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Ob ich nun wirklich so sehr zu tadeln war und nicht vielmehr Mitleid verdiente, das zu beurteilen, überlasse ich anderen. Mein gesunder Menschenverstand (von dem ich eine gute Portion mitbekommen habe) scheint den Damen gegenüber so ziemlich zu versagen. Kein Zweifel, als ich Catriona weckte, dachte ich in der Hauptsache an die Wirkung auf James More; aus dem nämlichen Grunde benahm ich mich bei meiner Rückkehr, als wir uns alle zum Frühstück niedersetzten, der jungen Dame gegenüber mit ehrerbietiger Zurückhaltung, was, auch heute noch, in meinen Augen das Klügste war. Ihr Vater hatte die Unschuld meiner Freundschaft angezweifelt; diese Zweifel zum Schweigen zu bringen, war meine vornehmste Pflicht. Aber auch zu Catrionas Entschuldigung läßt sich manches anführen. Die Szene zwischen uns war nicht ohne Leidenschaft und Zärtlichkeit gewesen; wir hatten allerlei Liebkosungen getauscht; ich hatte sie mit Gewalt aus dem Zimmer gedrängt, hatte in der Nacht vom Nachbarraume her zu ihr gesprochen; sie hatte stundenlang wach gelegen und geweint, und es ist kaum anzunehmen, daß ich ihren nächtlichen Gedanken ferngeblieben war. Nach allen diesen Dingen wurde sie jetzt mit ungewohnter Förmlichkeit unter der Anrede Miß Drummond geweckt und von da an mit kühler Ehrerbietung behandelt; kein Wunder, daß sie sich in bezug auf meine wahren Gefühle zu gänzlich falschen Schlüssen gedrängt sah und dem schier unfaßlichen Irrtum verfiel, ich bereue mein Verhalten und suche mich jetzt zurückzuziehen.
Zwischen uns bestand folgender verhängnisvoller Gegensatz: ich dachte (seitdem mein Blick zum erstenmal auf seinen großen Hut gefallen war) einzig an James More, an seine Rückkehr und an seinen Argwohn, während sie diesen Dingen so völlig gleichgültig gegenüberstand, daß sie sie kaum bemerkte; ihr ganzes Sorgen und Handeln galten dem, was in der verflossenen Nacht zwischen uns vorgefallen war. Das läßt sich teils durch die Unschuld und Kühnheit ihres Charakters, teils durch die Tatsache erklären, daß James More, nachdem er in seiner Unterredung mit mir so schlecht abgeschnitten hatte und seinen Mund durch meine Einladung verschlossen wähnte, kein Wort ihr gegenüber über das Thema fallen ließ. So wurde es schon beim Frühstück klar, daß sie und ich gegeneinander spielten. Ich hatte erwartet, sie in ihren eigenen Kleidern zu finden; ich fand sie (als hätte sie ihren Vater ganz vergessen) in einer der schönsten Toiletten, die ich ihr gekauft hatte, von der sie wußte (oder glaubte), daß ich sie an ihr bewunderte. Ich glaubte und erwartete, sie würde meine Zurückhaltung nachahmen und ungemein kurz und förmlich sein; statt dessen saß sie da mit hochroten Wangen und wilden Blicken; ihre Augen brannten ungewöhnlich hell, der Ausdruck ihres Gesichtes war schmerzlich und unstet, und sie nannte mich in einer Art bittender Zärtlichkeit mit dem Vornamen, kurz, benahm sich in rücksichtsvoller Unterordnung unter all meine Gedanken und Wünsche wie eine besorgte und in ihrer Ehre angezweifelte Gattin.
Das dauerte jedoch nicht lange. Als ich sie so achtlos ihren Interessen zuwiderhandeln sah, die ich gefährdet hatte und jetzt zu wahren mich bemühte, verdoppelte ich meine Kälte, wie um dem Mädchen eine Lehre zu geben. Je entgegenkommender sie war, um so zurückhaltender wurde ich; je mehr sie die Intimität unseres Zusammenlebens verriet, um so pointierter wurde meine Höflichkeit, bis selbst ihr Vater (wäre er nicht so vollkommen mit Essen beschäftigt gewesen) diese Abwehr hätte bemerken müssen. Worauf sie ganz plötzlich ihr Benehmen ins Gegenteil verkehrte, und ich mir erheblich erleichtert sagte, daß sie endlich, endlich den Wink begriffen hätte.
