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XVIII.

Dasselbe Gefährte sah man auch am vierzehnten August, am Tage des heiligen Athanasius, mit den nämlichen Personen nach Kufstein rollen. Es hielt um halb neun Uhr beim Auracherbräu, woselbst Frau Euphrosyne Weitenmoser ausstieg, um in der großen Gaststube den Lauf der Dinge abzuwarten; der Florian dagegen ging unverzüglich ins Landgericht. Er war gerne um eine halbe Stunde zu früh gekommen, um vorher Wind und Wetter beobachten zu können.

»Ha, der Florian!« rief der Landrichter fröhlich, als jener in seine Stube trat. »Bringst gute Botschaft?«

»Noch gar keine; aber wenn ich das Mädel nur vorher sehen könnte! Bin gerade deswegen eine halbe Stunde früher in der Stadt.«

»Nun, die Rosi wird sich schon finden lassen. Die fährt gewiß mit dem Einspänner herein; vor neun Uhr wird sie nicht da sein wollen, und wenn du ihr jetzt entgegengehst, so kannst sie wohl etwa bei der Lorettokapelle treffen. Da kannst ihr deinen Buschen geben,« setzte er ermunternd hinzu, »meine nicht, daß sie ihn ausschlagt.«

Die letzten Worte erklären sich dadurch, daß der Florian damals in der Hand ein sehr schönes Sträußchen trug, welches er des Morgens in seinem Garten zusammengelesen und die Mutter mit einem roten Seidenbändchen umwunden hatte. Dem Landrichter war diese Blumensprache auf den ersten Blick verständlich.

Der Florian aber befolgte seinen Rat und ging ihr auf der Straße nach der Sewi entgegen. Bald hatte er die letzten Häuser des Städtleins hinter sich und die Stelle erreicht, wo jetzt der neue stattliche Wohnsitz des Herrn Buchauer, des hochgeachteten Zementfabrikanten von Ebbs, sich erhebt. Dort teilen sich die Wege; die Fahrstraße nach der Sewi geht links, der nähere Fußpfad, der von der Stadt zunächst in die Sparchen, ein romantisch gelegenes Örtlein, führt, der zieht sich rechts durch die Wiesen. Dort liegt auch ein unansehnliches Brettlein und ein unansehnlicher Stiegel, der Anfang des Gangsteigs, zu finden, welche für unsere Geschichte insoferne einige Wichtigkeit ansprechen, als sich jetzt der Florian dort aufstellte, um einen Entschluß zu fassen. Fährt sie bis in die Stadt, oder ist sie vielleicht an der Kapelle ausgestiegen, um die letzte Strecke durch die Wiesen zu gehen? So schaute er mit seinen guten Augen spähend in die Ferne und sah auf dem Sträßlein wohl den kommenden Einspänner, jedoch kein weibliches Wesen darinnen. Bald darauf aber trat aus dem Lorettokirchlein, das dort auf niederem Hügelzuge liegt, eine Frauengestalt hervor. So groß auch die Entfernung war, unser Florian erkannte doch deutlich der teuren Rosi heißersehntes Bild. Da auf solche Weite, zumal wenn die Gestalt sich gegen uns bewegt, die einzelnen Schritte nicht zu unterscheiden sind, so glaubte Florian beinahe, die ferne Erscheinung lege, wie die allerheiligste Jungfrau von Marpingen, die niedere Leite schwebend zurück, was zu der phantastischen Auffassung, die er von ihrem Wesen sich angeeignet, vollkommen paßte.

Die Erscheinung schwebte also die sanfte Leite herunter, schwebte dann unten auf dem Fußsteige dahin, über dem der junge Eichbaum steht, und erreichte endlich den gewöhnlichen Feldweg, der da zwischen hohen Türkenähren bequem dahinläuft, aber weil er sich immer schlängelt, nicht weit vorausschauen läßt. Deswegen war von der schönen Rosi jetzt bald gar nichts mehr zu sehen. Sie war wie ein scheues Reh in dem Maisfelde verschwunden.

