Robert Louis Stevenson
Catriona
Robert Louis Stevenson

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Siebzehntes Kapitel

Die Denkschrift

Die letzten Worte des Segens waren noch kaum gesprochen, da hatte mich Stuart schon am Arme gepackt. Wir waren die ersten, die Kirche zu verlassen, und er trieb mich so eilig vorwärts, daß wir wohlbehalten die vier Wände eines Hauses erreichten, bevor die Straße sich mit auf dem Heimwege befindlichen Kirchgängern anfüllte.

»Komme ich noch zur Zeit?« fragte ich.

»Ja und nein«, sagte er. »Der Prozeß ist beendet; die Jury hat sich zurückgezogen und wird die Güte haben, uns morgen früh ihr Urteil wissen zu lassen, das ich Euch schon vor drei Tagen, ehe die Komödie begann, hätte sagen können. Es war von Anfang an bekannt. Der Angeklagte kannte es. ›Ihr könnt für mich tun, was Ihr wollt,‹ flüsterte er mir vor zwei Tagen zu, ›ich weiß, was mir bevorsteht; ich habe gehört, was der Herzog von Argyle eben jetzt zu Mr. Macintosh sagte.‹ O, es war ein Skandal! Ja, selbst der Pedell schrie, ›Cruachan!‹«

»Der große Argyle schritt munter voran.
Da huben Kanonen zu brüllen an!«

»Aber nun ich Euch wiederhabe, geb ich die Sache nicht verloren. Die Eiche soll noch über die Myrthe triumphieren; wir werden die Campbells in ihrer eigenen Stadt besiegen. Mit Gottes Hilfe werde ich den Tag noch erleben!«

Er zitterte vor Aufregung, schüttete seine Koffer auf dem Boden aus, damit ich die Kleider wechseln könnte, und belästigte mich dabei durch seine Hilfe. Was es aber noch zu tun gab, und wie ich es tun mußte, brachte ich nicht aus ihm heraus, ja, ich glaube, er widmete dem auch nicht einen Gedanken. »Wir werden die Campbells schon unterkriegen!« war sein ständiger Refrain. Und mir wurde plötzlich klar, daß diese Angelegenheit, die nach außen hin einem nüchternen Rechtsverfahren glich, im Kern nichts als ein barbarisch wilder Clanstreit war. Und mein Freund, der Anwalt, erschien mir als einer der wildesten Parteigänger. Wer von jenen, die ihn gesehen hatten, wenn er in einer gewöhnlichen Verhandlung hinter dem Gerichtsadvokaten auftrat oder auf den Bruntsfield Links einen Golfball vor sich hertrieb, hätte in dem wortreichen, gewalttätigen Clansmann den gleichen Menschen erkannt?

James Stuart hatte vor Gericht vier Vertreter: die Sheriffs Brown von Coulston und Miller, Mr. Robert Macintosh und Mr. Stuart junior von Stuart Hall. Die vier waren eingeladen, nach der Predigt bei dem Anwalt zu speisen, und ich wurde freundlichst aufgefordert, mit von der Partie zu sein. Kaum war das Tischtuch abgenommen und die erste Bowle Punsch kunstvoll von Sheriff Miller gebraut, als wir über das Thema herfielen, das uns beschäftigte. Ich gab einen kurzen Bericht meiner Gefangennahme und Absperrung und wurde wiederholten Verhören und Kreuzverhören unterzogen. Man wird sich erinnern: es war das erstemal, daß ich ausführlich reden konnte, und daß der Fall von einem Juristenkollegium behandelt wurde; das Resultat war für die anderen ungemein entmutigend und für mich (wie ich zugeben muß) eine Enttäuschung.

