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Zehntes Kapitel.
Sonderart und -Wert der Geschlechter

Eigenwert bei Mann und Frau – Frauenverächter – Der Glaube als Erzieher – Vergleichende Bewertung der Geschlechter – Der Wille zur Macht in der Ehe – Gleichheit zwischen Mann und Frau – Wissenschaft für Frauen – Verbildung der Frau – Der vollkommenste Typus der Weiblichkeit – Politisierung der Frauen – Weib sein, eine Krankheit – Die besten Frauen – Verschwiegenheit der Frau – Mut zur Liebe – Glück der geteilten Freude.

 

In demselben Briefe an Henriette von Willich bringt Schleiermacher in anschaulicher Weise die den beiden Geschlechtern anhaftende Eigenart und deren Werteigentümlichkeit zum Ausdruck: »Bewundern kannst Du deswegen doch an mir alles, was dem Manne eigentümlich ist, das selbständige Licht der Erkenntnis und die bildende, bezähmende Kraft, so wie ich an Dir alles, was dem Weibe eigentümlich ist, die ursprüngliche und ungetrübte Reinheit des Gefühls, und das sich selbst entäußernde, pflegende und entwickelnde Geschick.«

Allerdings betont Schleiermacher hier nur die Lichtseiten der beiderseitigen Sonderarten, ohne zugleich die Fehler dieser Vorzüge ins Auge zu fassen. »Die ursprüngliche und ungetrübte Reinheit des Gefühls« bei der Frau ergibt sich aus dem Umstande, daß ihr Verhalten in der Hauptsache vom Instinkt geleitet wird. Dieser Instinkt ist aber nicht nur positiv, sondern auch negativ gerichtet, das heißt, wenn das Weib herabsinkt, ist es einer viel größeren Gemeinheit und Schlechtigkeit fähig als der Mann. Das schließt nicht aus, daß der Mann weit bösartiger sein kann als das Weib, gerade weil ihm »das selbständige Licht der Erkenntnis« eigen ist, und daher sein böses Handeln viel bewußter im Gegensatz zur Idee des Guten sich vollzieht, als die mehr instinktmäßige Schlechtigkeit der Frau.

Die größere Ursprünglichkeit der Frau hebt aufs nachdrücklichste Nietzsche hervor mit den Sätzen: »Das, was am Weibe Respekt und oft genug Furcht einflößt, ist seine Natur, die ›natürlicher‹ ist als die des Mannes, seine echte, raubtierhafte, listige Geschmeidigkeit, seine Tigerkralle unter dem Handschuh, seine Naivität im Egoismus, seine Unerziehbarkeit und innere Wildheit.«

Und gerade weil er den unverdorbenen Instinkt so außerordentlich hoch einschätzte, hat er gemeint: »Das vollkommene Weib ist ein viel höherer Typus des Menschen, als der vollkommene Mann, – freilich auch viel seltener.«

Andererseits hält auch er die Frau, namentlich im Zustande des Affekts, weit größerer Niedrigkeiten und Gemeinheiten für fähig als den Mann: »In der Rache und in der Liebe ist das Weib barbarischer als der Mann.« »Gibt man einem Weibe zu, daß es recht habe, so kann es sich nicht versagen, erst noch die Ferse triumphierend auf den Nacken des Unterworfenen zu setzen, es muß den Sieg auskosten; während Mann gegen Mann sich in solchem Falle gewöhnlich des Rechthabens schämt.« »Wer leidet mehr? – Nach einem persönlichen Zwiespalt und Zank zwischen einer Frau und einem Mann leidet der eine Teil (der Mann) am meisten bei der Vorstellung, dem anderen wehe getan zu haben; während jener (die Frau) am meisten bei der Vorstellung leidet, dem anderen nicht genug wehe getan zu haben.«

Und Schopenhauer urteilt gar: »Als den Grundfehler des weiblichen Charakters wird man Ungerechtigkeit finden. Er entsteht zunächst aus dem dargelegten Mangel an Vernünftigkeit und Überlegung, wird zudem aber noch dadurch unterstützt, daß sie, als die Schwächeren, von der Natur nicht auf die Kraft, sondern auf die List angewiesen sind: daher ihre instinktartige Verschlagenheit und ihr unvertilgbarer Hang zum Lügen. – Aus dem aufgestellten Grundfehler und seinen Beigaben entspringt aber Falschheit, Treulosigkeit, Verrat, Undank und so weiter.«

