Hermann Stegemann
Daniel Junt / Die Himmelspacher
Hermann Stegemann

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Das Wunder

Sie standen mitten auf dem Gottesacker vor der weißen Kirche. Die Abendsonne schlug durch die Gewitterwolken.

Da beendigte der Pfarrer das Gespräch, indem er die Soutane wie ein Weiberkleid aufraffte und, über Pfützen und Gräber stelzend, zu dem Bauer sagte: »Eh bien, wer kein Ohr hat, der muß den Buckel hinhalten, das ist eine alte Regel. Und wenn Ihr das Saufen nicht laßt und Euer Weib nicht das Maul in acht nimmt, ja, dann habt Ihr halt die Hölle daheim, die feurige Hölle. Und die hätt' doch noch im anderen Leben für Euch Zeit genug, n'est-ce pas?«

Sprach's und sah wohlgefällig auf den feurigen Schein, der das Tal durchflammte und ihm den treffenden Vergleich eingegeben hatte.

Der Bauer stieg ihm breitspurig nach und schlenkerte grimmig den Lehmgrund von den schweren Schuhen.

»An der Höll' fehlt bigoscht nicht viel, Herr Pfarr,« gab er kleinlaut zu und fuhr dann, da der Pfarrer schwieg, schlau fort: »Da habt Ihr recht, aber der Wein ist nicht schuld daran. Ich trink' ja nur, um das Gift totzutrinken, das sie mir zu kosten gibt.«

»Jetzt wird's mir nimmer besser!« schnaufte der Geistliche und blieb so plötzlich stehen, daß der Bauer, hinter ihm dreintrottend, ihm die Hacken heruntertrat.

»Excusez, Herr Pfarr,« stotterte er.

»Da ist nichts zu exkusieren, meine Strümpf' erleiden noch einen Hahnentritt, aber den Lug von dem gottlosen Saufen – den verzeiht Euch der Pfarr nimmer! Und – tenez, Sepple, daß Ihr nur wisset, wie's pfeift und geiget: Ihr und Euer Weib seid Futter für des 142 Teufels Zinken, wenn nicht ein Wunder Euch zu Hilf' kommt. Schad' um Euer Maidle, das Ihr auch noch verderbt! Bringet's unter die Haube, damit es den Krambol daheim nicht länger vor Augen hat, das ist alles, was ich noch weiß. So – – jetzt kennet Ihr dem Pfarr seine Meinung, und der Pfarr und seine Meinung, die sind beide nicht von gestern. Bon soir, Sepple!«

Und ehe der niedergeredete Bauer einen Schnaufer getan und Atem geschöpft hatte, stapfte der alte Herr den Weg entlang, zum Pförtchen hinein, und verschwand in der Sakristei.

Sepple starrte ihm nach und schnaufte wie einer, der lange unter Wasser gewesen ist.

»Kreuzhagel und Rebholz, der hat mir wieder einmal Bohnenstecken auf dem Schädel gespitzt!«

So befreite er endlich das beschwerte, verstörte Gemüt, dann drückte er den Filz aufs Ohr und verließ den Gottesacker. Er ging ins Wirtshaus. Dort holte ihn seine Tochter ab, als er nicht heim zur Nachtkost kam.

»Ich komm' schon, pressiert's euch mit den geschwellten Erdäpfeln denn alleweil so?« murrte er und schob sich heimwärts.

Unterwegs machte er auf einmal Halt und blinzelte sein Kind pfiffig an.

»Spät bist du ausgeschlüpft und ich könnt' dein Großvater sein. Aber zu jung heiraten, das ist nichts für ein Weibervolk, das nehm' ich an deiner Mutter ab.«

»Wer redet denn vom Heiraten, Vater?« stotterte das Mädchen, und die Sommersprossen, die auf seiner Nase saßen, verschwanden in einer brennenden Röte.

