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Dumpf hallten die Schläge durch den Vogesenwald. Ein Schauer von rostigen Nadeln ging nieder, mit gesträubtem Schwanz fuhr ein Eichhorn durch die zitternden Wipfel, und die blasse Sonne irrlichterte über den dunklen Grund, unsicher tastend wie ein Sterbendes.
Als der letzte Axtschlag klang, war ein Knirschen im Ton, das in ein Ächzen auslief. Hoch oben im schlanken Stamm entstand ein Winseln, ein Knistern – dann war alles still.
Nur der schwere Atem des Mannes ging durch den Wald.
Ein Lachen kam aus der Tiefe, wo der Wald sich in die Schlucht gedrängt hatte und die schwarzen Wipfel grausend, wie gebannt starrten.
Der Holzhauer griff in die Seile, die den angeschlagenen Stamm hielten. Da lief ein Zittern durch die Tanne, und der Stamm klang dumpf, bis ein rieselnder Regen gelber Nadeln niederging und hart auf die Farne schlug. Dann stand der Baum wieder unbeweglich, und aus der furchtbaren Wunde, die das Beil in den Wurzelstock gefressen, sickerte stark duftend sein Leben.
Weiter oben am Hang lag schon eine Tanne gefällt. Mit hurtigen Hieben hatten sie der Sterbenden die Glieder gelöst, nun lag sie nackt, kahl, die braune Haut in breiten Streifen abgeschält, daß das blasse Fleisch entblößt schimmerte. Das Haupt wühlte sich, vom Rumpf getrennt, mit starrenden, geknickten Borsten in den Grund, und leuchtender Fingerhut schob seine roten Becher zwischen dem Gewirr stürzender Nadeln ans Licht, als müßte er die Riesin tränken in ihrem Todeskampf.
Wieder klang das Lachen aus dem Schrund, heller und näher, brünstiges Lachen eines Weibes, das aufwärts 160 steigt zwischen den Stämmen und lockt, als müßte ihm Antwort werden. Und da jauchzt auch ferner Stimmenhall, läuft dunkeltönige Antwort von der Kuppe, wo der Wald sich den Berg hinandrängt, den Hang herunter und grüßt das Echo in der Schlucht.
Der Holzhauer ließ das Seil gleiten.
Die Tanne stand regungslos, als wüßte sie, daß jede Bewegung ihre Kraft zerbrechen, sie aus dem Gleichgewicht werfen und stürzen könnte.
Der Holzhauer spähte den Hang hinauf und hinab ins Tal.
»Vorwärts, es ist Zeit,« rief er und seine kalte Stimme sprang deutlicher und behender durch den Wald als das Jauchzen der anderen.
»Habt Ihr schon angeseilt,« rief der Schlitter und kam auf seinen festen Schuhen, die das Geröll zerknirschten mit den vierkantigen Nägeln, stolz die Kuppe herab, die Jacke auf der Schulter, blanke Perlen im Vließ der breiten, gelüfteten Brust.
Von unten aber rief's:
»M'y voilà, und statt dem Kirsch bring ich Ameisengeist auf den Berg!«
Und wieder lachte die Frau.
»Was ist mit dem Schnaps?« knurrte der Holzhauer und warf ihr einen bösen Blick zu.
»Ich bin in ein Waldhengstennest geraten im Schlatten unten, ein neues, grad hinter dem Schrund, wo der Schlittweg hinabgeht – ah, die Ungeister, jetzt zwicken sie mich schon ganz oben!«
Sie schüttelte lachend den Rock und bewegte die Beine, warf den Leib wie im Taumel und griff nach den runden Hüften.
Der Schlitter lachte, aber seine Lache wurde zu einem stöhnenden Laut und erstickte plötzlich. Mit zusammengebissenen Zähnen starrte er schweratmend auf das junge Weib, das den Korb mit dem Laib Brot und dem Trinkgeschirr auf den Boden gestellt hatte und den Rock 161 schwenkte. Die roten Strümpfe leuchteten, und als sie nach den Schenkeln fuhr, wo sie die Ameisen zu spüren wähnte, schimmerte es glatt und weiß hervor, gelblich glänzend über den Knien.
»Julie, die Hände herunter, wegen ein paar Waldhengsten brauchst du noch lang nicht den Rock zu kehren.«
Der Holzhauer schlug mit dem Ende des Seils nach ihr bei den letzten Worten, die selber fielen wie Geißelhiebe.