Andererseits resultiert aus der größeren Instinktreinheit der Frau jenes »Genie des Herzens«, von dem Nietzsche behauptet, daß »von dessen Berührung jeder reicher fortgeht, nicht begnadet und überrascht …, sondern reicher an sich selber … voll Hoffnungen, die noch keinen Namen haben, voll neuen Willens und Strömens …«

Jede Verallgemeinerung über Wert und Beschaffenheit »des Weibes« muß auf alle Fälle als gänzlich unzutreffend abgewiesen werden. Das gilt auch für Fr. Th. Vischers Wort: »Den Kuß und dann die Kralle, – So sind sie alle.« Unter den Männern mag im allgemeinen eine stärkere Differenzierung obwalten wie unter den Frauen, weshalb es vielleicht berechtigt erscheint, im Manne den höher gearteten Typ zu erblicken. Dennoch läßt auch die Skala der Frauen von der edelsinnigen, opferfreudigen, geistvollen und liebreichen bis zur klatschsüchtigen, verbrecherischen und dirnenhaften an Mannigfaltigkeit nichts zu wünschen übrig. Oftmals werden die verschiedenartigsten Qualitäten, die guten und hohen, wie die schlechten und niedrigen, auf dem Grunde einer weiblichen Seele latent gelagert sein. Es wird dann wesentlich davon abhängen, welches Milieu, welche erziehlichen Einwirkungen und namentlich welcher Mann entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung dieses Charakters gewinnen, ob die höheren oder niederen Qualitäten mehr oder weniger an die Oberfläche und zur Herrschaft gelangen.

Schon der Glaube eines liebenden Mannes an die Güte und Reinheit, die Opferfreudigkeit und Charakterstärke einer Frau wird diesen Eigenschaften in ihrer Seele zum Siege verhelfen können, während der Glaube an das Gegenteil nur allzu leicht die entgegengesetzten Wirkungen hervorzurufen vermag. Wenn daher Schleiermacher in den Briefen an seine Braut den festen Glauben an ihren Edelsinn bekundet, so würde er sich damit auch dann auf dem richtigen Wege befunden haben, wenn seine Voraussetzung nicht in allen Teilen lückenlos zugetroffen hätte.

Oscar Ewald hat ein feines Wort geprägt, da er sagte: »Einen lieben heißt, durch die äußere Hülle hindurchblickend seine größte Möglichkeit vorwegnehmen, ihn in der superlativen Vollendung seines Wesens erleben.«

Nietzsche bekundet eine ähnliche Auffassung, wenn er schreibt: »Weiber werden aus Liebe ganz zu dem, als was sie in der Vorstellung der Männer, von denen sie geliebt werden, leben … Die Männer sind es, welche die Weiber verderben, denn der Mann macht sich das Bild des Weibes und das Weib bildet sich nach diesem Bilde.«

Das ist natürlich nicht völlig wörtlich zu nehmen. Denn auch die innigste Liebe vermag aus einem Menschen nicht etwas zu machen, was nicht wenigstens schon keimhaft in ihm vorhanden ist. Wohl aber ist die Liebe imstande, solche vorhandenen Keime an das Licht des Tages emporzuziehen und zur lebendigen Gestaltung zu bringen. Das gilt sowohl im guten wie im bösen Sinne.

Ein stolzes Wort hat Helene Stöcker in Variierung des bekannten Nietzsche-Ausspruches geäußert: »Wäre der Mann etwas absolut Höheres, wie hielten wir es aus, nicht Mann zu sein: folglich ist der Mann nichts absolut Höheres!« Mit Recht hebt sie hervor, daß weder Muskelkraft noch Intellekt der Wert aller Werte sei, in denen vielleicht der Mann überlegen ist. Die Frau dagegen übertreffe den Mann an Empfindungsfähigkeit, die für das Heil der Menschheit ebenso notwendig sei, wie Muskelkraft und Denkarbeit.