Die Rosi hatte übrigens ihren Bruder, der sie hereinführte, freundlich gebeten, sie doch bei der Lorettokapelle aussteigen zu lassen, denn sie fürchtete, wenn sie im vollen Feiertagsstaat auf ihrer Quadriga einherführe, von den neugierigen Kufsteinern, die wohl alle von des heutigen Tages Bedeutung wußten, ebenso scharf wie neulich betrachtet zu werden. So aber, zu Fuße wandelnd und die belebtesten Straßen des Städtleins vermeidend, hoffte sie ohne großes Aufsehen bis zum Landgericht vordringen zu können.

Dazu kam aber noch, daß die fromme Maid von Kindheit an gewohnt war, in der Kapelle, wenn sie mit Vater oder Mutter vorbeikam, etliche Vaterunser zu beten. Diese Übung wollte sie auch jetzt nicht unterlassen, denn es schien ihr, daß wohl noch manches Gute von oben kommen müßte, bis ihr das Leben wieder Glück und Freude brächte.

Endlich sah sie der Florian zwischen den Ähren einherkommen in ihrer Jugend vollem Glanz. Er eilte ihr, als er sie gewahrt, mit rascherem Schritte entgegen; sie aber ging still und ruhig entlang, bis sie vor ihm stand und ihren Gang nicht mehr fortsetzen konnte. Da mußte nun jedenfalls ein Gespräch eröffnet werden, und um zu zeigen, daß er etwas zu reden habe, sagte der Florian freundlich:

»Rosi –«

Darauf antwortete sie leise:

»Florian –«

Und nun fuhr dieser fort:

»Wo gehst hin, Rosi?«

»Zu Gericht.«

»Streiten?«

»Ja.«

»Mit wem?«

»Mit dir.«

»Und gern?«

»Ich muß.«

»Und der Frieden?«

»Steht bei dir!«

Damit hatte das Mädchen den Stand der Sache so klar bezeichnet, daß der Florian von dieser Klarheit fast geblendet wurde und in einiger Befangenheit nicht recht wußte, was er weiter sagen sollte. Aber die Abbitte, die allerdings der Friede war, konnte er nicht anbieten, und das Gespräch sollte doch auch nicht ausgehen. So sagte er denn etwas verlegen und unsicher:

»Hättest nur Vertrauen zu mir!«

»Hast du's zu mir?«

»Ja, Rosi, jetzt schon!«

»Bist denn anders worden?«

»Ja, ich bin anders worden, Rosi, ganz anders!« beteuerte der Florian mit allem Feuer seines heißen Herzens. »Mir kommt jetzt alles anders vor, und es ist auch alles anders.«

Und dann faltete er die Hände wie zum Gebete und fuhr in zärtlichen Lauten fort: »Ja, Rosi! wie vor einer Heiligen möchte ich niederknien vor dir und um Verzeihung bitten.«

»Dann mußt du aber auch mir vergeben!« –

»O, tausendmal – ich war ja selber schuld.«

»Und so soll alles gut sein und vergessen?«

»Ja, gut sein und vergessen!« wiederholte der Florian.

Sie nickte zustimmend mit dem Haupte; jetzt schien alles erreicht, was sie noch für möglich gehalten. Es ging ihr aber doch in der Seele vorüber, wie viel Lebensglück und Lebensfreude sie einst von diesem jungen Mann erhofft hatte und wie alle Hoffnungen jetzt zertreten waren. Drum flüsterte sie wehmütig:

»Nun leb' wohl, Florian!«

»O, so bleib' doch, Rosi! Jetzt sind wir ja wieder gut – laß dir nur ein einziges Wörtlein sagen, ein freundliches!«

Gleichwohl war sie schon dem Heimweg zugewendet, aber plötzlich kam ihr die Erinnerung an die Drohung, die ihr der Vater mitgegeben; sie kehrte sich wieder der Stadt zu und sprach trübsinnig:

»Aber so darf ich nicht heimkommen – die Abbitte muß ich bringen!«

»Vielleicht geht's noch anders,« sagte Florian und bot ihr die offene Hand; sie schien es jedoch nicht zu beachten, obwohl sie ihn mit ihren blauen Augen ganz friedlich anblickte.