Das Weib aber blickte über ihn hinweg zu dem anderen empor, der höher stand und sie mit den Augen verschlang: »Pends-toi, mais laisse moi tranquille, tu entends,« warf sie immer noch lachend hin, aber es war ein wilder hässiger Zug in ihrem Gesicht, und plötzlich griff sie das Seil, das er nach ihr gezückt hatte.
»Zieht an, was steht ihr denn und wartet, bis die Tannen von selber fallen,« rief sie.
Da sprang der Bursch herzu, und das Seil klang wie eine Saite in ihren Fäusten. Zu dritt zogen sie. Zuvorderst der Bursch, hinter ihm, dicht an ihn geschmiegt, die Hände hart an den seinen, Griff an Griff, Leib an Leib, die Frau und zu hinterst der Mann. Der hatte jetzt nur noch Auge für den zitternden, erst langsam, dann schneller schwankenden, schwingenden Baum. Der Wipfel bewegte sich wild, angstvoll griffen die Zweige um sich, schlugen in die leere Luft, fegten von den Nachbarn, die schaudernd standen, wie erstarrt in ohnmächtiger Kraft, die braunen Nadeln, daß sie wie Pfeile auf den nackten Armen brannten im Schwung und spitz in das geblähte Hemd des Burschen und in die Haare und zwischen die Brüste des Weibes drangen.
»Hohop, hohop,« keuchte der Holzhauer, und die Tanne tanzte den Takt ihres letzten Tanzes im Schwunge des Seils.
»Nundedie, die hält,« keuchte der Bursch und lehnte sich fester gegen die wogende Brust hinter ihm, den Kopf zurückgepreßt, daß der heiße Atem der Frau ihm ins Ohr und über die Backe strich und er den herben Duft 162 ihres Leibes atmete, der selbst den Harzgeruch des sterbenden Baumes erstickte.
Und da packte sie plötzlich ein rasendes Verlangen und trotzdem der Mann hinter ihr stand, ja mit dem Gefühl, daß er ihr die Faust ins Genick schlagen werde, beugte sie jäh das Gesicht auf die Schulter des Burschen und biß ihn durch das Hemd in den schwellenden Arm.
»Gott verdammi,« brüllte er auf und ließ das Seil fahren, daß die Tanne rückschnellend die beiden anderen übereinander auf den glatten Grund riß.
Lang hingeworfen lag die schöne Julie und über ihr wälzte sich fluchend ihr Mann.
Und fluchend fuhr er in die Höhe.
»Cré nom de foudre, was kommt dich an, daß du das Seil fahren läßt,« schrie er wütend.
Die Julie hatte sich herumgewälzt und saß in den Knien, die Arme über den Kopf erhoben, von dem die Flechten niederrollten. Einen Kamm zwischen den Zähnen, schielte sie spitzbübisch zu den Männern auf.
Der Schlitter fing den Blick, und ein wohliges Grausen lief ihm den Rücken hinab. Er wurde blaß unter der Kupferbräune seines festen glatten Gesichtes, in dem der Mund unter dem krausen blonden Schnurrbart brannte.
Da schrie ihn der Holzhauer noch einmal an: »Sag, hat dich ein Huhn gepickt, du Schnakenpeter?«
»Ein Huhn, warum nicht? Meinetwegen sogar ein Welschhuhn,« antwortete er langsam und strich das Hemd über der Schulter glatt, wo ein flimmernder Schmerz über dem Zahnkräuzlein der Julie Pécot tanzte.
Julie aber stand auf, schweigsam, mit weichen lässigen Bewegungen, Schatten unter den schwarzen Augen und ihre Brust ging schnell, als sie zu ihrem Mann trat und ihm das Seil wieder in die Hand gab.
»Er hat einen Krampf gehabt, und jetzt machet zu, sonst steht sie noch am Jüngsten Tag,« sprach sie.
Und prüfend zog sie spielerisch das Seil an. Da lief, ehe noch die Männer zugriffen, ein Zittern durch den 163 Baum. Langsam neigte sich der Stamm, sprang an der Wurzel Spahn um Spahn, schlug der Wipfel rauschend durch das Geäst der Nachbarn, glitt der Baum tiefer in die Neige, hing einen Augenblick in der Schwebe und stürzte plötzlich, von aller Kraft verlassen, dröhnend zur Erde.
Rasch hatten die Männer das Seil an sich gerissen und um den nächsten Baum geschlungen, denn der steile Hang zog die gestürzte Tanne hinab. Nun lag sie verstrickt wider die Stämme geworfen, und über ihr stand die gelbe Herbstsonne und starrte auf den zerwühlten Wurzelgrund.
