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Nächsten Tages fand mir Herr Henderland einen Mann, der ein eigenes Boot befaß und am selben Nachmittag noch den Linnhe-Loch übersetzen wollte, um in Appin zu fischen. Er brachte ihn dazu, mich mitzunehmen, es war einer von seiner Herde. So ersparte ich eine ganze Tagesreise und zwei andere Überfahrten, die ich sonst hätte bezahlen müssen.
Gegen Mittag machten wir uns auf den Weg. Es war ein finsterer Tag, der Himmel stark bewölkt und die Sonne konnte nur stellenweise durchdringen. Das Meer war hier sehr tief und ruhig, kaum eine Welle war darauf zu sehen. Ich mußte das Wasser an meine Lippen führen, ehe ich glauben konnte, daß es wirklich salzig war. Die Berge an beiden Ufern waren kahl und steinig, und sahen im Schatten der Wolken schwarz und düster aus, nur dort, wo die Sonne hinschien, glitzerten kleine Bäche wie Silberbänder auf. Es schien mir seltsam, daß man dieses rauhe Land so lieben könne, wie Alan es tat.
Endlich kamen wir, als wir in den Loch-Leven einfahren wollten, so nahe an die Landzunge heran, daß ich bat, ans Ufer gesetzt zu werden. Mein Bootsmann, der ein ehrlicher Kerl und seines Versprechens wohl eingedenk war, wollte mich bis nach Balashulis bringen. Aber da mich dies von meinem geheimen Bestimmungsort nur weiter entfernt hätte, bestand ich darauf und wurde ans Ufer gesetzt, und zwar unterhalb des Waldes von Lettermore, in Alans Lande Appin.
Das war ein Birkenwald, der an einer steilen, felsigen Bergwand stand, die überhängend ins Meer ragte. Er hatte zahlreiche Lichtungen und farnbewachsene Abhänge. Mittendurch führte nord- und südwärts ein Weg oder Saumpfad, an dessen Rande ich mich neben einer Quelle niederließ, um ein Stück Brot, das ich von Herrn Henderland hatte, zu verzehren und meine Lage zu überdenken.
Hier saß ich nun, nicht nur von einer Wolke Mücken bedrängt, sondern weit mehr noch von Zweifeln, die mein Herz bedrückten. Was ich tun sollte? Warum ich einem Geächteten, einem angeblichen Mörder, folgte? Ob ich nicht lieber wie ein vernünftiger Mensch handeln und in südlicher Richtung zurückwandern sollte? Und schließlich, was Herr Campbell oder sogar Herr Henderland von mir dächten, wenn sie jemals meine Torheiten erführen: dies waren die Zweifel, die mich nun stärker als je zuvor überkamen.
Als ich so saß und überlegte, hörte ich Menschen und Pferde durch den Wald näherkommen und kurz darauf sah ich vier Reisende um eine Wegkrümmung einbiegen. Der Weg war dort eben so schlecht und schmal, daß sie einzeln gingen und die Pferde am Zügel führten. Der erste war ein großer, rothaariger Herr, von gebieterischer Mine, der seinen Hut in der Hand hielt und sich damit fächelte, denn es schien ihm glühend heiß zu sein. Den zweiten schätzte ich nach seiner schlichten, schwarzen Tracht und der weißen Perrücke richtig als Rechtsgelehrten ein. Der dritte war ein Diener. Sein Pferd hatte einen hübsch großen Mantelsack umgeschnallt und ein Netz voll Zitronen am Sattelbogen hängen (um Punsch zu brauen), wie dies bei vornehmen Reisenden in diesen Gegenden gebräuchlich war.
Der vierte, der zuletzt kam, war, wie ich sogleich wußte, da ich seinesgleichen schon zuvor gesehen hatte, ein Gerichtsvollzieher.
Kaum hatte ich diese Leute erblickt, entschloß ich mich kurz (ich wüßte heute den Grund nicht anzugeben), mein Abenteuer zu Ende zu führen, und als der erste herankam, erhob ich mich aus meinen Farnen und fragte ihn um den Weg nach Aucharn.
