiere störe. Ehe er dem Polizisten zornig auseinandersetzen konnte, daß es sich hier nicht um einen verdammten Lärm handle, sondern um eine wundervolle patriotische Kundgebung, schoß hinter ihm die linke Faust des würdigen, ältern Vorarbeiters hervor, der dank seinem Schifferklavier der Feier einen würdigen Abschluß verliehen hatte. Er war über die frivole Äußerung des Polizisten maßlos empört und bereit, in der nächsten Sekunde auch seine linke Faust auf dem Nasenbein des Polizeidieners einzusetzen. Dieser schlug aber in der laufenden Sekunde zurück, traf aber nicht den breiten Brustkasten des würdigen Vorarbeiters, sondern den Hut des Gelehrten, der vom Haupte kollerte und von den andern zum Sturme angetretenen Arbeitern zertreten wurde. Buffers floh barhäuptig aus dem Getümmel, in das nun die mächtig einsetzende Stimme des Generalmajors Sir Reginald Bulber Ordnung zu bringen versuchte. Die starke Stimme des 66 Generals beschränkte sich zuerst darauf, ungemein zahlreiche und farbige Flüche in den sich balgenden Haufen zu donnern, verfehlte aber, wegen des patriotischen Anlasses, ihre Wirkung vollständig. Erst als er Hand anlegte und mit Hilfe von einigen Zuschauern, die bis dahin noch nicht wußten, in welcher Form sie sich an den Auseinandersetzungen beteiligen könnten, das Fischernetz über die Kämpfenden warf, kam seine Autorität allmählich wieder zur Geltung. Die Bewegungen unter dem Fischernetz wurden immer weniger heftig, und als angeblich Unparteiische, die aber auch keine Freunde der Polizei waren, feststellten, daß der Polizist am stärksten aus der Nase blutete, waren die Anzeichen der Entspannung schon weit fortgeschritten. Just in dem Moment, wo Professor Buffers mit allen Anzeichen der Aufregung den Türklopfer seines Hauses in der Gowerstreet zog, zog auch Sir Reginald Bulber, nun mit Hilfe von zahlreichen Angestellten, das Fischernetz von dem abgekämpften Haufen seiner Arbeiter und schritt dann in sicherer Haltung zurück in sein Arbeitszimmer im Zentralgebäude des Marine- und Armeewarenhauses. Auch Professor Buffers versuchte sich emporzurecken, als die Türe seines Hauses geöffnet wurde, denn sein alter Diener hatte vor seiner Gelehrsamkeit große Achtung und übersah vieles. Aber nicht der Diener öffnete die Haustüre, sondern sein 67 Neffe, der aus einem seltsamen Gemisch Buffersscher Klugheit und Linlithgowscher Schnoddrigkeit bestand. »Onkel«, sagte er, »ich fing vor Hunger schon an am Tischtuch zu nagen . . .« Darauf machte er eine längere Pause und betrachtete den großen Gelehrten eingehend. »Wo ist dein Regenschirm?« sagte er endlich. Professor Buffers dacht angestrengt darüber nach.
»Ich habe ihn dir ins Kriegsministerium gebracht«, drängte der Neffe.
». . . und mir ihn dann zur eigenen Benutzung vor dem Marine- und Armeewarenhaus wieder abgenommen, weil es regnete. So ist die Jugend, sie denkt immer nur an sich!«
Diese Antwort kam dem Neffen sehr unerwartet. Der Onkel eilte an dem Neffen vorbei, und erst als er schon einen ganzen Treppenabsatz höher stand, hatte sich der Neffe so weit gesammelt, um ihm nachzurufen:
»Onkel, und wo hast du deinen Hut gelassen, und wie siehst du überhaupt aus? Hat dich der General zum Warenhaus hinauswerfen lassen? Dann kann er sich auf einen Zusammenstoß mit der Linlithgowschen Familienehre gefaßt machen! Meine Karriere ist dabei eine vollkommene Nebensache, und bei seiner lahmen Hüfte ist er tot, ehe er seine Pistole in die Schußlinie gebracht hat . . .«
Da aber der Professor nun schon verschiedene 68 Treppenabsätze höher war, hielt er es für unnötig, vorläufig eine Antwort zu erteilen.
Vergeßliche Menschen sind meistens sehr glückliche Menschen, denn sie haben ihre Köpfe für die Hauptsachen des Lebens frei, weil die Erinnerung für den Plunder nicht von langer Dauer ist. Auch ist es eine Tatsache, daß der Zufall ihnen überaus günstig gesinnt ist. Der Großvater des Zufalls, väterlicherseits, ist der Leichtsinn, und der ist dem seriösen und pompösen noch viel abgeneigter als der Enkel. Der Leichtsinn lacht nun zwar etwas sehr laut, der Zufall kichert gemütlich über sich und die andern und – das können die vergeßlichen Menschen auch.