Eine Zeitlang war tiefes erschrockenes Schweigen. Nur die Nadeln rieselten, dann lachte der Holzhauer auf, als müßte er einen Druck abschütteln, und sagte: »Du hast nur gezupft, als du allein warst, und da ist sie gefallen.«
»Nur gezupft,« wiederholte der Schlitter und eine Welle heißen Blutes rötete ihm das Gesicht.
»Greif an, weiß der Satan, was dich heut' plagt, Veri,« mahnte der andere, und sie liefen mit den Beilen die Äste zu lösen.
Aber ungeschickt und kraftlos schlug der Veri, und seine Schneide glitt ab und klirrte in den Waldboden.
Da rief der Mann der Julie Pécot: »Simpel, pass' auf, du verkaibst einem noch den Baum.«
»Was, Simpel,« schrie der Veri in plötzlicher Wut, und ehe sie wußten, wie es geschehen, standen sie einander gegenüber, die schweren Beile in der Faust, glitzernde Lust im Auge und stießen den heißen Atem durch die verbissenen Zähne.
Das Weib, das im Korb gekramt hatte, erhob sich schnell, und ihr unruhiges schwarzes Auge flog von einem zum anderen. Der Holzhauer hatte den Kopf zwischen die breiten, leichtgewölbten Schultern gezogen. In den Mundwinkeln klebte der Tabakssaft, und das schlechtgeschabte, bläuliche Kinn zitterte krampfhaft im Spiel der Muskeln. Ein grünlicher Schimmer lief über das buschige, dunkle Haar. So stand er mit eingezogenem 164 Leib, geduckt, die Schneide des Beils drohte von unten herauf. Der andere aber hatte sich zurückgeworfen, die Brust sprang vor, der Leib war gestrafft, daß der Ledergürtel tief in den Hosengurt schnitt und an dem glatten Hals klopften die Adern. Hoch hielt er die Axt gezückt, über seinem blonden Krauskopf schwebte die bläuliche Schneide und unter den aufgewulsteten Hemdärmeln glänzten die Oberarme wie Schnee. Bis zum Ellbogen lief die bräunliche Röte der nervigen Fäuste.
So standen sie über dem Leichnam der Tanne und bohrten die schweren Schuhe in den moosigen Waldgrund, über den gescheuchte Kerfe rannten, die das Erdbeben des Baumsturzes aufgejagt hatte.
Unwillkürlich hielt die Frau den Atem an und wartete mit einem wollüstig grausenden Gefühl auf den Kampf der beiden Männer.
»Wenn du ihr aufs Hemd kniest, frißt dich die Axt,« knirschte der ältere.
»Probier's,« trotzte der Bursch, und eine wilde Lust schwellte ihm die Adern, als plötzlich die Eifersucht des anderen aus dem versteckten Hohn stach. Noch höher hob er, breitbeinig sich wiegend, die Axt.
»Zurück, Veri,« schrie wild das Weib und sprang mit einem gellenden Schrei herzu und riß ihn aus dem Bereich der Axt, die ihr Mann von unten her mit einem gefährlichen kurzen Griff in die Weiche des Gegners zückte, der, hochaufgerichtet, ihm den ungeschützten, gespannten Leib bot.
Und »probier's«, schrie jetzt auch sie und trat vor den taumelnden Burschen, Auge in Auge ihm gegenüber.
Aber ein gequälter Blick glitt über sie hin, und plötzlich sich abwendend, ging der Mann mit müden Knien den Stamm entlang und hieb mit geschickten Streichen die Äste weg, stumm, ohne aufzuschauen; dann nahm er die Säge, die unter den Farnen lag, und schnitt den Wipfel ab. 165
Der Veri stand und sah ihm zu, dumpfes Staunen bannte ihn fest. Er wußte nicht recht, was geschah. Das Weib las mit zitternden Fingern die letzten blauen Beeren aus dem Waldkraut und führte sie zum trockenen Munde.
Nach einer Weile, als die Tanne bereit lag zur Fahrt in die Mühle, richtete sich der Holzhauer auf.
»Das Holz oben auf dem Roßkopf geht morgen ins Tal, drei Schlitten, hernach zahl' ich dich aus.«
Hart und kalt kamen die Worte aus seinem Munde.
Der Veri, der bis auf diese Stunde blind gewesen war, erwiderte übermütig: »Recht so, so sind's justament vierzehn Tage, daß ich engagiert bin.«
»Justament,« wiederholte leise die schwarze Julie, und das Wort schlich über den tönenden Waldboden, wo die braunen Nadeln gehäuft lagen, zu ihm hin und hauchte ihm heiß ins Ohr und ertrank darin.
Der Mann, der am Wipfelstock stand, hatte es nicht gehört.
