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Exner ging einige Tage unter dem Einfluß, den das Erscheinen des Klagemütterchens auf ihn ausgeübt hatte, wie zerschlagen umher. Wenn er zur Arbeit schritt, so sagte er sich, es nutzt nichts, es geht alles verloren. Dann fiel ihm jede Bewegung schwer, als liege auf der Last, die er zu heben hatte, unsichtbar eine noch viel größere.
Aber diese tiefe Mutlosigkeit hielt doch nicht lange bei ihm an. Sie verließ ihn bald, denn trotz der trüben Ahnungen wendete sich alles zum Besseren.
Der Regen, auf den alles verzweifelt wartete, bereitete sich vor. Gewölk ballte sich über den Kämmen, aus den Löchern stieg Kühle. Die Sonne lag von dem langen Brande wie erschlafft in der Höhe; die Buchfinken stießen lange, klagende Rufe aus; die Schwalben schnellten dicht über der Erde hin, und als es endlich regnete, klang es allen wie das Kichern des Glücks.
Dann wurde das Wetter wieder milder.
Auch der Fortgang des Prozesses stimmte den Lahmen wieder zufriedener. Der Lokaltermin war ergebnislos verlaufen; man hatte keine Grenzsteine gefunden. Auch auf dem Katasteramte konnte man keinen Bescheid geben, weil seinerzeit auf der Flurkarte die Abtrennung der Exnerschen Parzelle von dem Freigute nicht vermerkt worden war.
Das Gericht schlug den streitenden Parteien einen gütlichen Vergleich vor, nach welchem Exner die Steine auf die Mauer räumen und Wende auf die Schadloshaltung verzichten sollte. Die entstandenen Kosten waren von beiden zu gleichen Teilen zu tragen.
Da kam man schön bei den Hartköpfen an. Wende lachte nur heiser, der Klumpen polterte von: Nicht einen Finger breit nachgeben; für immer ein Ende machen; nicht einen Dantus geben, und verließ die Versammlung.
Nach einiger Zeit erhielt er ein gerichtliches Schreiben, worin er aufgefordert wurde, die ganze Steinmauer fortzuschaffen, da das Vorhandensein von Grenzmarkierungen unter dem Rodewalle durch Zeugen auf das entschiedenste behauptet werde. Es fand abermals ein Termin statt. Das Zeugnis der beiden alten Männer, welche von der Existenz der Grenzsteine wissen wollten, wurde von dem Rechtsanwalt Exners als befangen angefochten, weil sie Zeitarbeiter auf dem Freigute waren. Nach manchem Hin und Her übernahm endlich der Freirichter die Beseitigung der Mauer mit der ausdrücklichen Bedingung, daß Exner die Kosten dieser Arbeit tragen solle, wenn Grenzsteine unter dem Walle gefunden würden.
Der Lahme stimmte sehr gern zu, denn er war sicher, daß man Beweise ehemaliger Grenzregulierung nicht finden würde, und hoffte schon im stillen, den schmalen Wiesenstreifen dann auch in Besitz nehmen zu können.
Am meisten litt sein Weib unter dem Streit. Auch nachdem er sie ihres Gottes beraubt hatte, wurde er nicht sanfter. Allen Grimm, den er bei einer unangenehmen Wendung des Prozesses in sich aufsteigen fühlte und doch über die nicht ausschütten durfte, die ihn hervorgerufen hatten, ließ er an seinem Weibe aus. Sie mußte in der Nacht aufstehen, um Flur und Stube zu fegen. Er warf Teller und Schüsseln zu Boden, wenn ihm das Essen nicht mundete. Nun ging sie ihm zu gefirre, nun zu lahm, nun sollte sie lachen, nun nicht so mucksch tun. Bald trug sie das Haar zu städtisch, bald war sie zu bleich. Jeden Blick, jeden Schritt, der anders ausfiel, als er sich dachte, empfand er als Äußerung der Widerspenstigkeit, wozu sie wegen ihrer Machinationen gegen ihn doch wahrlich kein Recht hatte.
Die Leute, denen das Schicksal Maries nicht verborgen blieb, schüttelten die Köpfe, daß der herbe Stolz dieses jungen Wesens so plötzlich in das Gegenteil sich verkehrt hatte.
