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In der Ferme Hirth war Florence mit Öl gesalbt und ins Bett der Fermière gelegt worden. An den Beinen und an der Brust hatte das Kind schwere Brandwunden. Der Arzt kam am anderen Morgen von Kaysersberg herauf und sagte zu Lalie:
»Wüst sieht's aus, aber zum Sterben ist das nicht. Wenn nur mehr Leben in dem Kind wäre!«
Er horchte an ihm herum und rieb sich immer wieder das stachlige Kinn.
»Sagt mir die Wahrheit,« bat die Lalie.
Da stieß er mit den Fingern die Brille fester auf die Nase und antwortete:
»Der choc war zu groß. Es hat ein heillos schwaches Herz. On fera son possible, mais prévenez le père.«
»Jesus Maria,« hauchte die Frau und sandte einen mitleidigen angstvollen Blick zu dem teilnahmlos daliegenden Kind.
Sie flüsterten an der Tür, nebenan im großen Käsraum wurde gekäst, der scharfe Geruch drang durch alle Ritzen. 110
Der Arzt war schon eine Weile bergab gefahren, Eulalie stand noch auf der Matte. Von hier aus konnte sie die Brandstatt sehen, stinkender Rauch schwelte noch um die Trümmer und strich im Regenwind über die Höhe.
Daniel war nicht aus den Schuhen gekommen. Er hatte das Vieh zusammentreiben und melken lassen, jetzt stieg der Melker mit ihm nach La Motte ab, acht Tage vor der Talfahrt der anderen. Die Catherine schaffte in der Käshütte, als wär' nichts geschehen, ihr nichts verbrannt in der Dachkammer, und dabei hatte sie kein eigenes Kamisol auf dem Leib und fremde Holzschuhe an den nackten Füßen. Die Lalie sah ihren roten Rock an der weißen Giebelmauer aufleuchten, die noch aufrecht stand. Auch der Tanzsaal, die eine Hälfte der Ferme, war im Lot geblieben, nur die rechte Hälfte ausgebrannt bis auf die Mauern, und das Dach nach rechts herabgestürzt und zerschellt. Das schwarze Gebälk starrte in die silbergraue Luft.
Einen Augenblick noch blickte die Fermière angestrengt hinauf, aber sie sah den Daniel nicht und ging zurück zu seinem still hindämmernden Kind, das mit seinen verbundenen Händen unruhig über die Decke strich.
Daniel Junt hatte in der Frühe schon dem Gendarmen Rede gestanden, der nach dem Ausbruch des Feuers gefragt hatte; kurz, einsilbig, den Blick trotzig auf das Gesicht des Beamten geheftet.
Wo es ausgekommen sei, das Feuer, fragte jener.
Im Erdgeschoß, in der Küche oder nebenzu.
Wann oder wie er es entdeckt habe.
Er sei in seiner Kammer gewesen, als er es gehört und geschmeckt habe, und dann habe auch schon das Kind nach ihm gerufen, und das Haus sei voll Rauch und Stank gewesen.
Das war alles. Der eine fragte knapp, der andere antwortete just, was er gefragt wurde, und verbrannte sich die Zunge mit keiner Lüge. 111
Er stand auf dem verwüsteten Hof. Das Vieh zottelte schon nach La Motte hinunter, in der Käshütte rührte die Catherine mit der Handschaufel in der gerinnenden Milch und rüstete zum letzten Male das Tuch, um den Käse zu seihen. In einer Ecke der Küche waren angebrannte Reste des Hausrats, versengte Matratzen und anderer Krempel aufgespeichert. Die Hühner rannten verstört zwischen dem Schutt und suchten nach Futter. Von den nassen, verkohlten Balken stieg ein beizender Stank auf.
Daniel ging mit den Händen im Sack um die Trümmer. Dort, unter dem Haufen des verbrannten Dachstuhls, glühte es noch. Rote Augen stierten ihn an aus dem glimmenden Holz, zitterten und schlossen sich langsam. Weiße Aschenlider sanken über die glühenden Sterne, und dann spann sich ein blauer Rauchfaden ab vom erloschenen Brand und strich geheimnisvoll in die Weite.
Dem Daniel brannte das Herz. Unklar und übernächtig war ihm, wie einem, der aus einem schweren Rausch erwacht. Eine Glut fraß in ihm, jetzt züngelte ein wilder Triumph in ihm auf, dann schwoll ein dumpfer Grimm durch alle Adern, und er biß die Zähne zusammen, um ein Stöhnen zurückzuwürgen, das ihm die Kehle sprengte. Aber am stärksten war doch immer wieder das eine: sein' Sach' war's, sein' Sach' allein! Und jetzt liegt der Krempel, jetzt baut die Gemeind'!
Durch den dampfenden Schutt stieg er ins Innere. Die Wirtsstube war nur ausgebrannt, die Balkendecke, auf der der Saal ruhte, hielt noch. Auch der Weinkeller darunter war unversehrt. Aber die Stiege war weggefressen; auf einer Leiter kroch er hinauf, vom Flur waren die Dielen verbrannt, das Balkengerippe trug noch. Er stelzte darüber hinweg in den Saal und ging der Außenwand nach zur Tür seines Bureaus. Hier war die Decke eingestürzt, die Innenwand weggebrannt, nur die Zwischenwand und die Außenmauern des Eckzimmers hielten noch stand. Der Tag sah durch 112 den Dachboden herein, der Schreibtisch war unter der Last zusammengebrochen und hatte seine Laden ausgeschüttet. Das Wasser war durch alles hindurchgedrungen. An der Wand hing noch der Sturm auf den Malakoff, nur das Glas war zerschmettert, und in der einen Ecke lehnte noch die Flinte. Dem Ledersessel hatte der Deckensturz das Polster herausgerissen, und eine letzte Flamme war in dem Roßhaar satt geworden.
Daniel starrte lange auf die Verwüstung, dann bückte er sich und hob die silberne Uhrkette der Louise auf, die aus einer zerbrochenen Lade heraushing, ergriff die Flinte, wog sie mit einem trotzigen Lächeln in den Händen, zog den Hahn und ließ ihn vorsichtig wieder herab, packte das Gewehr dann mit hartem Griff und ging langsam über die Balken und die Leiter zurück.
Unten erwartete ihn die Catherine.
Der Doktor sei unten beim Kind, berichte Vetter Antoines Jakob, und der Maire käm' auch noch vor Mittag.
Er nickte und ging über die Matten der Ferme Hirth zu. Die Magd sah ihm nach, wie er schwerfällig, die Flinte in der Hand, über das kurze glatte Gras schritt, barhaupt, in einer alten Jacke, die in der Käshütte gehangen hatte.
Daniel kam zu spät, der Arzt war schon wieder gegangen. Eulalie zog ihn beiseite unter den Schopf, wo das Brennholz lag, und flüsterte:
»Daniel, ich kann's dir nicht ersparen, es steht schlecht um Florence.«
»Schlecht?«
Er krampfte die Fäuste um den kalten Flintenlauf.
»Es hab' gar ein schwaches Herz.«
»Ein schwaches Herz,« murmelte er. Wüst war ihm im Kopf, ein Zucken hob seinen Schnurrbart, daß die Zähne hervorblitzten.
Er ließ den Gewehrkolben auf den Boden gleiten und streckte die Hand aus. 113
»Da, schau hin, da kommen die La Motter!«
Drüben auf dem Sträßlein kam ein Trupp Männer und Weiber. Ein paar halbwüchsige Buben rannten vor ihnen her auf die Brandstätte zu.