»Nu, Rosi,« fragte jener, »gibst mir die Hand nicht?«

»Schon doch, wenn du sie verlangst.«

»Ich bitt' dich drum.«

Sie reichte die Rechte dar.

»O, die andre auch!«

Da lagen ihre Hände zum ersten Male ineinander und drückten sich warm und herzlich.

»Nimmst vielleicht dies Sträußel an, von mir?« – sagte er dann schmeichelnd und bot ihr den Blumenbuschen, den er für sie mitgebracht.

»Ja gern, ja gern – von dir!«

»Heut bist so lieb, du Feine, und so gut aufgelegt. Könntest wohl noch etwas annehmen –«

»Ja, was denn?«

»Einen braven Burschen, der dich unendlich gern hat!«

»Und wer ist denn der?« fragte die Rosi schalkhaft, denn nunmehr klopfte ihr das Herz vor Freude und sie wußte schon ebenso genau wie wir, was jetzt noch kommen würde.

»Wer anders, als der Florian – der Florian mit Leib und Seel', mit Haus und Hof! O nimm ihn doch, du Schöne!«

»Ja gern, ja gern, du Schöner,« erwiderte sie mit dem holdesten Lächeln, das man je an ihr gesehen.

Und so fielen sie sich um den Hals und küßten sich bei scheinender Sonne, auf der rauigen Flur, zwischen den hohen Ähren, nicht weit vom Feldkreuz, welches auf der Wiese steht. Die alte Landfeste auf ihrem reichbelaubten Felsen, der ragende Pendling, der schattige Tierberg mit seinem grauen Turm und der mächtige Kaiser mit seinen hohen Wänden – sie waren die ehrwürdigen Zeugen dieser ländlichen Liebeserklärung.

Nunmehr aber ging das anmutige Paar unter sprudelnden Gesprächen der Stadt und dem k. k. Landgericht zu.

Die Rosi erinnerte sich jetzt zuerst, in welch verzweifelnder Stimmung sie vor acht Tagen diesen Weg gekommen war und sagte es auch dem Florian, wogegen ihr dieser allerdings erwidern konnte, daß er schon damals voll der schönsten Hoffnungen gewesen, daß ihm seine Mutter, die sich so sehr auf sie freue, schon damals gedroht, er dürfe nur als Hochzeiter heimkommen, und daß sie, wenn der Vater nicht so zornig geworden, gewiß schon damals als Verlobte aus dem Landgericht gegangen wären.

Bei dem Stiegel aber, dessen schon oben gedacht ist, erwies der Florian seiner Braut den ersten Ritterdienst, indem er mit beiden Händen ihre schlanke Büste umfaßte und das Mädchen mit jugendlicher Kraft emporhob, so daß sie das Trittbrett nur leicht berührte und lächelnd wie eine Elfe hinüberzuschweben schien. Das soll ungemein zierlich ausgesehen haben.

Unsere Landleute geben sich in solchen Fällen nicht den Arm, weil es ihnen unanständig scheint; das öffentliche Zeichen höchster Vertraulichkeit oder erklärter Liebschaft ist vielmehr, sich bei den kleinen Fingern zu fassen und so freundlich schlenkernd nebeneinander herzugehen. So gingen auch der Florian und die Rosi mit dem Sträußchen damals durch die schöne Hauptstraße der Stadt Kufstein hinab, welche sie jetzt gar nicht vermeiden wollten, wo sie aber von den Leuten auf der Gasse und an den Fenstern nicht ohne Verwunderung betrachtet wurden. – »Schau, schau,« sagte Frau Ursula Zangenfeind, die junge Schneiderin, zur alten Schusterin, der Frau Kreszenzia Tiefenthaler, »jetzt gehen sie gar miteinander! – Jetzt ist der Prozeß aus! – Ein schönes Paar! Die taugen gut zusammen! – Bis jetzt haben wir sie ausgelacht, jetzt lachen sie uns aus!« –