»Wer? Der Herr Pfarr, und wenn ich dich anschau' und seh', wie deine Backen zünden, so scheint mir das Ding nicht weit vom Weg zu sein. Hast du aufs mal schon einen Fuchs im Eisen? Red'!«

»Aber, Vater, was denket Ihr auch!« wehrte sich das Mädchen und schupfte in blinder Verlegenheit den dicken rotblonden Zopf, der auf seinem Kopf ein krauses Nest 143 bildete, so hin und her, daß die Strähne sich löste und ihm auf den starken Nacken fiel.

»Je nun, der Doppelzentner Erdäpfel drückt dich nicht zu Boden, wegen dem könnt'st du das Heiraten schon erleiden,« gab der Alte plötzlich wieder gutgelaunt zurück und seufzte dann wehleidig mit lustig zwinkernden Augen und einem schmerzlich verzogenen Mund: »Wenn deine Mutter so fest wär' wie du, Maidle, ich hätt' keine ganze Rippe mehr unterm Hemd.«

Das Mädchen antwortete nichts, es starrte in den weinroten Nachthimmel und schrak zusammen, als sie über den Hof gingen und die scharfe Stimme der Mutter aus der Küche zu ihnen herüberschallte.

»Aus dem Wirtshaus! Hab' ich's doch gewußt!« rief sie ihnen entgegen.

Der Vater aber hatte just so viel Wein im Leib, als zu einer rosigen Laune vonnöten, und erwiderte der Schmälenden: »Aber was der Herr Pfarr gesagt hat von uns, das errätst du nicht.«

»Was wird er gesagt haben,« gab sie scharf zurück, »daß du ein Lump bist, ein Vaurien, ein malproprer Fink!«

So ergoß sich die Lauge über sein Haupt. Aber er merkte, daß die Neugier stärker war als der Zorn, und entgegnete: »Das wär' justament nichts Neues. Nein, nein, ganz was anderes – und dann noch was ganz Besonderes!«

Er war in die rußige Küche getreten, und das Mädchen fuhr aufgeregt um den Tisch und warf zwei Hände voll Salz in die Salatschüssel.

Die Mutter nahm sich noch die Zeit, ihm für die doppelte Ladung einen Puff zu geben, dann herrschte sie den Mann an: »Red', was hat der Herr Pfarrer gesagt?«

Da schlug er der kleinen Frau, die das scharflinige Gesicht nicht von ihm wandte, die Hände auf die Schultern und sprach: »Er hat mir ein Wunder versprochen, und 144 dann käm' alles zum Guten. Mich tät der Wein nicht mehr regieren und dich die Bosheit und das Gift nicht mehr.«

Einen Augenblick starrte ihn die Bäuerin verblüfft an, dann schüttelte sie seine Hände ab und blies ihn an: »Bringst du das aus dem »Kreuz« heim? Schämst du dich denn vor deinem Herrgott nicht, den Pfarrer und das Sakrament zu verschimpfen?«

»Was fährt dir denn jetzt schon wieder über die Leber, Mutter? Wenn ich dir doch sag', daß das dem Pfarrer sein Wort ist. Ein Wunder, ein veritables Wunder – hat er gemeint.«

Jetzt wurde die Mutter nachdenklich. Sie schwieg eine Weile, und der Bauer setzte sich und langte in den Salat.

Da trat sie dicht zu ihm und flüsterte scheu: »Ein Wunder! Jesus Maria, das kann erschrecklich werden. Mit den Heiligen ist das so eine Sach'. Mir grauset's halber. Jetzt siehst du, Sepple, soweit bist du abgekommen vom Christenweg mit deinem Saufen.« Und sie tat einen schweren Seufzer.

Dem Bauer überliefen die Augen von dem versalzenen Salat, und er schluckte schweigend, lachte in sich hinein und machte einen krummen Rücken, damit der Schein der Küchenlampe ihn nicht verrate.

Auf einmal hob die Mutter den Kopf und fragte: »Hat er nicht noch mehr gesagt? Es ist mir so, wie wenn du noch mehr im Sack hättest.«

»Nichts Apartes mehr, nur daß das Rikele heiraten soll,« erwiderte er gleichmütig und fischte den Speck aus dem Salat.

