Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 5
Julius Stettenheim

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67 II.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wir haben uns bis diesen Augenblick noch nicht zu entschließen vermocht, Ihren Bericht, in welchem Sie Ihre Flucht aus Egypten in so grellen Farben schildern, zum Abdruck zu bringen. Denn wir sagten uns, daß, sobald dieser erfolgt wäre, wir nothwendigerweise die Fortsetzung Ihrer Berichte unterbrechen müßten. Das Publikum, welches mit großem Interesse die Darstellung Ihrer Erlebnisse und erschütternden Abenteuer gelesen hätte, würde gleichzeitig bedauern, auf Ihre weiteren Mittheilungen aus Egypten verzichten zu müssen, da Sie doch unmöglich nach Ihrer glücklich bewerkstelligten Flucht ferner aus Kairo oder Alexandrien schreiben könnten.

Damit ist aber noch nicht gesagt, daß Ihr 68 Bericht für immer zurückgelegt sein soll. Wenn Ihnen eines Tages die egyptischen Ereignisse keinen Stoff mehr bieten, dann wird es wohl einen Moment geben, den Sie für Ihre Flucht für geeignet halten, indem Sie irgendwo einen Aufstand gegen die Europäer ins Werk setzen. Bis dahin hoffen wir noch viele interessante Berichte von Ihnen veröffentlichen zu können.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 6. Juli 1882.

Es thut mir leid, daß ich gewissermaßen in Ihren Papierkorb geflohen bin. Denn ich schreibe nicht eine einzige Zeile gerne der Vergessenheit anheim, ich bin der bleierne Midas, dem sich jedes Manuskript sofort in Lettern verwandeln muß, wenn ich Lust behalten soll, meine Feder ferner in die Spalten zu tauchen. Nichtsdestomehr bin ich aber diesmal mit Ihnen einverstanden. Ich sehe ein, daß ich mein Fersengeld sparen muß, wenn ich die Leser Ihres werthen Blattes auch ferner von Egypten aus gut unterrichten soll. Sie sehen, daß ich kein Unmensch bin und nicht wie Brennus im entscheidenden Moment meinen Victis ziehe und denselben in die Wagschale 69 werfe. Das würde ja den Verkehr zwischen uns nur erschweren und zerstörte – verzeihen Sie das harte Wort! – die Harmonie.

Auch aus anderen Gründen ist es mir recht lieb, daß Sie meine Flucht verhinderten. In meinem Manuskript befinden sich etliche Sätze, welche einer gründlichen Mutatis mutandis dringend bedürfen, und die ich mit der Eile der Minerva, in der sie entstanden, zu entschuldigen bitte. Es wäre Folgendes zu ändern oder ganz zu streichen:

1. erzähle ich, daß ich zur Flucht ein feuriges Nilpferd, oder gar einen Nilschimmel bestieg. Das könnte mißverstanden werden, da das Nilpferd überhaupt nicht geritten wird;

2. theile ich mit, daß ich eine Strecke mit der Krokodiligence zurücklegte. Eine solche Eilpost giebt es, wie ich höre, gar nicht, das Kroko muß also fort, obschon es um die Lokalfarbe Schade ist;

3. gelange ich auf der Flucht in das beliebte Delta und beschreibe dessen Lage, indem ich sage: »Das Delta liegt zwischen Gamma und Epsilon.« Das ist zwar richtig, kann aber wegfallen, weil es wohl jedem Quartaner, der die Tertia drückt, bekannt sein dürfte;

4. schildere ich, wie ich in der Wüste nahe daran war, vor Hunger in den Sand zu beißen, wenn nicht plötzlich ein Mannaregen eingetreten wäre und mich bis auf die Haut durchsättigt hätte. Bei dieser Gelegenheit spreche ich von 70 einem Mannapol, welches den Bewohnern der Wüste so viel Geld einbringe. Dies muß geändert werden, da es in Bismarck'schen Kreisen vielleicht ironisch klingen könnte;

