Robert Louis Stevenson
Catriona
Robert Louis Stevenson

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Sechstes Kapitel

Weiland Herr von Lovat

Ein Mann erwartete uns in Prestongranges Studierzimmer, den ich schon auf den ersten Blick nicht ausstehen konnte, so wie man ein Frettchen oder einen Ohrwurm verabscheut. Er war bitter häßlich, schien jedoch ein vollkommener Gentleman und hatte ein stilles Wesen, das indes plötzlicher Attacken und heftiger Zornausbrüche fällig war, und eine leise Stimme, die, wenn es ihm paßte, schrill und drohend werden konnte.

Der Staatsanwalt stellte uns auf zwanglos liebenswürdige Art vor.

»Das hier, Fraser,« meinte er, »ist Mr. Balfour, von dem ich Euch erzählt habe. Mr. David, Mr. Simon Fraser, den wir früher unter einem anderen Namen kannten – aber das ist eine alte Geschichte. Mr. Fraser hat etwas mit Euch zu besprechen.«

Mit diesen Worten trat er zu seinen Bücherschränken und machte sich am andern Ende des Zimmers mit einem Quartbande zu schaffen.

So blieb ich allein mit dem Menschen, den ich von allen auf der Welt am wenigsten erwartet hätte. Die Art der Vorstellung ließ keinen Zweifel zu; dieser Mann konnte niemand anders sein als der verfehmte Herr von Lovat, das Haupt des großen Clans Fraser. Ich wußte, daß er sich während der Rebellion an die Spitze seiner Leute gestellt hatte; ich wußte, seines Vaters Kopf – der Kopf des alten Lords, des »grauen Fuchses vom Berge« – war jenes Verbrechens wegen auf dem Block gefallen, und das Vermögen der Familie war sequestiert und ihr Adel gelöscht. Ich konnte mir nicht denken, was er in Grants Haus zu schaffen hatte; ich kam nicht auf den Gedanken, daß man ihn an das Gericht berufen hätte, daß er seine ganze Überzeugung abgeschworen und jetzt so weit um die Gunst der Regierung buhlte, daß er sich nicht scheute, in der Appiner Mordsache als stellvertretender Staatsanwalt zu erscheinen.

»Nun, Mr. Balfour,« hub er an, »was sind das für Dinge, die ich von Euch hören muß.«

»Es kommt mir nicht zu, voreilig zu urteilen,« erwiderte ich, »wenn jedoch der Herr Staatsanwalt Euer Gewährsmann ist, betone ich, daß er über alles Bescheid weiß.«

»Ich will Euch nur gleich sagen, daß man mich mit der Appiner Mordsache betraut hat,« fuhr er fort, »und daß ich unter Prestongrange auftreten werde; nach meinem Studium der Aussagen bei dem Vorverhör kann ich Euch versichern, Ihr seid gänzlich im Irrtum. Die Schuld Alan Brecks ist offenbar; und Eure Zeugenaussage, in der Ihr zugebt, ihn im entscheidenden Moment auf dem Hügel gesehen zu haben, wird genügen, ihn zu hängen.«

»Es dürfte ziemlich schwer sein, ihn zu hängen, so lange man ihn nicht hat,« bemerkte ich. »Und was die andern Dinge betrifft, so möchte ich Euch durchaus nicht dreinreden.«

»Der Herzog ist von allem unterrichtet«, fuhr er fort. »Ich komme soeben von Seiner Gnaden und er hat sich mir gegenüber mit dem Freimut geäußert, der einem so großen Edelmanne ziemt. Er nannte Euch bei Namen, Mr. Balfour, und erklärte im voraus seine Dankbarkeit, falls Ihr Euch von denen leiten ließet, die Euer eigenes Interesse und die Interessen Eures Vaterlandes so viel besser verstehen als Ihr selbst. Dankbarkeit ist im Munde eines solchen Mannes keine leere Phrase: experto crede. Ich nehme an, Ihr wißt einiges über meinen Namen und meinen Clan und von dem verdammenswerten Beispiel und beklagenswerten Ende meines seligen Vaters, von meinen eigenen Mißgriffen ganz zu schweigen. Nun, ich habe mit dem guten Herzog meinen Frieden gemacht; er hat sich für mich bei unserem Freunde Prestongrange verwendet, und hier sitze ich wieder fest im Sattel und trage sogar einen Teil der Verantwortung in diesem Prozeß gegen die Feinde König Georgs, der die schamlos-dreiste Kränkung seiner Majestät rächen soll.«

»Ohne Zweifel eine stolze Stellung für Eures Vaters Sohn«, bemerkte ich.