Er blieb stehen und sah mich, wie es mir schien, ein wenig seltsam an. Dann wendete er sich an den Rechtsgelehrten: »Mungo,« sagte er, »mehr als einer hielte dies wohl zumindest für eine Warnung. Hier bin ich nun auf meinem Weg nach Duror, Ihr wißt wozu; und hier kommt plötzlich ein Bursche aus den Farnen hervor und spioniert, ob ich auf dem Weg nach Aucharn bin.«
»Glenure«, sagte der andere, »das ist nicht zum Spassen.«
»Und was suchst du in Aucharn?« fragte Colin Roy Campbell von Glenure, er, den sie den Rotfuchs nannten, denn er war es, den ich angehalten hatte.
»Den Mann, der dort wohnt«, sagte ich.
»James von Glens«, sagte Glenure nachdenklich und dann zum Rechtsgelehrten: »Glaubt Ihr, daß er seine Leute sammelt?«
»Jedesfalls,« sagte jener, »täten wir besser daran, zu bleiben wo wir sind und hießen die Soldaten sich um uns sammeln.«
»Wenn Ihr um meinetwillen beunruhigt seid,« sagte ich, »ich gehöre weder seinen noch Euren Leuten an, sondern ich bin ein ehrlicher Untertane König Georgs, der niemand fürchtet und niemandem etwas schuldig ist.«
»Ja, ganz gut,« antwortete des Königs Bevollmächtigter. »Aber wenn ich so frei sein darf zu fragen, was tut der ehrliche Mann so weit von seinem Lande? Und wozu kommt er den Bruder Ardshiels aufzusuchen? Ich besitze hier Macht, muß ich dir sagen. Ich bin des Königs Bevollmächtigter über einige dieser Besitzungen hier und habe zwölf Abteilungen Soldaten hinter mir. Hättest du mich an irgend einem anderen Tag um den Weg nach James Stewarts Hause gefragt, ich hätte dir Bescheid gegeben und dir Glück auf den Weg gewünscht. Aber heute – eh Mungo?« und wieder wendete er sich diesem zu.
Da, eben als er sich umdrehte, krachte weiter oben ein Schuß, und im selben Augenblicke fiel Glenure zu Boden.
»Oh, ich bin tot!« rief er mehreremale hintereinander.
Der Rechtsgelehrte hatte ihn aufgefangen und hielt ihn in seinen Armen, der Diener beugte sich über ihn und umklammerte seine Hände. Jetzt blickte der Verwundete mit stieren Augen von einem zum anderen und seine Stimme hatte sich so verändert, daß es einem zu Herzen ging.
»Gebt auf Euch selbst acht,« sagte er, »ich bin tot.«
Er versuchte sein Gewand zu öffnen, als wollte er nach seiner Wunde greifen, aber seine Finger glitten von den Knöpfen ab. Da tat er einen tiefen Seufzer, sein Kopf rollte auf seine Schulter und er verschied.
Der Rechtsgelehrte sprach kein einziges Wort, sein Gesicht war so spitz wie eine Feder und so weiß wie das eines Toten. Der Diener brach in ein großes Geschrei aus und weinte wie ein Kind. Ich für mein Teil starrte voll Entsetzen auf sie nieder. Der Gerichtsvollzieher war sofort, als der Schuß ertönte, zurück gelaufen, um die nachkommenden Soldaten anzutreiben.
Endlich legte der Rechtsgelehrte den Toten in seinem Blute auf den Boden nieder und stand auf; er taumelte ein wenig.
Ich glaube, durch seine Bewegung kam ich wieder zur Besinnung. Denn kaum hatte er das getan, kletterte ich den Hügel hinauf und schrie: »Der Mörder! Der Mörder!«
Es war inzwischen so wenig Zeit vergangen, daß – als ich auf die Höhe des ersten Abhangs gekommen war, so daß ich einen Teil des Berges frei übersehen konnte – ich den Mörder noch gar nicht weit von uns erblickte. Es war ein großer Mann in einem schwarzen Mantel mit Metallknöpfen, der eine lange Vogelflinte trug.