Will man zu der Frage der vergleichenden Bewertung überhaupt Stellung nehmen, was im großen und ganzen als ein wenig fruchtbringendes Beginnen erachtet werden muß, so wird man wohl am besten der Ansicht des Gynäkologen Runge sich anschließen, die dahin lautet: »Das Weib ist keineswegs gleichwertig mit dem Manne, sondern vollkommen anderswertig.« Das deckt sich im wesentlichen mit Rousseaus Meinung, der geäußert hat: »… als ob nicht jedes von beiden, wenn es seiner besonderen Bestimmung nach die Zwecke der Natur erfüllte, vollkommener darin wäre, als wenn es dem anderen mehr gliche!«

Wie man aber auch die Frage entscheiden mag, das eine dürfte aus Schleiermachers Äußerungen zu entnehmen sein, daß der Mann sich selbst und seinem ehelichen Glück den besten Dienst erweist, wenn er die innigste Kameradschaft, die engste Seelengemeinschaft mit der fürs Leben erwählten Gefährtin wenigstens anstrebt und mit allen Mitteln aufrechtzuerhalten sucht.

Eine mißverstandene Lehre vom »Willen zur Macht« hat gar manchen modernen Geist in die Irre geführt. Sie hat vielleicht den verderblichen Glauben hervorgerufen, daß Rücksicht auf andere nicht nur eine Einschränkung des individuellen Genusses bewirke, sondern auch mit einer kraftvollen Persönlichkeit nicht in Einklang zu bringen sei. Wohl ist es richtig, daß, wie Rousseau ebenfalls bemerkt hat, das Verdienst des Mannes in seiner Kraft liegt, und daß die Frau ihn durch ihre Reize zwingen muß, seine Kraft zu fühlen und zu gebrauchen. Der Mann aber begeht leider so oft den verhängnisvollen Fehler, Kraft mit Gewalt gleichzuachten und demgemäß zu handeln. Dieser verhängnisvolle Irrtum hat in zahlreichen Familien ein weibliches Märtyrertum hervorgerufen, dessen Trägerinnen die ihnen bezeigte Rücksichtslosigkeit und Kraftmeierei entweder in stiller Resignation auf sich nehmen, oder im Verkehr mit gütigeren und verständnisvolleren Männern Ersatz für die versagte eheliche Kameradschaft suchen.

Man kann angesichts solcher Tatsachen den Notschrei verstehen, den Helene Stöcker in die Frage kleidet: »Ob die höchsten, zartesten Ideale – die Verfeinerung des sittlichen Gefühls der Verantwortung auch beim Manne, – um deren Erfüllung wir mit ganzer Seele ringen, je Wirklichkeit werden in dieser Welt? Ob je das, was das innerste Wesen der Frau ausmacht: die Liebe, die Güte, die Kultur siegen wird, oder sich wenigstens behaupten wird neben dem, was den Mann charakterisiert: die Gewalt?« Sie weist dann mit Recht auf ein Wort Napoleons hin, also gerade desjenigen Mannes, der in den Augen vieler Menschen als die eigentliche Verkörperung des Gewaltprinzips gilt: »Wissen Sie«, sagt er, »was mich auf dieser Welt am meisten in Erstaunen setzt? Es ist die Unfähigkeit der rohen Gewalt, irgend etwas zu organisieren. Es gibt in der Welt nur zwei Dinge: Das Schwert und den Geist, die Kultur. Mit der Zeit ist es immer das Schwert, das durch den Geist geschlagen wird.«

Wohl hat auch Nietzsches Zarathustra eine Selbstsucht verkündet, die im Willen zur Macht kulminiert und damit den tatkräftigen Menschen zu den höchsten Höhen emporführt. Aber es ist eine große, heilige Selbstsucht, die Reichtum und Macht erstrebt, um schrankenlos schenken zu können; die nach Größe trachtet, um Großes zu wirken; und die selbst das Leid der einsamen Größe auf sich nimmt, um das Glück der anderen zu fördern.

