Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 5
Julius Stettenheim

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108 Der Feldzug im Ostsudan.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wie Sie uns in Ihrem jüngsten Brief mittheilen, haben Sie die Absicht, Berlin einen Besuch abzustatten. Sie können sich denken, daß und wie wir uns freuen werden, Sie wiederzusehen. Da Sie uns aber ausdrücklich auffordern, Sie am Bahnhof zu empfangen und Ihnen mit einigen passenden Worten Brod und Salz zu überreichen, können wir doch nicht umhin, Sie zu bitten, auf die Gewährung dieser seltsamen Bitte zu verzichten, da es uns selbstverständlich nicht einfällt, auf Ihre Marotte einzugehen. Augenscheinlich haben Sie von dem Empfang Spielhagen's in St. Petersburg gelesen und wollen sich nun einen ähnlichen in Berlin bereiten lassen. Dazu fehlt Ihnen aber leider die ruhmreiche Stellung 109 Spielhagen's in der Literatur, ganz abgesehen davon, daß die den Gast begrüßende Ueberreichung von Brod und Salz speciell eine russische Sitte ist, die wir in Deutschland noch nicht eingeführt haben, am allerwenigsten auf den Bahnhöfen. Keinenfalls aber dürfen Sie beanspruchen, daß, wenn sie eingeführt würde, bei Ihnen der Anfang gemacht werden solle. Kommen Sie also, wann es Ihnen beliebt, hierher, fahren Sie vom Bahnhof ins Hôtel und dann ohne Aufenthalt zu uns, wir werden uns, wie gesagt, sehr freuen, Sie zu sehen. Wir laden Sie schon jetzt zum Frühstück, bei welchem Sie Brod und Salz in hinreichender Menge finden werden.

Mehr noch würden wir uns allerdings freuen, wenn Sie uns einen beliebigen Kriegsbericht mitbrächten, den wir zum Abdruck bringen könnten. Es ist durchaus nöthig, daß wir dem Publikum wieder eine Nachricht von irgend einem Kriegsschauplatz bieten.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

110 Bernau, den 3. April 1884.

Marotte! Hinter diesem Wort verbergen Sie den Zuruf: »Schuster, bleib' bei Deinen Leistungen, Du hast nichts zu sein als der urkomische Appendix unserer Zeitung!« und damit nehmen Sie mir Salz und Brod vom Munde weg.

Marotte! Will ich denn als ein Spielhagen gelten, wenn ich mir auf dem Bahnhof in Berlin anstatt der Droschkenmarke die genannten Lebensmittel überreichen lassen wollte? O nein, aber wie jeder Schriftsteller sehne ich mich nach Zeichen der Anerkennung, die mir sagen, daß ich nicht etwa das vierte Rad am Velociped bin.

Marotte! Ich habe ja nicht verlangt, daß Sie mir Diamanten und Perlen in's Geld laufen lassen sollen, – der Tanz um das goldene Vließ ist mir stets verhaßt gewesen, – oder daß Sie mir Austern mit Trüffeln oder eine ähnliche kostspielige Lucullation veranstalten. Ich ersuchte Sie nur, mich mit Brod und Salz zu empfangen, sobald ich wie Antäus den Perron berührte. Dabei sollten Sie mich mit einer kurzen Ansprache begrüßen und mir ein Vivat auf die Stirne donnern, in welches die Umstehenden mit weithinschallendem Hüteschwenken eingestimmt hätten. Dann wollte ich, sichtlich gerührt und überrascht, einige Worte ergreifen und mich hierauf, von meinen Segenswünschen begleitet, stracks wie eine Schnur in das Centralhôtel begeben. Sie wollen nicht, und ich – verzeihen Sie das harte Wort! – verzichte.

Aber einzusehen vermag ich nicht, weshalb nur der 111 Romandichter mit Brod und Salz gekrönt werden soll. Auch ich habe mein Steckenpegasuschen, und wenn ich auch, wie Goethe sagt, keine Fensterscheiben male, so zeugen doch meine Berichte von Phantasie. Sie brauchten also wahrlich weder Zeter, noch Mordio zu schreien und nicht mit Augen, welche wie Würmer glühten, meinen bescheidenen Wunsch anzustarren. Jeder Schriftsteller schreibt, wie ihm die Feder gewachsen ist. Der Eine kothurnt am Reck der Bühne, der Andere erquickt den Leser im Novellenbade, der Dritte, ein Lyriker, taucht seine Harfe in die Hippokrene, der Vierte mästet sich ein Ränzlein auf dem Rücken an und beschreibt fremde Länder und Völker, der Fünfte feuilletonistet sich in den Herzen der Freunde federleichter Lectüre ein, der Sechste, zu dem meine Wenigkeit gehört, ist der Tages-Mommsen und berichtet über Alles, woraus sich Klio zusammensetzt, heute pêle, morgen mêle. Und nur dem Romandichter sollen Brod und Salz blühen? Da scheint mir doch Ihr Irren bedenklich menschlich zu sein.