Sie ließ sich nirgends sehen, mit niemand suchte sie zu reden. Selbst Joseph und Käthe, diese beiden immer guten Menschen, mied sie, wie um ihrem Manne nicht Anlaß zu neuen Bedrückungen zu bieten. Sie kam nach Beginn des Gottesdienstes, betete, ohne das Haupt zu erheben, und verließ entweder vor Beendigung der heiligen Handlung oder hinter dem letzten Gläubigen die Kirche, damit niemand sie anrede. Rief ihr jemand zu, so schrak sie sichtlich zusammen. Dann aber sah sie mit ihren blauen Augen auf, die noch größer geworden waren und einen krankhaften Glanz trugen. Sie blickte wie ans einer fremden Welt. Nie kam eine Klage über ihre Lippen, hartnäckig steuerte sie jedes Gespräch von bedeutsamen Dingen ab und sprach über Alltäglichkeiten mit einer ernsten, wie hinschwebenden Stimme, und obwohl ihre Worte fest und bestimmt klangen, so fühlte man ein Zittern darin wie die Bewegung trockner Grashälmchen.
Aber wo sie ging und stand, rüttelte ihre Seele an dem Geschick des Lebens. »Warum hast du mich zu ihm getrieben? Willst du etwa, daß ich so leide?« fragte sie Gott in ihrem Herzen.
Der Unbegreifliche antwortete mit neuen Qualen durch ihren Mann. Da schrie sie auf, jenen seelischen Schrei, in dem das Herz wie durchbohrt stockt und die Gedanken wie im Irrsinn wirbeln. Aber niemand hörte ihr Verzweifeln. Es wurde ihr nur dunkel vor den Augen, sie aß nicht, sie schlief nicht und arbeitete wie in Raserei. Dabei lächelte sie immerfort. Das war ihr Schrei.
Als sie wieder zu sich kam, war das Antlitz Gottes verwandelt. Aus dem sicheren Manne ihres kindlichen Bekenntnisses war eine unbegreifliche, unermeßliche Macht, ein Meer geworden, auf dem ihr Leben wie ein losgelöstes Blatt umhertrieb. Da sah sie arg um sich und bemerkte, wie das Leben der andern, an unverrückbare Seile gekettet, dahinglitt. »Warum mir das, diese unendliche Not, nach deinem Befehle, Ewiger?« Und je länger sie auf ihr Schicksal schaute, auf dieses notwendige Verknoten wirr einhergehender Fäden, machte sich eine unfaßbare Sicherheit in ihr auf, eine Furcht, die in der letzten Tiefe eine Süße war. Sie glitt in die blühende Dämmerung einer mystischen Gottnahe, die aus jedem Zweifel eine neue Inbrunst gebar, aus jeder Lockerung eine festere Verknüpfung; jede Not ward die Verheißung einer Freude. So wuchs die Sicherheit in ihr, von der Vorstellbarkeit wie durch ein dunkles, bodenloses Wasser getrennt, in dem alle Konturen erlöschen, alle Farben sich auflösen. Manchmal war es, als tauche ein Gesicht aus den Abgründen in ihr auf. Aber wenn sich ihre Seele bückte, es zu deuten, zerfloß es, und sie ging wieder einher, doppelt bedrängt von dem Elend ihres Lebens und der dumpfen Schwermut der Schwangeren.
Dann fühlte sie mehr als je sich jeden inneren Haltes bar und sah darin die gerechte Strafe dafür, in jener wilden Nacht der Vertreibung Gottes durch ihren Mann nicht mit dem ganzen Leben gegen die Untat gerungen zu haben. Mit dem Schatten dieser Stunde stieg das fratzenhafte Wahngebilde in ihrer Erinnerung auf, das in jener Nacht sie so gefoltert hatte. Es stand nicht deutlich vor ihr. Alle Gänge der Seele waren vielmehr mit seiner Verzerrtheit behaftet, schimmerten in dem blöden Lichte seiner Augen und hallten wider von den trägen, zähen Lauten seines unschönen Mundes, als sei es nicht mehr eine Bedrängnis von außen, als habe es die Wiege ihres Wesens verunreinigt.