Am mächtigsten sind diejenigen Menschen gewesen, die das Evangelium der Liebe am beredtesten verkündet und am intensivsten gelebt haben. Denn die Ausstrahlung ihrer Persönlichkeit hat Jahrhunderte und Jahrtausende überdauert. So wird auch im ehelichen Bunde derjenige Mann seinen »Willen zur Macht« am erfolgreichsten realisieren, der diesen Bund mit der höchsten Liebe zu erfüllen weiß, indem er ihn auf die engste geistige Gemeinschaft mit der erwählten Frau gründet. Die Verschiedenartigkeit der beiderseitigen geistigen Struktur, die Schleiermacher treffend kennzeichnet, bildet hierbei keinerlei Hindernis. Ricarda Huch meint sogar, daß die Anziehung zwischen den Geschlechtern um so heftiger sein wird, je stärker die Differenzierung sich ausprägt. Sie sieht hierin den physiologischen Grund, warum die Liebe in den neueren Zeiten, die eine weit größere Differenzierung der Menschen zuwege gebracht haben, eine so viel größere Rolle spielt, als im Altertum. Wenn das richtig ist, so würde allerdings das Emanzipationsstreben der Frauen, das auf zunehmende Gleichheit mit den Männern hindrängt, der künftigen Anziehung der Geschlechter wenig förderlich sein.

Schleiermacher dürfte im großen und ganzen das Richtige treffen, wenn er an Henriette (26. 1. 1809) schreibt: »Die Einweihung des Mannes und seine Tüchtigkeit in Wissenschaft oder Kunst oder bürgerlichem Leben erscheint so viel größer als die Gegenstände, worin die Frau ihr Talent entwickeln kann, daß es scheint, als müsse sie, wo der Mann recht tüchtig ist, sich immer untergeordnet fühlen, und wenn die Frau an Geist und Charakterstärke über den Mann hervorragt, so gibt es gewiß immer ein schlechtes Verhältnis. Aber wenn sie den Mann versteht, wie die wahre Liebe ihn immer verstehen lehrt, und wenn sie im rechten Sinne Mutter ist und Gattin, so kann doch der Mann sie nur im Gefühl der vollen Gleichheit umfassen …«

In diesen Sätzen ist die Weisheit enthalten, die Balzac einige Jahrzehnte später in die Worte gekleidet hat: »Man sollte es eingraben in das Evangelium der Frauen: Selig, die unvollkommen sind. Denn ihnen gehört das Himmelreich der Liebe.«

Schleiermachers Gleichschätzung der Geschlechter unter Hervorhebung des beiderseitigen Sonderwertes liegt weit ab von dem Gleichheitsstreben der Frau unserer Tage, wie es namentlich in ihrer durchgängigen Politisierung und in dem Massenstudium der Mädchen auf den Hochschulen in Erscheinung tritt. Hier steht Schleiermacher noch ganz im Banne der heute vielfach als veraltet geltenden Anschauungen, wenn er zwischen der Wissenschaft für Männer und Frauen einen scharfen Trennungsstrich zieht. »Mit Eurem Wissen«, schreibt er (31. 1. 1809) an Henriette, »das ist so ein Gegenstand, über den viel zu sagen wäre. Wissen und Gefühl müssen sich auf innige Weise durchdrungen haben, um Euch zu dem Wissen, gerade so wie Ihr es haben könnt, zu verhelfen. Man muß Euch, meine ich, alles Wissen unmittelbar religiös machen und dann auch wieder unmittelbar sinnlich. Ich habe mich immer hartnäckig geweigert, Vorlesungen zu halten vor Männern und Frauen, aber ich möchte ganz gern welche halten vor Frauen allein.«

Hier ist verschämt und zaghaft ausgedrückt, was der kompaktere Nietzsche zwei Generationen später in den Sätzen formuliert hat: »Freilich, es gibt genug blödsinnige Frauenfreunde und Weibsverderber unter den gelehrten Eseln männlichen Geschlechts, die dem Weibe anraten, sich dergestalt zu entweiblichen, und alle die Dummheiten nachzumachen, an denen der ›Mann‹ in Europa, die europäische ›Mannhaftigkeit‹ krankt, – welche das Weib bis zur allgemeinen ›Bildung‹, wohl gar zum Zeitunglesen und Politisieren herunterbringen möchten. Man will hier und da selbst Freigeister und Literaten aus den Frauen machen: als ob ein Weib ohne Frömmigkeit für einen tiefen und gottlosen Mann nicht etwas vollkommen Widriges oder Lächerliches wäre.«

