Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 4
Julius Stettenheim

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71 Die Hussiten vor Bernau.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wir sagen Ihnen unsern herzlichsten Dank für Ihren Vorschlag, uns einen Artikel über die Hussiten vor Bernau schreiben zu wollen. Dadurch befreien Sie uns von einer großen Sorge. Vergeblich suchten wir im Conversations-Lexikon erst unter Hussiten, dann unter Koska, zuletzt unter Bernau. Unter Hussiten fanden wir keine Silbe über deren Erscheinen vor Bernau, Koska und Bernau waren überhaupt nicht zu finden, und auch im großen Weber suchten wir vergeblich. Nun hieß es aber in mehreren Blättern, nicht nur Bernau, sondern durch Bernau sei auch Berlin vor nunmehr 450 Jahren einer schrecklichen Gefahr entronnen, indem die Bernauer die Hussiten auf's 72 Haupt schlugen, so daß diese Barbaren nicht mehr die Zeit fanden, Berlin dem Erdboden gleich zu machen. Wir mußten uns also beeilen, dies historisch darzustellen; aber wie wir das machen sollten, das wußten wir nicht. Da kommt Ihr werther Brief. Nochmals herzlichen Dank. Senden Sie uns recht bald den versprochenen Artikel.

Mit Bezug auf Ihr Verlangen, Ihnen aus dem Aquarium eine Feldschlange zu schicken, da Sie mit derselben sich am Festzuge der Bernauer Bürger betheiligen möchten, machen wir Sie darauf aufmerksam, daß die im Aquarium angekommenen Feldschlangen keine mittelalterlichen Kanonen sind, wie Sie zu glauben scheinen, sondern wirkliche Schlangen, furchtbare Bestien, welche sich im Festzuge wohl nicht gut verwenden ließen.

Mit bestem Gruß

ergebenst

Die Redaktion.

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73 Bernau, den 11. Mai 1882.

Ich konnte es mir nicht versagen, Ihren werthen letzten Umschlag mit einer gewissen Bangigkeit zu öffnen, weil ich fürchtete, durch Ihre Antwort in einen rasenden Ariost verwandelt zu werden. Denn ich mußte nach früheren Erfahrungen annehmen, daß ich abermals einen Vorschlag in's Wasser gethan und also vergeblich mich bemüht hätte. Noch mehr fürchtete ich, daß Sie meine Idee mit einer Miene acceptiren würden, als wollten Sie sagen: Ein blindes Huhn legt auch einmal ein Ei. Umsomehr freut es mich, daß Sie eingestehen, ich käme Ihnen mal bon à propos, selbst auf die Gefahr hin, daß Sie nachträglich von meinem Artikel sagen werden: Eine Schwalbe macht den Kohl nicht fett.

Meine Lippen umspielte ein mitleidiges Achselzucken, als ich las, daß Sie sowohl den Brockhaus, als auch den großen Weber bis zur Neige durchblättert hatten, ohne etwas über die Niederlage der Hussiten vor Bernau zu finden. Als sei es eine Kunst, den Heißhunger des Publikums mit abgeschriebenen Spalten zu kühlen! Für mich aber haben Beschreibungen von historischen Ereignissen, über welche sämmtliche gut eingerichteten Brockhäuser nichts enthalten, gerade einen – verzeihen Sie das harte Wort! – großen Reiz. Kein Handbuch leistet mir einen Dienst, wie mein wahrhaft schweinslederner Finger, aus dem ich mir Alles sauge; ja, wenn Leute Ihrer Art Bücherwürmer sind, so bin ich ein

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74 Fingerwurm und werde es bleiben bis an mein Grabesende. So liefere ich Ihnen denn eingeschlossen eine Darstellung der Bernauer Ereignisse im Jahre 1432, wie sie kein Blatt authentischer bringen wird.

Gleichzeitig überreiche ich Ihnen mein Portrait als 1432jähriger Bernauer Bürger. Die eiserne Rüstung ist von echter alter Pappe, Kenner werden mich kaum von einem Pappenheimer unterscheiden können. Als ich in diesem Bernauer Frühlings-Anzug des tausend und fünften Jahrhunderts bei dem Photographen eintrat, lief derselbe mit jähem Spornstreich davon, woran ich sah, daß er mich für einen Vorfahren hielt, und erst, als ich ihm nachrief, daß ich die Bilder baar bezahlen wollte, kehrte er zurück, um mich, wie Sie sehen, sprechend zu photographiren. Hoffentlich ist Ihnen das Bild willkommen, obschon ich auf demselben wie ein Eisenspeiser aussehe, aber es ging eben nicht anders. Wenn ich statt des Panzers einen Frack angezogen und für die Lanze einen Regenschirm in der Hand hätte, so würde mich Niemand für einen Mann halten, der am 24. April 1432 die Hussiten derart in die Flucht schlug, daß kein Gras auf ihnen wuchs. Aber darum handelt es sich ja gerade.