»In summa,« erklärte Coulston, »Ihr beweist, daß Alan dabei war; Ihr habt ihn Drohungen gegen Glenure ausstoßen hören; und obwohl Ihr uns versichert, er wäre nicht der Mann, der den Schuß abfeuerte, hinterlaßt Ihr doch durchaus den Eindruck, daß er mit dem andern im Bunde stand, zum mindesten, daß er der Tat zustimmte, selbst wenn er sich nicht an ihr beteiligte. Ihr beweist ferner, daß er unter Gefährdung seiner Freiheit nach Kräften des Verbrechers Flucht begünstigte, und der Rest Eurer Aussage (sofern sie von materiellem Wert ist) stützt sich auf das bloße Wort der beiden Angeklagten Alan und James. Ihr brecht durchaus nicht die Kette, die unseren Klienten an den Mord fesselt, sondern verlängert sie vielmehr um ein Glied; und ich brauche wohl kaum hervorzuheben: die Einführung eines dritten Komplicen verstärkt eher den Verdacht einer Verschwörung, welcher von Anfang an das Hindernis war, an dem wir scheiterten.«

»Ich bin der gleichen Ansicht«, meinte Sheriff Miller. »Ich glaube, wir können Prestongrange alle sehr dankbar sein, daß er einen höchst lästigen Zeugen aus dem Wege räumte. Und hauptsächlich glaube ich, schuldet Mr. Balfour selbst ihm Dank . . . Ihr redet von einem dritten Komplicen, doch Mr. Balfour erweckt (in meinen Augen) ganz den Eindruck eines vierten.«

»Vergebung, meine Herren«, warf hier Stuart, der Anwalt, ein. »Es gibt noch einen ganz anderen Gesichtspunkt. Hier ist ein Zeuge – ob wichtig oder nicht, ist einerlei –, ein Zeuge in diesem Prozeß, der von jener gesetzlosen alten Räuberbande, den Glengyle MacGregors, überfallen und fast einen Monat lang in einem elenden kalten Steinhaufen auf Baß gefangengehalten wurde. Rührt das auf und seht, welchen Schmutz Ihr aufwirbelt und dem Prozeß anhängen könnt! Meine Herren, das ist eine Geschichte, von der die ganze Welt reden wird! Es müßte schon nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn wir auf diese Art nicht eine Begnadigung für unseren Klienten herausdrückten.«

»Schön, angenommen, wir greifen morgen den Fall Balfour auf«, entgegnete Stuart Hall. »Ich müßte mich sehr täuschen, wenn man uns nicht derart viele Hindernisse in den Weg rückte, daß wir den James gehenkt sähen, ehe wir einen Gerichtshof zusammenhätten, um den Fall zu vernehmen. Die Sache ist ein unerhörter Skandal; aber ich meine, wir haben alle einen noch größeren Skandal nicht vergessen: den Fall der Lady Grange. Die Dame befand sich in Gefangenschaft; mein Freund, Mr. Hope von Rankeillor, tat, was in Menschenmacht stand, und wieweit kam er? Er erzielte nicht einmal einen Haftbefehl! Nun, das gleiche wird sich wiederholen; man wird sich der nämlichen Waffen bedienen. Das hier ist ein Fall der Clananimosität. Der Haß gegen den Namen, den zu tragen ich die Ehre habe, ist an höchster Stelle entfesselt. Wir haben es hier lediglich mit der krassen Bosheit und schmutzigen Intrigue der Campbells zu tun.«

Man glaube mir, damit hatte er ein Thema angeschlagen, das ihnen nur allzu willkommen war, und eine ganze Weile saß ich hier unter meinen gelehrten Rechtsbeiständen mit einem Kopf, der mir vor lauter Reden brummte, ohne jedoch um ein Jota klüger zu werden. Charles Stuart ließ sich zu einigen hitzigen Bemerkungen fortreißen; Coulston sah sich genötigt, ihn zu widerlegen; die übrigen schlugen sich auf die eine oder andere Seite, alle aber mit ziemlichem Aufwand von Stimme und Worten. Der Herzog von Argyle wurde zu Mus zerstampft; König George erhielt beiläufig ein paar Rippenstöße und wurde dann des langen und breiten verteidigt. Ein einziger Mann schien ganz vergessen: James von der Schlucht.