Allerhand Menschenkinder, jung und alt, Männlein und Weiblein, kamen auch aus den Häusern und den Werkstätten heraus, gaben ihnen freundlich die Hand, freuten sich, daß es so gegangen und wünschten ihnen Glück für ihr kommendes Leben. Die Frau Landrichterin, die am offenen Fenster saß, grüßte gleichfalls sehr verbindlich herunter und rief in ihrer besten Laune: »Freut mich herzlich, herzlich, daß die Germania endlich ihren Germanikus gefunden!« – eine Äußerung, die die Geschichtsfreunde in Kufstein damals sehr witzig fanden, die aber der Florian der schönen Rosi doch etwas erläutern mußte.

So traten sie kichernd und lachend in das Amtszimmer des Herrn Landrichters. Dieser freute sich höchlich, sie als Brautpaar begrüßen zu können, und sagte scherzend:

»Jetzt haben wir doch einen Vergleich, scheint mir, und hat die Sach' so bös herg'schaut! Wär' freilich recht angenehm, wenn jeder Prozeß mit einer Hochzeit ausginge.«

»Ha,« versetzte der Florian fröhlich, »ich hab' mir denkt, heiraten steht mir besser an, als abbitten, und sie hat auch nichts dagegen, die prächtige Dirn'! Jetzt, wenn uns die Leut' auslachen, lachen wir mit!«

»Und das Schmerzensgeld,« fuhr der Landrichter fort, »geb ich jetzt der Rosi hinaus. Kannst dir gleich eine Wiege kaufen und ein Kinderwägerl!«

Die schöne Rosi wußte in ihrer jetzigen Munterkeit diesen Ton auch nicht übel zu treffen und schäkerte mit dem Herrn Landrichter fort, bis dieser die vielen Dukaten aufgezählt und ihr übergeben hatte.

»Bist schon eine!« sagte er dann, »deinem Vater hast du das Geld nicht vergönnt, aber jetzt streichst du's selber ein und lachst dazu. So, nun b'hüt euch Gott, und grüßt mir die Eltern. Wenn ihr nicht glücklich werdet, dann wird's niemand mehr auf dieser Welt!«

Es wäre vielleicht zu wundern, daß bei diesen Vorgängen auf Herrn Thomas Hechenplaickner kein Bedacht genommen wurde, allein seine Genehmigung lag so sehr in der Luft, daß sie der Landrichter, der Florian und die Rosi unbedenklich als gegeben annahmen.

Man vermutete ihn zu Hause, aber er war wider Erwarten in der Stadt. Eine kurze Weile nämlich, nachdem der Einspänner mit seiner Tochter dahin war, kam ein alter Freund, der Wirt von Kössen, auf einem Wägelein daher und fütterte sein Rößlein in der Sewi, um von da in die Stadt zu fahren. Der alte Hechenplaickner, der über den Verlauf der Sache in der peinlichsten Unruhe schwebte und sich sehnlich in die Nähe des Landgerichts wünschte, sagte daher zu seinem Freunde: »Nu, ein bissel was hätt' ich auch zu tun in der Stadt; könntest mich leicht mitnehmen!«

Er saß aber kaum oben, als auch Frau Anastasia, welche von derselben Angst geplagt wurde, aus dem Hause trat und auf ihren Mann einen flehentlichen Blick richtete. Dieser verstand ihn aufs erstemal und sagte zu seinem Freunde:

»Schau, sie möchte halt auch dabei sein; steig' nur auf, Wirtin!«

Auf diese Weise war der Hechenplaickner mit seiner Frau in die Stadt gekommen und stand eben vor dem Landgericht, an dem er mißgünstig hinaufsah, als der Florian und die Rosi in der heitersten Laune herausstürzten.

