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Herrn Wippchen in Bernau.
Die Fixigkeit, in der Sie vielen Ihrer Collegen über sind, hat Ihnen in Ihrem jüngsten Bericht einen Streich gespielt. Wir geben ja zu, daß die Störung des guten Einvernehmens zwischen Deutschland und England ernst genug aussah, doch dieselbe war nur von ganz kurzer Dauer: die Sendung des Grafen Herbert v. Bismarck nach London genügte, um alle Besorgnisse zu beseitigen. Von einer Krisis, einem Zerwürfniß oder dergleichen ist nicht mehr die Rede, Alles ist ausgeglichen. Sie aber sehen in dem genannten Staatsmanne nur den Ueberbringer einer Kriegserklärung Deutschlands an 80 Lord Granville, Sie hören in London »Nach Berlin!« schreien und sprechen von dem Ausbruch der Feindseligkeiten wie von einer Thatsache. Das geht denn doch zu weit, derlei Abstecher in das phantastische Gebiet können wir unmöglich mitmachen.
Auch Ihre »Erklärung« wollen wir lieber nicht veröffentlichen. Allerdings hat die Norddeutsche Allgemeine Zeitung auf die Mittheilung des Berliner Tageblatts, Graf v. Bismarck habe auch den Auftrag gehabt, einen Ausgleich zwischen England und Rußland in der afghanischen Frage herbeizuführen, offiziös bemerkt: »Fast will es uns scheinen, als ob unsere Kollegin das Opfer eines Korrespondenten in Bernau geworden sei.« Aber diese Bemerkung der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung macht Ihnen und Ihrer Phantasie ein Kompliment und kehrt sich gegen den Korrespondenten des Berliner Tageblatts, der sich, wie angenommen wird, düpiren ließ und in Folge dessen eine unglaubliche Nachricht verbreitet hat. Wenn Sie nun allen Ernstes erklären wollen, der bezeichnete Korrespondent sei nicht Ihr Opfer 81 geworden, so lenken Sie unnöthigerweise die Aufmerksamkeit auf sich, während doch ein Anderer in Bernau gemeint sein könnte, und ferner verrathen Sie Ihren Aufenthalt, der ja für die Leser ein Geheimniß sein und bleiben soll.
Wir haben eben von der afghanischen Frage gesprochen. Wie wäre es, wenn Sie dieselbe zum Gegenstande eines Berichtes machten?
Ergebenst
Die Redaktion.
* * *
Bernau, den 19. März 1885.
Zu meinem Leidwesen muß ich eingestehen, daß ich die eisernen Würfel über das Knie gebrochen und sie zu früh zwischen Deutschland und England habe fallen lassen. Wie konnte ich ahnen, daß sich die schwarzen Punkte am politischen Horizont so bald wieder glätten würden. Ich hatte ganz sicher geglaubt, daß sich die Krisis zu einem Erisapfel zuspitzen würde. Nun, ich habe mich geirrt. Kein Humanum ohne Errare. Uns Alten ist die Zukunft ein Sais mit sieben Schleiern, und selbst, wenn wir unseren Dreifuß auf ellenhohe Socken setzen, wir bleiben doch immer, was wir sind: keine Pythias. Sie aber haben nichts Eiligeres zu thun, 82 als mich in Ihren Augen herabzusetzen und mir den Holzweg nachzutragen, auf dem ich mich befinde. Weil ich den Handschuh aufnahm, der sich zwischen Deutschland und England drängte, nennen Sie mich einen Abstecher in das phantastische Gebiet, – ist dies schon Tollheit, hat es doch – verzeihen Sie das harte Wort! – Methode, und eben diese Methode ist es, die mir die Haare in die Wangen sträubt. Der Friede Europa's hing an dem einen Haar, welches Fürst Bismarck in der Rede Lord Granville's gefunden hatte, und jeden Augenblick konnten die Schwerter der beiden mächtigen Reiche aus der Haut fahren. Ich hatte mir, aufrichtig gesagt, schon für eine große Reihe blutiger Ereignisse das Papier zurechtgelegt. Freuen wir uns, daß es anders kam, daß es der Weisheit und Energie des Deutschen Reichskanzlers gelang, der Kriegshydra die Köpfe zu verdrehen und dem Janus die schon halbgeöffnete Thür des Tempels vor der Nase des Doppelgesichts zuzuwerfen. Mit vollem Recht schrieb ich daher heute in mein Tagebuch:
Gefahrvoll war, was nun vorüber ist,
Aufathmen wieder können Nord und Süden:
Herb über Alles ist der Völkerzwist,
Doch Herbert ist der europäische Frieden.
