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Kapitel XIII

Der Untergang des Schiffes

Es war schon spät nachts und so finster, als es um diese Jahreszeit überhaupt sein konnte (und das heißt, es war immer noch recht hell), als Hoseason seinen Kopf zum Kajütenfenster hereinsteckte.

»Da,« rief er, »kommt heraus und seht zu, ob Ihr steuern könnt.«

»Ist das wieder ein neuer Trick«, fragte Alan.

»Schau ich nach Tricks aus?« rief der Kapitän. »Ich habe andere Sachen im Kopf – das Schiff ist in Gefahr!«

Es war uns beiden klar seinem beunruhigten Gesichtsausdruck und insbesondere dem scharfen Ton nach, in dem er vom Schiff sprach, daß es ihm toternst zumute war. Und so gingen Alan und ich ohne große Angst vor neuem Verrat aufs Deck.

Der Himmel war klar. Es blies scharf und war bitter kalt. Helles Tageslicht lag noch über dem Meere und der Mond, der beinahe voll war, schien hell.

Die Nacht war nicht so übel und ich wunderte mich, was den Kapitän so sehr bedrückte, als das Schiff plötzlich von einer großen Woge hoch emporgehoben wurde und er, den Arm ausstreckend, uns zurief, dorthin zu sehen. Drüben auf der Leeseite erhob sich etwas wie ein Springbrunnen aus der mondbeschienenen See und unmittelbar darauf hörten wir ein tiefes Dröhnen.

»Wie nennt Ihr das?« fragte der Kapitän düster.

»Die See bricht sich an einem Riff«, sagte Alan. »Und jetzt wißt Ihr wo die Untiefe ist, was wollt Ihr noch?«

»Ja,« sagte Hoseason, »wenn es die einzige wäre.«

Und wirklich, während er noch sprach, erhob sich weiter südlich ein zweiter Springbrunnen.

»Da,« sagte Hoseason, »da seht selbst. Wenn man diese Riffe kennen würde, oder wenn ich eine Karte hätte, oder wenn Shuan verschont geblieben wäre – nicht sechzig Guineen, nein, auch nicht sechshundert hätten mich dazu gebracht, mein Schiff in einem solchen Steinfeld aufs Spiel zu setzen! Und Ihr, Herr, der uns steuern sollte, wißt Ihr gar nichts zu sagen?«

»Ich denke nach,« sagte Alan, »das werden die sogenannten Torranfelsen sein.«

»Sind es viele?« sagte der Kapitän.

»Wahrhaftig, Herr, ich bin kein Steuermann,« sagte Alan, »aber es kommt mir so vor, als ob sie auf einer Strecke von zehn Meilen verteilt wären.«

Herr Riach und der Kapitän sahen einander an.

»Es wird doch wohl einen Weg zwischen durch geben?« sagte der Kapitän.

»Sicherlich,« sagte Alan, »aber wo? Es kommt mir wieder so vor, als wäre er näher dem Lande.«

»So«, sagte Hoseason. »Dann müssen wir den Kurs ändern, Herr Riach; wir müssen so nahe an das Ufer von Mull herankommen, als es nur geht, Herr; übrigens wird uns dann das Land den Wind abhalten und wir haben dieses Steinfeld auf der Seeseite. Nun, jetzt sind wir einmal drinnen, da können wir auch ebenso gut anfahren.«

Damit gab er dem Steuermann einen Befehl und schickte Riach an den Vormars des Schiffes. Es waren nur fünf Mann auf Deck, die Offiziere mit inbegriffen. Das waren alle, die zur Arbeit tauglich waren (oder zumindest sowohl tauglich als auch willig) und zwei von ihnen waren verwundet. Das heißt also, es fiel Herrn Riach zu, hinaufzusteigen und er saß dort und schaute aus und verständigte das Deck von allem, was er sah.