Er runzelte die kahlen Brauen. »Es beliebt Euch, Euch in der Ironie zu versuchen, wie ich sehe«, versetzte er. »Aber ich stehe hier auf dem mir angewiesenen Posten und tue in gutem Glauben meine Pflicht; Ihr werdet mich nicht davon abbringen. Und laßt Euch noch sagen, für einen jungen Burschen von Eurem Feuer und Eurem Ehrgeiz bedeutet ein gutes Sprungbrett mehr als zehn Jahre schwere Arbeit. Das Sprungbrett wird Euch jetzt geboten; wählt, worin Ihr gefördert werden wollt; der Herzog wird über Euch wachen wie ein zärtlicher Vater.«

»Ich fürchte, mir mangelt ein wenig die Fügsamkeit eines guten Sohnes«, entgegnete ich.

»Und glaubt Ihr wirklich, junger Mann, man wird die ganze Politik eines Landes an dem Widerstand eines Tölpels von grünen Jungen scheitern lassen?« schrie er. »Man hat diesen Fall zu einem Probefall gemacht; jeder, der vorwärtskommen will, muß seine Schultern gegen das Rad stemmen. Seht mich an! Meint Ihr, ich hätte mich zum Vergnügen in die überaus verhaßte Position begeben, einen Mann gerichtlich verfolgen zu müssen, an dessen Seite ich gekämpft habe? Mir bleibt gar keine Wahl.«

»Ich meine, Sir, Ihr hättet Euch der Wahl begeben, als Ihr Euch an jener höchst unnatürlichen Rebellion beteiligtet«, bemerkte ich. »Zum Glück liegt der Fall bei mir ganz anders. Ich bin ein treuer Untertan und kann dem Herzog wie auch König Georg gerade in die Augen schauen.«

»Pfeift der Wind aus dem Loch!« versetzte er. »Ich versichere Euch, Ihr befindet Euch in einem verhängnisvollen Irrtum. Prestongrange war, wie er mir sagt, bisher so höflich, Eure Aussagen stillschweigend zu akzeptieren; glaubt aber deswegen nur ja nicht, daß man sie ohne jeden Verdacht hinnimmt. Ihr behauptet, unschuldig zu sein. Mein teurer junger Herr, die Tatsachen erklären Euch für das Gegenteil.«

»Auf diesen Hieb war ich gefaßt«, lautete meine Antwort.

»Da ist Mungo Campbells Aussage; Eure Flucht unmittelbar nach der Tat; Euer langes Verborgensein und die nachfolgenden Heimlichkeiten – mein teurer junger Mann,« erklärte Mr. Simon, »das genügt, um einen Ochs zu hängen, geschweige denn David Balfour! Ich werde bei jenen Verhandlungen dabei sein; ich werde meine Stimme erheben, ich werde dann ganz anders reden als heute, und zwar weniger nach Eurem Geschmack, so wenig Ihr auch jetzt Gefallen daran findet! Ah, Ihr erblaßt!« rief er. »Jetzt hab ich den Schlüssel zu Eurem unverschämten Herzen. Ihr seid bleich, Euer Blick schwankt. Mr. David, Ihr seht das Grab und den Galgen aus größerer Nähe, als Ihr es Euch gedacht hattet.«

»Ich gestehe, daß ich eine natürliche Schwäche spüre,« entgegnete ich. »Darin erblicke ich keine Unehre. Unehre –« wollte ich fortfahren . . .

»Unehre harrt Euer auf dem Schafott«, unterbrach er.

»Dann würde es mir nicht anders gehen als Mylord, Eurem Vater«, erwiderte ich.

»Im Gegenteil!« rief er, »Ihr habt den vollen Umfang dieser Affäre nicht erfaßt. Mein Vater litt für eine große Sache, weil er sich in die Angelegenheiten der Könige mischte, Ihr aber werdet baumeln wegen eines schmutzigen Mords an einem armen Schlucker. Eure persönliche Rolle bei dieser Affäre – die hinterlistige Rolle, den armen Teufel in ein Gespräch zu verwickeln – und Eure Komplicen, eine Rotte bettelhafter Hochländer, gereichen Euch nicht zur Ehre. Und es kann und es wird bewiesen werden, das dürft Ihr mir, der ich mich dieser Sache angenommen habe, schon glauben – es kann bewiesen werden, und es soll bewiesen werden, daß Ihr dafür bezahlt wurdet. Ich sehe schon die Bewegung, die durch den Gerichtssaal gehen wird, wenn ich erst meine Beweise beibringe. Aus diesen wird hervorgehen, daß ein junger Mann von Eurer Erziehung sich zu jener scheußlichen Tat hat verleiten lassen für einen abgetragenen alten Anzug, eine Flasche Hochlandschnaps und dreieinhalb Shilling in Kupfermünzen.«

An diesen Worten war etwas Wahres, das mich traf wie ein Keulenschlag. Kleider, eine Flasche ›Usquebaugh‹ und dreieinhalb Shilling Kleingeld waren in Wahrheit alles, was Alan und ich aus Aucharn mitgenommen hatten. Ich schloß daraus, daß ein Teil von James Leuten in ihren Gefängnissen geplaudert hatte.