Einliegend sende ich Ihnen den englisch-russischen Conflict an der afghanischen Grenze. Ich habe denselben möglichst ernst gestaltet. Denn ich freue mich, England einmal 83 veranlassen zu können, dem nordischen Koloß auf die thönernen Hühneraugen zu treten.
Und nun eine Bitte. Wie überall, so sind auch hier gefälschte Fünfzigmarkscheine in Umlauf gesetzt. Ich denke, daß ich mich am Besten gegen Schaden schütze, wenn ich einen echten Schein besitze, mit dem ich einen etwa vorkommenden vergleichen kann. Sein Sie daher so freundlich, mir einen Fünfzigmarkschein als Vorschuß zu senden.
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Herat, den 10. März 1885.
W. Die Saison war im besten Zuge. Täglich tanzte man in allen Cirkeln bis in die anbrechende Aurora hinein. Kein nulla dies ohne sine linea, wie Apelles zu sagen pflegte. Der aristokratische Kreis veranstaltete glänzende Feste, und auf den untersten Steuerstufen des Volks war das Kaffeekränzchen beliebt, in denen Terpcichorie das Scepter schwang. Selbst Costümbälle fanden statt, die natürlich hier, wo die Menschen sonst nur wenig Costüm tragen, eine große Seltenheit bilden. Bei den Gastmählern floß die Cocosnuß in Strömen. Die Theater waren bis auf den letzten Apfel gefüllt. In den rauschenden Zerstreuungen schlug Einer dem Andern die Sorgen aus dem Kopf, und so wurde auch die längste Weile immer kürzer. Da verbreitete sich wie ein Lauffeuer aus heiterer Höhe die Nachricht: Die Russen kommen! Und sie hatten uns nicht getäuscht, sie standen an der Grenze.
84 Alles eilte bis an die Zähne zu den Waffen. Außer der Werbetrommel hörte man keine Musik mehr. Der Emir Abdurrhaman erklärte, nur über seine Asche führe der Weg nach Herat, und stellte sich an die Spitze der Truppen.
Die russische Armee hatte mittlerweile die Waffen nicht in den Schooß gelegt. Sie begann, siegestrunken bis zur Besinnungslosigkeit, den Vormarsch, als sich ihr die afghanischen Heeressäulen entgegenstellten. Vorgestern Morgen – der Hahn des Helios hatte noch nicht gekräht – griff die emirliche Garde die Russen muthvoll an. Der eine russische Todte vermehrte sich zu einem kolossalen Haufen, über den immer mehr Regimenter geworfen wurden. Der Emir, dem schon ein Kameelhöcker unter dem Leibe verwundet worden war, stürzte sich in das dichteste Getümmel, seine Truppen unablässig ermunternd, die Russen anzufeuern. Endlich kehrten die Afghanen den Russen den Rücken mit eisernem Besen. Die anfangs zahme Flucht verwandelte sich bald in eine wilde, und gegen Mittag waren die Russen wieder jenseits der Grenze. So nahmen sie statt Herat Reißaus.
Die Freude ist natürlich eine allgemeine. Die Stadt ist mit den Köpfen der Gefangenen festlich geschmückt. Der Emir hat befohlen, Alles, was er im Leihhaus verpfändet hat, unentgeltlich auszuliefern. Möge kein neuer russischer Angriff diese Freude stören!