Wenn die neuzeitliche Entwicklung in der Frauenfrage Bahnen eingeschlagen hat, die den Anschauungen der beiden großen Seelenkenner Schleiermacher und Nietzsche direkt zuwiderlaufen, so ist hierin vielleicht eines jener Krankheitssymptome zu erblicken, von denen unser Abendland in so überreichem Maße durchsetzt ist, daß man ihm den baldigen Untergang prophezeit hat. Es ist die übertriebene Schätzung der Verstandes- und Zivilisationswerte, des Wissenschaftsbetriebs und kritiklosen Strebens nach einer mißverstandenen »Freiheit«, die zum Schaden der Gemüts- und Seelenwerte, der gesunden Instinkte und natürlichen Veranlagung in unserer Epoche sich so unheimlich breit gemacht hat.

Auch bei Ludwig Börne begegnen wir in seinen Pariser Briefen ähnlichen Äußerungen. Er sagt hier: »Bei einer flüchtigen Betrachtung scheint es zwar Gewinn, wenn das weibliche Geschlecht emanzipiert würde, wenn es gleiche sittliche, gleiche politische Rechte mit den Männern erhielte – aber es ist eine Täuschung. Selbständigkeit des Weibes würde nicht allein die Bestimmung des weiblichen, sondern auch des männlichen Geschlechts vereiteln, nicht das Weib, nicht der Mann allein drücken die menschliche Natur aus, nur Mann und Frau vereinigt bilden den vollkommenen Menschen.«

Gewiß ist auch für die Frauen das ideale Ziel aufzustellen, sich mehr und mehr vom animalischen und materiellen Dasein zu einem geistigen Leben hinaufzuentwickeln, das von Idealen durchpulst und getragen ist. Das sollte aber doch niemals geschehen, unter völliger Verleugnung und Zurückdrängung der weiblichen Naturanlage, die bei der übergroßen Mehrzahl der Frauen nun einmal vorwiegend auf Religion und Sinnlichkeit, Phantasie und Anlehnungsbedürfnis, Liebe zum Manne und Kinde, Familie und Häuslichkeit eingestellt ist. Das hat auch Lorenz von Stein gemeint, als er die etwas schroffen Sätze schrieb: »Die Frau, die den ganzen Tag hindurch beim Pulte, am Richtertisch, auf der Tribüne stehen soll, kann sehr ehrenwert und sehr nützlich sein, aber sie ist eben keine Frau mehr; sie kann nicht Weib, sie kann nicht Mutter sein.«

In dieser Allgemeingültigkeit dürfte das so gefällte Urteil kaum zutreffen. Nicht ganz so absprechend und hoffnungslos äußert sich denn auch Krafft-Ebing über die Leistungsfähigkeit des weiblichen Gehirns für einen wissenschaftlichen oder artistischen Beruf. Sie kann nach seiner Meinung erst im Laufe von Generationen erworben werden, wobei allerdings die große Mehrheit der diesen Kampf aufnehmenden Weiber Gefahr laufe, zu unterliegen.

Wahrscheinlich liegt der Grundfehler der weiblichen Emanzipationsbestrebungen in der Tatsache verborgen, daß in ihren Führerinnen weit mehr männliches Element enthalten ist, als in der großen Überzahl ihrer Geschlechtsgenossinnen, und daß sie deshalb bei deren Einschätzung von irrtümlichen Grundvoraussetzungen ausgehen. Die hieraus sich ergebende Verallgemeinerung (nebenbei eines der Grundübel, an denen wir kranken), muß dann notwendigerweise zu schädlichen Übertreibungen und zu verderblichen Störungen derjenigen Gleichgewichtslage führen, die auf der natürlichen Verschiedenartigkeit der Geschlechter basiert.