Indessen verhielt sich jener Mr. Miller ganz still. Er war ein kleiner, zierlicher Herr mit rosigem Gesicht und zwinkernden Augen und sprach mit einer sonoren, einschmeichelnden Stimme auf unendlich pfiffige Art, wobei er jedes Wort wie ein Schauspieler betonte, um eine möglichst große Wirkung zu erzielen. Ja, selbst wenn er schwieg und, die Perücke beiseite gelegt, das Glas in beiden Händen, mit komisch aufgeworfenen Lippen und vorgestrecktem Kinn dasaß, schien er die Verkörperung munterer Schlauheit. Es war klar, auch er hatte ein Wort zu sagen und wartete die passende Gelegenheit ab.

Sie kam sehr bald. Coulston hatte eine seiner Reden mit irgend einem Hinweis auf ihre Pflicht gegenüber ihrem Klienten geschlossen. Sein Kollege Miller war vermutlich über den Übergang entzückt. Mit bedeutungsvoller Geste und vielsagendem Blick zog er die Tafelrunde in sein Vertrauen.

»Das bringt mich auf einen Punkt, der, wie mir scheint, bisher übersehen worden ist«, bemerkte er. »Das Interesse unseres Klienten hat selbstverständlich allem voranzugehen, doch die Welt ist ja mit James Stuart noch nicht zu Ende.« Hier zwinkerte er schlau. »Da sind, exempli gratia, noch ein Mr. George Brown, ein Mr. Thomas Miller und ein gewisser Mr. David Balfour. Mr. Balfour hat allen Grund zur Klage, und ich glaube, meine Herren, wir können, wenn wir seine Sache geschickt durchfechten, eine ganze Reihe Whigs zur Strecke bringen.« Wie auf Kommando wandte sich der ganze Tisch ihm zu.

»Richtig gedreht und sorgfältig ausgeschlachtet, ist das hier eine Geschichte, die bedeutungsvolle Folgen haben dürfte«, fuhr er fort. »Unsere gesamte Justizverwaltung, von den höchsten Beamten abwärts, wäre dann kompromittiert, und mir sieht es ganz so aus, als müßten diese Beamten ersetzt werden.« Er strahlte förmlich vor Schlauheit. »Ich brauche wohl nicht erst zu betonen: der Fall Balfour ist ein gutes Schlachtpanier.«

Nun, damit hatten sie ein neues Wild aufgespürt. Der Fall Balfour, und welche Reden dabei gehalten und welche Beamten verabschiedet werden müßten, und wer ihr Nachfolger sein sollte, wurde das Gesprächsthema. Ich will nur zwei Beispiele anführen. Es wurde vorgeschlagen, Simon Fraser zu gewinnen, dessen Zeugnis Argyle und Prestongrange den Hals brechen mußte, Miller war durchaus für den Versuch. »Vor uns liegt ein fetter Bissen,« sagte er, »es fällt für jeden ein Mundvoll ab.« Mir kam's vor, als leckten sich alle die Lippen. Miller sah das Ende bereits vor sich. Charles Stuart war vor Entzücken außer sich, denn er witterte Rache an seinem Erzfeinde, dem Herzog.

»Meine Herren,« schrie er, sein Glas füllend, »ich trinke auf Sheriff Miller. Seine juristischen Fähigkeiten sind weltbekannt. Für seine kulinarischen spricht vor uns die Bowle Punsch! Doch erst seine politischen –«, er leerte sein Glas.

»Ja, aber die Politik dürfte kaum nach Eurem Geschmack sein«, sagte der erbaute Mr. Miller. »Nennt es, wenn Ihr wollt, eine Revolution; ich glaube Euch sogar versprechen zu können, daß Historiker sie vom Falle Balfour ab datieren werden. Doch richtig geleitet, Mr. Stuart, mit Vorsicht geleitet, wird es eine friedliche Revolution werden.«

»Wenn nur die verdammten Campbells eins ausgewischt kriegen!« schrie Stuart, mit der Faust auf den Tisch schlagend, »alles andere ist mir gleich!«

Man kann sich denken, daß ich von alledem nicht sonderlich entzückt war, obwohl ich mich kaum enthalten konnte, über eine gewisse Einfalt an diesen alten Verschwörern zu lächeln. Aber es entsprach nicht meiner Absicht, so viel Kummer erduldet zu haben, nur um Sheriff Miller zu befördern und im Parlamentshaus eine Revolution anzuzetteln. Ich mischte mich daher mit so viel Unschuld, als ich aufzubringen vermochte, ein.

