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Kaum befanden wir uns innerhalb der Mauern von Dünkirchen in Sicherheit, da hielten wir den so nötigen Kriegsrat über unsere Lage. Wir hatten mit Waffengewalt einem Vater seine Tochter geraubt; jeder Richter hätte sie ihm ohne weiteres wieder zugeführt und aller Wahrscheinlichkeit nach Alan und mich ins Gefängnis geworfen, und obwohl wir in Gestalt von Kapitän Pallisers Brief ein Argument zu unseren Gunsten besaßen, lag doch weder Catriona noch mir sonderlich daran, es in der Öffentlichkeit zu gebrauchen. Alles in allem schien es uns das Klügste, das Mädchen nach Paris zu bringen in die Obhut ihres eigenen Häuptlings, Macgregor von Bohaldie, der nicht nur bestimmt bereit sein würde, seiner Verwandten zu helfen, sondern auch durchaus abgeneigt, James Mores Schande aufzudecken.
Wir kamen nur recht langsam vorwärts, da Catriona nicht so gewandt im Reiten wie im Rennen war und seit '45 kaum im Sattel gesessen hatte. Aber endlich, an einem Sonntagsmorgen, waren wir in Paris und begaben uns unter Alans Führung auf dem schnellsten Wege zu Bohaldie. Er wohnte recht prächtig und lebte auf gutem Fuß, da er eine Pension aus dem Schottenfond bezog und auch über Privatmittel verfügte; Catriona begrüßte er wie eine Angehörige seines eigenen Hauses und benahm sich im ganzen sehr höflich und diskret, wenn auch nicht besonders offenherzig. Wir fragten ihn nach Nachrichten über James More.
»Der arme James!« sagte er und schüttelte den Kopf und lächelte, und ich gewann die Überzeugung, daß er mehr wußte, als er sagen wollte. Dann zeigten wir ihm Pallisers Brief, und sein Gesicht wurde ellenlang. »Der arme James!« sagte er von neuem. »Nun, es gibt schlechtere Menschen als James More. Aber das hier ist wirklich sehr schlimm. Ja, ja, er muß reinweg den Kopf verloren haben! Ein höchst unerfreulicher Brief. Trotzdem, meine Herren, sehe ich nicht ein, weshalb wir ihn der Öffentlichkeit übergeben sollten. Es ist ein schlechter Vogel, der sein eigen Nest beschmutzt, und wir sind alle Schotten und Hochländer.«
Darin waren wir mit ihm einig, alle, ausgenommen vielleicht Alan, und noch einiger waren wir betreffs unserer Heirat, die Bohaldie selbst in die Hand nahm, als gäbe es überhaupt keinen James More. Auf die reizendste Manier, und mit zierlich gedrechselten französischen Komplimenten gab er Catriona eigenhändig in die Ehe, und erst, als alles vorbei war und man auf unser Wohl getrunken hatte, verriet er uns, daß James sich in der Stadt befände, wo er einige Tage vor uns eingetroffen war und jetzt auf den Tod krank darniederlag. Ich glaubte auf meiner Frau Gesicht zu lesen, wohin ihr Herz sie trieb.
»Wir wollen ihn besuchen«, sagte ich.
»Wenn du es wirklich wünschst«, meinte Catriona.
Das war noch in den Flitterwochen.
Er war in dem gleichen Stadtviertel wie sein Häuptling in einem großen Eckhaus untergebracht; und der Klang eines hochländischen Dudelsacks zeigte uns den Weg nach seiner Dachkammer. Es scheint, daß er sich von Bohaldie ein paar Querpfeifen geborgt hatte, um sich während seiner Krankheit die Zeit zu vertreiben, und obgleich er kein solcher Künstler wie sein Bruder Rob war, machte er doch recht gute Musik. Es war ein kurioser Anblick, die französischen Zuhörer lachend sich auf der Treppe drängen zu sehen. Er lag auf einer Strohmatratze, von Kissen gestützt. Bereits auf den ersten Blick erkannte ich, daß es mit ihm zu Ende ging, und zweifellos war der Ort als Sterbezimmer für ihn ein merkwürdiger Ort. Aber selbst jetzt vermag ich kaum mit Nachsicht bei seinem Ende zu verweilen. Sicherlich hatte Bohaldie ihn auf unser Kommen vorbereitet; er wußte anscheinend, daß wir verheiratet waren, beglückwünschte uns zu dem Ereignis und erteilte uns wie ein Patriarch seinen Segen.