Allerdings ist durch Professor Hugo Münsterberg in Amerika die Meinung vertreten worden, daß ein geistiger Unterschied zwischen Mann und Frau von Natur aus überhaupt nicht bestehe. Nach ihm ist vielmehr die männliche Überlegenheit bisher nur dadurch künstlich geschaffen worden, daß man die Frau gewaltsam vom geistigen Leben fernhielt. Bei gemeinsamer Erziehung aber würde sich herausstellen, daß die Frau sogar dem Manne überlegen sei. – Man wird indessen gut tun, diese Ansicht mit einem großen Fragezeichen zu versehen und sie einstweilen auf sich beruhen zu lassen.

Selbst für diejenige Frau, die manchen Völker- und Menschenkundigen als der vollkommenste Typus echter Weiblichkeit erscheint, für die Japanerin, wird angesichts der fortschreitenden »Kultur« ein Herabgleiten von dieser ihrer hohen Stufe befürchtet. Graf Hermann Keyserling preist sie als eines der vollendetsten, eines der wenigen ganz vollkommenen Produkte dieser Schöpfung. »Es tut gar zu wohl«, schreibt er mit Bezug auf die Japanerin, »Frauen zu schauen, die nichts als Grazie sind; die nichts scheinen, als was sie sind, nichts vorstellen wollen, als was sie wirklich können, deren Gemüt bis zum Äußersten gebildet ist … An Lieblichkeit kann sich keine modern-westliche Schönheit mit einer modernen Japanerin messen.«

Unsere modernen Mädchen erachtet er schon zu bewußt, um vollkommen zu sein in Form der Naivität, zu wissend zu einem Dasein reiner Grazie, vor allem als Naturen auch zu reich, um sich überhaupt je zu vollenden.

Dem wäre entgegenzuhalten, daß der abendländische Kulturmensch weit höhere Ansprüche geistiger Natur an die Lebensgefährtin zu stellen pflegt, wie der Orientale. Er zieht die größere Vielseitigkeit ohne Vollkommenheit einer einseitig ästhetischen Vollendung im allgemeinen vor. Darum ist es ein durchaus subjektives und fragwürdiges Werturteil, die oft graziösere und anmutigere, aber geistig tiefer stehende Japanerin höher einzuschätzen, wie die durchschnittlich entgegengesetzt beschaffene Abendländerin der höheren Gesellschaftskreise.

Es ist zuletzt alles eine Frage des Maßes und Grades, in welchem eine Bewegung sich vollzieht und die einzelnen Eigenschaften vorwalten oder fehlen.

Gewisse Errungenschaften der neueren Zeit, wie Mädchengymnasium und Frauenstudium, werden sich kaum wieder beseitigen lassen. Jedenfalls aber sollte bei Auswertung dieser Neuerungen der Arzt, und namentlich der Nervenarzt, eine weit entscheidendere Rolle spielen, als bisher. Denn daß hier viel hochwertige Frauenkraft, die anderen höchst wichtigen Gebieten verloren geht, verpufft oder gar frühzeitig zugrunde gerichtet wird, ist gar keine Frage.

Und was nun die Politisierung der Frauen anbetrifft, so könnte man ihnen das Stimmrecht und die Besetzung von politischen Ämtern an sich ja gern gönnen. Aber wenn schon die Männer in dem zerklüfteten Parteigetriebe sich kaum zurechtfinden, so ist es bei den Frauen, deren natürliche Veranlagung unstreitig viel mehr auf häusliche, wie auf öffentliche Angelegenheiten eingestellt ist, noch weit weniger der Fall.

Das hat Anna von Sydow, die Urenkelin Wilhelm von Humboldts und Herausgeberin seines Briefwechsels mit Karoline, in ihrem Vorwort zu den »Briefen aus der Brautzeit« in die treffenden Worte gekleidet: »Nicht die Anhäufung toten Wissens, nicht der äußere Wirkungskreis des Mannes ist unsere Bestimmung, sondern das Mildern der Härten des Lebens durch die Kraft der Liebe. Im Herzen, nicht im Kopf, im Heim, nicht in der Knechtschaft des öffentlichen Berufs, liegen unsere Macht und unser Glück und werden sie ewig liegen.«

Das deckt sich fast völlig mit Schleiermachers Anschauung, die darin gipfelt, daß in dem männlichen Geschlecht die Richtung auf das öffentliche, im weiblichen, die auf das häusliche Leben vorherrschend sei. Nach seiner Meinung ist eben den Frauen »eine überwiegende Beschäftigung mit dem Einzelnen und eine Abwendung von dem Großen und Allgemeinen eigentümlich, insofern man es von der Seite der Selbsttätigkeit betrachtet.«

