Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 3
Julius Stettenheim

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53 Die Einnahme von Tamatave.

Herrn Wippchen in Bernau.

Seit den Moskauer Krönungstagen haben wir außer einigen Bitten um Vorschuß keine Zeile von Ihnen empfangen. Wir bedauern dies um so mehr, als es uns in der jetzt herrschenden todten Saison ohnehin an Stoff fehlt und wir nicht recht wissen, womit wir unsere Leser fesseln sollen. Es ist jetzt die Zeit der Reise- und Saison-Abonnements, und dieses Publikum verlangt nach möglichst zeitkürzender Lectüre. Zu dieser zählt in erster Reihe die Darstellung von kriegerischen Ereignissen. Feuilletons wissenschaftlichen oder literarischen Inhalts sind von Sommerfrischlern und Badegästen am allerwenigsten gern gesehen oder gar gelesen, und darum hoffen wir keine 54 Fehlbitte zu thun, wenn wir Sie ersuchen, wieder zur Feder zu greifen.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 26. Ju1i 1885.

Wenn Tell, um dem Geßler einen Strich durch die Rechnung mit dem Himmel zu machen, auf offener hohler Gasse bei – verzeihen Sie das harte Wort! – Küßnacht seinen berühmten Monolog hält, dann pflegt er wohl zu sagen: »Du hast aus meinem Frieden mich herausgeschreckt«. Ich rede Ihnen nicht ein, daß ich Tell bin, und möchte Sie um keinen Preis mit einem Vogt wie Geßler auf eine Stufe stellen, der selbst den Apfel auf des unschuldigen Kindes Haupt nicht schont, ganz abgesehen davon, daß ich nicht daran denke, Ihnen aus voller Armbrust den Tod zu wünschen. Aber unwillkürlich entschlüpften mir die obigen Worte, als ich, unter einer wilden Kastanie liegend und während die Nachtigallen mir die Grillen aus dem Kopf schlugen, Ihren Aufruf zu neuer Arbeit erbrach. Sie wissen, daß ich ein Fleißlenzer bin und daß mir, wenn es gilt, keine Feder zu schwer ist. Aber liegt denn in diesem Augenblick ein Grund vor, mir den Bären, auf dessen Haut ich 55 ausruhend lag, wieder zu kürzen, und mir das ohnehin so rasch vorübergehende Dolce feriente zu unterbrechen? Wahrlich nicht!

Denn über allen Gipfeln ist keine Unruhe, wie Goethe singt. Es herrscht Frieden. Das ist keine Ente, sondern absolut gehauen und gestochen. Es hieße einen Aberwitz reißen, wollte man annehmen, daß sich zwischen Frankreich und England ein zerschnittenes Tischtuch eingeschlichen habe. Richtig ist ja, daß die eine Großmacht der andern nicht über den Weg traut und sie am liebsten aus demselben räumte, und daß Frankreich kein Bein scheuen würde, um es England zu stellen. Beiden Großmächten ist keine Lauer zu schlecht, um auf derselben zu liegen. Beide sind auf ihrer Hut, und jede möchte ihn der anderen antreiben. Seit grauen Zeiten, die mittlerweile ganz weiß geworden sind, existirt diese Eifersucht, und wenn Othello glaubt, daß er eifersüchtiger ist als sie, so kann er warten, bis er schwarz wird. Damit ist aber nicht gesagt, daß es zwischen Beiden zu einem offenen Mars kommen muß. Gewöhnlich ist das, woran sie sich etwas flicken, dummes Zeug, welches auch scheinbar nur mit Blut abgewaschen werden kann. Aber zu einer Katz- und Hundbalgerei kommt es nicht. Kurz vor der Katastrophe gießen die beiderseitigen Diplomaten das Oel wieder aus dem Feuer und ersticken die Eris im Keime. Oft genug waren beide Reiche nahe daran, sich gegenseitig in den Harnisch zu gerathen, stets aber begruben sie im 56 entscheidenden Moment die Streitaxt lebendig, und bald krähte wieder der Hahn in Ruh'. Das weiß jedes Kükenindiewelt.

Trotzdem habe ich mich entschlossen, den Krieg zwischen Frankreich und England zu entbrennen, um Ihnen gefällig zu sein. Einliegend die Einnahme von Tamatave. Dies ist, wie ich aus der Kölnischen Zeitung ersehe, der Haupthafen der Hovas auf der Insel Madagascar. Theilen Sie mir doch Näheres über diese Insel mit und zwar auf dem zu Privatmittheilungen reservirten Raum einer Posteinzahlungskarte. Um diese indeß nicht ganz ihrer Bestimmung zu entziehen, senden Sie mir einen Vorschuß von 50 Mark.

* * *

Tamatave, den 1. Juli 1885.