Die Mutter aber ließ Brot und Gabel fallen.

»Das hat er gesagt! Das Kind aus dem Haus! Wegen mir am End' gar! Ah, der kommt mir geschlichen, das wär' mir noch schöner! Kannst dir's einbilden, Maidle!« keifte sie und fuhr dann auf das Mädchen los, das sich duckte wie ein Huhn vor dem Habicht.

»Ja, da kannst du jetzt giften, was du vermagst. Wenn der Pfarrer sagt, bei uns im Forlenhof sei die 145 leibhaftige Höll' im Brand, dann hat's geschellt. Dann nur unter die Haube mit dem Rikele.«

Der Bauer sah schon wieder gewitterhaft drein, als er so sprach, und nun schrie ihm die Frau gereizt, mit zornblassen Lippen entgegen: »Die Höll', du Lotter, die Höll' bei uns! Der Wein und der Schnaps sind's, die dich verbrennen, das ist unsere Höll'!«

»Nundedie noch einmal, fängst du schon wieder an, treibst du mich nicht ins Wirtshaus mit Giften? Dort bin ich sicher vor deinem Maul und dem sauern Gesicht.«

Und seine Faust schlug auf den Tisch, daß die Teller sprangen. Der Knecht, der eben die Stallschuhe an der Schwelle austrat, zuckte weislich zurück, als er das Wetter gewahrte, und das Rikele schoß an ihm vorbei ins Freie.

»Komm, Franzsepp, komm, ich bring' dir hernach die Kost aufs Gartenbänkle, in der Küche sind sie am Bettensonnen,« raunte das Mädchen dem Burschen zu und griff ihn am Kittel.

Der Franzsepp pfiff durch die Zähne.

»Kommt's zum Klopfen, so halt' ich den Buckel nicht dazwischen,« gab er Bescheid, und sie stahlen sich hinter das Haus. Dort fragte er: »Und jetzt sag', ist's dir jetzt ums Nisten, Rikele?«

Da seufzte das Rikele, drückte sich an ihn und erwiderte:

»Ja, wenn der Herr Pfarrer meint, es tät mir besser, so wird die Mutter wohl schweigen dazu.«

»Die und schweigen – das erlebt das Elsaß nimmer,« lachte der Knecht und faßte sie fester.

Der Holunder umfing sie mit seinem starken Duft und schwarzen Schatten. Und dann berichtete die Tochter von der Unterredung des Vaters mit dem Pfarrer, was sie wußte.

Ein Knall schreckte die beiden auf. Der Bauer war wie ein Wilder aus dem Haus gestürzt und schmetterte das Hoftor zu, daß die Hühner in der Scheuer flatterten und schrien, als wäre der Marder unter sie gefahren.

In der Küche lärmte die Bäuerin in ohnmächtiger Wut. 146

Jetzt stieß sie die Tür auf und rief das Rikele bei Namen, und dann zeterte sie in den stillen Abend hinaus: »Ein Wunder, alle Heiligen bringen das Wunder nicht zustand, und wenn sie . . .«

»Nichts für ungut, Forlenbäuerin,« unterbrach sie der Knecht, schob sich zwischen sie und ihre Rede und fuhr fort: »Man soll nichts verreden, und der Sankt Morand hat schon manchem das Schädelweh genommen.«

Die Frau stutzte. Ihre Lästerung hatte sie schon gereut, noch ehe sie ihr die Zunge verbrannt hatte, und jetzt überlegte sie, daß der Franzsepp den heiligen Morand nicht zu Unrecht beschwöre. Ein Wunder hatte der Pfarrer ihnen angedroht. Nun wohl! So gingen sie ihm entgegen, und zwangen sie das Wunder, so war's verdientes Glück. Der Sankt Morand, der mit dem Rebmesser im Kalender stand und seine Gebeine im Tal zu Sankt Morand in der neuen Wallfahrtskirche gebettet hatte, der war der Rechte. Der hatte den Wein ins Tal gepflanzt, der war verpflichtet, ein übriges zu tun.

