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Zwischen dem Festlande von Torosay und Kinlochaline verkehrt regelmäßig eine Überfuhr. Das Land zu beiden Ufern des Sundes gehört dem mächtigen Clan der Macleans, und die Leute, die mit mir zusammen in der Überfuhr saßen, waren beinahe alle Angehörige dieses Clan. Der Schiffsbesitzer wieder hieß Neil Roy Macrob; und da Macrob einer der Namen von Alans Clansmännern war, und Alan selbst mich an diese Überfuhr gewiesen hatte, war ich sehr begierig, allein mit Neil Roy zu sprechen.
In dem vollen Boot war dies natürlich unmöglich, und die Überfahrt ging nur langsam von statten. Es war kein Wind, und da das Boot elend ausgestattet war, konnten wir bloß an einer Seite mit zwei Rudern arbeiten und nur mit einem an der anderen. Die Männer aber halfen mit gutem Willen nach und die Passagiere lösten einander ab, um sie bei der Arbeit zu unterstützen. Die ganze Gesellschaft aber gab mit gälischen Schiffsliedern den Takt dazu. Dies alles als Ganzes genommen – die Lieder und die Seeluft, die gute Laune und freundliche Gesinnung aller Mitbeteiligten und das schöne Wetter – konnte die Überfahrt ein hübsches Erlebnis genannt werden.
In Kinlochaline nahm ich Neil Roy am Ufer beiseite und sagte, ich wüßte, daß er einer von Appins Leuten wäre.
»Und was ist's, wenn nicht?« sagte er.
»Ich suche jemanden«, sagte ich, »und da fiel mir ein, daß Ihr vielleicht Nachrichten von ihm habt. Alan Breck Stewart ist sein Name.« Und anstatt ihm den Knopf zu zeigen, wollte ich ihm dummerweise einen Schilling in die Hand drücken.
Daraufhin zog er sie zurück.
»Ihr beleidigt mich ernstlich,« sagte er, »und das ist nicht die Art, wie sich ein Gentleman gegen einen anderen benehmen sollte. Der Mann, nach dem Ihr mich fragt, ist in Frankreich, aber trüge ich ihn auch in meiner Tasche und wären Eure Säcke voll Schillinge, so wollt ich doch kein Haar an seinem Haupte krümmen.«
Ich sah ein, daß ich die Sache falsch angepackt hatte und ohne viel Zeit auf Entschuldigungen zu vergeuden, zeigte ich ihm den Knopf, der in meiner hohlen Hand lag.
»Nun also,« rief Neil, »ich dachte, Ihr hättet besser damit angefangen. Aber wenn Ihr der Bursche mit dem Silberknopf seid, so ist schon alles gut und ich habe Auftrag, Euch heil durchzubringen. Aber wenn Ihr mir erlauben wollt, aufrichtig zu sprechen,« sagte er, »es gibt einen Namen, den Ihr nie im Munde führen sollt, und das ist der Name Alan Brecks; und es gibt ein Ding, das Ihr nie tun sollt, und das ist, irgend einen Gentleman im ganzen Hochland Euer schmutziges Geld anbieten.«
Es war nicht sehr einfach, eine Entschuldigung vorzubringen. Denn die Wahrheit konnte ich ihm wohl nicht sagen, daß ich nämlich niemals gedacht hätte (ehe er es mir sagte), daß er Anspruch erhebe, für einen Gentleman gehalten zu werden. Neil hatte seinerseits kein Verlangen, sich näher mit mir einzulassen. Er wollte seinen Auftrag erledigen und dann nichts weiter mit der Sache zu tun haben. So beeilte er sich, mir meine Route anzugeben. Und zwar sollte ich in einem Wirtshaus in Kinlochaline übernachten, am nächsten Tag über Morven bis Ardgour gehen und die Nacht im Haus eines John von Claymore verbringen, der von meinem Kommen bereits verständigt wäre; am dritten Tag sollte ich mich bei Corran und ein zweitesmal bei Balachulish übersetzen lassen und dann meinen Weg nach dem Hause James von Glens in Aucharn in Duror von Appin erfragen. Es waren hübsch viele Überfahrten dabei, wie Ihr seht, da das Meer in dieser ganzen Gegend tief ins Gebirg einschneidet und sich eng um den Fuß des Gebirges schlängelt.
Neil gab mir noch einige andere Ratschläge; ich sollte mit niemand unterwegs reden, den Whigs und Campbells ausweichen, insbesondere aber den »roten Soldaten«, sollte die Straße verlassen und in einem Busch liegen, wenn ich einen von ihnen kommen sähe, »denn es wäre niemals gut, mit ihnen zusammenzutreffen«, kurz mich wie ein Räuber oder Jakobitenunterhändler benehmen, wofür mich Neil vielleicht hielt.