»Ihr seht, ich weiß mehr als Ihr ahnt«, fuhr er triumphierend fort. »Und was diese Wendung der Dinge anbetrifft, mein erhabener Mr. David, so werdet Ihr doch nicht glauben, der Regierung von Großbritannien und Irland könnte es an Beweisen fehlen? Wir haben in unseren Gefängnissen Männer, die sich die Seele aus dem Leib schwören, um das zu bekräftigen, was wir ihnen in den Mund legen, oder was ich ihnen in den Mund lege, falls Euch das besser paßt. Und nun wißt Ihr, welch glorreiches Schicksal Eurer harrt, wenn Ihr den Tod wählt! Auf der einen Seite: Leben, Wein, Weiber und einen Herzog als Gönner; auf der anderen einen Strick um den Hals und einen Galgen als Wippe für Euer Gebein samt der lausigsten, dreckigsten Geschichte, die je von einem gedungenen Meuchelmörder erzählt wurde, als Erbe für Euresgleichen. Seht einmal her!« rief er mit fürchterlicher, schriller Stimme, »seht diese Papiere in meiner Tasche! Seht Euch einmal den Namen an: es ist der Name des tugendhaften David, wenn ich mich nicht irre, und die Tinte ist noch nicht einmal trocken! Erratet Ihr, was das zu bedeuten hat? Es ist Euer Haftbefehl, und es kostet mich nur ein einziges Zeichen auf dieser Glocke, um ihn auf der Stelle vollstrecken zu lassen. Und Gott sei Eurer Seele gnädig, seid Ihr erst einmal an dem Ort, der auf diesem Papiere verzeichnet steht, denn dann ist der Würfel gefallen!«

Ich kann nicht leugnen, der Einblick in so viel Gemeinheit entsetzte mich und die Nähe und Schrecklichkeit der Gefahr erschütterten mich schwer. Schon einmal hatte Mr. Simon sich an meiner wechselnden Gesichtsfarbe geweidet; sicherlich war ich im Augenblick nicht röter als mein Hemd, und meine Stimme zitterte, als ich rief:

»In diesem Zimmer befindet sich ein Gentleman! Ich appelliere an ihn und lege mein Leben und meinen Ruf in seine Hände!«

Prestongrange schloß mit hörbarem Rucke sein Buch. »Ich sagte es Euch ja, Simon«, bemerkte er. »Ihr habt Eure Trümpfe gründlich ausgenutzt und habt das Spiel verloren. Mr. David,« fuhr er fort, »ich bitte Euch, mir zu glauben, daß die Probe, der Ihr soeben unterzogen wurdet, nicht auf meine Initiative zurückzuführen ist. Ich wollte, Ihr wüßtet, wie froh ich bin, daß Ihr sie so mit Ehren bestanden habt. Ihr habt mir ebenfalls einen Dienst damit erwiesen, wenn Ihr das im Augenblick auch nicht einzusehen vermögt. Denn, hätte unser Freund hier einen besseren Erfolg gehabt als ich vorgestern abend, man hätte ihn vielleicht für einen besseren Menschenkenner gehalten als mich; ja, es hätte den Anschein haben können, als stünden Mr. Simon und ich jeder auf dem falschen Posten. Unser Freund Simon, müßt Ihr wissen, ist ehrgeizig«, setzte er hinzu, Fraser auf die Schulter klopfend. »Aber dies Komödiespielen hat jetzt ein Ende. Mein Gefühl steht stark auf Eurer Seite, und was immer auch der Ausgang dieser unglückseligen Angelegenheit sein mag, ich werde dafür sorgen, daß Ihr mit Nachsicht behandelt werdet.« Das waren tröstende Worte, und ich sah überdies, daß zwischen den beiden Männern wenig Zuneigung, wenn nicht gar ein Funken echten Hasses bestand. Trotzdem war ganz klar: diese Szene war mit beider Zustimmung erdacht und vielleicht sogar einstudiert worden. Es war auch klar, daß meine Gegner an ihrem Entschluß, mich mit allen Mitteln auf die Probe zu stellen, festhielten, und nun, da Überredung, Schmeichelei und Drohungen versagt hatten, fragte ich mich, womit sie es wohl als Nächstes versuchen würden. Meine Augen waren noch immer feucht und meine Knie schwach von dieser letzten Quälerei; ich vermochte daher nur stammelnd meine Worte zu wiederholen: »Ich lege mein Leben und meinen Ruf in Eure Hände.«