Den ganzen Tag verbrachte ich im Kolleg und auf der Wohnungssuche; und obwohl die Stunde unseres Spaziergangs elend langsam dahinschlich, muß ich doch gestehen, daß ich im großen und ganzen glücklich war, nun klaren Weg vor mir zu sehen, das Mädchen in den richtigen Händen und den Vater befriedigt oder zum mindesten gefügig zu wissen, während ich selbst in Ehren meine Werbung fortsetzen konnte. Beim Abendessen wie bei allen anderen Mahlzeiten führte James More das Wort. Kein Zweifel, er war ein guter Redner, hätte man ihm nur glauben können. Doch von ihm noch ausführlicher später. Als das Mahl beendet war, erhob er sich, holte seinen Überrock herunter und bemerkte, wobei er mich ansah (wie mich dünkte), er hätte geschäftlich auswärts zu tun. Ich faßte dies als einen Wink auf, gleichfalls zu gehen, und erhob mich auch; worauf das Mädchen, die mich bei meinem Eintritt kaum begrüßt hatte, mich groß ansah, bittend, daß ich bleiben möchte. Da war ich nun zwischen beiden wie ein Fisch auf dem Trockenen; keiner schien mich weiter zu beachten; sie starrte den Fußboden an, er knöpfte seinen Mantel zu; meine Verlegenheit wuchs ins Unermeßliche. Diese scheinbare Gleichgültigkeit deutete ihrerseits auf heftigen, fast unkontrollierbaren Zorn. Von ihm aus schien sie mir entsetzlich beunruhigend; ich war überzeugt, daß sich bei ihm ein Ungewitter zusammenbraute und lieferte mich, da ich diese Gefahr für die größere hielt, sozusagen in seine Hand.
»Kann ich irgend etwas für Euch tun, Mr. Drummond?« fragte ich.
Er unterdrückte ein Gähnen – auch das hielt ich für Schein. »Nun, Mr. David, da Ihr so gütig seid, es vorzuschlagen, könnt Ihr mir den Weg nach einem gewissen Wirtshaus zeigen (er nannte einen Namen), wo ich einige meiner alten Waffenbrüder zu treffen hoffe.«
Darauf war nichts zu sagen; ich griff nach Hut und Mantel, um ihn zu begleiten.
»Und was dich betrifft,« meinte er, zu seiner Tochter gewandt, »so ist es das Gescheiteste, du legst dich zu Bett. Ich werde spät nach Hause kommen.«
Dann küßte er sie mit ziemlichem Aufwand an Zärtlichkeit und ließ mich vor sich zur Tür hinaus. In meinen Augen geschah das mit Absicht, da auf diese Weise ein Abschiednehmen meinerseits so gut wie unmöglich war; ich bemerkte indes, daß sie mich nicht ansah, und schrieb das ihrer Furcht vor James More zu.
Das Wirtshaus lag eine beträchtliche Strecke von unserer Wohnung entfernt. Unterwegs sprach er die ganze Zeit von Dingen, die mich nicht im geringsten interessierten, und entließ mich vor der Tür mit einer leeren Redensart. Von dort ging ich nach meinem neuen Quartier, wo ich nicht einmal einen Kamin, mich zu wärmen, hatte, und keine andere Gesellschaft als meine Gedanken. Diese waren immer noch freundlich genug; ich ahnte auch nicht im Traume, daß Catriona sich gegen mich gewendet hatte; in meinen Augen waren wir verlobt; ich meinte, wir standen zu nahe, hatten zu innig miteinander gesprochen, um durch irgend etwas, am wenigsten aber durch Schritte einer höchst notwendigen Politik, getrennt zu werden. Meine größte Sorge war, welche Art Schwiegervater ich bekommen würde – durchaus nicht die Art, die ich mir gewünscht hatte; dann, wie bald ich wohl mit ihm reden müßte, was in mancher Hinsicht eine delikate Frage war. Erstens einmal errötete ich kopfüber bei dem Gedanken an meine Jugend, fast hätte ich überhaupt nicht fragen mögen; wenn ich die beiden aber ohne Erklärung aus Leyden fortließ, ging mir Catriona vielleicht ganz verloren. Zweitens galt es unsere äußerst irreguläre Lage zu berücksichtigen sowie die etwas magere Genugtuung, die ich James More diesen Morgen geboten hatte. Alles in allem gelangte ich zu dem Schluß, daß ein kleiner Aufschub nichts schaden könnte, obwohl ich nicht zu lange zögern durfte, und kroch übervollen Herzens in mein kaltes Bett.