»Ich danke Euch für Euren Rat, meine Herren«, sagte ich. »Und jetzt möchte ich mit Verlaub zwei, drei Fragen stellen. Eine Sache wurde hierbei ein wenig in den Hintergrund gedrängt, zum Beispiel: wird dieser Fall unserem Freunde James von der Schlucht weiterhelfen?«

Alle schienen einen Schatten gedämpfter und gaben die verschiedensten Antworten; aber in einem Punkte waren sie sich so ziemlich einig: daß James nur noch auf Begnadigung durch den König hoffen dürfe.

»Um fortzufahren,« bemerkte ich, »wird es Schottland irgendwie nützen? Es gibt ein Sprichwort: der ist ein schlechter Vogel, der sein eigenes Nest beschmutzt. Ich erinnere mich, gehört zu haben, daß wir damals, als ich noch in den Windeln lag, in Edinburgh eine Revolte hatten, die die hochselige Königin veranlaßte, unser Land ein barbarisches Land zu nennen, und ich glaubte bisher immer, wir hätten dadurch mehr verloren als gewonnen. Dann kam das Jahr '45, und ich habe auch nie vernommen, daß die Revolution '45 uns genützt hätte. Jetzt kommen wir zu diesem Fall Balfour, wie Ihr ihn nennt. Sheriff Miller erklärt, Historiker würden ihre Schriften nach diesem Zeitpunkt datieren, was ich ihm gerne glauben will. Ich fürchte nur, sie werden die betreffende Periode als eine Zeit des Unglücks und des öffentlichen Vorwurfs bezeichnen.«

Der geistig agile Miller witterte bereits, worauf ich hinaus wollte, und beeilte sich, den gleichen Weg einzuschlagen. »Sehr treffend bemerkt, Mr. Balfour,« meinte er. »Ein gewichtiges Argument, Sir.«

»Dann müssen wir uns auch fragen, ob König Georg damit gedient ist«, fuhr ich fort. »Sheriff Miller scheint sich über diesen Punkt keine weiteren Gedanken zu machen; doch ich zweifle, ob man Seiner Majestät den Boden unter den Füßen wegziehen kann, ohne Seiner Majestät selbst dadurch ein, zwei Schläge zu versetzen, von denen einer oder der andere leicht tödlich sein könnte.«

Ich ließ ihnen Zeit zu einer Entgegnung, aber keiner rührte sich.

»Bezüglich derer, die durch diese Sache profitieren sollen,« fuhr ich fort, »hat Sheriff Miller eine Reihe von Namen genannt, unter denen er so gütig war, auch meinen anzuführen. Ich hoffe, er wird mir verzeihen, wenn ich gegenteiliger Ansicht bin. Ich glaube, keinerlei Bedenken gezeigt zu haben, als es sich darum handelte, ein Menschenleben zu retten, obwohl ich gestehe, daß ich mein eigenes Leben dabei als stark bedroht empfand. Ich bin aber bereit, zuzugeben, daß ich es für schade halte, wenn ein junger Mann, der selbst die juristische Karriere einzuschlagen gedenkt, sich den Ruf eines aufrührerischen, händelsüchtigen Burschen zuzieht, bevor er noch zwanzig Jahre alt ist. Und was James anbetrifft, so scheint ihm zur Zeit – da das Urteil so gut wie gesprochen ist – keine andere Hoffnung als die Gnade des Königs zu bleiben. Gibt es daher nicht eine Möglichkeit, sich Seiner Majestät in wirksamerer Weise zu nähern, den Ruf dieser hohen Beamten vor der Öffentlichkeit zu schützen und mich selbst einer Lage zu entziehen, die für mich, meiner Meinung nach, den Ruin bedeutet?«

Alle saßen schweigend da, den Blick auf ihre Gläser gerichtet, und ich sah, meine Haltung war nicht nach ihrem Geschmack. Allein Miller war auch auf diese Eventualität vorbereitet.