»O der Vater!« riefen beide hoch erstaunt, aber doch in hellen Freuden, und der Florian fuhr gleich fort: »Lieber Vater, wir haben uns verglichen! wenn ich sie heirate, sagt die Rosi, so brauch ich ihr nicht abzubitten, und so denk ich wohl, du schenkst mir's auch.«

»Daß dich! Daß dich!« rief lachend der alte Hechenplaickner, der plötzlich so heiter und lustig, wie er seit einem Menschenalter nicht mehr gewesen, auch mit beiden Händen wonniglich auf seine Lederhose klatschte – »na, na, na! das hätt' dir aber schon lang einfallen können, Florian! Dir hätten wir sie alleweil vergunnt.«

»Dank von Herzen, lieber Vater,« entgegnete der Florian, »aber es ist jetzt auch noch recht worden. Wenn alles so ginge, wie es gehen sollte, so gäb es ja gar keine lustigen Geschichten und hätten die Leute nichts mehr zu lachen und nichts mehr zu erzählen.«

Wir nehmen gerne Akt von diesen Worten, welche schon vor vielen Jahren das dereinstige Erscheinen dieser Geschichte ahnen ließen und deren Mitteilung sozusagen auch autorisierten.

»Jetzt gehen wir aber zum Auracher!« rief der Florian, »da wartet die Mutter. Die freut sich schon lang!«

Sie wartete aber nicht allein, sondern mit ihr auch die Wirtin von der Sewi. Da nämlich der gute Freund, mit dem sie in die Stadt gefahren, beim Auracher Bräu eingestellt hatte, so ließ der alte Hechenplaickner seine Ehefrau einstweilen in die große Gaststube hinaufgehen. Dort sollte sie bleiben, bis er komme. Gar weit gerieten sie ja nicht auseinander, da der Auracher Bräu jetzt noch wie damals ganz nahe an dem k. k. Landgericht liegt.

Rosis Mutter mochte, nebenbei gesagt, wohl das traurigste Mitglied der Familie sein. Die Tochter hatte sich während der letzten Tage, wie es schien, in ihr Schicksal gefügt und schaute entsagend in eine ruhige, wenn auch freudenlose Zukunft. Den Vater beschäftigte damals nur die Abbitte und die Rache an seinem Gegner, während ihm alles übrige gleichgültig war. Frau Anastasia aber empfand die Verlassenheit und Vereinsamung ihrer lieben Tochter sehr schmerzlich. Der Rechtsstreit vor dem k. k. Landgericht schien ihr nur eine überflüssige Balgerei der Mannsbilder, von welcher für die weibliche Seite gar nichts abfallen könne, denn mit dem Siege ihres Eheherrn ging ja auch noch die letzte Möglichkeit verloren, die Rosi in Langkampfen versorgt und glücklich zu sehen, eine Möglichkeit, die sie zwar selbst kaum mehr als solche anschlug, aber doch immer noch nicht vergessen wollte. Eine Niederlage dagegen konnte in jener Richtung nichts bessern und nur dem Gelächter der bösen Welt neue Nahrung geben.

Frau Anastasia Hechenplaickner ging also in das Gasthaus hinein und in die große Stube hinauf. Dort saß an dem Erkertische eine ansehnliche Frau, die ihr des gleichen Standes und friedlicher Gemütsart schien, so daß sie an demselben Orte Platz nahm und, obwohl so niedergeschlagen und bekümmert, ihr doch einen guten Morgen wünschte.

Frau Euphrosyne Weitenmoser erwiderte den Gruß und fuhr dann freundlich fort:

»Kommt Ihr schon weit her, heute?«

»Von der Sewi!« war die trübsinnige Antwort.

Frau Euphrosyne wußte nun alles, aber um dem Gespräch seinen ruhigen Lauf zu lassen, sagte sie mit scheinbarem Gleichmut:

»Habt gewiß zu tun in der Stadt?«

Rosis Mutter wischte sich eine Träne aus dem Auge und sagte in merklicher Verlegenheit:

»Ja, ich hab' so einen Wehtagen, möchte gern mit dem Doktor reden.«

Da brach aber Frau Euphrosyne munter los und rief: »Gebt mir die Hand, Frau Hechenplaickner! Ich bin die Wirtin von Langkampfen. Euren Wehtagen kenn' ich – den haben wir alle gleich, und ein Doktor macht uns alle gesund!«

»Ja, meint Ihr, es geht gut?« fragte Frau Hechenplaickner in ängstlicher Freude.