Den nächsten Tag schien James More mit meinem Zimmer ein wenig unzufrieden, und ich bot ihm an, noch einige Möbel kommen zu lassen; als ich am Nachmittag wieder vorsprach, fand ich Möbelräumer dort, die Tische und Stühle heranschleppten; sonst war Catriona allein. Bei meinem Eintritt grüßte sie mich höflich, zog sich aber sogleich in ihr eigenes Zimmer zurück und schloß hinter sich die Tür. Ich traf meine Dispositionen, bezahlte und entließ die Leute so laut, daß sie es hören konnte, und glaubte, sie würde nun sofort wiederkommen, um mit mir zu sprechen. Ich wartete eine Weile und klopfte dann an ihre Tür.
»Catriona!« rief ich.
Die Tür wurde rasch geöffnet, fast noch ehe das Wort heraus war; ich glaube, sie hatte gelauscht. Inzwischen stand sie ganz regungslos mit einem Ausdruck, den ich nicht beschreiben kann, wie ein Mensch in bitterer Seelennot.
»Wollen wir auch heute nicht spazierengehen?« stammelte ich.
»Ich danke Euch,« entgegnete sie, »mir liegt nicht mehr viel am Spazierengehen, jetzt, da mein Vater zurückgekehrt ist.«
»Aber er ist doch ausgegangen und hat dich allein gelassen«, widersprach ich.
»Nennt Ihr das freundlich, so zu sprechen?« forschte sie.
»Es war nicht unfreundlich gemeint«, erwiderte ich. »Was fehlt dir überhaupt, Catriona? Was habe ich getan, daß du dich so von mir wendest?«
»Ich wende mich durchaus nicht von Euch ab«, antwortete sie mit sorgfältigster Überlegung. »Ich werde meinem Freunde, der so gut zu mir war, stets dankbar sein; ich werde stets in allem, was mir möglich ist, seine Freundin sein. Aber jetzt, da mein Vater, James More, zurückgekehrt ist, muß wohl ein gewisser Unterschied gemacht werden, und ich glaube, Dinge sind gesagt und getan worden, die man am besten vergißt. Aber ich werde stets, soweit ich kann, Eure Freundin sein, und wenn das nicht genügt . . . wenn das nicht so viel ist . . . Aber Euch ist das sicherlich ganz gleich! Ich möchte nur nicht, daß Ihr zu hart von mir denkt. Ihr hattet recht, als Ihr sagtet, ich sei zu jung, um beraten zu werden, und ich hoffe, Ihr werdet nicht vergessen, daß ich ja nur ein Kind war. Ich möchte unter keinen Umständen Eure Freundschaft verlieren.«
Sie war sehr bleich zu Beginn dieser Rede; aber noch bevor sie endete, flammte das Blut in ihrem Antlitz scharlachrot, daß nicht nur ihre Worte, nein, auch ihr Gesicht und ihre bebenden Hände um Schonung flehten. Da erkannte ich zum erstenmal, wie groß mein Unrecht war, dieses Kind in eine Lage gebracht zu haben, in der sie sich zu momentanen Schwäche hatte hinreißen lassen, derer sie sich jetzt schämte.
»Miß Drummond«, sagte ich und stockte und begann noch einmal mit der gleichen Anrede. Dann rief ich: »O ich wollte, Ihr könntet in mein Herz sehen! Ihr würdet dort lesen, daß meine Achtung ungeschmälert ist. Ja, wenn es möglich wäre, würde ich Euch sagen, daß sie noch gewachsen ist. Das hier ist nur die Folge des Irrtums, dem wir verfielen; es mußte so kommen, und je weniger wir davon reden, um so besser. Von unserem ganzen Leben hier soll nicht eine Silbe über meine Lippen kommen, das verspreche ich Euch; ich wollte, ich könnte Euch auch versprechen, daß ich mit keinem Gedanken mehr daran denken werde, aber die Erinnerung wird mir ewig teuer sein. Und was Euern Freund betrifft, so habt Ihr einen hier, der für Euch sterben würde.«
»Ich danke Euch«, sagte sie.
Eine Weile standen wir schweigend, und in meinem Herzen begann das Mitleid mit mir selbst die Oberhand zu gewinnen; waren nicht alle meine Träume hier jämmerlich gescheitert? Hatte ich nicht meine Liebe verloren, und stand ich nicht wieder wie zu Anfang allein in der Welt?