Ich sende Ihnen einliegend etwas Feldzug im Ostsudan und zwar das Ende desselben, das mir auf den Nägeln brennt. Ostern naht, und ich sehne mich nach etwas Ruhe. Und damit mir dieselbe nicht durch einen Geldbriefträger gestört wird, bitte ich Sie schon jetzt um einen Vorschuß von – fast hätte ich 50 geschrieben – 60 Mark. Ich bin ein Freund runder Summen.

* * *

112 Suakin, den 1. April 1884.

W. Die Kriegsfurie neigt sich ihrem Ende entgegen. Glauben Sie nicht, daß ich Sie, weil heute der erste April beginnt, in diesen Monat schicken will, Sie würden mich mit Recht für ungeschickt halten. Wie dürfte ich auch eine derartige Pfeiferei zu schnurren wagen! Nein, die Engländer werden dies Land verlassen, in dem ja die Milch ohnehin nicht wie Honig fleußt, wo aber das längere Verweilen die englische Armee dem Erdboden gleichmachen würde.

Denn die Hitze hat begonnen. Von dem Augenblicke an, wo Helios mit dem ersten Dämmern der Aurora merken läßt, daß er nicht mit dem linken Rad seines Viergespanns zuerst aus dem Bette des Meeres hervorgerollt ist, sondern am wolkenlosen Horizont lachend dahinstürmt, bis zu der Stunde, in welcher die Lunascheibe am Himmel erscheint, herrscht eine Gluth, welche mit Graden kaum zu bezeichnen ist. Der Laubfrosch sitzt während des ganzen Tages auf der höchsten Sommersprosse seiner Leiter, und dem Quecksilber im Thermometer wird die Glasröhre zu niedrig. Nur der Schweißhund fühlt sich wohl, der Mensch aber, zumal der Europäer, vermag dieser bitteren Hitze nicht zu widerstehen. Die Soldaten gleichen im Umfallen den Fliegen. Angesichts dieser Gluth bekamen die Engländer, wie man im Spiel zu sagen pflegt, kalte Füße und entschlossen sich, dieses Land des Schreckens zu verlassen. Ich selbst leide furchtbar, obschon 113 mir ein Sklave, welchen ich neulich in einer englischen Wohlthätigkeitslotterie gewonnen habe, fortwährend Kühlung zufächelt und ich, unter uns gesagt, fast nackend gekleidet bin.

So sitze und schreibe ich wie Adam, bevor ihm Eva den Erisapfel gepflückt hatte. Rechnet man dazu die höchst mangelhafte Verpflegung, – es giebt nichts als Kameelspeise, zu der man eine Kokosnuß trinkt, – so kann man sich denken, wie sehr man die See herbeisehnt, um in dieselbe zu stechen.

Gestern Abend kamen mehrere Sheikhs von feindlich gesinnten Stämmen hier an, unterwarfen sich und versprachen, Osman Digma gefangen zu nehmen, wenn sie seiner habhaft würden. General Graham (sprich: Graham) antwortete ihnen, er werde die Meldung, daß der Rebell in ihre Hände gefallen sei, mit Gold aufwiegen. Dann fragten sie den General, ob es ihm nicht angenehmer sei, wenn sie Osman Digma tödteten, worauf der Heerführer antwortete: »Das überlasse ich Eurer besseren Einsicht, ich wäre schon befriedigt, wenn Ihr mir den beglaubigten Kopf bringt.« Die Sheikhs warfen sich nun zur Erde, schwangen sich dann zwischen die beiden Höcker ihrer Trampelthiere und jagten wüstwärts davon.

Heute höre ich, daß General Gordon als König des Sudan ausgerufen werden soll, es fehlten nur noch die nöthigen Bewohner, welche das Ausrufen besorgen. Sobald solche 114 indeß aufgetrieben werden: »Je nun – Sudan«, wie man hier zu sagen pflegt.

Morgen verlasse ich Suakin. Wohin werde ich meine Füße tragen?


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