»Falls mir gestattet ist, unseres jungen Freundes Gedanken eine offizielle Form zu geben,« sagte er, »schlage ich vor, wenn ich ihn recht verstanden habe, daß wir die Tatsachen bezüglich seiner Gefangenhaltung sowie auch einige der wichtigsten Punkte der Zeugenaussage, die er bereit war abzulegen, in einer Denkschrift an die Krone zu Papier zu bringen. Dieser Plan birgt gewisse Elemente des Erfolges. Er wird unserem Klienten so gut (wenn nicht gar besser) helfen als irgendeiner. Vielleicht wird Seine Majestät sogar die Gewogenheit haben, allen denen gegenüber, die an einem derartigen Memorial beteiligt sind, das unschwer zum Ausdruck der taktvollsten Untertanentreue gestaltet werden kann, eine gewisse Dankbarkeit zu bezeugen; ja, ich glaube sogar, dieser Gesichtspunkt läßt sich bei der Abfassung ohne weiteres betonen.«

Alle nickten einander, wenn auch nicht ohne Seufzer, zu, denn die frühere Alternative entsprach ohne Zweifel weit mehr ihren Neigungen.

»Dann darf ich wohl um einen Bogen Papier bitten, Mr. Stuart,« fuhr Miller fort, »ich glaube, die Denkschrift kann in überaus passender Form von den fünf Anwesenden als von den ›Prokuratoren des Verurteilten‹ unterzeichnet werden.«

»Jedenfalls kann sie keinem von uns schaden«, bemerkte Coulston mit einem zweiten Seufzer; er hatte sich in den letzten zehn Minuten bereits als Lord Staatsanwalt gesehen.

Darauf machten sie sich, wenn auch ohne Begeisterung, ans Werk, das Memorial aufzusetzen – ein Vorgang, bei dem sie sehr bald Feuer fingen, und ich hatte nichts weiter zu tun, als zuzusehen und gelegentlich eine Frage zu beantworten. Das Schriftstück war sehr gut formuliert; es begann mit einer Aufzählung der Tatsachen über mich selbst, der Belohnung, die auf meine Person ausgeschrieben war, meiner freiwilligen Auslieferung, des Drucks, den man auf mich ausgeübt hatte, meiner Gefangenhaltung und meines verspäteten Eintreffens in Inverary, und fuhr dann fort, die Gründe der Loyalität und des öffentlichen Interesses auseinanderzusetzen, aus denen man von jeder Aktion abgesehen hätte. Den Schluß bildete ein beredter Appell an des Königs Gnade zugunsten von James.

Mir schien, als käme ich dabei ziemlich schlecht weg; als schilderten sie mich eher als einen Heißsporn, der nur mit Mühe durch einen Schwarm Anwälte von radikalen Maßnahmen abgehalten werden könnte. Aber ich ließ das hingehen und schlug nur vor, man möchte angeben, ich sei bereit, vor jeder Untersuchungskommission meine eigenen Aussagen zu machen und mit Hilfe anderer die nötigen Beweise beizubringen, und als einzige Forderung verlangte ich, sofort eine Kopie ausgehändigt zu bekommen.

Coulston hüstelte und räusperte sich. »Es ist ein streng vertrauliches Dokument«, meinte er.

»Und meine Stellung zu Prestongrange ist äußerst eigentümlich«, entgegnete ich. »Ohne Frage habe ich bei unserer ersten Unterredung sein Herz gerührt; seither ist er stets mein Freund gewesen. Ohne ihn, meine Herren, wäre ich jetzt tot oder harrte an der Seite des armen James meines Urteils, aus welchem Grunde ich ihm von dem Vorhandensein dieses Memorials zu erzählen wünsche, sobald es abgeschrieben ist. Ihr müßt außerdem bedenken, daß dieser Schritt zu meinem Schutz beitragen wird. Ich habe Feinde, die gewohnt sind, ohne Rücksicht zu handeln: Seine Gnaden hier in seinem eigenen Lande, ihm zur Seite Lovat, und falls an unserem Vorgehen irgend etwas zweifelhaft erscheint, werde ich höchstwahrscheinlich im Gefängnis aufwachen.«

Da sie auf diese Erwägungen keine Antwort wußten, erteilten meine versammelten Ratgeber mir endlich notgedrungen ihre Zustimmung; sie stellten mir die eine Bedingung: ich sollte das Schriftstück Prestongrange mit den ausdrücklichsten Komplimenten aller Beteiligten überreichen.