Aus dem schwarzen Hochwald aber kam ein seltsamer Ton, bald tief, bald heller, jetzt wie ein Heulen, dann ein Jauchzen und nun ein sprödes Quirilieren. Er kam näher, lief mit dem Widerhall den Schlatten hinab, und jetzt erschien oben an der Kuppe, wo die Schlittbahn ihre Gleise und Sprossen an der Schlucht entlang spann, der Bergschlitten. Hochaufgetürmt lastete das Scheitholz auf dem schweren Gerüst. Zwischen den geschwungenen, als Hörner vornaufstrebenden Kufen schritt der Schlitter. Den Leib zurückgeworfen, die Fäuste um die Hörner geballt, den Blick auf die Sprossen des Leiterwegs gerichtet, trat er die schweren Schuhe taktmäßig gegen die ausgekerbten, geglätteten Balken. Hinter ihm, über ihm drohte die Last, die ihn zwang, Schritt vor Schritt zu setzen, und ihm nicht gestattete, den Leib zu ruhen und den Blick von den Sprossen zu wenden, bis der Gang aus dem entlegenen Hochwald in die Talschlucht zurückgelegt war, wo die Bäche brausten und die 166 Sägemühlen schnarchten. Jetzt glitt der Schlitten über sanftere Neigung, das Heulen der Kufen auf dem Gleis wurde leiser, schon übertönte der dumpfe taktmäßige Tritt den Lärm, und nun entschwand der Schlitten an der Kehre und verlor sich in den waldigen Gründen.
Da hielt es den Veri nicht, und er jauchzte plötzlich laut in das Schweigen, das wieder Herr geworden war im Gebirg.
»Man sieht, daß du kein Schlitter bist von Kindsbeinen,« spottete Julie, »es grüßt keiner den Schlitten auf der Fahrt.«
»Eh bien, so grüß ich ihn halt,« erwiderte er und schlug jetzt in der übermütigen Kraft, die in ihm wach geworden war, so stark gegen den Wurzelstock, an dem die Tanne mit zersplittertem Spanwerk noch hing, daß die letzte Verbindung getrennt wurde und die Axt hell erklang beim Einhieb in den Strunk.
»Daß es einen aus der Bahn wirft, wenn du ihn anjuchzest, das wär', mein' Seel, ein rechts Narrenstückle von so einem, wie du bist. Tritt in den Schlitten mit einer Beige Holz und komm vom Roßkopf über die Mooshütte und den rocher du moine drei Stunden herab ins Tal, und zähl' die Stapfeln – und du wirst spüren, was das heißt!«
Sie war eifrig geworden.
»Das ist kein Mordsstück, ich nehm' Euch noch aufs Holz und kutschier die Julie Pécot samt dem Schlitten in die Säge,« gab er zurück.
»Geh heim mit dem Korb!«
Sie fuhren auf, als der Anruf ertönte. Der Mann hatte Brot und Flasche aus dem Korb genommen und stieß den leeren Behälter mit dem Fuße zu der Frau hin. Der Mann! Den hatte sie ganz vergessen, und auch der Bursch blickte verwundert, als wüßte er nicht, woher die Stimme kam, auf den anderen.
Die Julie aber ergriff den Korb, und in einer plötzlichen wilden Lust rief sie, indem sie rasch über den 167 Stamm der Tanne sprang: »Es gilt, Jacqui, der Veri nimmt mich auf den Schlitten beim letzten Gang.«
»Du Satan,« knirschte der Mann, der mit zitternden Fingern das Brot auseinanderriß und unwillkürlich den Arm hob, den Brocken nach ihr zu werfen, aber schon lief sie den Hang hinab, zwischen den schlanken Stämmen hin, und ihr Lachen verlor sich in der Ferne.
Die beiden Männer kauten trockenen Halses, stumm, mißtrauisch das Brot. Als der Ältere dem Jüngeren die Flasche reichte, tauschten sie einen feindseligen Blick.
Stumm brachten sie den Tag zu Ende. Als die Abendsonne hinter den Berg sank und rote Glut über den Tannen verflackerte, schulterten sie die Äxte und rüsteten zum Heimgang. Da wurde der Veri wieder lässig und schritt achtlos voraus. Dicht hinter ihm ging der Holzhauer. Zuweilen gab es ihm einen Ruck in dem Arm, der die Axt über der Schulter festhielt. Als sie durch den Buchenwald kamen, wo das Weglein von roten Brombeerranken gepeitscht wurde und der Dunst der Moorwiesen im Tale zwischen den Kronen hing, räusperte sich der Mann und sagte mit einer seltsam weichen Stimme:
»32 Livres und 10 Sous macht dein Lohn und das Holz auf dem Roßkopf, das geht ab von deinem Beding. Ich zahl' dich aus.«
Der Bursch blieb stehen.