Ein wilder Triumph klang aus Daniels Worten. In seinem fahlen Gesicht flammten die düsteren Augen, er atmete stark und lüftete unwillkürlich die Jacke über dem versengten Hemd.
»Daniel,« bat die Frau.
»Ich komm',« sagte er rauh und ging vor ihr her ins Haus.
Floflo schien zu schlafen. Leise stellte er die Flinte in eine Ecke und trat zu ihr an das breite Bett, in dem sie fast verschwand.
Ihre Wimpern malten breite, schwarze Schatten auf die blassen Backen, durch den geöffneten Mund schlürfte sie hastig, wie ein verängstigtes Vögelein, den Atem, der das Leintuch über der Brust in Bewegung setzte.
»Flo, Floflo, Grashupferle,« flüsterte Daniel, und seine Stimme hatte einen zärtlichen Klang. Er bückte sich tief auf das kranke Kind. Da schlug Floflo die schwarzen Augen auf und lächelte, versuchte zu lächeln. Auf einmal aber lief ein wilder Ausdruck des Schreckens über ihr Gesicht. Er hörte ihr Herz klopfen, schnelle, krampfhafte Schläge, die durch den Verband drangen.
»Vatterle, wenn sie dich plagen! Vatterle, bleib' da, Vatterle!«
Ihre verbundenen Hände tappten über die Decke, sie wollte sich aufrichten.
»Lieg' still, Floflo,« beruhigte er sie, aber dann fragte er leise:
»Wer soll mich plagen, du Närrle?«
»Die Erdwibele, die Schratzen, sie hocken einem auf die Brust. Sie haben mich auch geplagt. Bleib' bei mir, fort, jag' sie fort!«
Erschöpft brach sie ab. Aber ihre Augen hingen flehend an seinem Gesicht. 114
»Das sind Bêtisen, Floflo, sie tun dir nichts und mir nichts.«
Das Kind schwieg eine Weile. Plötzlich verlangte es nach seinem Ohr. Er merkte, wie es um sich blickte, ob niemand da sei, und dann sein Ohr näher, ganz nahe an seinem Gesicht haben wollte. Er tat ihm den Willen.
Da flüsterte Floflo ihm zu:
»Vater, wo bist du gewesen in der Nacht, weißt, als du die Stiege hinunter bist auf den Strümpfen?«
Ein Schlag fuhr durch seinen Leib, das Blut schoß ihm in die Schläfen.
»Wer? Ich? Was redest du da?«
»Ich hab' nicht schlafen können. Und da hab' ich gemeint, du tätest noch einmal zu mir kommen. Und wie ich gehört hab', daß du in der Kammer bist, bin ich aus dem Bett geschlüpft und an die Tür. Aber du bist nicht zu mir gekommen, du bist die Stiege hinabgegangen und das Licht stand hell in deiner Hand!«
Er hatte sich gefaßt.
»Warum hätt' ich noch einmal zu dir kommen sollen?« fragte er, um ihre Aufmerksamkeit abzulenken.
Da seufzte Floflo, hob den Kopf, daß ihre Gesichter sich berührten, und stammelte:
»Weil – weil du so bös mit mir gewesen bist. Und ich kann doch nichts dafür, daß ich Madame Berthe nicht mag.«
Der Arm, den er auf den Bettrand gestützt hatte, zitterte heftig.
»Bös? Ich bös auf dich, Floflo! Was fällt dir ein?«
Nun lächelte Florence wirklich, aber dann wurde sie wieder ernst, und ein unsichtbarer Finger strich über ihr Gesicht, daß die Nase spitz aus bläulichen Schatten stach.
Da wurden draußen Stimmen laut, schwere Tritte, und ein Knöchel schlug hart an die Tür.
Das Kind zuckte zusammen und begann zu wimmern.
»Vätterle, was tun sie dir?« stieß es hervor, Todesangst in den feuchten großen Augen. 115
Er sah sein Gesicht in den dunkeln Sternen schwimmen und preßte die Lippen auf ihren heißen Mund.
»Mir tut niemand nichts zuleid', kleine dumme Krot', schweig' nur und schlaf,« antwortete er ruhig, und ein trotziges Lächeln lief über sein Gesicht.
Eulalie steckte den Kopf herein.
»Daniel, der Maire verlangt nach dir.«
Noch einmal strich er dem Kind über das schweißfeuchte Haar, dann ging er hinaus. Floflos Augen hafteten an ihm, bis die Tür zufiel. Als die Fermière ans Bett trat, begann es sich zu werfen vor Atemnot, und die Lider flirrten, die Hände zuckten, irre Worte brachen aus seinem Munde.
In der Kässtube wartete der Maire, aber rings war Schüren und Schaffen, und die Männer sahen, daß sie nicht zum Reden kommen konnten. Sie gingen hinaus und schlugen den Weg zur Brandstätte ein.
Nach einem kargen »Guten Tag!« waren sie schweigsam nebeneinander her geschritten. Der Wiesbauer zerbiß einen Grasstengel zwischen den Zähnen. In seinen hellen, blauen Augen, die in dem silbernen Zwielicht blinzelten, war ein heimliches Forschen. Daniel ging kalten Blutes neben ihm her.
Als der Maire mit dem Daniel auf den Hof kam, steckten sie die Köpfe zusammen. Der Maire blieb stehen und lüftete den runden Filzhut, kratzte sich in dem geschorenen, graugesprenkelten Haar und sah sich suchend um. Er war schon oben gewesen und überall herumgekrochen. An seinen Schuhen schleifte er Asche und verkohltes Holz mit.
»Die Hütte steht noch,« sagte Daniel und schritt voraus.
Die Catherine hatte Zieger geprägelt in einer alten Pfanne über dem offenen Herd, der in der Ecke aufgemauert war. Jetzt sang der Kaffeehafen in der heißen Asche.
Am Tisch, wo sonst die Melker den Käs wuschen, rückte Daniel die Bank zum Sitzen.
Der Maire blieb stehen. 116
»Der Adjunkt ist auf dem Weg. Warten wir noch,« sagte er und sah an Daniel vorüber, als wollte er ihm sein Auge nicht zeigen.
»Der Storkenhans? Braucht's den auch dazu?« fragte Daniel. »Deklariert ist's geschwind, was die Brunst gerichtet hat. Es greift's ein Blinder.«
»Der Beisitzer soll dabei sein. So ist das Reglement. Und die Deklaration gehört zur Kanzlei.«
Jetzt blickten sie sich an. Der Maire stand vorgeneigt, den Kopf zwischen die breiten Schultern zurückgezogen, die Hände auf dem Rücken. Daniel hatte die Fäuste in den Taschen der Jacke vergraben.
»Gut, so warten wir halt,« sagte Junt.
Einen Augenblick standen sie sich noch gegenüber, dann ging der Maire an den Tisch und setzte sich.
Daniel hatte die Tür offengelassen, denn in dem verrußten niedrigen Raum kroch das Licht an dem trüben Tag nur an den Wänden hin. Er stellte sich auf die Schwelle und spähte nach dem ersten Beisitzer der Gemeinde aus. Aber der Hans Matheis Stork hatte den Weg noch nicht gefunden.
Da sagte auf einmal die Stimme des Maire hinter ihm:
»Ihr seid favorisiert bei dem Brand, kein Stück Vieh, ich wett', nicht einmal ein Hühnerei ist dringeblieben.«
Daniel drehte sich um.
»Ich hab' die Hühner noch nicht gezählt. Es langt mit dem anderen,« antwortete er kurz.
»Ja, ja, so geht's, wenn man nicht Sorg' hat zur Sach',« versetzte der Maire.