»Nun,« sagte ich, »wir werden immer Freunde bleiben, das ist sicher. Aber das hier ist auch eine Art Abschied, es ist wirklich eine Art Abschied; Miß Drummond werde ich immer kennen, aber dies ist der Abschied von meiner Catriona.«
Ich blickte sie an, ich konnte sie kaum sehen, aber sie schien in meinen Augen größer und strahlender zu werden, und damit verlor ich, glaube ich, den Kopf, denn wieder rief ich sie mit Namen und trat mit ausgestreckten Händen einen Schritt auf sie zu. Wie ein Mensch, der einen Schlag empfängt, wich sie vor mir zurück; ihr Gesicht flammte auf, aber das Blut schoß ihr nicht eiliger in die Wangen, als es mir bei ihrem Anblick vor Reue und Kummer aus dem eigenen Herzen wich. Ich fand keine Worte zu meiner Entschuldigung, verneigte mich nur ungemein tief und ging meiner Wege aus dem Hause, den Tod im Busen. Ich glaube, es folgten fünf Tage ohne jede Veränderung. Ich sah sie kaum außerhalb der Mahlzeiten und selbst dann natürlich nur in Gegenwart von James More. Waren wir auch nur einen Augenblick allein, so machte ich es mir zur Pflicht, mich gleichzeitig zurückhaltender denn je zu zeigen und meine höfliche Aufmerksamkeit zu vertausendfachen. Dabei stand mir ständig das Bild des scheu zurückweichenden, schamübergossenen Mädchens vor Augen, und ich empfand in meinem Herzen mehr Mitleid, als ich in Worten ausdrücken kann. Ich selber tat mir auch leid genug, das brauche ich kaum zu sagen – in wenigen Sekunden war ich kopfüber aus allen Himmeln gestürzt; aber wahrhaftig, das Mädchen tat mir fast ebenso leid, zum mindesten leid genug, um zu verhindern, daß ich, außer in wenigen heftigen Momenten, auf sie böse war. Ihre Entschuldigung war wirklich stichhaltig: sie war ja nur ein Kind; man hatte sie in eine schiefe Stellung gebracht; hatte sie sich wirklich in mir und in sich selbst getäuscht, so war das nicht mehr, als man hätte erwarten können. Außerdem war sie jetzt fast ständig allein. Ihr Vater zeigte sich, solange er in ihrer Nähe war, als zärtlicher Vater; aber Geschäfte und Vergnügungen vermochten ihn leicht abzulenken; dann vernachlässigte er das Mädchen ohne weitere Worte oder Zeichen von Reue, verbrachte die Nächte im Wirtshaus – vorausgesetzt, daß er Geld hatte, und das trat häufiger ein, als ich es zu erklären vermochte – und versäumte es in diesen Tagen sogar das eine Mal zum Essen zu erscheinen, so daß Catriona und ich schließlich gezwungen waren, ohne ihn zu speisen. Es war eine Abendmahlzeit, und ich verabschiedete mich, sobald ich gegessen hatte, mit der Bemerkung, sie zöge es vermutlich vor, allein zu sein. Sie stimmte zu, und – sonderbar – ich glaubte es ihr. Ja, ich glaubte, mein Anblick müsse dem Mädchen schmerzlich sein, da er sie an eine momentane Schwäche erinnerte, die sie jetzt verabscheute. So mußte sie ganz allein in dem Zimmer sitzen, wo sie und ich so fröhlich gewesen waren, im Schein jenes Kamins, der so manchen schwierigen und zärtlichen Augenblick bestrahlt hatte. Dort saß sie allein und hielt sich für ein Mädchen, das auf unmädchenhafte Art ihre Liebe angeboten und zurückgewiesen gesehen hätte. Inzwischen saß ich allein an einem andern Ort und hielt mir selbst Strafpredigten (wann immer ich den Zorn in mir aufwallen fühlte) über menschliche Schwäche und weibliche Empfindlichkeit. Und im Großen und Ganzen glaube ich: niemals haben zwei arme Narren sich aus einem größeren Mißverständnis unglücklich gemacht.