Professor Buffers war am Nachmittag dabei, dem Neffen seine Erlebnisse im Marine- und Armeewarenhaus zu schildern und war gerade bei einer Stelle angekommen, wo er der Wahrheit einige kleine Beschränkungen auferlegen mußte, als ihm der Diener den Maler Professor Fuseli meldete, akkurat den Mann, welchen er am Morgen besuchen wollte, wofür aber die Zeit nicht mehr ausgereicht hatte.
»Sie kommen gerade im richtigen Moment«, sagte er, als Fuseli eintrat. Das heißt, Johann Heinrich Fuseli war nicht eingetreten, sondern unter wildem Gepolter 69 in das Zimmer eingefallen. Seinen breitrandigen Hut hielt er in der Hand, und da er im Augenblick nicht wußte, was er mit ihm anfangen sollte, drückte er ihn dem alten Diener über den Kopf. Alsdann setzte er sich neben Professor Buffers auf das Kanapee, nahm dessen halbgefüllte Kaffeetasse in die linke Hand und steckte zierlich seinen rechten Zeigefinger hinein, um sich zu vergewissern, ob der Kaffee noch warm sei. Das war nicht der Fall, und darum schüttete er den Rest in die Untertasse und goß sich neuen ein. Durch die plötzliche Hinzufügung von drei Stück Zucker entstanden dann auf der Tischdecke mehrere braune Flecken, die Fuseli durch kräftiges Reiben mit seinem linken Ellenbogen zu beseitigen suchte. Dabei betrachtete er aufmerksam Sir Herbert Linlithgow, der in diesem Augenblick mehr einer erschreckten Erzieherin in einer vornehmen Familie als einem jungen Mann mit nicht allzuviel Vorurteilen glich. –
Sir Herbert dachte an Miß Dorothy Dickens und an die Art, wie das feingebildete Mädchen auf den Teebesuch dieses Mannes reagieren müßte, nämlich mit einer Ohnmacht und immer wieder einer neuen Ohnmacht, weil dieser Mensch niemals genügend Taktgefühl besaß, um die Ursache in seiner Person zu erkennen. Und er, Linlithgow, der die Gründe zur Ohnmacht genau kannte, mußte sich allein mit der 70 ohnmächtigen Miß beschäftigen, ohne zu wissen, in welcher Schublade sich das erlösende Eau de Cologne befand und ob es nicht gegen Sitte und Anstand sei, durch die Lockerung der Verschnürungen einer ohnmächtigen Dame, die noch keineswegs auf eine standesgemäße Ehe verzichtet hatte, zur notwendigen frischen Luft zu verhelfen. Er war mit dieser Frage, die für einen Junggesellen oft ganz entscheidend wird, so beschäftigt, daß er den Lobeshymnen seines Onkels auf diesen merkwürdigen Besucher kaum lauschte.
»Fuseli«, sagte der Onkel, »ist ein alter Freund von mir und wahrscheinlich der größte Maler unserer Zeit!«
»Nein«, antwortete Fuseli entschieden, indem er sich bei der Kaffeekanne durch heftiges Schütteln orientierte, ob man ihr noch einige weitere Tassen entnehmen könnte, »nein, der größte lebende Maler ist William Blake! Er ist als Maler Michelangelo ebenbürtig und als Dichter größer als Shakespeare!«
Bei diesen Worten fielen Sir Herbert Linlithgow verschiedene Steine vom Herzen. Die schlechte englische Aussprache verriet deutlich, daß dieser unmögliche Fuseli ein Ausländer war und daher kaum jemals in eine Teegesellschaft der Miß Dorothy Dickens geraten konnte. Deswegen nahm er jetzt eine ganz legere Haltung ein und sagte herablassend: 71
»Ein Maler wie Michelangelo und ein Dichter wie Shakespeare, mit einem Mundwerk wie Demosthenes? Nicht?«