»Südlich ist die See ganz voll von den Riffen,« rief er und dann nach einer Weile, »landwärts scheint sie klarer zu sein.«

»Gut, Herr,« sagte Hoseason zu Alan, »wir wollen Euren Weg versuchen. Aber ich glaube, ich könnte mich ebenso gut einem blinden Geiger anvertrauen. Betet zu Gott, daß Ihr Recht habt.«

»Bete zu Gott darum!« sagte Alan zu mir. »Wo habe ich es nur gehört? Gut also, es geschehe, was geschehen muß.«

Als wir der Landbiegung näherkamen, waren die Riffe hier und dort mitten auf unseren Wege gesät und Herr Riach schrie gar manches Mal zu uns herunter, daß wir den Kurs änderten. Und manches Mal wahrhaftig nicht zu früh. Eines der Riffe war so dicht an der Windseite des Schiffes, daß, als eine Woge sich dagegen brach, die Gischt über das Deck spritzte und uns wie ein Regen durchnäßte.

Die Helligkeit der Nacht zeigte uns diese Gefahren so deutlich wie das Tageslicht, was vielleicht nur um so beunruhigender war. Sie zeigte mir auch das Gesicht des Kapitäns, der neben dem Steuermann stand – bald auf diesem, bald auf dem anderen Fuß – sich manchmal in die Hände blies, immer horchend und spähend und so kühl wie Stahl. Weder er noch Herr Riach hatten sich beim Kampf sehr bewährt, aber ich sah, daß sie in ihrem Beruf tapfer waren und bewunderte sie um so mehr, da ich Alan sehr blaß fand.

»Ach ja, David,« sagte er, »dies ist nicht die Todesart, die ich mir wünschte.«

»Wie, Alan,« rief ich, »du fürchtest dich doch nicht?«

»Nein,« sagte er, seine Lippen befeuchtend, »aber du wirst selbst zugeben, es ist ein kaltes Ende.«

Endlich kündete uns Herr Riach von oben an, daß er klares Wasser vor sich sehe.

»Ihr habt Recht gehabt«, sagt« Hoseason zu Alan. »Ihr habt das Schiff gerettet, Herr. Das will ich Euch gedenken, wenn es zwischen uns zur Abrechnung kommt.« Und ich glaube, daß er das, was er sagte, auch wirklich meinte und getan hätte, einen so hohen Platz hielt die Covenant in seinem Herzen.

Aber das ist nur eine Sache von Vermutungen, da die Dinge anders kamen als er es voraussah.

»Haltet sie einen Punkt weiter weg«, schrie Herr Riach auf. »Riff windwärts!«

Und im selben Augenblick erfaßte die Flut das Schiff und warf den Wind aus seinen Segeln. Das Schiff wurde vom Wind wie ein Kreisel herumgewirbelt und schlug im nächsten Augenblick mit solchem Krach gegen das Riff, daß es uns alle flach aufs Deck hinwarf und Herrn Riach beinahe von seinem Platz im Mast geschleudert hätte.

Ich war sofort wieder auf den Beinen. Das Riff, gegen das wir geschleudert worden waren, war ganz nahe der südwestlichen Küste von Mull bei einer kleinen Insel, Earraid genannt, die tief und schwarz auf der Backbordseite lag. Manchmal brach sich die Flut über uns, manchesmal schleifte sie das arme Schiff nur an einem Riff, so daß wir hören konnten, wie es in allen Fugen krachte. Der schreckliche Lärm des Segels und das Heulen des Windes, das Schäumen des Gischtes im Mondenlicht und das Bewußtsein der Gefahr raubten mir, glaube ich, zum Teil den Verstand, denn ich begriff die Dinge um mich nicht mehr.

Plötzlich sah ich Herrn Riach und die Matrosen um das Boot bemüht und lief in derselben Geistesabwesenheit hinüber, um ihnen zu helfen. Sobald ich mit Hand anlegte, wurde mein Kopf wieder klar. Es war keine leichte Aufgabe, denn das Boot lag mitten im Schiff und war ganz angeräumt, und das Brechen der großen Wogen zwang uns fortwährend loszulassen und uns fest zu halten. Aber wir arbeiteten alle wie Pferde, solange wir konnten.

Inzwischen kamen diejenigen der Verwundeten, die sich noch rühren konnten, aus der vorderen Luke heraus gekrochen und fingen an mitzuhelfen, während die übrigen, die hilflos auf ihren Pritschen lagen, mich mit ihrem Geschrei und Gebettel, sie zu retten, ganz betäubten.

Der Kapitän tat nicht mit. Es schien, als wäre er verrückt geworden. Er stand und hielt sich am Wandtau fest, sprach zu sich selbst und stöhnte laut auf, so oft das Schiff gegen einen Felsen schlug. Sein Schiff war ihm Weib und Kind zugleich. Er hatte Tag für Tag zugesehen, wie der arme Ransome mißhandelt wurde, aber als es um das Schiff ging, da schien es, als leide er mit ihm.