Im Hinblick auf die Politisierung der Frauen muß es als eine besonders ungünstige Tatsache erachtet werden, daß sie bei ihrer größeren Empfindungsfähigkeit der suggestiven Einwirkung demagogischer Hetzer und einseitiger Fanatiker erheblich stärker zugänglich sind, als die Männer. Damit aber wird nicht nur der Mangel an politischer Objektivität, sondern auch die Flut des Hasses und der inneren Zerklüftung im Volke in höchst verhängnisvoller Weise gesteigert. Weibliche Anmut, Zartheit des Gemüts und Grazie werden immer mehr zurückgedrängt, und die vormals dem Parteikampf entrückte Häuslichkeit als stiller Ruhepunkt, als Zufluchtsstätte für den kampfmüden Mann wird mehr und mehr ausgeschaltet. Sollte mit alledem die errungene völlige »Gleichberechtigung« der Frauen nicht am Ende doch etwas zu teuer erkauft sein?

Diese Bedenken scheinen mir auch durch Helene Stöckers Argumentation nicht ausreichend widerlegt zu werden, welche in der Politisierung der Frau zwar einen schweren Weg, aber doch eine »naturnotwendige Entwicklung« erblickt. »… daß sich Persönlichkeiten bilden können, darauf ist unsere Arbeit gerichtet; um der Wenigen, um der Einzelnen willen dienen wir den Vielen«, schreibt sie und bezeichnet diesen Standpunkt als zu Ende gedachten Individualismus. Das wäre berechtigt, wenn jene »Einzelnen« nicht teilweise in eine verkehrte Bahn gedrängt und wenn sie in Wirklichkeit »den Vielen dienen« würden. Sie haben sicherlich den besten Willen hierzu, aber daß es mit deren Politisierung geschieht, wird ja gerade bestritten.

In F. W. Försters bedeutsamem Werke »Politische Ethik und politische Pädagogik« finden sich die trefflichen Sätze: »In weiten modernen Frauenkreisen fehlt aber heute die Erkenntnis, daß im allgemeinen die höchsten Gaben und Kräfte der Frau für eine ganz andere Kulturmission bestimmt sind, als es die praktisch-politische ist, ja daß sie auch dem politischen Leben mehr geben, wenn sie die so dringend nötigen seelischen Fundamente des politischen Lebens mit ganzer Kraft zu pflegen sich entschließen. Ein amerikanischer Soziologe sagt, man solle nicht fragen: Are women good enough for votes?, sondern: Are votes good enough for women? Hier ist der richtige Gesichtspunkt angedeutet: Die Frau verliert ihre tiefste Macht über die Kultur und damit auch über das politische Geschehen, wenn sie in den technischen Außenfragen des gesellschaftlichen Lebens untergeht. Wir haben genug ›Antonio‹ im Leben, wir brauchen mehr ›Leonore‹, mehr Seele, mehr Stille, mehr Liebe.«

Würde Schleiermacher unter den Lebenden weilen, so würde das heutige Ausmaß der Frauenemanzipation sicherlich ebenfalls nicht seine Billigung finden, gerade weil er die Frau in ihrer Eigenart so hoch stellt und dem Manne als völlig gleichwertig erachtet hat. Deshalb vermochte er sich auch keineswegs der Auffassung Okens anzuschließen, der im Weib ein Unvollendetes, im Mann eine höhere Entwicklung des Weibes sieht. Noch weniger aber stimmt er mit seinem Zeitgenossen Justinus Kerner überein, der gemeint hat, daß Weib zu sein eigentlich eine Krankheit sei. Vielmehr nähert er sich der Auffassung Goethes, der einmal sagte, wenn das Weib seine übrigen Vorzüge durch Energie heben könne, so entstehe ein Wesen, das sich vollkommener nicht denken ließe.