Draußen lamentierten die Weiber, ein paar Mannen schimpften laut, daß es zur Hütte herüberdrang, der Maire aber hatte noch keinen Fluch getan, keine Überraschung, keine Aufregung an den Tag gelegt, die Worte schlichen aus seinem Mund wie Eidechsen, die scheu aus den Mauerlöchern in die Sonne gieren. Aber in seinen Augen saß eine Drohung, die breiten Finger trommelten Sturm auf der Tischplatte. 117
Daniel war langsam an den Tisch getreten.
»Hätt' die Gemeind' mehr Sorg' gehabt zu der Sach', so wär' die Herberg' neu im Holz und fester im Stein gestanden.«
»Das ist der Gemeind' ihr' Sach'.«
»Mein' Sach' ist's wie eure!«
Sie starrten sich fest in die Augen, scharf und spitz stießen Rede und Gegenrede aufeinander.
»Euer Sach'? Ihr seid drauf gelegen, und sie ist Euch unterm Hosenboden weggebrannt wie angezündet.«
Daniel war noch fahler geworden, wachsgelb im Gesicht.
Der Maire kniff die Lippen zusammen, als hätte er schon zuviel gesagt.
»Salut miteinander.«
Der Storkenhans trampte über die Schwelle und wischte die tränenden Augen. Er prustete, und sein dickes, rotes Gesicht glänzte vor Schweiß. Die Bank keuchte, als der schwere Mann sich setzte. Erst sah er sich vergebens nach einem Glas um, dann schlug er schallend auf den Tisch.
»Nundedie, ist das eine perte! Jetzt hat die Gemeind' nicht einmal mehr die Assekuranz dazu. Man könnt' meinen, der Daniel hab' sie expreß gekündet.«
»Und ich hab' sie expreß gekündet, damit die Gemeind' dafür steht,« antwortete Daniel gereizt.
Dem Beisitzer schlug die Stimme um, blaurot wulsteten sich die Backen, als er schrie:
»Herrgott, Ninive, jetzt hat's geschellt! Meint Ihr, wir bauen Euch ein Schloß auf den Berg? Kein Sou kommt aus der Gemeind'kasse. Das Haus ist dem Daniel schon lang zu schlecht gewesen, jetzt ist's ein Dreckhaufen.«
»Ja, er hat dem Gemeind'rat seine Bedingungen schon lang gestellt,« schaltete der Maire ein.
»Bau dir selber eins, wie du's magst, ich kehr' mich drum!« tobte der Storkenhans.
Daniel stand noch vor ihnen am Tisch. Er schnallte den Hosengurt fester, als gelte es einen Fausthandel. 118
»Storkenhans, das sag' ich dir, mit deinem Maul schleckst du die Tinte nicht ab vom Vertrag, der zwischen mir und der Gemeind' Recht spricht. Die Gemeind' baut.«
Er klopfte mit der rechten Hand auf den Tisch, und seine Stimme zitterte in verhaltenem Zorn.
Da stand der Maire auf und sagte:
»Erst spricht das Tribunal. Es ist avisiert, und der Daniel muß ihm Bericht geben vom Brand. Hernach, wenn sich alles ausweist, kann man vom Bauen reden.«
Der Storkenhans hatte röchelnd nach Luft geschnappt, als ihm der Daniel übers Maul fuhr, jetzt blies er den Atem von sich, um zu antworten. Aber der Maire stieß ihm im Vorbeigehen den Ellbogen in die Rippen. Da schwieg er.
Daniels Schläfen hämmerten. Was hatte das Gericht bei ihm zu suchen? Aber trotzig warf er den Kopf zurück.
»Hör' zu, Wiesbauer: Mein' Sach' ist hin, sie liegt mit auf dem Haufen. Aber wenn die Gemeind' jetzt baut, ich helf' ihr dazu. Es bleibt bei dem, was ich proponiert hab' vor mehr als einem Jahr: Ein rechtes Haus, und ich stell' eine eigene Hypothek drauf mit vier, nein, mit drei vom Hundert und fünfhundert livres, sechshundert mehr für die Pacht.«
Der Storkenhans war schneller als der Maire und schnaubte:
»Ein Hotel wie auf den Drei Ähren! Nundedie noch einmal, das wär' ein Fressen für die Säu'. Ei, so bau' eins, stell's auf Gemeindsboden, aber ohne die Gemeind'.«
Der Maire nahm ihm das Wort aus dem Mund.
»Jawohl, ohne die Gemeind'.«
Wild lachte Daniel heraus.
»Ohne die Gemeind' und auf Gemeindsboden? Weil ihr da unten zu borniert seid und den Vorteil nicht greift, den Sou im Sack breitdrückt anstatt zu bauen – und wenn's hernach doch soweit ist, da soll der Junt bauen! Auf Gemeindsboden! Zum Donner, der Boden ist mein so gut wie euch allen miteinander. Ich allein hab' mehr 119 Recht dran als ganz La Motte. Und das Haus, in dem ich erstickt bin, das ist mein Haus gewesen, meins einzig und allein.«
Mit einem Fußtritt warf er die Tür ins Schloß und pflanzte sich breit vor die beiden.
Draußen machten sie lange Ohren.
»Unser locataire bist du, und einer, der einen noch in die Asche setzt,« sprudelte der Storkenhans.
Der Maire blinkerte mit den kurzsichtigen Augen und näherte sein Gesicht dem des Gemeindepächters.
»Der Josef Junt hat schon regiert hier oben; der Daniel meint gar, es hab' keiner mehr dreinzureden. Da trompiert er sich. Jetzt redet erst das Gericht. Dem aigle d'or kann's gleich sein, wenn das Haus herunterbrennt, der ist aus der Sach', denn der Daniel hat ihm 's Nest heruntergeworfen, aber der Gemeind' ist's einenweg noch nicht gleich, und wenn die Junt hundert Jahr die Herren spielen auf dem Berg. Der Daniel Junt ist ihr responsabel für die Ferme. Und wenn sie verbrennt, tant pis, so ist er responsabel für die Brunst!«
»Bien, très bien,, justament, so ist's,« pflichtete der Storkenhans geräuschvoll bei.
»Ah, so kalkuliert die Gemeind'!« hohnlachte Daniel, und es schüttelte ihn vor Grimm.
»Ich bin ihr responsabel, sie hockt mir auf, und ich, ich bin für sie da? Ich petitionier', ich zeig ihr's Loch, wo ein Weg geht, und sie kehrt mir den Buckel? Jeder sitzt auf seinem Eigenen da unten, und ich bin da oben nur ein locataire? Weil die Junt vor bald hundert Jahren sich eingehaust haben auf dem Berg und ihr derweil im Tal zu Eigenem gekommen seid? Wenn ich bei jedem Tritt, den ich gegen den Grund gegeben hab' hier oben, gedacht hätt', er ist nicht dein, und in meinem Haus an die Wand geschrieben hätt', es gehört nicht dir, meinet ihr denn, ich hätt' eine Lust gehabt an der Weid' und der Ferme? So wahr als ich's Leben hab', ihr, der Maire und der Storkenhans, der Gemeinderat und 120 jeder da unten, ihr seid mir responsabel und mir verpflichtet, wenn ich's euch bin. Ich komm' und sag', die Gemeind' muß bauen, ich erstick', mein Stall ist zu klein, das Haus ist zu eng, baut und ich zinse, und ihr baut nicht! Ja, Kreuz und Blut, wo ist denn dann noch ein Recht!«
»Just das ist Gesetz und Recht,« trotzte der Maire.
