Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 3
Julius Stettenheim

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141 Die Insurrection in der Herzegowina.

I.

Herrn Wippchen in Bernau.

Herzlichsten Dank sagen wir Ihnen für Ihre Mittheilung, daß Sie die Ereignisse in der Herzegowina zum Gegenstand Ihrer Berichte bestimmt haben. Mit gewohntem Scharfblick haben Sie wieder das Richtige herausgefunden. Wochenlang hatten wir erwartet, daß Ihnen irgend ein Krieg einfallen würde. Wir selbst suchten, ohne indeß etwas zu finden. Unsere Leser sind längst ungeduldig geworden, nachdem sie zum Ueberdruß mit Leitartikeln über die unerquicklichen Zustände im Reich gefüttert worden waren. Davon will Niemand mehr etwas hören. Uns selbst erscheint jede Nummer, welche wir mit den parlamentarischen, wirthschafts- und kirchenpolitischen Streitfragen zu füllen genöthigt sind, als 142 abgeschmackt langweilig, und wir athmeten daher auf, als Sie uns mittheilten, daß Sie uns wieder mit einem Kriegsschauplatz unterstützen wollen. Seien Sie nur so freundlich, recht bald Ihr Versprechen zu erfüllen.

Da Sie uns in einer Nachschrift Ihres freundlichen Briefes um einen eisernen Vorhang für Ihr Bett ersuchen, so versichern wir Ihnen, daß wir Sie nicht verstehen. Sie sagen, daß Sie Abends im Bette zu lesen pflegen, und es also leicht geschehen könnte, daß Ihre Kissen in Brand gerathen, in diesem Fall möchten Sie einen eisernen Vorhang herablassen. Derlei Vorhänge sind aber nie von Eisen, – wir rathen Ihnen, falls Ihre Kissen einmal brennen sollten, rasch aus dem Bett zu springen, anstatt sich durch eiserne Vorrichtungen einzusperren und dann unfehlbar zu rösten.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 7. Februar 1882.

Gerne wäre ich nach Berlin gekommen, um Ihnen für Ihre liebenswürdigen Zeilen mündlich die Hand zu drücken. 143 Indeß ist die Zeit derart aus den Fugen, daß ich keine habe. Meine Vorbereitungen für die Ereignisse in der Herzegowina, welche Bismarck ein Bißchen nannte, welche aber ein ordentlicher Biß in's österreichische Bein ist, nehmen mich sehr in Anspruch, indem ich den ganzen Tag die Wiener Zeitungen lese, um dahinter zu kommen, wo denn eigentlich der unentwirrbar scheinende gordische Hund begraben liegt. Ich habe mich nun entschlossen, Rußland die Schuld an dem Aufstand in die thönernen Schuhe zu schieben. Andere Schuhe passen mir nicht, aber Rußlands Schuhe können eben einen Stiefel vertragen. Rußland, so habe ich beschlossen, will Oesterreich die Provinz wieder abjagen helfen und sich dann in's Schnippchen lachen. Woher hätte sonst die Herzegowina, dieses kleine Land, dieses Dreichesterhoch, die Mittel? Das Blut eines Aufstandes läuft in's Geld. Wenn ein Volk sich losreißen will und hat keine Waffen, so kräht kein Hahn einer Flinte darnach. Schon Tell sagt: Kein Geld, kein Schweizer, und das Wort: Civis pacem, para bellum ist mir nur deshalb stets so geistreich vorgekommen, weil Para eine türkische Münze ist. In unserem Fall ist der Rubel die silberne Karnickelmünze, mit deren Hülfe sich die Herzegowina auf die bis an die Zähne bewaffneten Hinterbeine stellte.

Ueber die österreichischen Truppenbewegungen will ich heute – verzeihen Sie das harte Wort! – Stillschweigen beobachten. Es wäre mir ja ein Leichtes, die Route nach der Herzegowina mit Fuß- und Pferdevolk zu überfluthen, 144 aber es ist der Regierung nicht angenehm, wenn die Presse die einzelnen Colonnen aus der Kriegsschule plaudert und dadurch verhindert, daß der Feind über- oder unterrumpelt werden kann, oder verschuldet, daß man ihm anstatt in den Rücken in die Hände fällt.