Professor Buffers wurde bei diesen Worten seines Neffen bleich, denn schon betrachtete ihn Fuseli nicht mehr interessiert, sondern zornig, und schon war ein erstes »Gott verdamm mich« einem Munde entflohen, der unter den Zeitgenossen wegen der unzähligen Flüche, die ihm entströmen konnten, natürlich nur bei passenden Gelegenheiten, berühmt und berüchtigt war. Kurz entschlossen hob der Onkel seine Wedgwood-Tasse, ein wirklich kostbares Stück, an seinen Mund und nahm dann dicht davor die Hand fort, so daß die Tasse auf den schön gedeckten Tisch fallen mußte. Jede anwesende richtige Hausfrau hätte bei den sich schnell vergrößernden gelben Flecken gell aufgeschrien und dann fieberhaft nach einer Unterlage gesucht. Über die Flecken regte sich der Maler nicht im geringsten auf, dagegen galt sein ganzes Mitleid der zerbrochenen Tasse, und das nächste »Gott verdamm mich«, das er ausstieß, schleuderte er nicht mehr dem Neffen, sondern dem tolpatschigen Onkel zu. Auch die noch folgende Zahl von saftigen Flüchen schlug nicht über dem Haupte des Neffen zusammen, sondern über dem des Onkels, der seine freiwillige Rolle als Blitzableiter geduldig durchhielt. Nur sah er 72 dabei seinen Neffen vorwurfsvoll an, der das aber nicht bemerkte, da er zu sehr mit der Bestandesaufnahme der hervorquellenden Flüche Fuselis beschäftigt war. Nur den tausendsten Teil dieser Flüche an seine Adresse gerichtet, hätte ihn zu irgendeiner unberechenbaren Handlung zwingen müssen! Im ganzen war er aber sehr froh, daß sie seinem Onkel zugedacht waren, der sich als bürgerlicher Professor leicht damit abfinden konnte.
Nachdem Fuseli den letzten Splitter aufgesammelt hatte, beruhigte er sich allmählich wieder. Den Grund zu seiner ersten Aufregung hatte er inzwischen vergessen, aber er kam wiederum auf William Blake zu sprechen. »Ich bin«, sagte er, »nicht wert, seine Schuhriemen aufzulösen. Wenn ich mit ihm zusammen bin, stockt mir das Wort im Halse. Er sitzt mit den Propheten des Alten Testaments zu Tisch, und neben ihm steht ein Stuhl frei, auf den sich zu Zeiten . . .«
Professor Buffers fiel Fuseli rasch ins Wort:
»Ich habe von diesem William Blake weder als Maler noch als Dichter je etwas gehört!«
Fuselis blondes Haargewirr bäumte sich sozusagen zu einem Heiligenschimmer auf, und seine großen blauen Augen, von denen sogar die Handbücher der Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts Notiz genommen haben, blitzten so, daß ihn Professor Buffers 73 in Gedanken mit einem majestätischen Löwen und der Neffe mit einer fauchenden Katze verglich. Es waren eben Unterschiede in den Auffassungen der beiden, wenn auch, in diesem speziellen Falle, nur verwandtschaftliche.
Diesmal war es der Neffe, der es nicht zum Äußersten kommen lassen wollte. Deswegen sagte er:
»Gewiß, eben fällt mir ein, ich habe von Blake schon gehört, und zwar sehr Rühmliches! Ist er nicht auch Katzenmaler? Sind seine Katzenbilder nicht durch ganz England hin bekannt? Augen wie Wagenräder und feuchter Dampf aus den Nüstern?«
Die aufgerichteten Haare Fuselis kehrten bei diesen Worten ganz schnell in ihre Ausgangsstellung zurück, und das Feuer in seinen Augen erlosch, dann sagte er fast leise:
»Blake hat Katzen, soviel ich weiß, niemals gemalt, aber ich. Ich glaube, Sie verwechseln Blake mit mir. Sie haben vielleicht von meinem letzten Bild, »Die Nachtmahr«, gehört, es hat viel Aufsehen erregt; da ist eine Katze darauf!« Dann sagte er noch leiser:
»Eine Zeichnung von Blake ist mehr wert als mein ganzes Geschmiere!«
Und da er dem Onkel und dem Neffen ansah, daß sie diese letzte Äußerung nicht verstehen wollten, fügte er nun wieder ganz laut hinzu: 74
» . . . und mein ganzes Geschmiere ist mehr wert als alles, was derzeit in den Vereinigten Königreichen verbrochen wird.«
Professor Buffers sagte nun schnell:
»Der Meinung bin ich auch, obwohl ich von Bildern gar nichts verstehe. Ich bin als Naturforscher auf die exakten Wissenschaften eingestellt, und wenn ich mir ein Bild ansehe, muß ich mich erst mit denen auseinandersetzen. Daß Sie Katzen malen, freut mich aber sehr, denn ich möchte von Ihnen einige Auskünfte über diese Tiere haben. Welches ist Ihr Standpunkt der englischen Katze gegenüber und der indischen? Glauben Sie, wenn man beide mischt, daß dann Katzen entstehen, die den höchsten Anforderungen gewachsen sind?«
