Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 5
Julius Stettenheim

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51 Herrn Wippchen in Bernau.

Ihr Artikel über die erfolgte Einäscherung Dulcignos durch die Flotte war bereits gesetzt, ja schon umbrochen, als wir uns genöthigt sahen, ihn wieder ablegen zu lassen. Denn im letzten Augenblick brachte der Telegraph wirklich die Nachricht von der Zerstörung des genannten Ortes, und ihr folgte das Dementi auf dem Fuße. Die Nachricht war falsch, und wir glaubten nicht nur im Interesse unseres Blattes, sondern auch in Ihrem Sinne zu handeln, wenn wir Ihren Bericht annullirten. Es schien uns ganz unmöglich, eine detaillirte Schilderung von der Zerstörung einer Stadt an dem Tage zu veröffentlichen, wo die Mittheilung eintraf, die Stadt sei ganz unversehrt.

Wir grüßen Sie

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 7. October 1880.

Sie haben meine Zerstörung Dulcignos mir aus der Seele zurückgelegt, und ich danke Ihnen recht sehr. Wo Sie Recht haben, werde ich niemals eigensinnig wie Shylock auf meinem Pfund Fleisch stehen, sondern gerne nachgeben. Sie sehen daraus, daß es mir nicht einfällt, muthwillig den Apfel vom Haupt der Eris zu schießen, und es wäre mir lieb, wenn Sie dies endlich einsehen wollten.

Wenn ich in dem betreffenden Bericht Dulcigno rücksichtslos in Sack und Asche verwandelte, alle Bewohner über die Bombe springen ließ und Kind und Kegel niedermähte, so war dies wahrlich keine angeborene Grausamkeit. Ich bin im Gegentheil – verzeihen Sie das harte Wort! – milde, ich könnte keine Fliege an der Wand ärgern und selbst der Suppe kein Haar krümmen, wenn ich ein solches in ihr fände, ja, hätte ich tausend Beine, ich würde Keinem eins stellen. Alle Thränen, welche das Schicksal schlägt, möchte ich schließen, alle Seufzer trocknen. Vor Allem bin ich ein Feind von Gewaltthätigkeiten, und das geht so weit, daß ich, der ich gern Reh- und Schmorbraten esse, diese nie wieder genießen würde, wenn ich Reh und Schmor selbst schießen müßte. Bin ich trotzdem mit Dulcigno so hart ins Gericht gegangen, so geschah dies, weil ich es nicht länger mit ansehen konnte, daß die europäische Flotte nicht aus dem Bett des Meeres heraus wollte, sondern die Zeit gleichsam verschlief. Europa, rief 53 ich in mir, hat A gesagt, nun durfte es auch das B nicht in der Scheide lassen. Die Kanonen gähnten, wie man nur in einem europäischen Concert gähnen kann, und Admiral Seymour (sprich Seymour) ging in dem Geschwader unruhig auf und ab, hißte Flaggen, warf Anker, legte sich die Seekarten, kurz, wußte vor lauter Ennuyance nicht, was er beginnen sollte. Eben lese ich, er sei auf einer Yacht nach Cettinje. Was das für Thiere sind, das weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß die Flotten-Demonstration in's Wasser fallen mußte, wenn Nichts geschah. Und da verheerte ich Dulcigno in einen Schutthaufen.

Wenn nun aber Seitens meiner Herren Collegen in einer Draht-Ente Dulcigno niedergebrannt worden ist, so freue ich mich, daß mein Bericht gar nicht das Licht der Druckerschwärze erblickt hat. Denn ich möchte um keinen Preis mit jenen leichtfertigen Berichterstattern in Einen Kamm geworfen werden.

Entschuldigen Sie mich schließlich, wenn mein heutiger Bericht nur kurz ist. Ich bin seit einigen Tagen nicht wohl. Was mir fehlt? Nun, ein Vorschuß von 50 Mark. Ich bitte darum.

* * *

Dulcigno, den 4. October 1880.

W. Der Arzt hat mir die tiefste Ruhe anempfohlen. Alsbald bestieg ich ein Schiff, und dies Kameel des Meeres 54 brachte mich glücklich hierher. Ich bewohne ein Zimmer mit der Aussicht auf die Flotten-Demonstration, – selbst als Geßner kann ich mir nichts Idyllischeres denken. Man könnte eine Magnetnadel fallen hören, so still ist es. Keine Bombe regt sich. Ueberall die erste Bürgerpflicht. Eben schnitt ich mit meinem Ring in die Fensterscheibe ein Ströphchen, welches lautet:

Ein gleiches.

        Ueber allen Geschwadern
Ist Ruh,
In allen Hinterladern
Spürest Du
Kaum einen Hauch.
Regt sich's im Mastenwalde?
Warte nur, balde
Ruhest Du auch.

Sie sehen, dies Dulcigno stimmte mich so poetisch, daß ich den Pegasus schlug.

Hier lebt sich's sehr lustig. Da dieser Ort einer der wenigen türkischen ist, welche von ihren Busenfeinden nichts zu fürchten haben, so strömen von alten Blättern der Windrose Fremde herbei, um hier den Herbst in Ruhe zu verleben. Darunter viele Damen, welche einige Zeit ihrer stillen Zurückgezogenheit entgegen zu sehen wünschen. Man tanzt bis in die Aurora hinein, kneipt Wein und Wangen 55 draller Bauernmädchen und wettet, welches Schiff zuerst nicht bombardiren wird. Ein halbmondfideles Leben!

Was dasselbe noch munterer macht, ist der Umstand, daß die Flotte augenscheinlich fürchtet, die Stadt mache nächstens eine Demonstration und bombardire die Schiffe, die daher eine große Angst ausstehen.

Ich lese, die Flotte koste Europa täglich ca. 200,000 Mark. Aber selbst wenn sie weniger kosten sollte, wäre das Vergnügen, daß sie Dulcigno bereitet, ein unbezahlbares.


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