Seien Sie auch unbesorgt: ich werde mit der Herzegowina soviel Federschreibens wie möglich machen, so daß wir eine hübsche Reihe von Berichten aus dieser Kriegsfurie herausschlagen, selbst auf die Gefahr hin, daß die Leser klagen, der Gegenstand zöge sich durch das laufende Quartal wie ein rother Bandwurm.

Da ich nun, wenn ich mich auf Kriegsschauplätzen befinde, viel zu Hause sein muß, um ungestört als eiserner Würfeldenker zu arbeiten, so stört mich nichts so sehr als der Besuch von Gläubigern, deren Bitten um Geld stets meinen angenehmsten Kanonendonner übertönen und mich aus der gewohnten Schlachtordnung reißen. Wollen Sie also, daß mich Frau- und Manichäer in diesem Kriege in Frieden lassen, damit ich auch das kleinste Scharmützel sorgfältig feilen kann, so senden Sie mir einen Vorschuß von höchstens 80 Mark oder mehr. Der Cours für österreichische Banknoten ist 170½.

* * *

Serajewo, den 5. Februar 1882.

W. Was ich in der Eile nicht vorhergesagt hatte, ist geschehen: In der Herzegowina lodert der Aufstand in Strömen. 145 Der Friede war nur Maske, die Unterthänigkeit Domino, der Eid der Treue Pappnase. Los von Oesterreich! lautet das Stadt- und Feldgeschrei. Ueberall werden Ketten gesprengt, Joche abgeschüttelt, Fesseln zerbrochen, alle Bande frommer Scheu lösen sich, alle Laster walten frei. Das Letztere ist mir das Unangenehmste, besonders da ich Weiber zu Hyänen werden, mit Entsetzen Scherz treiben, und sie, noch zuckend, mit des Panthers Zähnen das Herz zerreißen sehe. Das sind ganz unhaltbare Zustände! Denn, so gefährlich (ganz abgesehen von dem Muthwillen) es immerhin sein mag, den Löwen im Schlaf zu stören, und so verderblich das Gebiß des blutgetränkten Tigers werden kann, schrecklicher ist doch der Mensch in seinem Wahn. Dies zeigt sich wieder einmal bei den Herzegowinesen!

Hier herrscht Anarchie. An Geschäft wird nicht gedacht. Dutzendweise werden die Hände in den Schooß gelegt. Der Schmied, bei dem ich gestern meinem Pferde ein Paar neue Hufeisen anmessen ließ, sagte betrübt, es ginge so schlecht, daß nächstens sein Ambos unter den Hammer komme. Ich tröstete ihn so gut er konnte, sagte ihm: Du wirst nicht untergehen, Unkraut schwimmt oben! er war aber nicht zu beruhigen.

Ich bin noch sehr müde von der langen Fahrt und habe mich noch nicht mit der Situation so bekannt gemacht, daß ich Details melden kann. Daß aber die Insurgenten nicht aus dem Korn geschnitzt sind, in das man die Flinte wirft, 146 steht fest. So fielen mir bei Ranjcukula (sprich: Ranjcukula) mehrere Insurgenten mit zwei Nasen auf, deren immer eine der Nase eines Feindes wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich sah. Auch von den Ohren hört man, daß sie nicht sicher sind. Auf allen Gemeinplätzen sammeln sich die Männer und greifen zum Aeußersten. Ueberall wird der Werbetambour gerührt. Der Gebildete trägt die Flinte, der Flegel die Heugabel. Geschrei überall: Zu den Waffen! Gestern Abend sagte ein Aufständischer zu mir: Ein einziger Sieg, und wir marschiren nach Wien!

Ah! Ah! machte ich. Hätte ich gezweifelt, so würde der Wüthende mir vielleicht mein letztes Stündlein geschlagen haben.

So stehen wir vor großen Schatten, – wie werden die künftigen Ereignisse sein?


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