»Aber eben, weil ich Dir so muß alles mitteilen und vertrauen können, muß ich auch eine so starke, brave, kräftige Frau haben, wie Du bist, ohne Weichlichkeit. So müssen aber auch deutsche Frauen sein, und so sind die besten immer gewesen«, schreibt Schleiermacher (15. 12. 1808) an Henriette und ergänzt damit sein ihm vorschwebendes Idealbild der deutschen Frau in bemerkenswerter Weise. Wie hoch er den Wert der Frau einschätzt, ergibt sich auch aus einem Briefe an Eleonore (19. 8. 1802): »Nur durch die Kenntnis des weiblichen Gemütes habe ich die des wahren menschlichen Wertes gewonnen.«

Nicht überall wird er Zustimmung finden, wenn er – in seinem Briefe an Henriette (15. 12. 1808) – es als eine Torheit bezeichnet, zu glauben, daß man nicht auf die Verschwiegenheit der Frau rechnen könne. »Ich rechne«, fährt er fort, »mit der größten Sicherheit auf die Deinige überall, wo ich sie Dir empfehlen werde.« Vermutlich hat er die Verallgemeinerung auch gar nicht so ernst gemeint, sondern diese liebenswürdige Form nur gewählt, um dadurch Henriettes Verschwiegenheit um so nachhaltiger zu bewirken.

Dagegen wird man ihm darin im allgemeinen beipflichten, wenn er (15. 12. 1808) die Frauen als die »eigentlichen Briefschreiberinnen« bezeichnet, und die Männer »nur Stümper« nennt, trotzdem er selbst mit einigen anderen seiner Zeitgenossen in dieser Kunst kaum hinter den Frauen zurücksteht. »Und nun gar Liebe schreiben, das kann kein Mann so, wie Ihr es könnt«, fügt er hinzu, und kennzeichnet damit zutreffend die größere Liebesfähigkeit überhaupt, die der Frau im Vergleich zum Manne innewohnt.

»Wie schwach und feige sind doch die Männer, wenn sie lieben«, läßt Maeterlinck seine Monna Vanna sagen. »… da schreit in meinem Herzen selbst die Liebe entrüstet auf, wenn ich sehe, wie ein Mann, der mich so heiß zu lieben wähnt, wie ich ihn hätte lieben können, so wenig Mut zu seiner Liebe hat! … Wenn ich geliebt hätte wie ihr … ich wäre Tag und Nacht gewandert … ich hätte zum Schicksal gesprochen: Mach Platz, ich komme. Die Steine selbst hätte ich gezwungen, für mich einzustehen …«

Der Frau gilt ihre Liebe alles, während sie beim Manne nur einen Teil seines Interessengebietes zu bilden pflegt. Deshalb ist die Frau auch weit eher bereit, ihrer Liebe alles zum Opfer zu bringen, als der Mann. Und darum verzeichnet die Statistik weit mehr Selbstmorde aus unglücklicher Liebe bei Frauen, wie bei Männern, trotzdem die Gesamtzahl der männlichen Selbstmörder (in Deutschland) fast doppelt so groß ist, als diejenige der weiblichen.

Selbstverständlich setzt Schleiermacher bei Henriette die gleiche Gesinnung in bezug auf die geistigen Grundlagen ihrer künftigen Ehe voraus, wie er sie selber hegt. In einem früheren Briefe über das gemeinsame Erdulden von Not und Gefahr hat er das bereits zum Ausdruck gebracht; ebenso schreibt er später (7. 1. 1809) an sie über das gemeinsame Erleben von Glück und Freude: »Du kannst Dir das auch nicht wahr und lebendig denken, daß Du nicht alles Heilige und Schöne mit mir teilen solltest;« und in ähnlicher Weise am 12. 3. 1809: »Ist nicht schon jetzt (da sie noch getrennt sind) jeder ganz in des anderen Leben und Seele eingedrungen? Aber anders ist es doch noch, in unmittelbarer Gegenwart alles miteinander zu teilen, so oft das Herz sich darnach sehnt, miteinander zu wirken auf die süßen Kinder, auf alles, was uns liebt, und in die ganze schöne Welt hinaus!«

Das erinnert an eine Stelle aus Goethes Wahrheit und Dichtung, wo er im Andenken an Friederike Brion meint: »Die reinste Freude, die man an einer geliebten Person finden kann, ist die, zu sehen, daß sie andere erfreut.«


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