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Herrn Wippchen in Bernau.
Wir senden Ihnen hiermit Ihren Bericht über das Erdbeben in Bernau zurück. Wir können derlei unserm Publikum nicht bieten, obschon wir gern anerkennen wollen, daß Sie das Bestreben hatten, uns etwas Sensationelles zur Veröffentlichung zu senden. Ein Erdbeben in Bernau! Wir wären einfach ausgelacht worden. Gerne wollen wir Ihnen ja glauben, daß Sie bedenklich geschwankt haben, als Sie am 28. November zu Bette gingen und daß sich der Pendel Ihrer Wanduhr hin und her bewegte; daraus aber können Sie doch unmöglich ein Erdbeben herleiten und nun alle Unebenheiten des dortigen Straßenpflasters, die Risse an alten Planken u. s. w. als die Folgen eines solchen gewaltigen 57 Naturereignisses bezeichnen. Hoffentlich sehen Sie ein, daß Sie hier weit über das Ziel hinausgeschossen haben.
Angenehmer ist uns Ihre freundliche Mittheilung, daß Sie beabsichtigen, dem Kriege zwischen den Persern und Kurden näher zu treten. Weshalb Sie aber für diesen Zweck die umgehende Zusendung eines persischen Teppichs verlangen, das ist uns absolut unerfindlich.
Wir bitten um einen Bericht über die Einnahme Dulcigno's, über welche hier äußerst wenig sichere Nachrichten verbreitet sind.
Ergebenst
Die Redaktion.
* * *
Bernau, den 2. December 1880.
Mit meinem ergebenen Erdbeben glaubte ich, Ihrem werthen Blatte eine große Gefälligkeit zu erweisen, und muß es nun erleben, daß Sie es mir zurückschicken, als hätte ich da irgend einen Hokus gepokust oder einen Schnick geschnackt. Und dies in einer Zeit, wo selbst eine Stadt wie Dortmund 58 seit dem 27. November sich eines Erdstoßes erfreut und es also doch wahrlich nicht so unglaubwürdig klingt, wenn auch aus meinem Ultima Bernau eine ähnliche Nachricht eintrifft. Mit Vergnügen ergreife ich also die Leber, um frei von derselben mit Ihnen zu sprechen.
Sie scheinen gar nicht einmal zu wissen, was ein Erdbeben ist, etwas, was jedes Kind weiß, welches mit Einem Fuß in der Wiege steht. Sie würden im anderen Fall meinen Bericht nicht für ein Entengewebe gehalten haben. So hören Sie denn. Keine Hemisphäre bebt an einer Stelle allein, der Erdstoß vollendet seinen Kreislauf in gerader Linie, und in allen Städten, welche auf dieser Linie liegen, spürt man ihn. Warum nun soll ich hier nicht der Einzige gewesen sein, der ihn gespürt hat? Ich kam, als der Wächter die zweite Geisterstunde tutete, nach Hause und schwankte wie ein Rohr zwischen zwei Gebündeln Heu. Kaum konnte ich das Schlüsselloch öffnen. In meinem Zimmer angelangt, bewegte sich der Pendel der Wanduhr hin und her. Ich wollte meine Stiefel vom Leder ziehen und war nicht im Stande, mich aufrecht zu halten. Mein armer Canarienhahn krähte ängstlich, als ich ihm eine Cigarre anbot. Ich wollte lesen, aber die Lettern tanzten mir vor den Augen. Meine Taschenuhr, welche sonst so pünktlich stillstand, tickte, als ich sie an's Ohr hielt, und das konnte keine Täuschung sein, denn mein Ohr hat noch nie getickt. Und da stürzte ich plötzlich vom Zimmer in's Bett hinein, daß ich laut aufschnarchte.
59 Kaum also hatte ich am Morgen meinen Häring geschlürft, als ich mich auch niedersetzte und den Artikel über das Bernauer Erdbeben schrieb, den Sie mir nun zurückschicken. Soll ich Ihnen einen Vorwurf machen? Das wäre ein Tropfen auf einen heißen Brei. Sie wollen eben meine Berichte nicht, wie sie sind, und doch gilt von ihnen das alte Wort: Sint, aut sunt, aut nonsens. Mir bleibt nichts als die Hoffnung, daß Sie das eines Tages doch einsehen werden, denn: Mit der Zeit pflückt man Regenwürmer, sagte der Hahn.
Heute schicke ich Ihnen die Uebergabe Dulcigno's. So wäre denn dieser Erispfahl aus dem Fleisch des Berliner Congresses glücklich entfernt. Es freut mich, daß noch nicht viel Authentisches über das Ereigniß verbreitet ist, so daß meine Phantasie die Zügel – verzeihen Sie das harte Wort! – in's Blaue schießen lassen kann.
Wenn Sie durch meine Zeilen böse gemacht sein sollten, so beschämen Sie mich durch einen Vorschuß von 50 Mark, und Alles wird wieder beim Alten sein.
* * *
Dulcigno, den 27. November 1880.
Bis Cattaro durch Courier.
W. Die letzten Tage waren in banger Erwartung verflossen. Man wußte, daß bei der strengen Kälte die Türken im Anzuge waren, die Albanesen schienen 60 entschlossen, mit den Würfeln in der Hand zu fallen, die Montenegriner dachten nicht daran, sich auch nur ein einziges Ei aus dem Felsennest nehmen zu lassen. Es bedurfte nur eines Tropfens, und das volle Pulverfaß lief über. Man fragte sich: Wenn es zur Entscheidung zwischen diesen Dreien kommt, wem von ihnen wird Mars den Apfel reichen?
So rückte der gestrige Mittagstisch heran. Die Montenegriner nahten unter dem Commando von Gjurovich. Die Albanesen erwarteten sie. Zwischen ihnen standen die Türken, deren Commandeur Derwisch Pascha erklärte: »Nun will ich doch einmal sehen, wer zuerst anfängt!« Das war eine großartige Friedenslist, denn nun wollten ihm weder die Monte-, noch die Albanegriner den Gefallen thun, zuerst anzufangen, so daß der Türke, den Beide hassen, bis auf die Haut blamirt war. Unter ostensiblem Gewehrschweigen zogen sich die Einen zurück, während die Anderen, dem Hahn die langersehnte Ruhe gönnend, ihren Einzug hielten. Erst eine spätere Klio wird entscheiden können, wer zuerst nicht angefangen hat.
Schon gestern Abend befand sich die Stadt in dulcigno jubilo. Man trank in allen Häusern, und das Tanzbein ruhte nicht eher, bis man es schwang. In diesem Trubel wurde mir der montenegrinische Gouverneur vorgestellt. Er heißt Popovich, und erröthend drückte ich ihm die Hand. Möge damit der blutige Berliner Congreß sein Ende erreicht haben!