Der Lord Staatsanwalt befand sich bei der Tafel im Schloß, zusammen mit Seiner Gnaden. Durch einen von Coulstons Bedienten sandte ich ihm ein Billet, in dem ich ihn um eine Unterredung bat, und erhielt den Bescheid, ihn sogleich in einem Privathaus in der Stadt zu treffen. Hier fand ich ihn allein in einem Zimmer; seinem Gesicht war nichts zu entnehmen; trotzdem war ich weder so blind, im Vorplatz nicht einige Hellebarden zu bemerken, noch so blöde, daß ich daraus nicht gefolgert hätte, er sei bereit, mich auf der Stelle verhaften zu lassen, falls er es für gut hielt.

»Also da haben wir Euch wieder, Mr. David,« sagte er.

»Ja, Mylord, und ich fürchte, ich bin nicht sehr willkommen«, entgegnete ich. »Ehe ich jedoch weiterrede, möchte ich Eurer Lordschaft für Eure wiederholten guten Dienste danken, selbst wenn sie jetzt ein Ende nehmen sollten.«

»Ich habe Eure Dankbarkeit bereits früher vernommen,« erwiderte er ein wenig trocken, »ich glaube, das wird kaum der Grund sein, weswegen Ihr mich von meinem Wein abrieft. Auch würde ich an Eurer Stelle bedenken, daß Ihr immer noch auf sehr schwankem Boden steht.«

»Im Augenblick, glaube ich, nicht,« meinte ich; »geruhen Euer Lordschaft nur einen einzigen Blick auf dieses Papier zu werfen; ich denke, Ihr werdet dann meiner Meinung sein.«

Er las es stirnrunzelnd sorgfältig durch, dann blätterte er zurück und schien einen Teil mit dem anderen zu vergleichen und ihre Wirkung abzuwägen. Sein Gesicht erhellte sich ein wenig.

»Es hätte schlimmer sein können,« meinte er, »obwohl es immer noch den Anschein hat, als sollte ich meine Bekanntschaft mit Mr. David Balfour teuer bezahlen.«

Noch immer schweiften seine Blicke über das Papier, und seine Stimmung schien sich sichtlich zu heben.

»Wem habe ich dies zu verdanken?« fragte er nach einer Weile. »Man wird ohne Zweifel auch andere Schritte erörtert haben. Wer schlug diese private Methode vor? War es Miller?«

»Mylord, ich war es selbst«, antwortete ich. »Jene Herren haben mir gegenüber keine solche Rücksicht gezeigt, daß ich mir das Lob, auf das ich billigerweise Anspruch habe, versagen oder ihnen einen Teil der Verantwortung, die ihnen von Rechts wegen zufällt, zu ersparen brauche. Die nackte Wahrheit ist: alle waren für einen Prozeß, der aufsehenerregende Folgen im Parlamentshaus haben und für sie selbst einen fetten Bissen abgeben sollte (um einen ihrer eigenen Ausdrücke zu gebrauchen). Vor meiner Intervention waren sie, glaube ich, dabei, unter sich die verschiedenen Ämter der Justizverwaltung zu verteilen. Unser Freund, Mr. Simon, sollte auf Grund irgendeines Vergleichs übernommen werden.«

Prestongrange lächelte. »Das sind nun unsere Freunde«, bemerkte er. »Und was bewog Euch, es abzulehnen, Mr. David?«

Ich berichtete ihm ganz offen, schob aber dabei die Bedenken, die Prestongrange selbst betrafen, in den Vordergrund.

»Ihr laßt mir dabei nur Gerechtigkeit widerfahren«, sagte er. »Ich habe für Euch so hart gekämpft wie Ihr für mich. Und wie kommt es, daß Ihr heute schon hier seid?« forschte er. »Als der Prozeß sich in die Länge zog, begann ich schon zu befürchten, ich hätte den Spielraum zu knapp bemessen; ich erwartete Euch bereits morgen. Aber gar heute – das habe ich mir nicht träumen lassen.«

Ich dachte natürlich nicht daran, Andie zu verraten. »Ich vermute, Ihr würdet unterwegs einige recht abgehetzte Pferde finden«, entgegnete ich.