»Man hat mich niemals verstanden«, sagte er. »Ich verzeihe Euch beiden ohne Bitterkeit,« und so redete er fort, ganz wie früher; ja, er war so gefällig, uns auf den Querpfeifen ein paar Lieder vorzuspielen und ging mich zum Schluß um ein kleines Darlehen an. Ich vermochte auch nicht die Spur von Scham an ihm zu entdecken, dagegen war er ein Meister im Vergeben; das schien für ihn niemals den Reiz zu verlieren. Ich glaube, er vergab mir jedesmal, wenn wir zusammen waren, und als er rund vier Tage später in einer Art Heiligenschein liebevoller Frömmigkeit verschied, hätte ich mir vor Ekel die Haare ausraufen können. Ich ließ ihn begraben, aber was ich auf seinen Grabstein setzen sollte, ging über meinen Horizont; bis es mich endlich das beste dünkte, es bei dem schlichten Datum zu belassen.
Ich hielt es für ratsamer, jeden Gedanken an Leyden, wo wir als Bruder und Schwester aufgetreten waren, aufzugeben; ohne Frage sah es sehr sonderbar aus, jetzt in einer neuen Rolle dort zu erscheinen. Schottland war für uns das Richtige, und nach Schottland fuhren wir auf einem niederländischen Schiff, nachdem ich mein zurückgelassenes Hab und Gut wieder in meinen Besitz gebracht hatte.
Und jetzt, Fräulein Barbara Balfour (um den Damen den Vortritt zu geben) und Mr. Alan Balfour, Junker von Shaw, habe ich Euch die Geschichte fein säuberlich zu Ende erzählt. Ihr werdet finden (wenn Ihr's Euch recht überlegt), daß Ihr einen großen Teil der darin handelnden Personen kennt und gesprochen habt. Alison Hastie aus Limekilnes ist das Mädchen, das Eure Wiege schaukelte, als Ihr noch zu klein wart, um etwas davon zu verstehen, und Euch in späteren Jahren auf dem Gute spazierenführte. Die sehr schöne, große Dame, Barbaras Patin, ist niemand anders als Miß Grant, die David Balfour im Hause des Lord Staatsanwalts so arg zum Narren hielt. Und ich frage mich, ob Ihr Euch wohl noch des kleinen, hageren, lebhaften Herrn in Stutzperrücke und schwerem Mantel erinnert, der sehr spät in einer dunklen Nacht nach Shaw kam und den zu begrüßen Ihr aus Euren Betten geholt wurdet, um ihm in dem Speisesaal unter dem Namen Mr. Jamieson vorgestellt zu werden? Oder hat Alan etwa vergessen, was er auf Mr. Jamiesons Verlangen tat – eine äußerst unpatriotische Handlung, deretwegen er, dem Buchstaben des Gesetzes nach, sogar hätte gehenkt werden können – nämlich auf das Wohl des Königs »jenseits des Meeres« zu trinken? Schöne Dinge, merkwürdige Dinge für ein gut whigsches Haus! Aber Mr. Jamieson ist eine privilegierte Persönlichkeit und kann, wenn er will, selbst meinen Kornspeicher in Brand setzen; und der Name, unter dem man ihn heute in Frankreich kennt, lautet ›der Chevalier Stuart‹.
Und was Davie und Catriona betrifft, so werde ich sie in diesen Tagen recht scharf im Auge behalten, ob sie auch nicht so naseweis sind, Papa und Mama auszulachen. Wahr, wir benahmen uns nicht immer so gescheit, wie wir uns hätten benehmen können und schafften uns aus dem Nichts ein gut Teil Herzeleid; aber Ihr werdet finden, wenn Ihr erst erwachsen seid, daß selbst die kluge Miß Barbara und der tapfere Mr. Alan nicht so sehr viel gescheiter als ihre Eltern sind. Das Leben des Menschen auf dieser Erde ist eine recht kurzweilige Sache. Es heißt zwar, daß es die Engel zum Weinen bringt, aber ich meine, weit öfter müssen sie sich die Seiten halten vor Lachen, wenn sie auf uns hier unten herniederschauen; und das eine stand nun mal bei mir fest, als ich diese lange Geschichte begann: alles so zu erzählen, wie es sich wirklich ereignet hat.
Ende