»Das Holz geht ab?«
»Ich hol's selber heim.«
Immer noch der verhaltene Ton.
»Ihr selber?«
»Ja, ich.«
Und als der Veri stand und grübelte, legte ihm der Mann die Hand auf den Arm und sprach heiser:
»Geh' ins ›Kreuz‹, ich bring' dir den Lohn.«
Da schüttelte der Bursch die Hand ab und schrie:
»Ich will den Lohn nicht, drei Schlitten bring' ich noch ab dem Berg. Das ist's Beding. Und ich bin gut dafür.« 168
Er hatte alles vergessen. Daß ihm der Schlittergang versagt wurde, um den die Julie ihn gehöhnt hatte, das brannte ihm auf der Ehre.
Der andere aber sah nur sie und wußte von nichts anderem, als er wild auffuhr und seine Axt lüftete.
»Aha, ist's das! Drei Schlitten und die Frau geht drein ins Gewicht! Pas bête, der Verele – aber . . .«
Die Stimme erstickte im rasenden Weh, und diesmal schlugen ihre Äxte scharf gegeneinander. Mit keuchendem Atem standen sie auf der Blöße, traten den Boden hart und warfen die schweren langstieligen Eisen im Schwung ums Haupt. Und wieder zielte der Ältere nach dem Leib des Gegners, der nur die Brust schirmte. Und wiederum kam weit her ein Schrei, hell und lockend, und sie ließen die Äxte sinken und lauschten auf den Ruf, der aus dem Tal heraufschwoll. Es war ihre Stimme.
Da stieß der Veri plötzlich einen wilden Jauchzer aus, der sprang gewaltig aus seiner Brust und fuhr wie der Schrei des Hirsches durch den Bergwald, und seine Jacke vom Boden greifend und die Axt schulternd, schwang er sich aus dem Bereich des Gegners und stürmte den Berg hinan. Und als er wohl hundert Schritte entfernt war, reckte er sich auf einer grasigen Kuppe, hob das Beil, daß es Funken und Blut schwitzte in der glutroten Abendlohe, die über den Bergen hing, und schrie hinab:
»Drei Schlitten, Jacques Pécot, und hernach sind wir quitt.«
Und er jauchzte noch einmal, daß der Hall ins Tal stob, wo ihm Antwort klang, die dem Jacques Pécot das Herz abfraß. Aber schon stieg der andere entschlossen den Berg hinauf, heute noch die Holzhütte am Roßkopf zu erreichen und morgen in der Frühe das Holz ins Tal zu schlittern, und der Holzhauer ordnete Axt und Säge über der Schulter und ging langsam, mit schweren Schritten dem Rauch des Dorfes entgegen, das im Abendglast brannte. Bald schob die Nacht ihre Schatten auf seinen Weg, der Wald rauschte im Talwind. Hie 169 und dort lag eine Tanne, die schon zu Tal geschleift war, gelblich fahl schimmerte ihr toter niedergeworfener Leib im Zwielicht.
Auf der Allmend, wo der Schlittweg endete, lagerten gewaltige Massen wohlgeschichteter Scheiter und Rundhölzer. Ein abgeladener Schlitten reckte seine Hörner in den Glast, und darauf saß die Julie Pécot und hielt das Knie mit den Händen umfaßt und summte ein welsches Lied und saß, bis der Mann zu ihr trat und rauh, mit stammelnder Stimme zu ihr sprach:
»Was hockst du da, komm heim!«
Sie sah ihn an und fragte:
»Wo ist er?«
Da ließ er die Axt von der Schulter gleiten und antwortete:
»Er ist noch am Leben.«
Wie eine Katze schnellte sie auf. Dicht brannte ihr Mund vor seinen Augen, als sie sich reckte und raunte:
»Du gehst ihm nicht dran, du nicht! Das weiß ich!«
Und ein wilder grausamer Zug entstellte ihr Gesicht.
Da hob er langsam die rechte Hand und schlug sie mitten ins Gesicht und schrie mit einer seltsamen, tonlosen Stimme:
»Nein, ich nicht, aber du, du Satan! Wenn ich ihn unters Beil leg', so bist du das Eisen, das ihn frißt.«
Er riß sie an sich, ergriff die Hand, mit der sie das Gesicht schirmte vor einem zweiten Schlag, und hielt sie mit eisernem Griff und zog sie mit sich über den Mattenweg zu der Hütte, auf der schon die schwarze Nacht lag. Stumm, willenlos folgte die Julie Pécot.