»Ja, ich weiß, so hat's mir auch der Notar ausgelegt, wie ich in der Stadt war. Aber das ist kein Recht, ein Dreck ist's. Ihr habt nicht bauen wollen, und ein Wille ist noch kein Recht!«
»Eh, warum seid Ihr nicht ab vom Vertrag, die Gemeind' hätt' Euch d'rausgelassen, wie mich dünkt,« giftete der Wiesbauer.
»Ab vom Vertrag!«
Daniel stand einen Augenblick wie vor den Kopf geschlagen. Ab vom Vertrag! Der Gedanke war ihm nie gekommen. Es traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht, als hätte man ihm einen Muttermord angesonnen. Ab vom Vertrag! Ja, Herrgott im Himmel, war denn der Vertrag nicht gemacht auf hundert Jahre? Saß er nicht hier so tief gewurzelt wie die Steine, tiefer noch, gehörten denn die Junt nicht auf den Berg?
»Ab vom Vertrag!« – stieß er hervor, und das Blut schoß ihm in die Augen, daß sie rote Adern zeigten, er stammelte und keuchte –»ja, gibt's denn das! Ja freilich, wenn ich euer locataire, euer Mieter wär', der im Zins wohnt, wie einer in der Stadt! Aber sacré nom de Dieu, ich bin doch kein läufiger Hund! Responsabel scheltet Ihr mich! Nun wohl denn, dafür bin ich responsabel, daß ich da oben bleib' wie mein Vater selig und dem sein Vater. Wie mein Bub da oben bleibt. Ja, verzieh' nur 's Maul, Wiesbauer, wegen dem Feistwerden ist's nicht. Aber es ist einmal so, ich gehör' zum Berg, wie der zu mir, und wenn der Berg zusammenfällt, so lieg' ich drunter. Das ist meine Responsabilität. Ich hab' geschafft, ich schaff' noch, aber 121 in mein Recht laß ich mir nicht trampen. Und mein' Sach' ist's! Und wenn ich's nicht bei euch find' und nicht beim Gericht, mein heiliges Gottesrecht, eh Nundedie, so schaff' ich mir's selber.«
Heiser, atemlos taumelte er einen Schritt zurück bis an den großen Kessel. Das Kupfer dröhnte leise, es war ein tiefes metallisches Brummen, das geisterhaft durch die halbdunkle Hütte klang.
Eine Weile war es still, nur seine Atemzüge keuchten, dann sagte der Maire kalt:
»Das mußt du dem Gericht sagen, wenn's dich um die Brunst fragt.«
Daniel richtete sich auf.
»Mein' Sach'!«
Da stülpte der Maire den Filz auf.
»Tag!«
Der Storkenhans, der zuletzt ganz verstummt war, stapfte hinter ihm drein. Daniel trat auf die Schwelle, die Hände in den Hosentaschen, mit den harten Zähnen die Unterlippe nagend. Sprühregen schlug ihm ins heiße Gesicht, stinkender Qualm kroch um die Brandstatt, auf der die Hühner schrien. Das Volk hatte sich verlaufen. Antoines Bub half der Catherine beim Aufräumen des Schuttes. Daniel ging hinunter zur Ferme Hirth, halben Weges aber besann er sich und pfiff der Magd.
»Geh' du zum Kind, ich bleib' dort oben.«
Er kehrte um und karrte im Schutt. Er wälzte die Balken und schichtete die Trümmer; wenn von der stehenden Mauer ein Stein herabfiel, blickte er nicht hin. Ihn traf keiner. Der Stall war weggebrannt wie Kartoffelkraut, vom Dachgerüst lag noch Holz genug umher; jetzt stießen sie auf Küchengeschirr; zerbrochen, verbeult, angeschmolzen, so lag irdenes, kupfernes und gläsernes Gut untereinander im nassen Aschenhaufen. Da las keiner mehr heraus, was Wein, was Petroleum enthalten hatte. Die Hobelspäne, Lohkäse und das Scheitholz, alles war bis aufs letzte aufgezehrt worden. Und 122 gesehen hatte ihn niemand. Doch eins: Floflo! Auf dem Weg über die Stiege. Das Kind! Jetzt lag's in der Ferme Hirth, in dem Bett, wo die Lalie geschlafen hatte. Wie es ihm nachgeschossen war in den Brand! So ein fremdes Ei im Nest, und hing ihm an, ärger als ein eigenes Kind!
Der Léon, der war gut aufgehoben, den hatte die Brunst nicht versengt. Jetzt war Platz für das Berthele! Sie sollten's ihm beweisen, das mit dem Brand! Ja, der Maire, der war hellhörig, aber, Himmelsakrament, sein Sach' war's. Und jetzt war's getan und abgetan. Dreckiges Plunder gehört in die Wäsche, und wenn's getrocknet ist, trägt man's für neu. Das Tribunal! Pah, er pfiff drauf! Was verstand das von dieser Sach'! Von seiner Sach'! Zwischen ihm und der Gemeind' lag der Handel. Und jetzt ging's ans Bauen, ans Schaffen!
Fünfzehntausend livres hatte er auf der Caisse, und wenn er die Rententitel noch dazu nahm, so langte es weit. Er hatte noch nie den Sou zweimal umgekehrt, jetzt galt es den Sack leeren und bauen. Dem Maire zum Trotz.
»Daniel!«
Er fuhr zusammen bei dem Anruf, die Hacke umkrampfend, als müßte er sich zur Wehr setzen.
Der Bub des Antoine war's, der hinter ihm die Ziegel zusammenlas.
»Was hast du?« fragte er heiser.
»Daniel, sag, ist's wahr, daß es einer angezündet hat?«
»Wer sagt das?«
»Sie haben drüber diskutiert im Dorf. Es sei auf Bestellung abgebrannt.«
»Auf Bestellung?« lachte er bitter. »Ja, sie haben's kommandiert, sie selber.«
Als er das erstaunte Gesicht des halbwüchsigen Buben sah, brach er ab und schaffte schweigend weiter. Ohne Aufhören, bis ihm die Knie zitterten und die Fingernägel brannten. Er machte die Falltür zum Keller frei, 123 sie war eingebrochen, aber das Holz hatte sich auf der Kellertreppe gesperrt, und der Bub ließ sich zwischen dem Sprießenwerk hinunter. Der graue Tag fiel hinein. Er fand eine leere Flasche und zapfte vom nächsten Faß. Daniel goß einen Schluck auf die Hand. Es war von seinem besten Alten – Reichenweirer. Und mit einem Ruck setzte er die Flasche an den Mund und trank in durstigen Zügen. Sein Hals war trocken, die Zunge lag ihm bleiern im Mund, der Wein fiel ihm in den leeren Magen und trieb ihm eine jähe Hitze ins Blut.
»Da, trink', der treibt dir die Blödheit aus und spritzt einem die Mucken aus dem Hirn,« sagte er und gab dem Jaköble die Flasche.
Die Lalie schickte die Catherine hinauf, sie hab' dem Daniel das Essen gerichtet. Er zuckte die Achseln. In der Käshütte war noch genug für ihn, und ein Bettschragen war auch da. Er ging nicht hinunter.
Bei seinem abgebrannten Plunder, da lag er gut, da kamen ihm die Gedanken, da kroch ihm aus dem Schutt, was werden mußte auf dem Florimont.
»Kommt zu Florence, M'ssieu Daniel, es hat grausige Fieber,« bat die Magd endlich, als die Fermière sie zum zweitenmal geschickt hatte.