Die Bernauer bedecken sich allmälig mit Fahnen und Guirlanden, denn sie sind mit Recht stolz auf ein Fest, durch welches sie nicht nur sich, sondern auch die Berliner vor dem Untergang bewahrt haben. Die alte Festung sieht wie festlich rasirt aus. Eben kommen jubelnd die drei Tonnen Bier 76 von Danziger, F. W. Richter und O. Schür an, ein Trunk, welcher den Wahlspruch der damaligen tapferen Bernauer »Siechen oder sterben!« an der Stirn trägt. Alles deutet darauf hin, daß sich am 15. die ältesten Leute nicht werden erinnern können, einem schöneren Tag beigewohnt zu haben.

Damit es auch mir an diesem Tage nicht an Charakteristischem fehle, bitte ich Sie um einen Vorschuß von sechs der ältesten Zehnmarkstücke, welche Sie auftreiben können. Auch einige antike Thaler wären mir sehr willkommen.

* * *

Bernau, den 10. Mai 1882.

W. Vor mir liegt eine alte Chronik dieser Stadt aus dem Ende des 15. Jahrhunderts. Von der Straße herauf tönen die Ehrenpforten, welche vom Empfang der Gäste erbaut sind, – und so studire ich gewissermaßen in festlicher Stimmung die Geschichte, welche in einigen Tagen gefeiert werden soll. Man höre.

6. April 1432. Bernau (Biernau?) ist in großer Erregung. Die Hussiten, geführt von dem Kinderfreund Procop dem Großen oder dem Kahlen, zogen von der Naumburger Vogelwiese ab und nähern sich unserer Gegend. Man fürchtet, daß sie auf dem Zug nach Berlin unsere Stadt stürmen werden. Alles bewaffnet sich. Die Kettenpanzer werden zum 77 Kostenpreis nach der Elle verkauft. Selbst alte Mädchen kommen unter die Sturmhaube.

8. April. Eben bringt die Post den Fehdebrief der Hussiten an den Bürgermeister Bernhard Altstetter. Der Brief ist unfrankirt und voll Grobheiten, die sich nicht wiedergeben lassen. Alles gerieth in Harnisch und Spieß. Von Männern gezogene Kanonen werden auf die Wälle gebracht. Leider fehlt es an Putzpulver für die Panzer. Aber überall hört man nur das Eine Losungswort: Berlin muß gerettet werden!

12. April. Eine höchst originelle Idee Seitens eines Stadtverordneten und bedeutenden Lebensmittelfälschers stand in der gestrigen Stadtverordneten-Versammlung auf der Tagesordnung. Die Hussiten sollen mit Bier betrunken gemacht und dann mit der Geschwindigkeit ihrer eigenen Affen vernichtet werden. Heute wurden schon 25 Tonnen Bier gefälscht. Ueberall ertönt aus dem Munde begeisterter Hellebarden »die Wacht an der Panke«.

15. April. Die Hussiten sind da. Soweit das Auge reicht, hört man ihre wilden Kriegslieder. Auch in Bernau wird aus voller Armbrust ein Schelmenlied gesungen, welches mit den Worten beginnt:

»Du bist verrückt, Hussit,
Du mußt nach Berlin«.

Der Biereifer wächst.

18. April. Die Hussiten sind noch immer da. Die Bernauer sind parat. Alles geht in eisernen Tricots einher, 78 Damen in Panzertaillen. Heute wurde an einem Ochsen eine Bierprobe gemacht: nach zehn Seideln und einem Schnitt lag er unter dem Tisch.

22. April. Eben wurde das Bier in's Lager geschickt. Die Hussiten haben den Transport abgefangen. Auf Befehl ihres Führers Koska soll am 24. ein großer Commers auf dem rothen Feld stattfinden. Das kann hübsch werden.

24. April. Der Commers fand statt. Kaum aber hatten die Hussiten zehn Seidel hinter das Visir gegossen, als sie auch schon die schreckliche Wirkung spürten. Da fielen die Bernauer über sie her, und es entstand ein so furchtbares Blutbad, daß die Bernauer sich die eisernen Beinschienen aufkrempeln mußten. Das Schlachtfeld war mit den Blechschädeln der Hussiten bedeckt. Viele Hussiten flohen, indem sie riefen: »Alles gerettet!« Es wird Victoria geschossen.

25. April. Vor Bernau nichts Neues. Kein Hussit zu sehen. Die Bernauer sind auf Leiterwagen nach dem herrlichen Schloßpark von Lanke gefahren, den der Graf von Redern, der Besitzer desselben, für die Siegesfeier den mit Festkarten versehenen Befreiern Berlins zur Verfügung gestellt hat.

Damit endet in der Chronik die Geschichte von den Hussiten vor Bernau, mit der ich den Leser bekannt machen wollte.


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