Und sie besann sich, daß der und jene mit Kerzen und Gelübden zu ihm gegangen waren, und der eine hatte sein Schädelweh in der Kirche gelassen und die andere den Fuß mit dem Gebrest in das Loch unter dem Grabstein des Heiligen gestreckt und nach hundert Vaterunsern heil wieder herausgezogen.

»Lug um deine Säu', sie lüpfen ja schier den Laden ab,« schnauzte sie nach einer Weile den Burschen an, der verwundert vor ihr stehengeblieben war.

»A la bonne heure,« murmelte der Franzsepp, »ich hab' schon gemeint, sie hab' sich die Zunge abgebissen,« und ging seines Weges.

Die Mutter aber war schweigsam. Eine ungewohnte, unheimliche Stille war in der Küche, so daß es dem Rikele angst und bang wurde neben der Sinnenden. Es begann laut mit dem Milchkessel zu klappern, um den Bann zu brechen. 147

Aber ehe es sich dessen versah, fuhr die Mutter auf es los und giftete: »Was lärmst du da wie der Gemeindediener mit seiner großen Trommel! Wenn du heiraten willst, so gibt's anderes zu tun. Zähl' deine Hemden und lug, wann der Moranditag im Kalender steht.«

Der zwiespältige Befehl machte das Rikele ganz wirr. Es begriff nicht, was der Sankt Morand mit seinen Hemden zu tun hatte, und zugleich schoß ihm ein heißer Strom über das Herz. Die Mutter hatte so gut wie Ja und Amen gesagt.

Nun begannen beide, Mutter und Tochter, auf den Mann zu wirken, daß er mit ihnen zur Stadt fahre, dem Sankt Morand zuliebe. Der Alte wehrte sich, als sich aber die Frau hinter den Pfarrer steckte und dieser, den guten Willen der Bäuerin nützend, ihm bei allen Höllenstrafen die Fahrt anriet, als gar der Knecht meinte, der Sankt Morand könne ihm vom Schädel- und Gliederweh helfen, und listig beifügte, das mache ja den Wein nicht giftig sondern süffig, da gab sich der Sepp, und eine Zeitlang war eitel Zufriedenheit und gespannte Erwartung im Forlenhof.

In der Nacht vor der Bittfahrt und dem Wunder, das sie erwarteten, fuhr das Rikele ängstlich und aufgeregt im Hofe umher, bis es für eine Weile beim Franzsepp unterm Holderbaum Ruhe fand. Dann kroch es in seine Kammer.

Die Bäuerin lag fiebernd unter dem Federbett. Als sie den Sepp schnarchen hörte, begann sie sich für sein Leben, sein Heil zu plagen und rief ihn an. Er stellte sich taub, und da er im Unverstand zu schnarchen aufgehört hatte und keinen Schnaufer mehr tat, erschrak die Frau und winselte: »Wenn's nur schon Tag wär', mir grauset's! He, Sepple, sag' auch ein Wort, bist du auch im Reinen mit deinem Herrgott?«

Der Sepple hatte einen Liter Alten im Leib und stand mit der Welt und dem Himmel just recht gut.

In aller Herrgottsfrühe fuhren sie der Stadt zu, alle zusammen, denn der Franzsepp hatte einen Kameraden 148 gedungen für den Tag als Knecht und saß mit auf dem Wagen, dieweil er, wie er gesagt hatte, in der Stadt auf der Kreisdirektion wegen seiner Reserveübung etwas zu besorgen habe. Der Bauer hatte ein schiefes Gesicht gezogen, als der Knecht aber die Kreisdirektion auftrumpfte, da hatte er ihn gewähren lassen.

»Wenn sie dich acht Wochen zum Militär holen, hernach stell' ich einen anderen ein. Oder meinst du, das Rikele und ich, wir mögen's allein machen ohne dich?« brummte er noch vor der Abfahrt.