Fuseli gab zunächst keine Antwort auf diese Frage, denn er hatte die nun leere Kaffeekanne umgedreht, um auf ihrem Boden nachzuforschen, ob sie einer reinen Rasse entstammte, das heißt, ob sie die Marke einer renommierten Firma trug. Dabei ergoß sich noch ein kleiner Rest Kaffee auf das weiße Tischtuch und vergrößerte die bereits vorhandenen gelben Flecken beträchtlich. Dann sagte er:
»Mein Standpunkt den Katzen gegenüber ist der: zehn Schritt vom Leibe, ich kann diese Biester nicht leiden, ob sie englischen oder indischen Ursprungs sind. 75 Wenn ich Katzen male, so male ich sie rein nach meiner Phantasie, manchmal so groß wie ein indischer Löwe, manchmal so klein wie die englische Laus in der Perücke des Lordrichters . . .«
Bei diesen Worten sprang Sir Herbert Linlithgow von seinem Sessel und durchkreuzte das Zimmer in der Haltung eines indischen Löwen, der soeben aus der Freiheit hinter dicke Eisenstäbe gebracht worden war. Dabei betrachtete er die breiten Malerpranken Fuselis, der dieselben auf die Kaffeeflecken gelegt hatte, wodurch sie dem Anblick entzogen waren.
Die Blicke Fuselis folgten andächtig den Wanderungen des jungen Mannes, der seiner Erregung nur in dieser Form Ausdruck geben konnte. Fuseli war innerlich ein sehr gutmütiger Mensch, deswegen sagte er jetzt:
»Mein lieber junger Freund, die Laus ist auch ein Tier! Wenn sie so groß wäre wie ein Löwe, dann hätten die Menschen eine ganz andere Achtung vor ihr. Anstatt eine Laus einfach auf dem Boden zu zertreten, sollten Sie dieselbe einmal unter das Mikroskop nehmen. Ich versichere Ihnen, die inneren Organe der Laus sind von der Schöpfung mit noch viel größerer Sorgfalt gestaltet worden als die beispielsweise von Ihnen und von mir . . .«
Die Türe schlug dröhnend ins Schloß, Sir Herbert Linlithgow hatte das Zimmer verlassen. 76
Fuseli sah seinen Freund Professor Buffers traurig an. »So ist die heutige Jugend«, klagte er, »immer hat sie den Mund voll von den exakten Wissenschaften, und wenn man einmal ganz wissenschaftlich mit ihr diskutieren will, schmeißt sie einem die Stubentür an den Kopf.«
Und nun sprach er zum dritten Male von seinem Freund William Blake:
»Sehen Sie, lieber Buffers, mein William Blake hat eines seiner herrlichen Gedichte an den Geist einer toten Laus gerichtet, nach meiner Auffassung mit das schönste Gedicht in der ganzen englischen Literatur. Sie sollten Blake kennenlernen, er könnte Ihnen über die englischen und indischen Katzen manchen Aufschluß geben!«
Dann kramte er in seinen Taschen und förderte schließlich einen Zettel heraus.
»Gewiß, Buffers, ich brauche ihm nur ein paar Zeilen zu schreiben, dann kommt er zu Ihnen. Er ist sonst sehr menschenscheu, aber mich hat er sehr gern, und wegen mir würde er Ihnen auch in Ihrer Katzenangelegenheit dienlich sein!«
Buffers nahm vorsichtig den Zettel in die Hand und las dann halblaut und etwas erstaunt diese Verse: 77
An Fuseli | |
Der einzige Mann, den ich je kannte Und den ich nicht zu bespucken brannte, Ist Fuseli. Beides ist er, Türk und Jud, Und Euch, lieber christlicher Freund, Geht es hoffentlich gut? |
Buffers las diese Verse noch zum zweiten Male, dann meinte er:
»Bei Gott, das ist wirklich ein merkwürdiger Dichter! Wen meint er wohl mit dem christlichen Freund?« Da riß ihm Fuseli das Blatt aus der Hand und sagte: »Euch alle! Buffers, ich weiß nicht, oh man in zweihundert Jahren noch meiner gedenken wird, als Maler nämlich. Ich bin in der Hinsicht sehr pessimistisch. Aber in diesen Versen, in denen mich William ausdrücklich benannt hat, besitze ich ein Denkmal, das alle Zeiten überdauern wird. Denn, Buffers, Blake ist als Dichter größer als Shakespeare und als Maler so groß wie . . . Ja, mit wem soll ich ihn überhaupt vergleichen?« 78