Die Antwort kam von der Gasse herauf als ein schallender Juhschrei, mit welchem der Florian seiner Mutter verkündete, daß die Rosi seine Braut sei.

Sie gingen ans Fenster und grüßten mit beiden Händen hinunter:

»Hast den Doktor gehört?« fragte Frau Euphrosyne lachend die Wirtin von der Sewi, die in seligem Erstaunen sich kaum mehr verwußte.

Im nächsten Augenblicke aber waren sie um den Tisch im Erker vereinigt und da feierten der Florian und die Rosi bei fröhlichem Becherklang ihre Verlobung, und die Eltern hatten die größte Freude darob, daß sie diesen Tag noch erlebt. Nur der alte Weitenmoser konnte leider nicht dabei sein, aber der junge Lorenz wurde gleich geholt und schloß mit dem Florian ewige Freundschaft.

Und nachdem etliche Stunden in hoher Fröhlichkeit vergangen waren, stand der Florian auf und führte ihnen zu Gemüte, daß morgen Mariä Himmelfahrt, der große Frauentag sei, auf den sich alle Kräuter freuen, und die Blumen allzumal blühen da im schönsten Glanz. Also sollten auch sie sich freuen, und die herzlieben Leute von der Sewi, Eltern und Kinder, sollten alle morgen in sein väterliches Haus nach Langkampfen kommen und sich dort zum festlichen Mahle setzen.

Und am andern Tage, an Mariä Himmelfahrt, saßen Vater Hechenplaickner und seine Frau und alle seine Kinder mit dem Florian und seiner Mutter beim festlichen Mahle zu Langkampfen. Und als dies zu Ende ging, begann sich die Halle mit mancherlei Gönnern und Freunden zu füllen, die der Florian am vorigen Abend höflichst eingeladen hatte. Da erschien der Herr Landrichter mit seiner Gemahlin, der Herr Bürgermeister, der Seifensieder, der Bürstenbinder und der Nagelschmied von der Stadt, der Herr Pfarrer und der Herr Kaplan von Langkampfen, sowie der Valentin Hinterbichler von Walchsee, der's gestern noch in Kufstein gehört hatte und die Rosi zuvörderst um Verzeihung bat, die sie auch fröhlich gewährte. Ferner stellten sich die drei Maler ein, die mittlerweile ein Asyl in der bekannten Klause gefunden hatten und zuerst das Haus etwas scheu umgingen, von der Rosi und dem Florian aber bald bemerkt und freundlich hereingerufen wurden. Auch des Heißbauern Lisi und des Moosers Töchter und andere Mädchen, sowie ihre werten Väter und Mütter und alle frischen Burschen des Dorfes kamen freudig herzu.

Und damit von den Personen des Dramas bei dem fröhlichen Schlusse nicht eine einzige fehle, trat plötzlich auch Miß Lukrezia Johnson in den Saal. Sie war von Maria-Stein herabgekommen, gab dem Florian und der Rosi freundlichst und freudigst die Hand und wurde herzlichst aufgenommen.

Als aber alle die Ehrengedachten beisammen waren, traten die Spielleute ein und es begann der Tanz.