Da flog ein Blick zu dem Mädchen hinüber, und dann sagte der Bursch: »Das weiß ich, daß Ihr's nicht machen könnt. Und das sag' ich justament dem Kreisdirektor.«

»Bist du mit ihm in die Kinderlehr' gegangen?« spottete die Bäuerin.

Der Bursch antwortete nicht, sondern knallte mit der Geißel, und sie fuhren gerüttelt und geschüttelt das Tal entlang.

Dick lag der Staub, und als sie eine Stunde gefahren waren, kramte der Bauer nach etwas Trinkbarem und suchte und fand nichts.

»Nein, das gibt's nimmer so geschwind, Sepple,« suchte die Frau ihn zu beruhigen.

Er grollte einen Fluch ins Vorhemd, saß dann aber geduldig und stieß nur zuweilen den Knecht in den Rücken, damit er den Gaul nicht einschlafen lasse.

Das Städtchen hing wie ein leeres Nest, so verlassen und still an der Hügelwand, von der der Kirchturm mit bunten Ziegeln herabglänzte. Die Sommerglut zitterte über den Dächern und brütete in den Gassen. Im Wirtshaus »Zur goldenen Kanone« stellten sie den Gaul ein. Dann zog der Knecht davon, angeblich auf die Kreisdirektion. Der Bauer ging ein paar Wendgabeln einzuhandeln, die Bäuerin und das Rikele löffelten ein paar Kacheln Kaffee, und dann stiegen sie zur Kirche hinauf, mit einem Bittgang den Anfang zu machen. Am Nachmittag aber sollte der Bauer mit seinem Weib 149 nach der Sankt-Morandi-Kirche gehen, die eine halbe Stunde das Flußtal aufwärts aus den Matten auftauchte, weiß und heilig, und im Geruch besonderer Gnaden stand, denn im Steinsarg, der mitten in dem Kirchlein auf vier stämmigen Steinpratzen ruhte, lagen unter verlötetem und verputztem Deckel die Gebeine des Heiligen. Der hatte den Christenglauben ins Tal gebracht, die ersten Reben gepflanzt und half von Kopf- und Gliederschmerzen, so man gläubig eine der Messingkronen aufs Haupt hob, die auf seinem Sarg lagen, und betete und büßte.

Die Sonne stach, und weiße Wolken bauschten sich im Westen über dem blauen Gebirge, da schlich der Franzsepp den Feldweg entlang, der zwischen Matten und Rebgärten hinlief. Blank lag die Morandikirche im Sonnenschein, und die Grillen zirpten betäubend. Als der Knecht über den Vorplatz schoß und so schnell in das Kirchlein flüchtete, als wäre ein Bienenschwarm hinter ihm drein, bewegte sich drüben auf der Landstraße, im Schatten der Platanen, die Bäuerin einher. Neben ihr beinelte das Rikele. Der Bauer fehlte.

»Nein, weiter geh' ich nicht. Hier wart' ich auf ihn. Zum Maire ist er? Das glaubt ihm der stärkste Mann nicht!«

»Und wenn ich dir's doch sag', Mutter,« eiferte das Mädchen, »ich hab' den Vater selber in die Mairie hineinspazieren sehn, und in einer halben Stunde käm' er nach, wir sollten nur den Weg unter die Füße nehmen, hat er gesagt.«

»Die Mairie hat zwei Ausgäng', oder es ist ein Weinkeller drin,« schrie die Mutter und blieb stehen.

Eine Weile standen sie wartend auf der Straße, die Mutter rückwärts spähend, ob er nicht am Ausgang des Städtchens unter dem alten Mauerbogen auftauchte, die Tochter über die Matten blickend, wo die Schlange des Feldweges sich dahinwand.