Er zögerte immer noch. Es war Abend geworden. Rauh fuhr der Wind über den First des Florimont, und niedrig trieb das Gewölk.
»Ei, der Vater!« sagte da plötzlich der Bub und zeigte zur Ferme hinunter. Trotz der Dämmerung hatte er ihn erkannt. Er stand mit der Lalie unten auf der Matte.
Und jetzt winkte die Fermière und rief. Sie verstanden die Worte nicht, aber es war eine wilde Angst darin.
Die Magd ergriff Daniel am Hemdärmel.
»Kommt mit, Herr! Jesus Maria, wenn's das Kind nähm'!«
Der Bub rannte schon die Matte hinab. Daniel sah, daß auch der Vetter winkte. Und auf einmal warf er die Hacke beiseite und sagte: 124
»Der Vetter bringt's mit aus dem Dorf,« und ging ihm entgegen.
Er hätte einen Eid darauf gelegt, daß der Antoine ihm einen Bericht brachte von La Motte. Meinten die, es hätte ihn mit der Angst gepackt! In Hemdärmeln ging er hinab. Die Catherine lief ihm nach mit der Jacke, die er bei der Arbeit abgelegt hatte.
Als Daniel auf die beiden zukam, fing die Lalie dem Vetter das Wort vom Mund.
»Daniel, wenn's wahr ist, so streich' dich über den Berg, eh' der Gendarm kommt.«
»Tu es folle, Lalie,« lachte er rauh.
Der Vetter zog die Schultern hoch.
»Nicht so verrückt, wie du glaubst, cousin. Der Storkenhans predigt's auf der Gasse, die Brunst sei millionisch gut geraten. Und der Maire ist nach Keyspé zum Tribunal!«
»Die Lumpen, die miserabeln,« stieß Daniel hervor, und dann trotzig:
»Eh bien, sie sollen's mir beweisen.«
»Daniel, wenn's wahr ist, Daniel, das gibt Zuchthaus! Wie kannst du auch! Nein, so ein Fermier, wie der Daniel Junt, und das tun!«
Sie war außer sich, fieberte vor Angst und Leidenschaft, wußte gar nicht, daß sie dem Vetter, der den Unbeteiligten spielte, ihr Geheimnis in die Hand gab, und hing sich an den trotzigen Mann.
»Daniel, tu's mir zulieb', laß mir das Kind und geh' ins Frankreich!«
»Dir zulieb'? Was geht's dich an, wenn der Daniel kaputt geht! Mein' Sach' und mein Recht will ich, und ich hab's mir geholt! Und wenn darauf Zuchthaus steht, so ist alles ein Dreck, was daneben geht.«
Da zog ihn der Antoine beiseite und raunte:
»Dein Vieh steht in meinem Stall, der Maire ist schon hinterher. Der hat alles zusammengetragen, was du gesagt und geschäftet hast, seit er gewählt ist. Ich weiß 125 es vom Storkenhans. Und wenn der Maire einen auf der Latte hat, so sitzt er ihm auf. Der ist wie ein Schratzmännele und drückt einem das Leben ab. Gib mir eine Schrift über das Vieh, wie wenn's mein wär' und streich' dich über die Grenze.«
Wild lachte der Daniel.
»Pas bête, der Antoine! Nein, Vetter, das Vieh bleibt dem Daniel Junt. Und über die Grenze? Kann ich den Berg an den Schuhen mitschleifen! Sie sollen's mir beweisen!«
Dem Vetter schwoll die Leber.
»Mach', was du willst. Dein Vieh ist mir feil. Aber wenn du so in den blauen Tag hineinbrüllst, sie sollen es dir beweisen, so ist's so gut wie ein Amen in der Kirche.«
Daniel sah ihn einen Augenblick an, schwer atmend, mit verbissenen Zähnen. Plötzlich packte er ihn an beiden Schultern, Gesicht gegen Gesicht, und keuchte:
»Dir hab' ich nichts gesagt! Dir schlag' ich den Schädel ein, wenn du dein Maul hineinhängst.«
Er stieß ihn zurück, daß er taumelte.
Die Fermière hing sich noch einmal an ihn. Er schüttelte sie ab und ging ins Haus. Zu Florence. Catherine hockte auf dem Bettrand und gab ihr Honigwasser zu trinken. Als Daniel sich über das Kind beugte, glänzten seine schwarzen Augen im Brandfieber.
»Geht's besser, Floflo?« fragte er ruhig, aber seine Gedanken stürmten.
»Warum bleibst du nicht bei mir? Nimm mich mit, Vatterle! Jetzt wird's finster, und auf einmal stehst du auf und nimmst den Kerzenstock und machst so wilde Augen und gehst die Stiege ab. Ganz leis, daß sie nicht gickst. Und gehst in die Küche und kommst wieder zurück auf den Socken. Und es fängt an zu wispeln und räucheln und – und Vatterle – es ist so hell in meiner Kammer, die Erdwibele lugen zum Fenster herein, und, und – Vatterle, es brennt! Es brennt! Bleib' da, 126 nein, nicht ins Feuer! Vatterle, Vatterle! – Ich will sie nicht, 's Mütterle soll kommen, die Madame Berthe, die will ich nicht. Sei nicht bös, Vatterle – nimm mich, es brennt, du brennst, alles brennt – halt' mich, heb' mich, nimm mich –«
Mit einem langen, wimmernden Schrei bäumte es sich auf und fiel ihm in die Arme.
Mit der flackernden Kerze im trüben Laternenglas stürzte Eulalie herein. Das Kind hing steif, mit bläulich umzogenen Augen, den Mund weit geöffnet, in seinen Armen. Da heulte die Catherine laut auf und plumpste vor dem Bett auf den Estrich, das Gesicht tief in die Kissen wühlend, wo Floflo gelegen hatte.
»Daniel, um Gotteswillen, geh', geh', dem Kind hol' ich den Doktor, nur geh', bevor sie dich finden,« schluchzte die Lalie, stellte die Laterne auf den Boden und griff nach dem Kind.
Da riß Daniel Junt plötzlich das ohnmächtige Kind an sich, griff die Wolldecke vom Bett, daß die Magd den Halt verlor und mit dem Kopf auf die Diele schlug, und wickelte Floflo hinein.
»Daniel, Daniel! Herr, was wollt Ihr? M'ssieu Daniel!« schrien die Frauen.
Er antwortete nicht, schaute sich um, als suchte er, was noch ihm gehörte in der Ferme Hirth, bis er die Flinte in der Ecke lehnen sah, und packte das Gewehr.
Die Lalie warf sich ihm in den Weg.
»Platz!« sprach er tonlos.
Sie breitete die Arme aus. Das Haar war ihr aufgegangen, ihre Brust drängte sich ihm entgegen.
»Platz!«
Er hob den Kolben.
»Daniel, geh' nicht so aus meiner Kammer,« keuchte sie, »so, mit allem, was du hast.«
»Grad' so,« antwortete er.
Da ließ sie langsam die Arme sinken.
Mit schweren Schritten, das Kind auf der linken 127 Schulter, ging er an ihr vorüber, zwischen den Melkern hindurch, die scheu nach ihm glotzten, in die finstere Nacht. Er stieg die schlüpfrige Matte hinauf.