Feuchte Schwüle brütete im Tale. Schwaden farbigen Gewölks, zerflockt und zu Strähnen aufgelöst, irrten am Himmel, der blaßgrün gerändert über den Bergen stand. In der Schlafkammer neben dem Küchenraum warf sich die Frau auf dem harten Lager, doch ein sehniger Arm hielt sie umklammert. Da ergab sie sich. Aber ihre Augen brannten und sie biß die Zähne 170 zusammen und lauschte gierig auf das Rauschen des Baches, der von der Säge herabfloß.
Durch das kleine Fenster mit der blinden, gesprungenen Scheibe stach die Nacht herein, eine weiße unruhige Nacht, die den Schlaf nicht kennt. Aber neben dem Weib strich harter, schwerer Atem über das Kissen, der Mann war eingeschlafen, als er im letzten wütenden Kampf um den Besitz Sieger geblieben war. Ein trotziger Triumph schürzte noch im Schlaf seine Brauen, sein Arm überbrückte den Leib der Frau und kettete sie fest.
Die Stunden schlichen.
Milchiger Schein schwamm in der Kammer. Ein Hahn krähte in der Mühle und kündete vor Morgen schon den Tag. Da schwoll der Julie das Herz hoch und höher, und unruhig zuckten ihre Hände und tasteten die Finger entlang, die sich um den Strohsack krampften und siehe, als sie mit Streicheln darüber glitt, löste sich die Faust und sank schlaff über die Bettlade. Geschmeidig entwand sich das Weib dem gelockerten Griff und schlüpfte aus dem Bett. Noch einmal bückte sie sich über den Schläfer, der, Blei in den Lidern, wie tot lag und den Atem schnarchend durch die Zähne stieß. Die Frau machte eine wilde, lasterhafte Gebärde, raffte die Röcke vom Boden und glitt aus der Kammer in die verbleichende Nacht.
Als im ersten Tagesgrauen die schwerleibigen Bremsen, die sich in der Kammer gefangen hatten, den Kopf gegen die Fensterscheibe stießen, erwachte Jacques Pécot. Mit einem Schlag war das Schnarchen verstummt, ein Schlucken der trockenen Kehle und er lag mit offenen Augen. Dumpf hob sich sein Bewußtsein aus dem Schlaf, aber dann warf er plötzlich die Arme über die Decke und saß aufrecht. Er tastete, tappte blind aus dem Bett, stammelte ihren Namen, suchte sie, fuhr in die Kleider und kroch in die Holzkammer und auf die Heubühne und suchte und suchte und hatte doch beim ersten Aufschnellen, bei dem Gefühl der Leere im Bett gewußt, daß sie nicht mehr da war. 171
Ein leichter Frühnebel hing über den Matten und wogte an den Berglehnen. Schwarz glänzte der Wiesenpfad, der hinter der Hütte zu der Holzleite hinlief. Dort hatten ihre Röcke den Tau gefegt. Er sah sie laufen, eilig, mit nackten Füßen, die Schuhe in den Händen, sah sie, roch sie, hörte den wilden Atem beim jähen Aufstieg, höher, noch höher, zu der Mooshütte, auf den Roßkopf.
Und er wich über die Schwelle zurück und hockte sich auf die Ofenbank, starrte stumpf vor sich hin und spie aus den gestampften Estrich und murmelte: »Du Luder!« und spie wieder aus und wiederholte das Wort und dabei zog es ihm die Brust zusammen und er hätte schreien mögen, brüllen und sie zwischen den Fäusten halten und –und –
»Cré nom de nom!«
Er fuhr wild von der Bank.
Auf dem Tisch stand die Flasche mit dem Kirschwasser, und der erste Tagesschein fing sich in dem kaltglänzenden Glas. Brotreste lagen daneben. Ein wildes Lachen verzog seinen Mund, als er kleine rote Ameisen über die Tischplatte laufen und im Brot wühlen sah. Mit einem Ruck hob er sich in den Schultern und trat an den Tisch, setzte die Flasche an den trockenen Mund und trank. Ein feuchter Brand fuhr ihm in den Leib und stieg ihm dampfend zu Kopf. Dann ging er in die Schlafkammer und warf die Jacke um, stülpte die Kappe auf und ergriff das Beil. Erst fegte er in der Stube noch das Brot vom Tisch und ließ die Hühner herein, die vor der Tür lebendig geworden waren und um Futter glucksten. Als sie zwischen seinen Beinen hindurch zu den Krumen strebten, scheu, mit langen Hälsen und roten Augen danach langten und dann die Füße hinter sich warfen und verschwanden, da lachte er über ihr Gebaren und murmelte heiser:
»Fresset, bis ihr krepiert!«
Hinter ihm rannten sie gierig wieder in die Stube. Er ließ die Tür offen und ging über die Matte, an den 172 Holzbeigen vorbei und den Schlittweg entlang dem Roßkopf zu. Sein Atem rauchte in den Nebel.