»Hätte ich Euch als einen derartigen Strauchdieb erkannt, ich hätte Euch den Aufenthalt auf Baß gründlich auskosten lassen«, erwiderte er.

»Dabei fällt mir ein; hier ist Euer Lordschaft Brief.« Und ich reichte ihm den Zettel mit der verstellten Handschrift.

»Da war noch ein versiegelter Umschlag.«

»Ich habe ihn nicht mehr. Er trug nur die Adresse und konnte keine Katze kompromittieren. Dagegen befindet sich die zweite Einlage noch in meinem Besitz, und ich möchte sie, mit Eurer Erlaubnis, behalten.«

Ich glaube, er war unangenehm berührt, ohne mir jedoch zu widersprechen. »Morgen«, fuhr er fort, »wird unser Geschäft hier beendet sein, und ich reise nach Glasgow weiter. Ich werde mich sehr freuen, wenn Ihr mich begleitet, Mr. David.«

»Mylord –«, hub ich an.

»Ich leugne nicht, Ihr würdet mir damit einen Dienst erweisen«, unterbrach er mich. »Ich wünsche sogar, daß Ihr in Edinburgh in meinem Hause absteigt. Ihr habt an den Fräulein Grants sehr warme Freundinnen gefunden, sie werden entzückt sein, Euch bei sich zu haben. Wenn Ihr glaubt, ich wäre Euch nützlich gewesen, könnt Ihr Euch auf diese Art sehr leicht revanchieren und, statt zu verlieren, obendrein einigen Vorteil daraus ziehen. Nicht jeder junge Unbekannte wird durch den Kronanwalt in die Gesellschaft eingeführt.«

Häufig genug (trotz unserer kurzen Bekanntschaft) hatte dieser Gentleman erreicht, daß mir der Kopf sich drehte; zweifellos brachte er auch jetzt einige Sekunden lang diese Wirkung zustande. Hier sah ich ihn wieder einmal die alte Fiktion aufrechterhalten, daß ich mich bei seinen Töchtern besonderer Gunst erfreue; dabei war die eine so freundlich gewesen, mich auszulachen, während die anderen beiden kaum die Gnade gehabt hatten, von meiner Existenz Notiz zu nehmen. Und jetzt sollte ich mit Mylord nach Glasgow reiten und in Edinburgh bei ihm wohnen, sollte unter seiner Protektion in die Gesellschaft eingeführt werden! Daß er so gutmütig war, mir zu verzeihen, war an sich schon wunderbar genug; daß er aber meine Bekanntschaft pflegen und mir dienen wollte, schien unfaßbar, und ich begann nach seinen Gründen zu forschen. Das eine war klar: wurde ich sein Gast, dann war jede Umkehr unmöglich; niemals konnte ich meine jetzigen Absichten bereuen und ein Verfahren gegen ihn einleiten. Außerdem – würde nicht mein Aufenthalt in seinem Hause dem Memorial die ganze Stoßkraft rauben? Die Beschwerde konnte nicht allzu ernst genommen werden, wenn die Person, der am meisten unrecht geschehen, der Gast des am stärksten inkriminierten Beamten war. Als ich das bedachte, konnte ich mich eines Lächelns nicht erwehren.

»Das soll eine Art Aktion gegen das Memorial sein?« fragte ich.

»Ihr seid schlau, Mr. David,« meinte er, »und habt nicht so ganz daneben geraten. Die betreffende Tatsache wird mir meine Verteidigung erleichtern. Vielleicht unterschätzt Ihr aber auch meine freundschaftlichen Gefühle, die wirklich vollkommen echt sind. Ich habe vor Euch Respekt, Mr. David, untermischt mit Angst«, fügte er lächelnd hinzu.