Schwarz, in Regendünsten brütete der Kiefernbusch, um die Steine bewegte sich ein graues Heer, und der Schall des Wassers starb im Brodem. Wo die Ferme Florimont gestanden, roch es brandig, und als Daniel darauf zuschritt, schien sich die Giebelmauer, die noch aufrecht geblieben, langsam zu neigen. Er ging daran vorbei in die Käshütte, tastete nach den Matratzen und legte das Kind darauf nieder. Zündhölzchen, ja, die hatte er noch im Hosensack. Er holte die Petrollaterne vom Wandhaken, und ihre geschwänzte Flamme erhellte den Raum mit hüpfenden Lichtern. Dann goß er den Kaffeehafen aus und ging mit der Laterne hinüber zur Brandstatt. Wo der Bub des Antoine hineingeglitten war, zwängte er sich mühsam durch. Ein Splitter zerriß ihm die Schulter, die noch von der Brandwunde verklebt war. Der Wein gluckste ins irdene Geschirr, ein süßer Duft stieg daraus empor. Die Hälfte verschüttete er beim Hinaufklimmen, die andere brachte er heil in die Hütte.
Als er vor der Tür war, stapften dumpfe Schritte hinter ihm. Er drehte sich um.
»Wer mir heraufkommt, den schieß' ich zusammen,« rief er ins Dunkel und schlug die Tür hinter sich zu. Dann wickelte er das Kind noch wärmer ein. Es hatte jetzt die Zähne zusammengepreßt, und er mußte sie ihm mit Gewalt aufbrechen, um ihm den Wein einzuflößen.
»Schluck', Floflo, das wirft die Gesunden und stellt die Kranken,« sprach er leise, mit einem trüben Versuch, zu scherzen.
Nach einer Weile kam ein Seufzer über Floflos Lippen, sie schluckte.
Es war dumpf und stickig in der Hütte. Daniel hob einen Laden aus, mit dem das Fensterloch verwahrt war. Feuchte Nachtluft strömte herein. 128
Floflo schluckte noch einmal von dem starken Wein und kam wieder zu sich.
»Bist du da, Vatterle?«
»Ja, Flo, da bin ich.«
Er saß auf einem Schemel und hatte den Arm um sie gelegt. Es war still, nur zuweilen lief ein Scharren an der Hütte hin. Die Nacht erstickte jedes Geräusch.
Daniels Stirn rührte an Floflos zartes, schwarzes Haar, das aufgelöst, in Ringeln und Locken über die rote Matratze quoll. Ihr Atem ging laut und flüchtig, dann und wann kam ein Wimmern über ihre Lippen. Aber wenn Daniel fragte, ob ihr etwas weh' täte, hauchte sie: »Nein.«
Auf einmal fragte sie:
»Vatterle, ist's auch gewiß wahr, daß ich kein Kesselflickerkind bin?«
»Red' keine Bêtisen,« antwortete er.
Nach einer Weile wurde das Kind unruhig. Angstvoll warf es sich im Fieber, das Näslein wurde spitzer, die Augen noch größer, es fuhr mit den Händen krampfhaft umher. Noch einmal gab er ihm von dem starken Wein.
Er sah es hingehen und auslöschen und suchte alles andere zu vergessen. Aber er brachte keine Ordnung in seine Gedanken. Das Kind und der Brand, der Kampf mit der Gemeind' und um den Besitz, alles wallte und kochte in ihm, und er stöhnte und stieß wilde Worte heraus, die kein Echo fanden.
»Vatterle,« es hatte ein ganz helles Stimmchen, »maman Louise ist meine rechte Mutter, gelt?« fragte das Kind.
»Ja.«
»Und hernach bist du mein rechter Vater.«
Da streckte er langsam die rechte Hand aus, dicht über es weg, daß die Finger auf seiner kleinen, fliegenden Brust lagen, und sagte mit lauter, feierlicher Stimme:
»Sei ganz ruhig, Florence, laß die Lumpen reden: Du bist unser rechtes Kind, unser eigenes. Spürst du's 129 nicht, daß dem so ist? Ganz dem Daniel Junt sein Kind! Der Herrgott im Himmel soll's hören, daß du unser Kind bist.«
Seine Hand zitterte nicht, er wartete trotzig, ob ihn einer einen Lügner hieß, als er so sprach. Aber die Nacht blieb ohne Antwort.
Floflos verbundene Hände suchten sein Gesicht.
Und es war sein Kind, wenn sie es auch auf dem Scheitholz unter dem Dächlein gefunden hatten, in einen roten Schalfetzen eingewickelt, von einer hingelegt, die unstät über die Berge gestrichen war. Irgendein fahrendes Weib, das seine Kinder wie der Kuckuck in andere Nester legte. Sie hatten es aufgezogen, ihm den Namen und alles gegeben, er hatte es geschüttelt, wenn es ungattig war, und es war groß geworden und hing ihm an und hatte keinen anderen Vater.
Just wie das Haus, die Ferme und die Herberg', die die Junt von der Gemeind' hatten. Die war auch sein wie das Kind da, das nicht in ihrem Bett geboren, aber darin warm geworden war. Die Ferme und das Kind!
Und auf einmal packte ihn eine wilde Verzweiflung, er fühlte, daß ihm das Kind unter den Händen wegstarb; er wollte, er mußte es behalten. Herrgott, er war keiner von denen, die schnell das Wasser in den Augen und ein weiches Herz hatten, aber das Kind, das er seiner Louise zulieb angenommen hatte, war ihm wie ein eigenes. Er gab's nicht her, da hatte ihm keiner dreinzufahren, er gab's nicht her. Wenn das Kind nicht sein war, dann hatte er auch kein Recht auf den Florimont. Florence! Nach dem Berg hatte Louise sie taufen lassen. Und nach dem Berg hieß auch der Hof. Das war alles eins.
Er riß ein Stück von seinem Ärmel ab und tränkte es mit Wein, legte es Floflo auf die Stirn und gab ihm noch einmal zu schlucken. Das Kind war nicht mehr recht bei sich, seine Augen waren ohne Blick. 130 Die Petrollaterne brannte nieder; schon glühte der Docht und schlug ängstlich mit dem Rauchschwänzchen um sich.
Stunden vergingen, das Licht war erloschen. Er sah das Kind nicht mehr, und seine harten Hände hatten nicht genug Gefühl. Da legte er seine Backe an Floflos Gesicht. Es war noch Wärme darin, der Atem flog, setzte aus, stieg rasselnd aus der Brust und sank wieder in die Tiefe, wo das Herz dumpf gegen die Rippen schlug.
Wenn Daniel ein Zündholz anstrich, um das Kind wieder einmal zu sehen, zuckten seine Lider.
Die Nacht lag schwer und feucht über den Bergen, zögernd wich die Finsternis einem grauen Schimmer.
Da sagte Floflo mit deutlicher Stimme:
»Hörst du's, Vatterle?«
Und dann auf einmal ein leiser Schrei, angstvoll, wie weit her, ein Bäumen und Schlagen.
Er riß es in die Arme:
»Floflo, Nundedie, Floflo, was machst du? Still, es geht vorüber, Floflo!«
Alle Kraft strengte er an, das schlagende Kind zu halten, als hielte er es so gegen den Tod, der es ihm wegreißen wollte.
Da lösten sich auf einmal die starren Glieder, ein röchelnder, glucksender Seufzer, ein Schüttern, schwer lag's ihm im Arm. Schon war's ihm, als hätte er es behalten und der andere es fahren lassen, da wurde ihm jählings klar, daß er verspielt hatte.
Er hielt den schlanken Leib noch fest umfaßt, ganz fest, alle Muskeln gespannt; aber auf einmal würgte ihn ein rauhes Schluchzen. Mit dem Kind in den Armen ging er in dem finstern, hallenden Raume auf und ab, hin und her, er wußte nicht wie lang, und bis in die Kehle stieß ihn das wilde Herz. Dann legte er das tote Maidle wieder auf die Matratze, deckte es zu und saß neben ihm bis in den grauen Morgen. 131
Es war heller Tag, als die Catherine an die Tür pochte. Lange klopfte sie vergebens und nannte ihren Namen. Endlich zog er den Riegel.