5. findet sich in meinem Bericht die Mittheilung, daß ich auf der Flucht einem hellen Haufen dunkler Fellachen in die Hände gefallen und von ihnen gezwungen worden sei, den Ibis götzlich zu verehren und dann zur Ibiskirche überzutreten. Das muß sofort gestrichen werden. Ich habe die Ibisse im Brehm nachgeschlagen und finde, daß sie mit den Löffelreihern die vierte Familie der Stelzvögel bilden, ein solches höchstes Wesen paßt mir nicht. Ist es der Fama erst allgemein bekannt, daß ich einen Stelzvogel als Schöpfer anerkenne, so habe ich mir die Folgen selbst zuzuschreiben. Komme ich in einen zoologischen Garten oder in eine Menagerie, so wird man mich auffordern, einmal einen Ibis anzubeten, und wenn ich die nächste Zählkarte ausfülle, so müßte ich mich als Ibisraelit oder einfach als Stelzvogelgläubiger eintragen. Ja, ich müßte darauf gefaßt sein, daß meine grimmigsten Freunde, um mein religiöses Gefühl nicht zu verletzen, statt Adieu zu mir sagten: »Aibis!« ferner »Ibis bewahre!« oder: »O mein Ibis, wie lange habe ich Sie nicht gesehen!« und dergleichen. Das Alles wäre mir unangenehm;

6. endlich lasse ich mich trockenen Fußes derart durch das rothe Meer gehen, daß am jenseitigen Ufer meine Stiefel noch knarrten. Dies erscheint wohl übertrieben.

71 Ich reiße Ihnen hoffentlich nicht die Geduld, wenn ich Ihnen hiermit eine Zeichnung vorlege, nach welcher ich mich hauen zu lassen gedenke. Als Sphinx, die schon Manchem einen schwer zu knackenden Oedipus aufgab, werde ich mir als eine schöne Erinnerung an meine egyptische Thätigkeit erscheinen. Ich liege mir nur noch wegen des Materials in den Haaren. Der Marmor ist der Stein der Weisen, Könige und Feldherren, und ich bin weder die Einen, noch die Anderen. Bronze erscheint bald grün, und dazu bin ich doch nicht mehr jung genug. Elfenbein wäre mir bei den theuren Preisen der Elephantengebisse zu kostspielig, Oceanschaum schmutzt leicht. So bleibt mir nur der Sandstein übrig, der mir schon deshalb an's Herz gewachsen ist, weil seine erste Silbe den Namen meiner großen französischen Collegin trägt.

Noch eine andere Ueberraschung habe ich in meinem 72 unerschöpflichen Petto für Sie. Ich wollte Sie um einen Vorschuß von 100 Mark bitten, verlange aber nur die Hälfte, d. h. aus Liebe zum weiblichen Geschlecht die bessere Hälfte, also 60 Mark.

* * *

Alexandrien, den 4. Juli 1882.

W. »Niemand kann zween Fliegen mit Einer Klappe dienen,« – durch dieses alte Wort ist die Situation, in der sich Arabi Bey augenblicklich befindet, vollständig gekennzeichnet. Von Morgens in der Frühe an, wenn Phöbus den mit dem Hauspropheten bespannten goldenen Wagen aus der Remise des Oceans zieht, bis zum Abend, wenn Luna durch die Mondscheibe auf die Erde niederschaut, befinden sich die diplomatischen Vertreter Englands und Frankreichs bei dem allmächtigen Arabi. Jener will ihn stürzen, Dieser ihn halten. So ist er denn ein Tändstickor zwischen zwei schwedischen Schachteln. Die Herren bedrängen ihn derart, daß es dem Sultan kaum möglich war, ihm vor einigen Tagen das Knopfloch mit dem Medschidje-Orden und etlichen Pferdeschweifen zu füllen. Die englische Flotte droht, die Stadt in einen Schutthaufen, die französische, den Schutthaufen in die Stadt zu verwandeln. So liegen die Panzergeschwäder müßig im Hafen. Deutschland will den Frieden, wenn nöthig mit Waffengewalt, dasselbe will Italien. Das letztere Königreich verlangt ferner, die Türkei solle eine Armee nach 73 Egypten schicken, wogegen Arabi erklärt, der Weg ginge nur über seine Mumie. Arabi zögert noch, die Reise nach Konstantinopel anzutreten, also in die Höhle der Scheere zu gehen, welche schon so manchem Sultan die Parze durchschnitten hat Die Großmächte erklären aber, andernfalls die Europäer nicht schützen zu können, welche sämmtlich Egypten verlassen haben, so daß sich die ältesten Paschas nicht erinnern, seit dem Auszug der Kinder und Erwachsenen Israels eine solche Flucht erlebt zu haben. Füge ich noch hinzu, daß die Botschafter-Konferenz kein Resultat nach dem andern erzielt, so haben Sie in wenigen Worten die Lage der Dinge.

Sie ersehen daraus, daß wir entweder vor einem tiefen Frieden, oder vor einem noch tieferen Krieg stehen. Vielleicht schon morgen erscheint die Kriegstaube mit dem Degenstichblatt, vielleicht schon morgen wird Egypten mit Frieden überzogen. Was wird werden?


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