In dieser Zeit der Niedergetretenheit ward sie auch oft die Beute tierischer Sinnlichkeit. Jeder höhere Gedanke erlosch. Als habe sie Scham nie gekannt, drängte es sie unter Mißachtung der persönlichen Würde nach Genuß bis zum Ekel.
Am Ende blühte jedoch immer wieder aus den schaurigen Gründen, erst scheu und zitternd, dann in heißer Sieghaftigkeit die Süße ihrer mystischen Gottverbundenheit.
Um dies innere Glück einmal ungestört ganz auskosten zu können, wußte sie es mit unauffälliger Schlauheit dahin zu bringen, selbst das Brotgetreide zur Mühle tragen zu dürfen.
Diese lag im nächsten Dorfe. Von den zwei Wegen, die dahin führten, wählte sie den längeren Fußsteig durch den Wald des Freirichters, an Steinmauern vorüber, über einsame Felder. Die schönen Tage schienen an die Erde festgebunden zu sein, der Sonnenschein spielte versunken um die bunten Büsche, die weißen Wolken lagen regungslos, daß sie wie ferne Gebirge aussahen, und fiel ein Blatt, so tanzte es so selig durch die goldene Luft, als habe es der Mund eines verborgenen Kindes vom Strauch geblasen.
Marie ging hindann, den Kopf zur Seite geneigt, und als wieder einmal ein Blatt herabtaumelte, ward ihr Sehnen Gesicht, und ihr Kindchen erschien an der linken Seite, das niedliche Mädchen, blondhaarig und blaugeäugt, lächelte und hüpfte neben ihr hin, ohne den Boden zu berühren.
»Gell och, du bist mei Kindla, mei's, mei Engelchen, mei's ganz alleene? Komm, komm du och! Ich weeß wohl, vo wem daß du bist: solche Guckala hat bloß dr Himmelvater«, flüsterte das junge Weib im Rausch hoher Freude.
Nein, nicht sein Kind war es, Gott hatte es ihr geschenkt, als Lohn für die treue Ausführung seines Gebotes. Ihr Mann war doch nur ein Werkzeug in Gottes Hand gewesen, die auch aus Felsen Blumen hervorbringt. Das stand fest, seine Hand sollte die Zauber ihrer Hoffnungen nicht zerstören. Bei ihm, doch abseits wollte sie sich mit ihrem Kinde eine Welt bauen, wo ihr gedemütigtes Leben sicher, frei und glücklich werden sollte.
Plötzliche Müdigkeit, siechendes Prickeln, das ihre Beine starr machte, trieb sie, einen Sitz zu suchen. Weil der Petzdorfer Bildstock nicht weit von ihr war, setzte sie sich nicht in den Graben, sondern schleppte sich vollends bis zu den zwei geköpften Linden, vor denen eine Lattenbank eingerammt war. Schwer atmend kam sie hin, ließ die Bürde zu Boden gleiten, setzte sich und senkte den Kopf, um die abgebrochene Gedankenreihe weiterzuspinnen.
Da erinnerte sie sich, vor einem Heiligtume zu sein, drehte sich heftig um und sank vor dem Bilde in die Knie. Es war auf Leinwand gemalt und in einen schwarzen Rahmen gezwängt, der von zwei Eisenhaken an dem Stamme der einen Linde festgehalten wurde. Die dargestellte Szene war sehr einfach. In einer nur andeutungsweise gegebenen Landschaft, über der ein ultramarinblauer Himmel lag, kniete ein Bauer, die Hände im Gebet erhoben. Sein langschoßiger Rock war schwarz, sein Gesicht blaß. Dem unbekannten Maler war es gelungen, etwas von der dumpfen Bauernseele in seine Züge zu legen. Die Augen des Mannes richteten sich verzückt auf eine Muttergottes, die, links oben, im Himmel schwebte. Nicht weit von ihr, in gleicher Höhe mit der göttlichen Erscheinung hing ein Vogel in der Luft, den man für einen Hahn mit ausgerupftem Schwänze hätte halten müssen, wenn seine Raubfänge nicht gewesen waren. In diesen trug er ein schwarzes Etwas, aus dem eine Menge ockergelber Käschen fielen, deren erstes dicht über der Nase des bäuerlichen Beters angekommen war.