»Jesus Maria!« schrie die Magd und prallte zurück vor seinem verwüsteten Gesicht mit den roten Augenlidern und dem verzogenen Mund. Er war noch in Hemdärmeln; von dem einen fehlte die Hälfte, und der nackte, sehnige Arm stach heraus.
»Hol' ihm 's geweihte Wasser, c'est fini,« sagte er heiser.
Da weinte die Catherine dicke Tränen und ging zu dem Kind hinein. Breit lief eine mattgelbe Sonnenbahn über die Schwelle zu der Matratze, auf der Floflo lag. Sein wachsgelbes Gesicht war das eines Schlafenden. Daniel hatte ihm das Kinn gestützt; die Augäpfel schimmerten durch die langen, schwarzen Wimpern. Die Hände in den weißen Binden waren in den Falten der Decke verborgen.
Daniel hatte sich nicht umgedreht, als die Magd hineinging und vor dem Bett auf die Knie fiel. Er ließ sich schwerfällig auf die Balken nieder, die sie gestern hier unter dem Vordach aufgestapelt hatten, und starrte über die tauschillernden Matten. Ein purpurroter Ball schwebte über dem Schwarzwald, die Sonne stieg auf.
»Herr,« schluchzte die Catherine, »M'ssieu Daniel?«
»Was gibt's?« fragte er tonlos.
»Daß ich die Red' nicht vergess', die Kommission vom Gericht sei unterwegs. Die Lalie hat's vom Postbot'.«
Er antwortete nicht und blieb sitzen, die Ellbogen auf die Schenkel gestemmt, die Hände zwischen den Knien gefaltet. Sie sah auf seinen braunen Nacken und das buschige Haar. Im losen Hemd arbeitete die nackte Brust. Die Catherine hatte schon geschafft seit dem ersten Morgenlicht, war um die Käshütte gestrichen wie ein verirrtes Huhn und dachte an nichts anderes. Jetzt ging sie hinüber zu dem Verschlag, wo die gerettete Fahrhabe eingestellt war, und kam mit einer Jacke und einer Weste zurück. 132
Er kleidete sich an. Sein Gesicht erschien noch einmal so fahl über dem schwarzen Rock und dem weißen Hemd. Aber er trug den Kopf noch hoch, er war noch der alte.
Die Catherine lief zur Ferme Hirth hinunter, und dann rannte der Hüterbub nach La Motte zum Pfarrer, die Leiche anzusagen. Die Lalie kam mit den Totenlichtern und dem geweihten Stechpalmenzweig. Sie wickelten Floflo die Binden von den verbrannten Händen und gaben ihnen einen Rosenkranz zu halten.
Daniel hatte kurz Nein gesagt, als sie das Kind in die Ferme hinuntertragen wollten.
»Da oben ist ihm gut gebettet,« hatte er geantwortet.
Sie rückten eine Bank an die Tür, deckten weiße Leinentücher und ein Maträtzlein darauf und bahrten das Kind auf. Die Kerzen flackerten im Luftzug. Die Catherine betete laut, und auf einmal kam der Bello, der gestern mit dem Vieh und dem Sepple nach La Motte hinunter war, vom Brunnen hergeschlichen und kroch unter die Bank. Hier blieb er liegen, die Nase zwischen den Pfoten – ohne einen Laut zu tun.
Eine Stunde darauf knallte vom Wald eine Peitsche.
Die Lalie war wieder zur Ferme hinunter. Daniel war mit der Magd allein.
Die Catherine sah über das Kind weg die Straße hinab.
»Es ist Monsieur Grosjean,« sagte sie, und ein freudiger Klang war in ihrer Stimme.
Daniel zog die Brauen zusammen. Den hatte er ganz vergessen, und das Berthele und – jetzt staunte er selbst – den Léon! Er hatte sie alle vergessen!
Der Wagen hielt an der Brandstelle. Grosjean blieb eine Zeitlang sitzen und schaute starr auf die Ruine des Gasthauses.
Daniel ging ihm entgegen, langsam, mit schweren Knien.
»Bonjour, monsieur Grosjean!«
Da erhob sich der alte Herr und stieg schwerfällig aus dem Break. 133
»Der Telegraph hatte mich avisiert.«
Stumm gingen sie zur Hütte hinaus.
»Mon Dieu, was ist das?«
Grosjean blieb erschüttert stehen. Der Hund knurrte leise.
»Das ist mein Kind!« antwortete Daniel rauh und zupfte die Decke zurecht, die sich verschoben hatte.
»Ah, quel malheur!« murmelte Grosjean und zog mit zitternden Fingern den Hut.
Daniel stand stumm, mit verbissenen Zähnen zur Seite, den Blick unverwandt auf das wächserne Gesicht gerichtet.
Endlich fuhr sich Grosjean mit der Hand über die kahle Stirn, als müßte er sich von dem Bild losmachen. Er schaute sich suchend um. Da wies Daniel über die Bahre in die dunkle Käskammer:
»Dort können wir reden.«
Grosjean zögerte.
»Es hört uns nicht,« sagte Daniel, und ein bitteres Lächeln zuckte um seinen Mund.
Grosjean sah es, und ihn fror. Er ging an Floflo vorüber in die Hütte und so weit hinein, als er konnte, bis zu der Feuerung und den Kesseln. Daniel war ihm schweigend gefolgt. Er rückte ihm einen Schemel, aber Grosjean blieb stehen, den Hut in der Hand, im Mantel, mit einem bekümmerten Ausdruck in dem blassen Gesicht.
»Alors, c'est comme ça! Das Haus ist niedergebrannt. Von Eurer Fahrhabe bleibt so gut wie nichts.«
»Ja.«
Er schwieg eine Weile, dann griff er sich plötzlich an die Stirn:
»Daniel, Daniel! Was habt Ihr angerichtet! Ich hab's gewußt, wie die Depesche kam und das Berthele aufschreit und den Léon nimmt und ins Schlafzimmer rennt und das Nettele zu lamentieren anfängt. Daniel, darum habt Ihr mir die Assekuranz aufgekündet. Unten im Dorf reden sie vom Galgen, und das Gesetz, das spricht von Zuchthaus. Ihr habt Euch ruiniert. Daniel, ist's denn möglich!« 134
Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, seine Stimme war laut und lauter geworden, er vergaß den Ort und die Leiche und alles.
Daniel blieb unbewegt.
»Ich weiß nicht, was Ihr wollt, Monsieur Grosjean. Die Assekuranz, die hab' ich gekündet, weil mich die Gemeind' in den Dreck gesetzt hat. Gut, hernach soll sie zahlen. Was sie reden in La Motte, das macht mir nicht heiß und nicht kalt. Und das Berthele« – seine Stimme schwankte einen Augenblick –, »das Berthele, dem hat's geträumt.«
Grosjean trat dicht an ihn heran.