»Ich bin mehr als bereit, ja begierig, Euren Wünschen entgegenzukommen«, sagte ich. »Ich habe die Absicht, selbst Jurist zu werden, und Eurer Lordschaft Protektion dürfte für mich unschätzbar sein; außerdem bin ich Euch selbst und Eurer Familie für die vielen Beweise von Interesse und Nachsicht aufrichtig dankbar. Die Schwierigkeit besteht nur darin: wir ziehen in einer bestimmten Sache an verschiedenen Strängen. Ihr sucht James Stuart zu henken, ich ihn zu retten. Insofern meine Begleitung Eurer Lordschaft Verteidigung erleichtert, stehe ich Eurer Lordschaft ganz zur Verfügung; sofern sie aber hilft, James Stuart zu henken, stehe ich vor einem unüberwindlichen Hindernis.«

Ich glaube, er fluchte vor sich hin. »Ihr solltet entschieden Advokat werden; der Gerichtssaal ist der wahre Schauplatz für Eure Talente«, bemerkte er bitter und schwieg dann eine Weile. »Ich will Euch etwas sagen,« fuhr er fort, »es handelt sich nicht länger darum, für oder gegen James Stuart Partei zu ergreifen. James ist ein toter Mann; sein Leben ist gegeben und genommen – gekauft und verkauft (wenn Ihr wollt); kein Memorial kann ihm helfen – keine Abtrünnigkeit des treuen Mr. David ihm mehr schaden. Ob es nun so oder so ausgeht, es gibt kein Pardon für James Stuart: laßt Euch das gesagt sein! Es handelt sich jetzt nur noch um mich selbst: werde ich stehen oder fallen? Und ich leugne nicht, ich befinde mich in einiger Gefahr. Mag jedoch Mr. David Balfour gefälligst bedenken, weshalb! Nicht etwa, weil ich gegen James zu scharf vorgegangen bin; dafür bin ich meines Lohnes sicher. Nicht weil ich Mr. David auf einem Felsen gefangengehalten habe, obgleich man dem Kind natürlich diesen Namen geben wird; sondern weil ich nicht den bequemen, breiten Pfad erwählte und, wie man mir verschiedentlich nahelegte, Mr. David in sein Grab oder zum Galgen sandte. Daher der Skandal – daher dieses verdammte Memorial«, rief er, das Papier gegen sein Bein schlagend. »Meine Rücksicht gegen Euch hat mich in diese schwierige Lage gebracht. Ich möchte nun wissen, ob die Rücksicht auf Euer eigenes Gewissen zu groß ist, um Euch zu erlauben, daß Ihr mir wieder heraushelft?«

Ohne Zweifel war an seinen Worten viel Wahres; war James nicht mehr zu helfen – was konnte natürlicher sein, als daß ich dem Manne vor mir, der mir selbst so oft geholfen hatte, und der mir gegenüber im nämlichen Augenblick eine vorbildliche Geduld zeigte, die Hand reichte? Außerdem war ich auf dem besten Wege, mein ewiges Mißtrauen und die daraus entstehende ablehnende Haltung nicht nur satt zu bekommen, nein, auch mich ihrer zu schämen.

»Wenn Ihr mir Zeit und Ort angeben wollt, werde ich pünktlich zur Stelle sein, um Eurer Lordschaft aufzuwarten«, sagte ich.

Er schüttelte mir die Hand. »Ich glaube sogar, meine jungen Damen haben gute Nachrichten für Euch«, waren seine Entlassungsworte.

Ich verabschiedete mich, ungemein befriedigt von dem Frieden, den wir geschlossen hatten, aber immer noch mit leise unruhigem Gewissen; und rückblickend fragte ich mich trotz allem immer wieder, ob ich nicht doch ein wenig zu gutmütig gewesen sei. Allein die Tatsache ließ sich nicht leugnen: dieser Mann, der mein Vater hätte sein können, der ein tüchtiger Mann und großer Würdenträger war, hatte in der Stunde meiner Not seine Hand ausgestreckt, um mir zu helfen. Um so besser war ich in der Lage, den Rest des Abends zu genießen, den ich mit den Anwälten zusammen, zwar in unzweifelhaft guter Gesellschaft, aber unter überreichlichem Genuß von Punsch verbrachte; denn obwohl ich früh zu Bett ging, kann ich mich nicht mehr deutlich erinnern, wie ich dorthin gelangte.

 


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