Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 3
Julius Stettenheim

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86 II.

Herrn Wippchen in Bernau.

Diese Zeilen bezwecken nur, Sie zu ersuchen, mit Ihren Berichten aus Athen fortzufahren, dieselben aber mehr den Ereignissen zu widmen, welche ihre Ueberschrift andeutet. Ihr letzter Bericht präsentirte sich in Gestalt eines Feuilletons, welches unter der Versicherung, ein Gesellschaftsbild aus Athen zu liefern, in ziemlicher Breite von dem heidnischen Jüngling erzählte, der nach Athen gezogen kam und, dort noch unbekannt, die Tochter eines christlichen Bürgers, den er sich gewogen hoffte, heirathen wollte. Und so erzählen Sie weiter bis zum Scheiterhaufen »Die Braut von Corinth« von Goethe! Sie sehen wohl ein, daß wir in solcher Weise, die wir nicht näher bezeichnen wollen, den Spott unserer Leser nicht herausfordern dürfen. Sein Sie also so freundlich, zukünftig sich die Mühe zu 87 ersparen, unsere Abonnenten mit Goethe'schen Balladen bekannt zu machen, indem Sie obenein den Inhalt derselben gewissermaßen als Tageschronik vortragen.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 3. Februar 1881.

Ich will Ihnen durchaus nicht widersprechen, aber mein Princip ist, nicht nur die altera, sondern auch den pars zu hören. Sie sehen, ich bin mit meinem Latein noch nicht zu Ende, wenn ich mir auch denken kann, daß Sie nicht Lust hatten, meine Braut von Corinth dem Druck zu übergeben. Denn es fehlt Ihnen – verzeihen Sie das harte Wort! – der Idealismus. Sie sind Materialist. Seien Sie nicht böse darüber, daß ich Ihnen gegenüber einen so vertrauten Fuß anschlage, aber ich muß es doch endlich einmal offen sagen, wie groß die lange Weile ist, welche die zwischen uns liegende Kluft zum Gähnen bringt. Und daß diese Kluft niemals überbrückt werden wird, das ist die einzige Manschette, vor der ich Furcht habe. Ich wiederhole: Sie sind Materialist, Sie werden niemals einsehen, daß die Balladen unserer Dichterfürsten eine edlere Lectüre sind als die Reporternotizen, welche die Alt- und Neugierde des 88 Mobhagels sättigen. Kaum erzählte ich also, was der große Dioskur von Weimar gedichtet hatte, als Ihnen auch ein Stier, dem der Toreador ein rothes Tuch vorhält, über die Leber lief. So sind Sie ein echtes Kind der Neuzeit, deren von mir so gehaßter Wahlspruch der des Noah ist: »Nach mir die Sündfluth!« Zu diesem aber werde ich mich niemals bekennen, und wenn ich keinen rothen Mammon mehr in der Tasche habe, um meinen Schmachtriemen zu stillen. Hängen Sie also meinethalben den ganzen Parnaß an den Nagel, ich schlage unentwegt den Pegasus und besteige zu meiner Erholung die Harfe. Streichen Sie zur Linken, lassen Sie mich zur Rechten dichten, wie Abraham zu dem unglücklichen Gatten der Salzsäule sagte.

Um Ihnen aber zu zeigen, daß ich nach wie vor Ihr unerbittlicher Freund bin, sende ich Ihnen einliegend meine Visitenphotographie. Sie werden mich getroffen fühlen. Daß ich als Grieche erscheine, ist ja natürlich, da ich augenblicklich mehr, als jemals im Griechenthum stecke. Anfangs hatte ich die Absicht, mich als Demosthenes, den ich besonders verehre, photographiren zu lassen, aber als ich den Photographen fragte, ob er Steine habe, die ich in den Mund stecken könne, da hatte er nur Dominosteine, und diese waren so scharfkantig, daß sie mir, als ich ein freundliches Gesicht machen sollte, so weh thaten, daß ich die Idee fallen ließ. Ebenso den Sokrates mit dem Giftbecher, weil der Photograph sagte, ich sähe wie Gambrinus aus. Das wollte ich 90 nicht, da die alten Griechen wohl den Salamander, aber nicht das Bier gekannt haben. So borgte ich mir denn unter dem Vorgeben, eine Mumme schanzen zu wollen, von einem Maskenverleiher einen modernen Griechen und trat mit einem Heureka! wieder vor die Linse des Photographen.