Da tat zuerst der Herr Landrichter einen Ehrentanz mit der schönen Rosi, wie auch der Florian mit der Frau Landrichterin. Hierauf hatte nach altem Brauch der »Hochzeiter« mit seiner Herzallerliebsten allein den Brauttanz auszuführen; nachher aber begannen die Burschen und die Mädeln sich unaufhaltsam in raschem Wirbel zu drehen, auch der Valentin mit der Löwin des Tages, was die vollständige Aussöhnung nicht verkennen ließ, dann auch die Maler, die heute gar so munter waren, mit der Rosi und mit dem englischen Fräulein, mit der Marie, der Petronella und der Apollonia. Und so stieg die Freudigkeit immer höher und später einmal trat sogar die Braut, »die prächtige Dirn'«, unter der großen Türe als Germania herein, »den Lorbeerkranz auf dem Scheitel, mit aufgelösten Haaren und wallendem Busen, die faltige Tunika über dem seidenen Festrock«, groß und hehr, aber wunderbar lieblich zugleich. Es bildete sich eine weite, erwartungsvolle Runde, an deren Ende sie, wie eine Überirdische, prangte und dann die Verslein deklamierte, »die Verslein, die ihr die Maler angelernt« – nämlich:

»Ans Vaterland, ans teure schließ' dich an;
Das halte fest mit deinem ganzen Herzen!
Dort sind die starken Wurzeln deiner Kraft.«

Diese Verse trug die Rosi mit tiefer Empfindung vor, so daß sie allen überhaupt und dem Florian insbesondere zu Herzen gingen. Letzterer konnte sich heute an der Germania, die ihm früher so bedenklich erschienen, wirklich nicht genug sehen und war so hingerissen von ihrer Schönheit und Pracht, daß er sich bald an ihren Hals stürzte und sie heiß und feurig küßte. Dies begeisterte alle die Gäste derart, daß sie in stürmische Glückwünsche ausbrachen und das Brautpaar donnernd leben ließen.

So verging der Tag in aller Herrlichkeit, und obgleich die gewöhnliche Weltgeschichte nichts von ihm erzählt, so war er doch unter den Tagen, welche der Florian und die Rosi erlebten, einer der schönsten und der glücklichsten.

Übrigens läge jeder im Irrtum, der da annehmen würde, die schöne Rosi habe damals »zum Fenster hinaus« und sozusagen in die zweite Hälfte unseres Jahrhunderts hereinsprechen wollen. Dies ist ihr nie eingefallen, denn unsere Geschichte spielt, wie eine exakte Forschung sicher herausstellen müßte, in den hoffnungsvollen Jahren des Vormärzes, wo die hochherzigen Tiroler auch noch zum großen deutschen Vaterlande oder wie man's damals nannte: zum Deutschen Bunde gehörten, und die Tiroler Mädeln noch die Germania vorstellen durften, ohne ihre politische Gesinnung verdächtig zu machen.

Um allen Mißverständnissen vorzubeugen, gab aber die Frau Landrichterin in Übereinstimmung mit dem weltklugen Herrn Bürstenbinder schon damals die Parole aus, die Rosi habe den Anschluß ans teure Vaterland, wenn darunter überhaupt Deutschland zu verstehen sei, nur in Bezug auf Wissenschaft und schöne Künste empfehlen wollen, und in dieser Beziehung ist derselbe auch noch heutigentags nicht bloß empfehlenswert, sondern sogar unentbehrlich.


Und auch die Hochzeit wurde bald darauf in ländlicher Pracht gefeiert, und die Ehe fiel so glücklich aus, daß noch nie eine glücklicher gewesen.

Weil aber nach der alten Sage die Götter neidisch sind, oder weil sie jene, die sie lieben, früh zu sich nehmen, so sind auch der Florian und die schöne Rosi nicht alt geworden, sondern eines bald nach dem andern, fast noch in der Blüte ihrer Jugend, dahingegangen.

Frau Anastasia Hechenplaickner soll später, nachdem ihr Mann aus dieser Welt geschieden und alle Töchter versorgt waren, ihren Wohnsitz in Langkampfen genommen und ihre letzten Jährlein mit Frau Euphrosyne Weitenmoser verlebt haben, in stetem Andenken an die lieben Kinder, deren Ruhestätte sie vom Lenz bis in den Herbst mit den schönsten Blumen zierten.

Der Herr Landrichter aber vereinigte auch diese seltsame Geschichte mit seinem Novellenschatze und erzählte sie nachher oft und gern, und leben jetzt noch einige Leute aus der damaligen Zeit, die sich recht gut daran erinnern können.


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