Von all der Zeit, die wir an Bord arbeiteten, ist mir nur eines in Erinnerung geblieben: Daß ich Alan, der ans Ufer hinübersah, fragte, was das für ein Land sei, und er mir antwortete, für ihn wäre es das schlimmste von allen, denn es wäre ein Land der Campbells.

Wir hatten einen der Verwundeten aufgestellt, Wache zu halten über die See und uns Warnungen zuzurufen. Nun waren wir mit dem Boot so weit, daß es ins Wasser gelassen werden konnte, als dieser Mann gellend aufschrie: »Festhalten, um Gottes Willen!« Wir erkannten an seiner Stimme, daß es etwas Außergewöhnliches sein mußte, und tatsächlich kam eine so ungeheuere Welle, daß das Schiff gerade in die Höhe gehoben und flach auf die Seite gelegt wurde. Ob der Ruf zu spät gekommen oder mein Griff zu schwach gewesen war – das weiß ich nicht. Aber bei der plötzlichen Neigung des Schiffes wurde ich glatt über das Bollwerk ins Meer geworfen.

Ich kam unter Wasser und trank mich voll, dann kam ich wieder hinauf und sah ein Stückchen Mond, und wieder ging es hinunter. Man sagt, ein Mann sinke bestimmt beim drittenmal. Dann bin ich wohl anders als andere Menschen geschaffen, denn ich will nicht niederschreiben, wie oft ich hinunterkam und wie oft ich wieder heraufgekommen bin. Die ganze Zeit wurde ich herumgewirbelt und hin- und hergeschlagen und gestoßen und dann wieder ganz verschlungen – die ganze Sache wirkte so verwirrend auf meinen Verstand, daß ich weder Angst hatte noch Schmerz empfand.

Endlich fühlte ich, daß ich eine Sparre zu fassen bekommen hatte, was mir ein wenig Erleichterung verschaffte. Und dann plötzlich befand ich mich in ruhigem Wasser und fing langsam an zu mir zu kommen.

Es war die Reservesegelstange, die ich erreicht hatte, und ich war verblüfft, zu sehen, wie weit ich vom Schiff abgekommen war. Ich schrie trotzdem, aber es war klar, daß ich bereits außer Hörweite war. Das Schiff hielt noch immer zusammen, aber ob sie das Boot schon ins Wasser gelassen hatten oder nicht, das konnte ich, der ich zu weit weg und zu tief im Wasser war, nicht mehr sehen.

Ich lag jetzt ganz still und fing allmählich an zu begreifen, daß man im Wasser ebenso gut erfrieren wie ertrinken kann. Die Ufer von Earraid waren ganz nahe. Ich konnte im Mondenschein die Flecken des Heidelands und das Schimmern des Glimmers an den Felsen sehen.

»Es wäre doch merkwürdig,« dachte ich mir, »wenn ich nicht so weit kommen könnte!«

Ich konnte nicht schwimmen, da das Wasser der Essen in unserer Gegend nur seicht ist. Aber wenn ich mich mit beiden Armen auf die Stange legte und mit beiden Füßen losstieß, konnte ich bald merken, daß ich vorwärts kam. Es war eine schwere Arbeit und es ging mörderisch langsam, aber nach ungefähr einer Stunde Stoßens und Spritzens war ich zwischen den Klippen einer sandigen Bucht, die von niedrigen Hügeln umgeben war, gut hineingekommen.

Das Meer war hier ganz ruhig, es war kein Laut einer Brandung zu vernehmen. Der Mond schien hell und ich dachte in meinem Herzen, daß ich noch niemals einen so verlassenen und öden Ort gesehen hätte. Aber es war trockenes Land; und als es endlich seicht wurde, so daß ich meine Stange auslassen und zu Fuß ans Ufer waten konnte, da war ich von Müdigkeit und Dankbarkeit erfüllt. Welches Gefühl überwog, weiß ich nicht, nur eines weiß ich: daß ich so müde war wie nie zuvor und Gott so dankbar, wie gewiß schon oft in meinem Leben, aber niemals mit mehr Grund, als in jener Nacht.


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