»So komm doch, der Vater wird nicht fehlen, er weiß ja, was es gilt,« bat das Rikele endlich. 150

»Keinen Schritt, auf dem Steinhaufen hock' ich ab, und wenn er nicht kommt, eh' die Glocke drei schlägt, so hol' ich ihn auf der Mairie und den Bürgermeister dazu.«

»Ja, aber Mutter –«

»So geh' du voraus und bet' ein paar Vaterunser für den saubern Vater,« knurrte die Bäuerin. Dann schritt sie entschlossen auf den frisch aufgesetzten Haufen des neuen Schotterbelags zu und setzte sich so entschieden nieder, daß die Steine rechts und links herunterschossen wie Erbsen aus dem Sack.

Das Rikele warf noch einen Blick zurück, doch als auf der Straße nichts zu sehen war, da erwiderte es: »So sei's halt, wie du gesagt hast, und komm bald nach, Mutter. Es steht ein Wetter am Himmel.«

Die Mutter antwortete ihm nicht, und nun ging es mit schnellen Schritten seines Weges, als fürchtete es wahrhaftig die Wolken, die langsam gegen die Sonne vorrückten. Ehe es von der Landstraße abbog, sah es sich noch einmal um. Die Mutter hockte immer noch trotzig auf dem Steinhaufen, anzusehen wie ein schwarzes, böses Wegweiblein.

Da lief das Mädchen rasch über den Feldweg auf die Kirche zu, schoß an dem Anwesen des Verwalters vorüber, das sich hinter die weiße Kirchenwand duckte, und stand aufatmend unter dem niedrigen, dunklen Portal still. Die Grillen zirpten rings im Feld, die Luft zitterte über den rötlichen Sauerampferstauden, die sich dicht an die Kirchenstufen herandrängten, und auf Rikeles Stirn glitzerte der Schweiß.

Auf einmal schrak es zusammen. Ein lautes Echo schallte aus der Kirche. Da hatte jemand gehustet. Es warf die Ledertür auf und klemmte sich rasch hindurch ins goldfunkelnde Dämmerlicht des Gotteshauses, in dem ihm der Blick verging, so daß es eine Weile nichts sah als hüpfende goldene und purpurrote Lichter, die die wunderlichsten Kreise schlugen. 151

Und wieder ein Husten, und dann lag das Rikele, wie von einem Wind hineingeweht, neben dem Franzsepp auf den Fliesen hinter dem steinernen Wundersarg des Heiligen auf den Knien, und sie stießen die Köpfe an den Sarkophag und beteten vorerst fleißig und gewissenhaft ein paar Sprüche.

Ein Seufzer, das Mädchen ließ sich aufatmend auf die Fersen zurückfallen, und vorsichtig legte der Franzsepp den Arm um seine Schultern. So hockten sie eine Weile stumm, regungslos im Schatten des Steinsarges in der menschenleeren Kirche. Durch die aufgestoßenen Scheiben der bunten Fenster drang das Zirpen der Grillen, eine Brummfliege tanzte an ihren Stirnen vorbei, daß sie aufschreckend die Köpfe aneinanderschlugen, sonst kein Laut als der scheue Atem des Mädchens. Der Franzsepp hustete nicht mehr.

»Geh' jetzt, die Mutter ist unterwegs,« flüsterte das Rikele endlich und schob die Hand des Burschen zärtlich von der runden Schulter.

»Die hat wohl noch Zeit, wenn sie auf den Vater wartet,« lachte er in ihr heißes Ohr und wich nicht von ihr weg.

»Franzsepp,« stieß sie zornig hervor und fuhr in die Höhe. Dabei stieß sie an die Messingkronen, die auf der Sargplatte lagen, und eine kam klirrend auf die Fliesen herabgeschossen, wo sie der Franzsepp auffing. Scheu legte er sie wieder hin, das Herz schlug ihnen laut, als hätten sie ein Sakrileg begangen. Und als müßte sich das bestätigen, erlosch plötzlich der goldene Lichtschein. Zwiespältiges, fahles Licht fiel in die Kirche, und ein dumpfer Donner lief über sie hin.