W. Der König von Italien war es, welcher neulich ausrief: »Wenn Wir nicht König wären, so möchten Wir wohl Berichterstatter sein!« Nun, auf der Reise hierher würde ich ihm geantwortet haben: »Abgemacht, Re, räume mir Dein Scepter ein und sei Du Wippchen!« Gewiß, Umberto hätte sich die Wünschelruthe, welche er sich aufgebunden, noch einmal überlegt.

Denn die Reise nach Madagascar war eine Arbeit, welche ich keinem Herkules wünsche. Der Atlantische Ocean heißt mit Recht nicht der stille. Oft genug tobte der Typhon derartig, daß er sein eigenes Heulen nicht hören konnte, und im Indischen Ocean schien der Steinbock zu sagen: 57 »Zerstöre mir meinen Wendekreis nicht!« und da wir es dennoch thaten, stieß er uns von einem Sturm in den andern. Wir waren froh, als Madagascar vor unseren Blicken auftauchte, eine Insel, welche, wie ich hier gleich bemerken will, durchaus nicht so roth aussieht, wie sie auf Kiepert's Hand-Atlas markirt ist.

Terrassenförmig, fast mauerartig bestieg ich die Küste. Endlich traf ich auf einem Buckelochsen hier in Tamatave ein und fand im »Wilden Lamm« Quartier. Der Wirth, gleich allen Madagassen ein Eingeborener, wollte mich anfangs nicht einlassen, weil er mich für einen Franzosen hielt. Da er ausschließlich malayisch sprach, ich aber seiner Zunge nicht mächtig war und mich nur in gebrochener Zeichensprache verständlich machen konnte, so dauerte es eine Weile, bis ich ihm begreiflich gemacht hatte, daß ich nicht der ihm verhaßten Nation meinen Ursprung verdankte.

Hierdurch lernte ich sofort die Stimmung kennen: die Madagassen und Franzosen sind dicke Feinde und nicht nur, seit der Contre-Admiral Pierre (sprich Pierre) vor dem Hafen lag und mit seinen Geschützen das Eiland angähnte, augenscheinlich gelangweilt von der ihm noch auferlegten Zurückhaltung. Seine Flotte brannte vor Begierde, das Land den Hovas und Engländern zu entreißen und unter die Beati possidentes Frankreichs zu bringen.

Am nächsten Tage sah ich die Königin, sah aber sofort wieder weg. Sie geht nackt gekleidet, nur mit dem üblichen 58 officiösen Feigenblatt geschmückt, und trägt auch ein nacktes Schwert. Man sagt hier zweideutig, sie sei ausgezogen, um die Feinde der Insel zu vertreiben. Dies ist insofern falsch, als sie nie, selbst Nachts nicht, gekleidet ist. So heischt es die Inselsitte. Ihre Majestät ist eine braune Dame, welche, da sie stark raucht, von einem Tausend Cigarren zum anderen brauner wird. Schon seit einem Decennium in's 40. Jahr gehend, ist sie eine schöne Häßlichkeit, man könnte sie die Hexe von Milos nennen. Nach der Verfassung hat sie stets den Ministerpräsidenten zu heirathen, woraus sich die häufigen Ministerkrisen erklären.

Wie die Franzosen, welche bis zur Glatze kein gutes Haar an der Beherrscherin lassen, versichern, ist dieselbe von einer großen Grausamkeit. Die Stimme der Humanität geht blindlings an ihrem Ohr vorüber. So soll sie kürzlich einen Officier Pierre's von Tamatave bis in die Hauptstadt Antananarivo bei den Haaren zur Tafel gezogen haben. Wenn man den parteiischen Franzosen Glauben schenken darf! Doch hören Sie weiter.

Am Morgen des 10. Juni erweckte mich von Minute zu Minute der Donner der französischen Geschütze. Die Zimmersklavin, welche mir das frisch vom Kaffeebaum gepflückte Frühstück nebst einigen Kolibrieiern brachte, machte mir mit durch Thränen erstickten Zeichen bekannt, daß die Stadt bombardirt werde. Entsetzt sprang ich in meine Stiefel und stürzte an den Strand. Ueberall hörte man Rachegeschrei der 59 Madagassenjungen, während die Alten ihre Hab- und Gutseligkeiten zu retten suchten. Fliegendicht fielen die Bomben nieder, krepirten aber glücklicherweise sämmtlich. Die Forts antworteten, ohne indeß ein einziges der feindlichen Schiffe dem Erdboden gleichzumachen. Die Engländer sahen unthätig zu. Was sollten sie auch machen, als böse Miene zum bösen Pierre? Am anderen Morgen landeten die Franzosen und erklärten wie die Löwen das nicht mehr vorhandene Tamatave in Belagerungszustand. Die Königin ergriff einen Wanderstab und floh in dieser Verkleidung aus der unglücklichen Stadt. Die Hoffnung der Franzosen, sie gefangen nehmen und nach Grévyshöhe transportiren zu können, ist dadurch vereitelt.

Heute fragen wir uns: Werden sich die Engländer dies gefallen lassen? Nun, wir haben das Qui vivra verra abzuwarten.


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