Was nun James anbetraf, so schenkte er uns geringere Aufmerksamkeit als seinen eigenen prahlerischen Reden und allen Fragen seines Beutels und seines Magens. Noch vor Ablauf von zwölf Stunden hatte er sich von mir eine kleine Summe Geldes geliehen, noch vor Ablauf von dreißig um eine zweite gebeten und eine Weigerung erhalten. Geld wie Korb nahm er mit der gleichen liebenswürdigen Gutmütigkeit entgegen. Ja, nach außen hin trug er eine Noblesse zur Schau, durchaus geeignet, eine Tochter zu blenden; das Licht, in das er sich durch seine Reden zu stellen pflegte, sowie des Mannes schönes Äußere und Grandseigneurmanieren paßten vortrefflich zueinander. Wer also nichts mit ihm zu tun hatte und entweder geringen Scharfblick oder ein Übermaß von Voreingenommenheit besaß, hätte sich fast düpieren lassen können. Für mich war er nach unseren ersten beiden Unterredungen so klar wie die Lettern eines Buches; ich durchschaute ihn als einen durch und durch egoistischen Menschen, ohne die leiseste Erkenntnis seiner Selbstsucht, und lauschte seinen Aufschneidereien (über seine »Waffen«, über die Tatsache, daß er »ein alter Soldat« und »ein armer Hochlands-Gentleman« sei, und über die »Macht« seines »Vaterlandes« und seiner »Freunde«), wie man dem leeren Geplapper eines Papageien lauscht.
Das Seltsame an der Sache war, daß er, glaube ich, jedesmal, oder doch mitunter, einen Teil dieser Dinge selbst glaubte; ich vermute, er war so bis in die Wurzeln falsch, daß er kaum wußte, wann er log; aufrichtig war er nur in seinen Momenten der Depression. Zuzeiten konnte er das schweigsamste, liebevollste, anschmiegsamste Geschöpf von der Welt sein; dann hielt er wie ein großes Kind Catrionas Hand in der seinen und bettelte, ich solle ihn doch nicht verlassen, wenn ich überhaupt irgendwelche Zuneigung für ihn empfände. Das tat ich nun freilich nicht, hatte dafür aber eine um so stärkere Zuneigung zu seiner Tochter. Er bat, ja flehte, wir möchten ihn doch mit Gesprächen unterhalten, was bei den zwischen uns herrschenden Beziehungen sehr schwierig war, und zuletzt brach er in jämmerliche Klagen um sein Land und seine Freunde oder in irgendein gälisches Lied aus.
»Das hier ist eine der melancholischen Weisen meiner Heimat«, pflegte er zu sagen. »Ihr findet es vielleicht seltsam, einen Soldaten weinen zu sehen, und es heißt auch wirklich, Euch eng in mein Vertrauen ziehen. Aber die Musik dieses Liedes ist mir ins Blut übergegangen, und die Worte kommen aus meinem Herzen. Wenn ich an meine roten Berge und an die Wildvögel denke, die dort rufen, und an die stolzen Flüsse, die die Hänge hinuntereilen, so kann ich mich nicht einmal vor meinen Feinden dieser Tränen schämen«. Dann hub er von neuem zu singen an und übersetzte mir Bruchstücke aus dem betreffenden Liede, stotternd und stolpernd und die nachdrücklichste Verachtung für die englische Sprache bezeugend. »An dieser Stelle heißt es, daß die Sonne untergegangen und die Schlacht vorüber ist, und daß die tapferen Häuptlinge alle besiegt sind. Und dann heißt es, daß die Sterne sie in fremde Länder fliehen sehen oder auf sie niederblicken, wie sie tot auf dem roten Berge liegen; und niemals wieder werden sie den Kriegsruf erschallen lassen und ihre Füße in den Flüssen des Tales waschen. Ach, verstündet Ihr nur etwas von jener Sprache, Ihr würdet gleich mir weinen, weil die Worte über jede Wiedergabe erhaben sind und es der reinste Hohn ist, sie Euch auf englisch zu sagen.«
Nun, mich dünkte, die ganze Sache entbehrte nicht des Hohnes, so oder so; und doch war einiges echt daran, aus welchem Grunde ich ihn, glaube ich, am meisten haßte. Es schnitt mir ins Herz, Catrionas große Sorge um den alten Gauner zu sehen und zu wissen, daß sie sich um seiner Tränen willen in den Schlaf weinte, da ich überzeugt war, daß die Hälfte seines Kummers vornächtlichen Zechereien in irgendeiner Kneipe entsprang. Manchmal fühlte ich mich versucht, ihm eine runde Summe auszuhändigen und ihn ein für alle mal los zu sein; aber das hätte bedeutet, daß ich auch Catriona losgeworden wäre, wozu ich schwerlich so bereit war. Außerdem ging es gegen mein Gewissen, mein gutes Geld an jemanden zu verschwenden, der so wenig damit umzugehen wußte.