Das Wirtshaus in Kinlochaline war der erbärmlichste, armseligste Verschlag, in den man nur je Schweine gesteckt hat, voll Rauch und Ungeziefer und schweigsamen Hochländern. Ich war nicht nur unzufrieden mit meiner Unterkunft, sondern auch mit mir selber, wegen meines ungeschickten Benehmens Neil gegenüber und dachte, daß ich es so ziemlich am schlechtesten getroffen hätte. Aber ich hatte unrecht, wie ich bald sehen sollte. Denn noch war ich keine halbe Stunde im Wirtshaus (ich stand meistenteils auf der Türschwelle, weil mich der Rauch in den Augen schmerzte), als ein Gewitter ausbrach und der Bach einen Teil des kleinen Hügels wegschwemmte, auf dem das Wirtshaus stand. Eine Seite des Hauses wurde zu fließendem Wasser. In jenen Tagen waren die Wirtshäuser in ganz Schottland schlecht genug, aber dieses war sogar für mich eine Überraschung. Als ich vom Herd zu meinem Bett gelangen wollte, mußte ich bis über die Schuhe durchs Wasser waten.
Nächsten Tages überholte ich noch ziemlich zu Anfang meiner Wanderung einen kleinen, starken, ernst aussehenden Mann, der sehr langsam mit auswärts gedrehten Zehen dahinschritt und bald in einem Buche las, bald die Stelle darin mit dem Finger bezeichnete. Er war anständig und einfach gekleidet und trug eine Art kirchliches Gewand.
Dies war, wie ich bald herausfand, wieder ein Katechet, aber eines anderen Ordens als der blinde Mann von Mull. Er war einer von denen, die vom Edingburgher Verein für die Verbreitung des Christentums ausgeschickt worden waren, um in den wilden Gegenden des Hochlandes das Evangelium zu lehren. Er hieß Henderland. Er sprach den breiten südlichen Dialekt, nach dessen Klang ich mich zu sehnen anfing. Aber nicht nur waren wir Landsleute, sondern es verband uns noch ein anderes gemeinsames Interesse. Mein guter Freund, der Geistliche von Essendean, hatte in seiner freien Zeit eine Anzahl Hymnen und frommer Sprüche ins Gälische übersetzt, die Henderland bei seiner Arbeit benützte und sehr hoch schätzte. Und eine von diesen hatte er eben, als wir einander begegneten, gelesen.
Wir kamen sofort ins Gespräch und wanderten, da wir bis Kingairloch einen gemeinsamen Weg hatten, zusammen weiter. Unterwegs blieb er fortwährend stehen und sprach mit allen Vorübergehenden und Arbeitern, denen wir begegneten. Und obwohl ich natürlich nicht verstand, was sie zusammen redeten, schloß ich doch, daß Herr Henderland in der Gegend sehr beliebt sein müsse, denn die Leute zogen ihre Schnupftabakdosen hervor und boten ihm eine Prise.
Ich erzählte ihm soviel von meinen Angelegenheiten, als ich für klug hielt, das heißt also soviel, als es meine und nicht Alans Angelegenheiten waren. Ich gab Balachulish als das Ziel meiner Reise an, wo ich einen Freund treffen wollte. Denn ich glaubte Aucharn oder sogar Duror wäre eine zu genaue Angabe und könnte ihn auf die Spur führen.
Er erzählte mir seinerseits viel von seiner Arbeit und den Leuten, unter denen er arbeitete, auch viele andere Eigenarten der Zeit und des Landes. So fiel es mir ein, ihn über den »Rotfuchs« und die Pächter von Appin auszufragen, Fragen, die, wie ich glaubte, im Munde eines Mannes, der in dieses Land reiste, ziemlich selbstverständlich erschienen.
Er sagte, das wäre eine böse Geschichte. »Es ist wunderbar,« sagte er, »woher die Pächter das Geld nehmen; denn ihr Leben ist nichts als Entbehrung. Diese Pächter werden zum Teil sicherlich dazu gezwungen. James Stewart in Duror (das ist der, den sie James von Glens nennen) ist ein Halbbruder Ardshiels, des Clans-Oberhauptes. Und er ist ein angesehener Mann und versteht es, seine Sache zu betreiben. Und dann ist einer, den nennen sie Alan Breck.«
»Ah!« rief ich, »was ist's mit dem?«
»Er ist da und dort; heute hier und morgen wieder fort: eine echte Heidelandskatze. Er könnte leicht aus jenem Ginsterstrauch jetzt auf uns beide spähen! Das würde mich nicht wundern. Alan Breck ist ein kühner, verzweifelter Geselle und wohlbekannt als James' rechte Hand. Sein Leben hat er bereits verwirkt und würde vor nichts zurückschrecken. Und zögerte etwa ein Pächter einmal, es wäre leicht möglich, daß ihm Alan den Dolch in den Leib stieße.«
»Ihr macht eine recht armselige Geschichte daraus, Herr Henderland«, sagte ich. »Wenn es auf beiden Seiten nur Furcht ist, so will ich nichts weiter davon hören.«
»Nein,« sagte Herr Henderland, »es ist auch Liebe dabei und Selbstverleugnung, die eures- und meinesgleichen beschämen könnten. Es ist etwas Schönes daran, nicht vielleicht im christlichen, aber im menschlichen Sinn Schönes. Sogar Alan Breck ist, nach allem, was ich höre, einer, der Achtung verdient. Und manch einer, der in den Augen der Welt hochangesehen ist, mag ein weit schlechterer Mann sein, Herr Balfour, als jener irregeführte Vergießer von Menschenblut. Ja, ja, wir könnten von ihnen manches lernen. Ihr werdet vielleicht der Ansicht sein, daß ich zu lange im Hochland gelebt habe?« fügte er lächelnd hinzu.