»Jesus Maria,« stotterte das Rikele und drückte sich hinter den Stein.

Und jetzt ein Blitz, hell und lodernd, ein Schlag danach, daß die Glocke im Turm ein Wimmern hören ließ, und dann fuhr der Franzsepp in panischem Schrecken von den Knien empor und stürzte zur Tür. Es war 152 ihm, als hätte der Heilige im Blitzfeuer den Sargdeckel gesprengt und das krumme Rebmesser nach ihm gezückt. Kaum vermochte er die Tür zu finden, ein Wirbel von Regen und Schlossen schlug ihm entgegen, und als er endlich das Freie erreichte und an der weißen Kirchenwand entlang sich ins Feld schob, da blendete ihn plötzlich ein zweiter Blitz, und im farbigen Licht sah er etwas Schwarzes auf sich zutorkeln, mit fürchterlich brüllender Stimme: das war der Leibhaftige selbst!

Aber da packte ihn das Entsetzen an seinem Couragezipfel. »O du Satanskaib, du bekommst mich nicht so wohlfeil,« schrie er ins brausende Wetter und schlug auf den Unhold ein, der ihn wild anrannte und mit feurigen Armen nach ihm griff. Er stank nach Sprit und Schwefel. Aber der Franzsepp hatte ihn am Hosenbund erwischt und trommelte ihm auf Schultern und Schädel, daß er schnarchte und rülpste und alle viere streckend in die Lache schoß, die der Regensturm ihnen in den Weg geschüttet hatte. Noch einmal zuckte der Gebändigte mit dem Fuße und traf den Franzsepp an das Schienbein, daß diesem der Schmerz von dem Pferdefußtritt des Leibhaftigen schier das Herz abstieß.

Da rannte der Bursche, das getroffene Bein schleifend, blind davon, ins Wetter hinein, querfeldein dem Städtchen zu. Unterwegs schrie ihm eine zeternde, kreischende Stimme, die irgendwo am Wegrand ihren Ursprung nahm, ein paar unverständliche Worte nach. Das war die Stimme der Bäuerin, sagte er sich, aber er hatte am Satanas genug und ruhte erst, als er triefend naß und atemlos in der »Goldenen Krone« Unterstand fand. Beim zweiten Schoppen Alten wurde ihm wohler, und er schämte sich seiner schwachen Stunde. Aber der Teufel, der und kein anderer war's gewesen, darauf hätte er einen Eid abgelegt. Beim dritten Schoppen erinnerte er sich des verlassenen, dem Zorn des Heiligen und den Pratzen des Gottseibeiuns preisgegebenen Mädchens. Auf einmal erhob er sich von der Bank, zog die 153 Hosen hinauf und murmelte: »Ich hol's, und wenn mir der andere mein bestes Bein ausreißt.«

Er schritt unsicher aber tapfer aus. Das Gewitter hatte sich talab gewälzt, die Sonne stach schon durch den Dunst, und unter den Platanen der Landstraße tanzten die Schnaken.

Der Franzsepp war noch nicht tausend Schritt gegangen, da erblickte er drei Menschen, die ihm langsam entgegenkamen: Der Forlenbauer in der Mitte, rechts die Bäuerin, links das Rikele, so kamen sie geschlossen. Mutter und Tochter hielten den Sepp, der kaum noch einen Schnaufer im Leib hatte.

Das Rikele hatte den Franzsepp erblickt und ließ erschreckt den Vater los. Alsbald knickte der Hilflose auf den nächsten Schotterhaufen nieder.

Die Mutter aber zeterte: »Du ratzendummes Tuch, kannst du deinen Vater nicht am Fittich halten? Sei froh, daß er noch am Leben ist nach der Attacke.«

Da erkannte sie den Franzsepp und fuhr auf ihn los: »Kommst du auch wieder, du lahmer Siech?«

Der Franzsepp wollte tun, als käme er überhaupt zum erstenmal des Weges, aber sie erzählte ihm höhnisch, daß er im Wetter an ihr vorbeigeschossen sei, dort drüben, wo der Feldweg laufe, toll und blind wie ein versprengtes Huhn.