»Schon gut, schon gut,« entgegnete er, »wir müssen versuchen, sie zu retten. Inzwischen aber wollen wir zu sanfteren Methoden zurückkehren. Ihr dürft meinem Freunde hier, Mr. Simon, nichts nachtragen; er hat auch nur seine Amtspflicht erfüllt. Und selbst wenn Ihr mir, der ich sozusagen daneben stand und das Licht hielt, noch böse seid, darf ich doch nicht dulden, daß sich das bis zu den unschuldigen Mitgliedern meiner Familie erstreckt. Diesen liegt viel daran, Euch näher kennenzulernen, und ich kann nicht zugeben, daß meine Weibsen eine Enttäuschung erleben. Morgen vormittag wollen sie nach Hope Park hinaus spazieren, und ich würde es sehr passend finden, wenn Ihr ihnen dort Eure Reverenz machtet. Kommt jedoch vorher noch zu mir, für den Fall, daß ich Euch privatim etwas zu sagen habe; dann sollt Ihr unter der Obhut meiner jungen Fräulein wieder freigelassen werden; und bis dahin wiederholt mir Euer Versprechen, nicht zu schwatzen.« Ich hätte besser getan, sofort abzulehnen, doch die Wahrheit ist, ich war keines logischen Gedankens mehr fähig. Ich tat also, wie mir geheißen wurde und verabschiedete mich, ich weiß nicht wie; und als ich mich wieder auf dem Hofe befand und die Tür hinter mir geschlossen hatte, war ich froh, mich gegen die Mauer lehnen zu können, um mir den Schweiß von der Stirn zu wischen. Jenes furchtbare Nachtgespenst (wie es mich dünkte), Mr. Simon, wollte mir nicht aus dem Sinn, so wie einem mitunter eine Melodie, die man gehört hat, ständig im Kopfe herum geht. Geschichten von seinem Vater, von dessen Falschheit und wiederholten Verrätereien tauchten aus Büchern und Erzählungen vor mir auf und gesellten sich zu dem, was ich soeben am eigenen Leibe durch den Sohn erfahren hatte. Und sobald ich daran dachte, schrak ich von neuem vor der raffiniert schmutzigen Verleumdung zurück, mit der er meinen Ruf hatte kreuzigen wollen. Der Fall des Mannes am Galgen neben Leiths Walk schien sich jetzt von dem Los, das meiner wartete, kaum noch zu unterscheiden. Ein Kind um eine weniger als geringe Summe zu berauben war entschieden erbärmlich und zweier erwachsener Männer unwürdig; jedoch meine eigene Geschichte, so wie Mr. Simon sie vor Gericht darstellen wollte, schien, was schiere Gemeinheit und Feigheit anbetraf, in jeder Hinsicht eine exakte Parallele bilden zu sollen.

Die Stimmen zweier Lakaien von Prestongrange, die sich auf der Türschwelle unterhielten, brachten mich wieder zu mir selbst.

»Heda«, sagte der eine, »der Zettel hier ist sofort dem Kapitän zu überbringen.«

»Ist der Hochlandsbandit etwa wieder herbefohlen?« fragte der andere.

»Es scheint so«, entgegnete der erste. »Der Alte und Simon wollen ihn sprechen.«

»Ich glaube, Prestongrange ist verrückt geworden«, meinte der andere. »Er wird James More nächstens noch ins Bett nehmen.«

»Na, es ist weder deine noch meine Sache«, erklärte der erste.

Und sie trennten sich, der eine, um seinen Auftrag zu erledigen, der andere, um ins Haus zu gehen.

Das sah so schlimm wie nur möglich aus. Kaum war ich fort, da schickten sie schon nach James More, auf den, wie ich von vorneherein vermutet hatte, Mr. Simons Bemerkung, sie hätten Männer im Gefängnis, die zu jeder Schandtat bereit wären, um ihr Leben zu retten, abzielte. Mich überlief es kalt, und im nächsten Moment schoß mir in Erinnerung an Catriona das Blut zu Kopf. Armes Mädchen! Ihr Vater sollte einer üblen Sache wegen gehenkt werden. Was aber unverzeihlich war: er schien seine Haut durch die schändlichste, feigste und gemeinste Art des Mordes, durch einen Meineid, retten zu wollen, und um das Unglück voll zu machen: ich selbst war zu seinem Opfer ausersehen.

Da begann ich rasch und ziellos drauflos zu marschieren, ohne jeden anderen Gedanken als den Wunsch nach Bewegung, Luft und freiem Himmel.

 


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