Es war noch kein Schlitten herabgekommen. Der Tau lag als schleimiger Rost auf den Balken und Schnecken klebten an den Schwellen. Er verschmähte den Weg, die Sprossen zogen ihn nach, mechanisch setzte er Fuß vor Fuß. Der Tannenwald stand dunkel über ihm; als eine Taube lachte, hob er den Kopf und die blasse Morgensonne erschrak vor seinem erdfarbenen verwüsteten Gesicht. An einer stark ausgetretenen Sprosse blieb er stehen und ließ den Hammerkopf der Axt darauffallen. Es gab einen dumpfen Klang. Sie hielt noch, es war keine Gefahr.
Schon war er zwei Stunden gestiegen, und er klomm weiter ohne zu rasten, mit leerem Hirn, wußte nicht, daß er keuchend zu Berg stieg. Da fuhr ihm plötzlich ein Schwindel in die Füße, und vor seinen Augen schnellten die Sprossen des Schlittwegs wild in die Höhe. Es war am Schrund, wo die Bahn dicht am Abgrund entlang lief. Er war auf der Talseite gegangen und stolperte unwillkürlich hastig über das Gleis, denn der Schlatten zog ihn an und drohte ihn hinabzureißen. Drüben lag eine Tanne, auf die hockte er sich und wühlte den Kopf in die Hände. Neben ihm schlug das Beil ins Heidekraut.
Ein Rieseln und Knistern war um ihn her. Er hörte es mit gereiztem Ohr: Käfer, Ameisen, die ums Leben rannten im fallenden Blattwerk. Und über diesem geschäftigen Geräusch, das wie mottendes Feuer nagt, hörte er das laute Heulen des Holzschlittens nicht, der vom Roßkopf herabkam. Erst als ein dumpfer taktmäßiger Stoß die Bahn erschütterte, wurde er wach.
Er sah ihn kommen. Als der Schlitten aus dem Wald auf die Blöße trat, verstummte der Lärm der Kufen, geräuschlos zog er über die taufeuchten schlüpfrigen Sprossen. Hoch aufgebeigt Scheit an Scheit. Davor zwischen den Hörnern der Schlitter in Hemdärmeln, den 173 Rücken ans Holz gestemmt, die Augen vor sich auf die Schwellen gerichtet, die sein Schuh im Takte traf. Hoch oben aber hockte auf den gelben Scheitern im roten Rock die Julie Pécot, hielt sich an den Spitzen der Hörner und starrte mit einem wollüstigen Bangen über die Waldblöße ins Dunkel, wo der Schlittweg wieder in den Forst verschwand.
Er hatte sie im prahlerischen Trotz auf den Schlitten gezwungen. Und als sie sich gewehrt und gesagt hatte: »Er kommt so gewiß, als es Tag ist,« da war er aufgefahren und hatte geantwortet: »Gotts Donner, so kommt er halt, ich mach's mit ihm aus.«
Nun saß sie auf dem gebeigten Holz, und der Veri ging zwischen den Hörnern, in die der Jacqui sein Zeichen eingebrannt hatte, zwei Kreuze mit den Spitzen gegeneinander.
Und sie hob sich in den Knien, blickte auf den blonden Krauskopf und die starken weißen Arme, und ein kühler Schauer zog ihr wohlig den Nacken hinab.
Tief aufatmend sank sie in die Knie zurück.
Der Schlitten glitt wieder in den Schatten. Da stieß das Weib jählings einen Schrei aus, der das Echo aus allen Winkeln hetzte, und der Schlitten tat einen harten Ruck. Noch hielt ihn der Bursch, aufgeschreckt aus seinem steten Gang. Und die Augen auf die Sprossen geheftet, rascher tretend, um von der Last nicht überrannt zu werden, keuchte er: »Hock still beim Eid oder –«
Aber sie war schon verstummt. Mit weit geöffneten Augen, schwindelnd, unfähig zu atmen, keuchend, als müßte sie den Schlitten steuern, starrte sie auf den Mann, der dort unten aufgewachsen war und mit der Axt in den Händen auf sie wartete.