Plötzlich hob der Bauer den Kopf und stöhnte:

»Ein Mirakel hat uns der Pfarr versprochen, jetzt ist's, mein' Seel', so geschehen, um ein Haar, und der Teufel hätt' mich am Zinken gehabt.«

Sein Rausch war verflogen, er schlotterte. Das rechte Auge lag versteckt unter dem blaugeschwollenen Lid, auf seiner beschmutzten Hemdbrust waren Blutflecken.

Die Bäuerin fuhr fort: »Ja, hart an der Kirchentür hat er ihn noch erwischt, der . . ., und wenn's Rikele ihm nicht 's geweihte Wasser aufgespritzt hätt', hernach wär' dem Vater das Gesicht im Genick stehengeblieben. – Glaubst du's am End' nicht, daß du so eine saudumme Visage machst?« schrie sie den Franzsepp an. 154

Da entgegnete dieser, indem er sich das wundgetretene Schienbein an der anderen Wade rieb: »Nicht glauben! Er ist mir doch selber auf dem Buckel gesessen, der Morximichel, der . . .«

Und das Rikele stieß einen Schrei aus und suchte den Rosenkranz im Sack seines roten Unterrocks.

Der Bauer rutschte unruhig auf dem kantigen Schotter hin und her und stöhnte: »Wie ein Untier hat er gespuckt und gestunken, und das wegen zwei Liter Alten und drei Gläsle Zwetschgenwasser!«

»Du hast ihn gesehen, Franzsepp?« fragte die Bäuerin, die ganz gelb geworden war, und der Franzsepp nickte eifrig. Und dann ergänzten der Bauer und der Knecht gegenseitig ihre Mitteilungen über den Unhold, der hinter dem säumigen Sünder dreingefahren war, um ihm die Seel' aus dem Leib zu reißen.

Der Franzsepp löste das Rikele ab, und sie brachten den Reuigen, der vor dem Altar St. Morandi Besserung gelobt hatte, glücklich in die »Goldene Kanone«. Trübselig wärmte er die Hände an einer Kachel Kaffee und ließ sein blaues Auge mit Fenchelwasser befeuchten. Der Teufel hatte ihn fast zu Brei gedroschen.

Kleinlaut schirrte der Knecht den Gaul ein. Er wußte nicht recht, ob sie ihrer zwei oder drei gewesen waren in der Schlacht vor der Kirchentür: er und der Bauer oder – ihm grauste halb – er, der Bauer und der †††.

Auf der Heimfahrt saßen sie ängstlich zusammengedrückt auf dem Wagen und hielten sich mehr an den Rosenkranz als an die Flasche.

Am anderen Morgen ging die Bäuerin zur Beichte. Am Tage darauf das Rikele. Der Vater besann sich drei Tage und der Franzsepp vier. Und dann wußte der Pfarrer mehr als jeder von ihnen und alle zusammen und freute sich des witzigen Zufalls und des wundertätigen Heiligen.

Das Saufen hat der Bauer freilich nicht lange gelassen und die Bäuerin das Keifen gar nicht, aber wenn 155 der Zank bis auf einen gewissen Punkt gelangt war, wurden sie auf einmal kleinlaut, und acht Tage war Frieden. Gegen den Franzsepp haben sie sich noch bis Martini gesperrt, aber das Rikele war seit der Wallfahrt meisterlos und regierte den Burschen und die Alten, und da zu einem Kinde auch ein Vater gehört, so erging am Zinstag das Aufgebot.

Als sich die Brautleute bei dem Pfarrer bedankten, sagte dieser ernsthaft: »Haltet gute Wirtschaft miteinand' und bedenket: Der Teufel steht hinter jedem.«

Das Rikele wollte lachen, aber plötzlich lief ihm ein Schauer über den Nacken. Wer weiß . . . der ††† . . .



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