Leider kann ich meinen nächsten Brief nicht beginnen, ohne meinen heutigen mit einer Bitte zu schließen. Ich muß trotz des dauernden Steuererlasses um einen Vorschuß von 40 Drachmen (1 Drachme = 100 Lepta) ersuchen. Weniger zu fordern, verbietet mir Ihre Güte.

»Nach Golde drängt,
Am Kalbe hängt
Doch alles! Ach, wir Armen!«

* * *

Athen, den 31. Januar 1881.

W. Noch immer bläst man mit der Kriegsdrommete in die Funken, welche unter der Asche glimmen, noch immer rasselt man mit der Siegesgöttin. Jeder Grieche gleicht darin dem Faust, daß er von dem Dämon des Krieges wie von Mephistophokles ergriffen ist und in's Verderben geführt wird. Der Wunsch nach Erweiterung der Grenzen kennt keine mehr. Von der Wahrheit des alten Satzes: »Wen Gott verderben will, der zerbricht sich vorher den Kopf« scheint Niemand überzeugt zu sein, und doch würden Jedem, 91 der die Lage Griechenlands genau kennte, die Augen in Fleisch und Blut übergehen. Wer hier Wandel stiftete, würde ein gutes Werk schaffen. Denn daß Europa nicht daran denkt, für Griechenland die Kastanien aus den Gärten der Hesperiden zu holen, das liegt doch wahrlich auf der allerflachsten Hand. Aber, wie gesagt, die Griechen, vor Allen die Athener, kennen keinen modus in dem rebus, den sie sich zu rathen vorgenommen haben, – daß die Pallas Athene schief gehen kann, daran denkt Niemand!

So gestern. Ich war im Aeschylos-Theater. Mit Mühe hatte ich mir einen Platz in einer Orchestra-Loge erschwungen. Man gab die Frösche von Aristophanes. Auf dem Zettel stand: Sämmtliche Masken und Kothurne neu. Das Theater war ausverkauft, es konnte keine Olive zur Erde fallen, und bei jeder Anspielung auf die Türkei, auf den Krieg, auf Bismarck u. s. w. erdröhnten die Zuschauer von lautem Evoëklatschen.

Als aber das Stück nicht, wie man erwartet hatte, mit dem Einzug der Griechen in Constantinopel schloß, da gefiel es durch, und das empörte Publikum bewarf die Chorführer und die reizende Parabase mit faulen Feigen, so daß heute schon an Stelle der Frösche Se. Majestät der König Oedipus gegeben wird.

So treibt Alles in den Mars hinein. Dazu kommt noch, daß die Athener immer noch in alten Erinnerungen schwelgen, und daß sich selbst die jungen Griechen einreden, 92 sie seien schon alte. So lernte ich gestern einen bei den Drakonern dienenden jungen Juristen, Namens Millertiades, kennen, welcher mir auf die Frage, weshalb er so traurig sei, antwortete: »Ich denke daran, wie göttlich die Vergangenheit war, da die schönen Wesen aus dem Fabelland selige Geschlechter an der Freude leichtem Gängelband noch geführt und noch die Welt regiert haben.« Ich tröstete ihn, indem ich sagte: Nun, nun, es wird sich wohl wieder machen. »Ach,« rief er, »nein! Sehen Sie, wo jetzt nur, wie unsre Weisen sagen, (ich verneigte mich) ein Feuerball sich seelenlos dreht, lenkte damals Helios in stiller Majestät seinen goldenen Wagen. Da füllten Oreaden diese Höhen, in jedem Baum lebte eine Dryas . . .« Ich unterbrach ihn: Ja, junger Freund, die haben sich nun alle auf des Pindus Höhen gerettet, denn was unsterblich im Gesang leben soll, das muß selbstredend im Leben untergehn, das kann Alles nichts helfen! Er war trotzdem nicht zu beruhigen.

Sonderbare Menschen! Und die wollen mit der Türkei in das blutige Geschirr gehen!


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