Ich sagte ihm nein, nicht im mindesten. Ich hätte selbst viel Bewunderungswürdiges bei den Hochländern gesehen, und wenn er das wolle, Herr Campbell selbst sei ja ein Hochländer.
»Ja,« sagte er, »das ist wahr. Das ist ein edles Blut.«
»Und wie steht es mit dem Bevollmächtigten des Königs?« fragte ich.
»Colin Campbell?« sagte Henderland. »Der steckt seinen Kopf in einen Bienenstock!«
»Er will die Pächter mit Gewalt vertreiben, wie ich höre?« sagte ich.
»Ja,« sagte er, »aber die Sache ist erst wieder zurück und dann wieder vorwärts gegangen. Erst ritt James von Glens nach Edinburgh und brachte irgend einen Rechtsgelehrten, (einen Stewart wahrscheinlich – sie hängen alle zusammen wie ein Wespenschwarm) und das Verfahren wurde eingestellt. Und dann kam wieder Colin Campbell und gewann die Oberhand und jetzt, höre ich, sollen morgen die ersten Pächter auswandern. Es soll in Duror anfangen, gerade vor den Fenstern dieses James, was meiner bescheidenen Meinung nach nicht klug zu sein scheint.«
»Werden sie kämpfen? Glaubt Ihr?« fragte ich.
»Sie sind entwaffnet – oder sollten es wenigstens sein,« sagte Henderland, denn es liegt noch hübsch viel kaltes Eisen an verborgenen Plätzen. Und dann hat Colin Campbell die Soldaten kommen lassen. Aber immerhin, wäre ich seine Gattin, ich könnte nicht froh werden, ehe ich ihn wieder daheim hätte. Sie sind merkwürdige Gesellen, diese Stewarts aus Appin.«
So sprachen und wanderten wir den größten Teil des Tages über, bis Herr Henderland mir endlich vorschlug – nachdem er seiner Freude an meiner Gesellschaft Ausdruck gegeben hatte und seine höchste Zufriedenheit, mit einem Freund des Herrn Campbell zusammengetroffen zu sein (»den ich«, sagte er, »so kühn sein will, jenen süßen Sänger unseres gelobten Landes Zion zu nennen«) – er schlug mir also vor, eine kurze Rast zu machen und die Nacht in seinem Hause zu schlafen, das ein wenig oberhalb von Kingairloch liege. Um die Wahrheit zu sagen, war ich überglücklich, denn ich hatte keine große Sehnsucht nach John von Clapmore; nach meinen beiden Mißgeschicken, erst mit dem Führer und dann mit dem Schiffer, hatte ich eine große Angst vor fremden Hochländern. So schlug ich ein, um das Geschäft abzuschließen und gelangte im Laufe des Nachmittags zu einem kleinen Haus, das einsam am Ufer des Linnhe-Lochs stand. Die Sonne war bereits hinter den öden Bergesketten von Ardpour verschwunden, aber beleuchtete noch die fernen Spitzen von Appin. Der Loch lag so still wie ein See, nur die Möven schrieen an den Ufern und der ganze Ort machte einen feierlichen und unheimlichen Eindruck.
Sobald wir gegessen hatten (Suppe und Käse, war das Beste von des guten Mannes täglicher Kost), machte er ein ernstes Gesicht und sagte, er hätte eine Pflicht gegen Herrn Campbell zu erfüllen, und das wäre, sich um mein Seelenheil zu kümmern. Ich war geneigt, über ihn zu lächeln, aber er hatte noch nicht lange gesprochen, da stiegen mir die Tränen in die Augen. Es gibt zwei Dinge, deren die Menschen nie müde werden sollten: Güte und Demut. Wir finden niemals genug davon in dieser rohen Welt und unter kalten, stolzen Menschen; aber Herr Henderland führte ihr Wort im Munde. Und obwohl ich mir nicht wenig einbildete, ob all meiner Abenteuer, und daß ich sozusagen mit heiler Haut davon gekommen war, hatte er mich doch bald neben sich auf den Knien – neben einem armen, alten Mann – und ich war froh und stolz dort zu sein.
Ehe wir zu Bett gingen, bot er mir Sixpence an, um mir auf dem Weg weiter zu helfen. Er nahm sie aus einem Geheimfach in der Mauer. Ich wußte nicht, was tun ob dieses Übermaßes von Güte. Aber er wurde zuletzt so ernst, daß ich es für höflicher erachtete, ihm seinen Willen zu tun, und ließ ihn solcherart ärmer zurück als ich selbst war.