Darunter stand die Erklärung:
»Zu schwedischer Kriegszeit lebte ein Bauer, Georg Tiffe, welcher sein Vermögen, einige Dukaten, in einem hohlen Baume vergrub. Wie er sein Geld erheben will, war alles weg. Was tat er? Vor Angst fiel er auf seine Knie, gelobte der schmerzhaften Muttergottes, ihr Bildnis zu bekleiden, wo er sein Geld findet. Da er so betete, kam ein Rabe geflogen, brachte das Geld im Schnabel und ließ es bei dem Männlein fallen. Der Mann erhob das Geld und brachte den anderen Tag einen Dukaten dem Herrn Pfarrer, Hochwürden Wendelin Kasper zu Alt-Walsdorf, der dafür dies Bild stiftete. Alt-Walsdorf, den 2. März 1645. Geh, O Krist, nicht an diesem Bildt vorüber! Bete, Marie hat geholfen und wird auch dir helfen in allen Nöten.«
Von ihrem Mutterglück ganz eingenommen, konnte sie zu keinem Gebet kommen. Als Ersatz betrachtete sie das bekannte Bild genauer als sonst und las die Erklärung dazu, langsam, Wort für Wort. Die Anrufung am Schluß sprach sie halblaut und fügte aus eigenem Herzen noch ein Stoßgebetlein hinzu: »Ach, du mei Gott eim Himmel, barmherzige Mutter ...«
Trockenes Lachen, ganz in der Nähe, ließ sie abbrechen und erschreckt aufsehen.
Schräg hinter der Bank saß ein Mann auf einem Stein, vom Gesträuch verborgen. Nun sie schwieg, bog er sich auch vor und schaute auf sie hin. »Klose?« sprach sie in sein verwildertes Gesicht und fühlte, wie sich ihr Herz in Erbarmung zusammenkrampfte.
Der Schuster bewegte bestätigend den Kopf und rührte seine verschwimmenden Trinkeraugen nicht von ihr.
»Ma sieht dich ja gar nich mehr, Guste?« fragte sie, setzte sich an das Ende der Lattenbank und rückte ihre Bürde heran.
Er zog sich wieder hinter den Strauch zurück und ließ abermals dies trockene Hohnlachen erschallen.
»Du!« rüttelte sie um Antwort.
»Ich bin ja immer d'rheeme«, entgegnete er endlich gleichgültig.
»Ach nee, ich denk', du läßt dich gar nich mehr bei deiner Mutter sehn.«
»Ebens deswegen bin ich immer d'rheeme.«
»Schuster, was redst du denn eig'ntlich!«
Er erhob sich, trat entfernt vor sie hin, damit sie ihn betrachte, und sagte dann:
»Nu, da bin ich d'rheeme, wo ich auch bin.«
Sein Rock war zerrissen. Ein zerknüllter Hut saß auf staubgrauem Haar, das über den Kragen herabhing.
Als er jetzt Maries Augen auf sich fühlte, ward er unsicher und ordnete sich die Halsbinde, die ein buntes Taschentuch war, und lachte wieder.
»Warum hast du denn vorhin gelacht?« fragte Marie, weil ihr vor Mitleid nichts anderes einfiel.
Klose trat hinzu, hob die Bürde auf die Bank, legte sie zwischen das junge Weib und sich und nahm am anderen Ende mit den Worten Platz:
»Wenn d'rs nischt verschlägt und du bist nicht böse, da setz' ich mich a weng.«
»Warum, ja, ja, immer setz dich, aber was ich fragen will, warum läßt du denn den Packs nich liegen?«
Der Trinker starrte lange auf die Erde und sagte dann: »Heiliges Mädla – heiliges Mädla«, sah sie an, fuhr mit dem Kopf wieder herunter und wiederholte noch einmal »heiliges Mädla«.
Danach richtete er sich auf und antwortete:
»Kleen is groß und groß kleen. Ein gutes Herze hat keen Kopp; aber 's steckt doch schon in dei'm Auge! Ja, ja! – 's is zum Lachen! Nahmen wr an, 's reg'nt, oder dr Wind geht, oder ein Feuer kommt übers Haus, in a Busch, cetera pee.