»Hier!« schrie ich, »ich sehe ihn!«
Daraufhin warf der Mörder schnell einen Blick über seine Schulter zurück und fing zu laufen an. Im nächsten Augenblick war er zwischen den Birken verschwunden. Dann kam er weiter oben wieder hervor, und ich sah ihn, wie einen Affen hinaufklettern, denn dieser Teil war wieder sehr steil, dann verschwand er hinter einem Bergrücken und ich sah ihn nicht mehr.
Ich selbst war die ganze Zeit weitergelaufen und inzwischen hübsch hoch gekommen, als mir eine Stimme zurief, stehen zu bleiben.
Ich war am Rande des oberen Waldes und sah daher, als ich zurück blickte, den ganzen unteren Teil des Hügels vor mir.
Der Rechtsgelehrte und der Gerichtsvollzieher standen gerade oberhalb der Straße und winkten und riefen mir zu, doch herunterzukommen und links tauchten die Rotröcke, Muskete in der Hand, einzeln aus dem unteren Wald hervor.
»Warum soll ich zurückkommen?« rief ich. »Kommt ihr herauf!«
»Zehn Pfund, wenn ihr den Burschen fangt!« rief der Rechtsgelehrte. »Er ist mitschuldig. Er hielt hier Wache, um uns im Gespräch aufzuhalten.«
Bei diesen Worten (die ich ganz deutlich hören konnte, obwohl er sie den Soldaten, nicht mir zurief), fühlte ich, wie mir das Herz im Halse schlug, mit einer mir ganz neuen Empfindung von Entsetzen. Wahrlich es ist eine andere Sache in Lebensgefahr zu stehen, oder Leben und guten Ruf zugleich zu verlieren. Außerdem war die Sache so plötzlich gekommen, wie ein Blitzschlag aus klarem Himmel, so daß ich ganz bestürzt und hilflos war.
Einige der Soldaten fingen nun an zu laufen, andere hoben ihre Flinten und zielten. Und ich stand immer noch regungslos still.
»Duck dich hier unter die Bäume!« sagte eine Stimme dicht neben mir.
Ich wußte wirklich kaum, was ich tat, aber ich gehorchte. Im selben Augenblick hörte ich Schüsse krachen und die Kugeln durch die Birken zischen.
Gleich hinter den schützenden Bäumen fand ich Alan Breck, der eine Angelrute trug. Er begrüßte mich nicht, wir hatten wahrhaftig keine Zeit für Höflichkeiten. »Komm!« sagte er nur und rannte längs des Berges in der Richtung nach Balachulisch davon; ich wie ein Schaf hinterdrein.
Bald rannten wir zwischen Birken, bald bückten wir uns hinter große Vorsprünge der Berglehne, bald krochen wir auf allen vieren, zwischen Heidegestrüpp. Das Tempo war mörderisch. Mein Herz schien an meinen Rippen bersten zu wollen. Ich hatte weder Zeit zum Denken, noch Atem zum sprechen. Ich erinnere mich nur voll Verwunderung bemerkt zu haben, daß sich Alan hin und wieder zu seiner vollen Höhe aufrichtete und zurückblickte. Und jedesmal antwortete weit hinten das Jauchzen und Rufen der Soldaten.
Eine Viertelstunde später hielt Alan still, warf sich flach in die Heide und wendete sich an mich.
»Jetzt,« sagte er, »wird's ernst. Tue, was ich tue, wenn dir dein Leben lieb ist.«
Und mit der größten Eile, aber jetzt mit unendlich größerer Vorsicht gingen wir wieder zurück längs der Berglehne, denselben Weg, den wir gekommen waren, nur vielleicht etwas höher, bis sich Alan endlich im oberen Teil des Waldes von Lettermore, wo ich ihn zuerst gefunden hatte, zu Boden warf. Er lag mit dem Gesicht in den Farnen und keuchte wie ein Hund.
Mir selbst tat alles so weh – mir brummte der Kopf, ich hatte Seitenstechen, die Zunge hing mir vor Hitze und Trockenheit aus dem Mund – daß ich wie tot neben ihm lag.