Und jetzt hatte ihn im raschen Aufblick auch der Veri gesehen. Wieder lief der Schlitten schneller gegen ihn an, und er warf den Leib mit Kraft dagegen und trat rascher, noch rascher, die heranschießenden Sprossen kaum noch erhaschend. Das Blut brauste ihm in den Ohren, 174 die Arme starben ihm ab. Der dort unten stand mitten auf dem Weg. Mitten auf dem Weg, die Axt in der Hand. Und der hatte dort stehen müssen. Der Schlitten, der verdammte Schlitten und das Holz! Und auf einmal schrie der Veri, es war ihm nur so aus der Brust in die Kehle gefahren, den Notruf der Schlitter in den hellen Tag, den Ruf um freie Bahn.
Der Mann ließ die Axt sinken, als der Schrei über ihn hinfuhr, grausig in seiner wilden Not. Er hatte noch keinen Schlag gegen die Sprosse getan, um den Schlitten in den Tod zu senden, und der Schlitten kam näher und näher. Unaufhaltsam.
Der Veri konnte nicht anhalten, nicht fahren lassen, nichts als treten, treten, treten. Und auf der Holzbeige kauerte die Julie Pécot im roten Rock und glitt mit ihm in den Tod.
Da schrie der Schlitter noch einmal, diesmal wußte er, was er tat. Und diesmal fing das Ohr des Holzhauers den Ton, und unwillkürlich gab er die Bahn frei und trat zur Seite. Reglos stand er und sah den Schlitten kommen, sah, erkannte, erfaßte, daß dort einer ohne seine Axt in den Tod fuhr.
Und plötzlich packte er die Axt fester und schrie zu dem Weib hinauf: »Wirf das Holz ab, daß es leichtert. Ab damit! Er sperrt nimmer lang!«
Er hatte recht gesehen, der Veri war am Ende. Schon lief der Schlitten krumm, schon stieß ihn die Last fast unter die Beige, schon knickten die Knie im schwindelnden Takt. Und der Veri hörte, was der andere rief, dankte es ihm, aber er konnte nichts tun, als treten, treten, treten.
Noch einmal rief der Jacques und sah nichts als die Not des Schlitters, den der Schlitten überrennt, vergaß, wer dort schlitterte, vergaß, wen der dort schlitterte und schrie: »Ab mit dem Holz, eins ums andere, ab mit in den Schlatten!«
Und jetzt griff das Weib, das ihn endlich verstanden hatte, in die Scheiter, um sie hinabzuwälzen. Aber da 175 trat der Veri dicht vor dem Mann, der die Axt weggeworfen hatte und sich anschickte, den Schlitten hinten am Sperrholz zu packen, mit dem rechten Fuß fehl, und glitt aus. Die Frau verlor das Gleichgewicht. Schon bäumte sich der Schlitten, verschwand der Schlitter, klein geworden unter der Last, brach, in jähem Wirbel unter- und übereinanderstürzend, das ganze Holz zusammen und bedeckte den Burschen, der stumm, mit einem letzten trotzigen Ächzen erlag. Einen Augenblick staute sich der Wust. Mit einem Griff riß der Mann sein Weib, das sich an die meisterlosen Scheiter klammerte, von dem brechenden Gerüst, dann prasselte der Schlitten in den Abgrund. Die Scheiter schossen durch das Kraut, schlugen in die Büsche, schnellten über die Wipfel, und manch eines tat wilde, hohe Sätze, wie entronnen dem Tode, der den Leichnam des Schlitters als ein blutiges, unkenntliches Bündel achtlos in das Heidekraut warf, wo es liegen blieb, während das Holz noch lange bergab rollte, ruhte, um plötzlich wieder in lustigen Sprüngen über die Felsen zu setzen, bis es endlich polternd, von einem kichernden Steinregen verfolgt, in der Tiefe verschwand.
Jacques Pécot hatte die Kappe abgenommen. Neben ihm kauerte mit irren Blicken sein Weib, eine blutige Schramme lief ihr über die Backe. Das Grausen hielt sie gepackt. Plötzlich aber schrie sie gellend auf, sprang in die Höhe und lief wie gehetzt den Schlittweg entlang den Berg hinunter und brach erst auf dem Bett in der Schlafkammer nieder, von dem sie sich in der Nacht hinweggestohlen hatte auf den Berg.
* * *
Als sie bei dem Begräbnis zu Jacques Pécot sagten: »Zwei Schlitten hatte er Euch noch zu führen, n'est-ce-pas?«, antwortete der Holzhauer ruhig: »Er ist unterm Holz geblieben, er ist mir nichts mehr schuldig.«