Nich wahr? – Gut. Du kniest hin und hebst die Hände ei die Höh'. Nach? Hahaha!«
Er sah sie überlegen an, stand auf, trat hin und her und setzte sich endlich wieder. Mit einer wegwerfenden Handbewegung begann er von neuem:
»Hahaha! Haben wir alls gemacht, noch mehr! Gleichsam mit'm Geneipe mittendruf zu: Gesungen, geschlagen, ausgefrorn, gehungert, bis de Haare a so viel wußten wie dr Kopp, hahaha! aber nich locker gelassen, immer druf, immer druf, mittenrein ...«
Kopfschüttelnd brach er ab und griff mit den mageren Fingern verzweifelt ineinander und vollendete dumpf:
»'s reg'nt weiter ... 's reg'nt weiter ... deswegen heeßt's wohl auch: dr Teufel is manchmal ein Ziegenbock! Je mehr dich wehrst, je mehr a stößt. Laßt mich zufriede!«
Er spuckte aus, stützte sich auf die Knie und starrte zu Boden, als sei er ganz einsam.
»Aber Guste, dr Herrgott, denk' och! ...«
Klose rührte sich nicht; er sah aus, als sei er zu einem Ballen Verschrumpft. Die Arme herabhängend, handverschlungen, zwischen die Knie geklemmt; der Kopf in die Achseln gedrückt; der Rücken gekrümmt, wie ein krankhafter Auswuchs. Lange hörte Marie nichts als den keuchenden Atem, der Verwachsenen eigen ist.
Dann kamen Worte, stier, als rühre ein dürres Stäbchen im Leeren.
Er schien sie wieder ganz vergessen zu haben und nur mit seinem Schicksal zu reden, zog sich unter widerwilligen Lauten auseinander, saß eine Weile in steifer Starrheit und begann dann dumpf auf seine Fußspitzen zu reden, die er auf und nieder wippen ließ:
»Aber 's is noch nich gut ... nee, nee! ich spür's... es läßt nich locker ...«
Gramvoll richtete er sein Auge zum Himmel und redete Gott selber an:
»Das is a Müller! Eh' nich 's letzte Stäubla raus is, läßt der nich locker. Siehst du, wer ich eigentlich bin?«
Mit dieser Frage wandte er sich plötzlich wieder an Marie.
Dem jungen Weibe traten die Tranen in die Augen, da sie in dies gepeinigte erdfahle Antlitz sah, und sie brachte kein Wort hervor.
»Marie! Siehst du's nich?«
Seine Stimme zitterte in Angst.
»Ein guter Mensch bist du ...«, antwortete sie mitleidsvoll.
Über den Trinker kam eine tiefe Erregung, er stand auf und atmete, als sollte er ersticken, schickte sich an, zu entlaufen, sah sie verstört an, kam zurück und sank stöhnend auf seinen Platz nieder.
Das junge Weib glaubte, Klose sei plötzlich wahnsinnig geworden, wagte aber nicht, sich zu entfernen, weil sie fürchtete, daß er sie dann anfallen und ihr ein Leids antun könne.
»Gell, er stößt dich, daß de hinschlägst?« stotterte der Unglückliche vor sich nieder.
Marie aber fühlte, daß er sie frage.
»Er treib' dich nachts aus'm Bette, schmeißt dir's Essen of a Hals?«
Marie zuckte mit keiner Wimper.
»Alls weeß ich, alles!« endete der Schuster, als er aufgesehen und keine Zustimmung in Maries Gesicht wahrgenommen hatte.
»Haha, und da willst du sprechen, ich war' ein guter Mensch! Heil'ges Madla... aber laß gut sein, es mag gehn, a so lange es geht, a mal kommt's über mich ganz, ganz, und ich Hab' eene starke Hand und lösch' alles aus ...«
Seine Stimme war voll geworden, ein singendes, junges, süchtiges Schweben. Er hatte die Hände ineinandergeschlungen und nickte leise vor sich hin.
Marie erkannte, daß er wieder bei Besinnung sei, erhob sich geräuschlos und nahm die Bürde auf den Rücken.
»Behüt' dich Gott«, sagte sie, »und wenn du nich weeßt, wohin, unse Haus is hinterm Busch«, und ging davon.
Der Schuster regte sich nicht. Erst als sie schon weit fort war, erhob er sein Auge und sah ihr lange sinnend nach.
Das stille Licht des Herbstes rann über sein Antlitz, und es war, als lächelte er in seliger Gewißheit.