»Daniel, ich bin jetzt Bertheles Vater und der Freund des Josef Junt und Eurer auch. Hand aufs Herz: was wißt Ihr von dem Brand?«
»Was ich weiß! Ich weiß, daß er weggefressen hat, was im Weg war. Was die Gemeind' mir abgesprochen hat, das hat das Feuer mir zugesprochen.«
»Alors, c'est vrai? Vous êtes coupable?«
»Schuldig? Was ist das für ein Pfaffenwort! Mein' Sach' ist's. Sie haben mir mein Recht verwehrt. Ich hab's mir genommen.«
»Daniel, Ihr wißt ja nicht, was Ihr redet! Ihr habt ein fremdes Haus angezündet. Vous êtes un incendiaire!«
»Was bin ich, ein Brandstifter!« schrie Daniel Junt und lachte wild auf und schlug mit der Faust auf den Kupferkessel, daß er dröhnte:
»Daß ich nicht lach'!«
Und dann auf einmal ruhig:
»Das ist mein' Sach', Monsieur Grosjean, das versteht Ihr nicht.«
»Sagt das dem Gericht,« antwortete Grosjean, »und Ihr werdet sehen, was Euch der Prokurator antwortet.«
»Ich pfeif' auf das Gericht!«
»Daniel,« – er faßte seine Hand – »Daniel, au nom de Dieu, sauvez-vous! Geht über die Grenze!«
Da hob Daniel den Kopf: 135
»Das mit dem Tribunal, das glaub' ich nicht. Das tun sie nicht, die in La Motte. Sie sollen's mir beweisen!«
»Die Enquete ist im Zug, Daniel. Sie kommen heut' noch. Und wenn Ihr unter Verdacht steht, so legt der Gendarm die Hand an Euch.«
»Der Gendarm?«
Mit einem Satz sprang er zurück. Seine Adern schwollen, seine Zähne knirschten.
»Der Gendarm und ins Loch! Betisen!«
Er wischte mit der Hand durch die Luft, als müßte er etwas wegjagen.
»Daniel, ich weiß nichts, als was mir das Berthele gesagt hat, und der Léon ist ihm wie ein eigenes. Ihr seid kein Verbrecher, un égaré, aber das Gericht sieht Euch das nicht nach. Und Ihr, ich kenne Euch, ich kenn' dich doch, Daniel; du sagst: »Sie sollen's mir beweisen«, aber wenn's drauf und dran geht, so trumpfst du auf und bringst das vor, was du dein Recht nennst, und dann haben sie dich gefangen. Sauve-toi, ich bitt' dich, denk' an den Bub! Wenn sie dich ins prison, nein, schlimmer, ins Zuchthaus stecken – bedenk's, Daniel!«
Nach einer Pause hob Daniel den Kopf und sah Grosjean in das nervös zuckende Gesicht.
»Ich hab's gehalten wie mein Haus. Ich hab' geschafft, wie mein Vater selig, bis es zu eng geworden ist. Wir sind der Gemeind' angelegen seit Jahr und Tag, und ein Blinder hat's können greifen, daß es notwendig ist. Und wie ich's gehalten hab', so ist's mein Recht gewesen, das ich gefordert hab' von der Gemeind'. Sie hat sich drum fütiert. Es kommt niemand zu Schaden, auch der aigle d'or nicht. Wo ist da ein Unrecht?«
Da fragte Grosjean leise:
»Und das Kind da an der Tür?«
Er wollte antworten, aber er fand nicht gleich das richtige Wort, und murmelte nur für sich:
»Das Kind ist wie das Haus. Keines mein und doch beide mein.« 136
Ein trockener Kitzel kam ihm in die Kehle, ein Ekel drehte ihm plötzlich das Herz um. Es war ihm ja alles eins, alles, alles – aber nein, er raffte sich auf.
»Ich salvier' mich nicht. Sie tun's nicht, die zu La Motte. Das wär' ja schlechter als gemein. Und ich, ich mach's mit mir ab, Himmel und Herrgott, ich steh' dafür, und es ist mein' Sach' – quand même.«
»Und wenn ich reden muß, Daniel: wegen der assurance?«
Daniel zuckte die Achseln und schwieg, als wollte er sagen, das tut der Vater Grosjean nicht.
»Und wenn das Berthele Zeugnis redet, Daniel?« fragte der alte Mann und legte dem Schweigenden die Hand auf die Schulter.
»Das Berthele!«
Er murmelte es kaum hörbar und starrte durch das Fensterloch zu dem rocher du moine hinauf, der schwarzschillernd in der klaren Herbstsonne stand.
»Das tut mir das Berthele nicht an,« sagte er dann, aber seine Stimme klang unsicher.
»Voyons, soyez raisonnable, mon pauvre ami: Sauvez-vous! Voilà la frontière! Profitez d'une occasion, d'une dernière minute, et sauvez-vous!«
Aber schon hatte Daniel sich aufgerafft.
»Non, ça jamais! Ich steh' auf meinem Recht und auf meinem Grund.«
Grosjean begann noch einmal auf ihn einzureden, packte ihn bei allem, was ihm handlich schien, da gellte plötzlich aus der Ferne ein Triller, wie ihn die macars ausstoßen. Und noch einer, ein Schrei, ein Weib war's, das schrie Daniels Namen.
Und da rief auch schon draußen die Catherine:
»Daniel, Daniel, die Gendarmen!«
Grosjean stürzte zur Tür und hinaus.
Da kamen sie schon über das Sträßlein. Zwei. Ihre Helme blitzten. Und dahinter Herren und Bauern. Sie kamen geradeswegs auf die Ferme zu. 137
Grosjean suchte ihnen den Weg zu sperren, aber er kam nicht weit.
Daniel war langsam der Tür zugegangen. Zwischen ihm und den anderen stand die Bahre mit dem Kind. Der Hund fuhr wie rasend darunter hervor auf die Gendarmen los.
»Kusch, Bello!« sagte sein Herr kurz. Da verkroch er sich knurrend wieder unter die Bank.
Die Catherine warf sich den Beamten mit einem Schwall von Bitten und Drohungen in den Weg.
»Da liegt ein Totes!« schrie sie und versperrte ihnen den Weg.
»Respectez la mort!« rief auch Grosjean, und der Wachtmeister trat betroffen zurück, als er das Totenbett an der Tür erblickte mit der kleinen Schläferin, über die sie hätten hinwegschreiten müssen, denn die Magd hatte die Bank gedreht, als Grosjean an ihr vorbei war. Bank und Bahre füllten die Tür in der ganzen Breite.
Daniel hatte alles gesehen. Hinter der Tür stand die Flinte. Als die Gendarmen mit der Catherine fochten, hatte er sie ergriffen. Sie war ihm die ganze Nacht zur Hand gewesen. Er zog den Hahn und fühlte mit dem Zeigefinger eine Kartusche, sie war geladen. Er klemmte den Bügel in den Riegelfang der Tür und faßte das Gewehr dann am Lauf.
Jetzt räusperte sich der Wachtmeister:
»Herr Junt« – er stockte, man hörte die Glocke von La Motte, die für das Kind geläutet wurde –, er fuhr fort:
»Befehl, Sie zu verhaften . . .«
Das Kind da mit dem friedlichen, verklärten Gesicht – er fand die rechten Worte nicht und brach ab. Sein Kamerad hob mechanisch die Büchse.
Da stemmte Daniel das Knie gegen die Türkante.
Der Wachtmeister sah die Bewegung, wußte nicht, was sie bedeutete, und rief scharf:
»Halt! Nicht gerührt!«
»Mein' Sach'!« kam's kurz zurück. 138
Sie drängten vor, die Catherine schrie auf, aber schon riß seine Faust das Rohr an die Schläfe, ein roter Strahl, ein schmetternder Schlag, vornüber stürzte Daniel Junt mit zerschossenem Kopf. In eins geballt war ihm das Schrot durch die Schläfe ins Hirn gefahren.
Ein Zipfel von Floflos Bahrtuch verhüllte ihm mitleidig das zerrissene Haupt.