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Mehrere Wochen sind seit den letzt geschilderten Geschehnissen verflossen. Die leichtlebige Kaiserstadt an der Donau befindet sich mitten im Faschingstrubel. Vor den hellbeleuchteten Schaufenstern der Kärntner- und Mariahilferstraße drängen sich die Frauen und bewundern die aus Spitzen, Tüll und Flittern zusammengefügten Balltoiletten, deren strahlende Pracht manch neidisches Gefühl in den Herzen der Beschauerinnen erweckt.
Arm in Arm schlendern zwei junge Männer durch das Gewühl. Den einen kennen wir, es ist der Detektiv Hofmeister; der untersetzte Mann an seiner Seite, dem man es trotz des Zivils, das er trägt, ansieht, daß er gewohnt ist, für gewöhnlich in Uniform zu stecken, ist der Polizeikommissär Jobst. Er gilt trotz seiner Jugend für einen der tüchtigsten Polizeibeamten Wiens, und der gleiche Beruf, die gegenseitige Hochschätzung, die sie einander entgegenbringen, hat die beiden jungen Männer zu Freunden gemacht.
In jenem schnellen Trab, welcher den Stolz der Wiener Fiaker bildet, kommt ein Unnumerierter vorübergerollt, gerade, als die beiden die Straße überschreiten wollen, und zwingt sie, einen Augenblick stehen zu bleiben. Im nächsten Moment ist der Wagen mit seinen Insassen, einem Herrn und einer auffallend gekleideten Dame, an ihnen vorüber.
»Das war der junge Kipferl,« bemerkt der Kommissär im Weiterschreiten. »Der Bursche treibt es auch recht toll seit dem Tode seines Vaters. Nun, die Millionen, welche der Alte hinterlassen hat, werden wohl schon noch eine Zeit lang vorhalten, obgleich selbst der tiefste Brunnen ausgeschöpft werden kann, was diesmal wohl auch zutreffen wird. Hast Du die Dame an seiner Seite gekannt?«
Hofmeister schüttelte den Kopf. »Du weißt, ich habe nicht viele Damenbekanntschaften, besonders nicht in jenen Kreisen, die in unnumerierten Fiakern herumfahren.«
»Ich auch nicht,« lachte Jobst. »Aber die eine kenne ich zufällig. Es ist Fräulein Meta Falkinsky, die bekannte Soubrette, die sich jetzt, wie es scheint, von Kipferl aushalten läßt. Eine etwas kostspielige Passion, aber immerhin noch besser, als der Umgang mit diesem Keröpesy, der sein bester Freund ist.«
»Was ist mit dem Manne?«
Der Kommissär zuckte die Achseln. »Eine jener Existenzen, die da leben wie die Lilien auf dem Felde. Sie säen nicht und ernten nicht und haben doch stets Überfluß.«
»Also ein Hochstapler?«
»Etwas von der Sorte. Wir haben den Burschen schon lange auf dem Strich, aber man kann ihm nichts nachweisen. Nun, entwischen wird er uns nicht. Über kurz oder lang bekommt er es doch mit uns zu tun oder wir mit ihm.«
Inzwischen war der Fiaker, in welchem Kipferl mit der Sängerin saß, durch mehrere Straßen dahingerollt, nicht, ohne überall das Aufsehen der Passanten zu erregen, was Kipferl mit geheimer Freude erfüllte, denn er hielt es für riesig schick, sich an der Seite der stadtbekannten Soubrette als ihr erklärter Liebhaber zeigen zu dürfen. Am Graben vor einem eleganten Juwelierladen hielt der Wagen und die beiden stiegen aus.
Beim Betreten des Geschäftes kam ihnen Keröpesy entgegen. »Nun, da seid Ihr ja,« rief er. »Ich glaubte schon, Ihr hättet unsere gestrige Verabredung vergessen.«
»Diesmal war es Poldl, der mich warten ließ,« entgegnete die Sängerin. »Sonst sagt man, daß wir Frauen unpünktlich sind, aber diesmal – –«
»Ich konnte wahrhaftig nicht früher,« entschuldigte sich Kipferl. »Ich hatte Abhaltungen, wißt's, geschäftliche, ich war in der Fabrik draußen.«
Dem scharfen Auge des Ungarn entging es nicht, wie sich die Stirn des andern bei diesen Worten bewölkte, aber er ging nicht näher darauf ein, sondern half der Sängerin einen kostbaren Schmuck aussuchen, den ihr der Fabrikant gestern versprochen hatte. Mit protziger Nonchalance bezahlte Kipferl den enormen Kaufpreis, dann entfernte er sich Arm in Arm mit seinem Freunde, während Meta im Wagen zum Theater fuhr, wo sie sich zur Vorstellung vorbereiten mußte.
»Du sagtest vorhin, daß Du geschäftlichen Verdruß hattest,« begann nach kurzer Pause Keröpesy. »Doch hoffentlich nichts Ernsteres? Ich selbst kümmere mich allerdings nicht viel darum, aber hie und da hört man doch in Gesellschaft ein Wort über die Geschäftslage, die gegenwärtig in Deiner Branche geradezu großartig sein muß.«
Kipferl zog ein gelangweiltes Gesicht. »Was i' mi' d'rum kümmer', dös geht auf a' Nadelspitz'.«
»Glücklicher Mensch, dem es nichts ausmacht, ob er ein paar Tausender mehr verdient oder weniger.« lachte der Ungar.
»Also gut geht's G'schäft?« nahm Kipferl den Faden des Gespräches wieder auf. »Wird scho' sein. Jetzt fallt mir ein, daß vorige Wochen der Pep' mir sagte, daß er mehr Arbeiter anstellen muß, so a achtzig bis hundert Stück. Ich kümmere mich natürli' nöt darum. Um so a größere Knickerigkeit is' es von dem Kerl, daß er mir wegen der paar Netsch, die ich heut' wieder aus der Kassa g'nommen hab', so a Predigt g'halten hat.«
Keröpesy horchte auf. »Ah, Dein Herr Vetter macht Dir Vorwürfe?«
»I' brauch' zuviel, sagt er, i' hätt' im letzten Monat schon a Vermögen ausgegeben.«
Der Ungar lachte hell auf, als habe der andere einen guten Witz gemacht. »Diese Menschen mit ihren proletarischen Gewohnheiten wissen eben nicht, was ein standesgemäßes Leben kostet,« bemerkte er wegwerfend.
Kipferl machte ein verdrießliches Gesicht. »Na ja, weißt, alles, was recht ist. Aber eigentli' is' wahr. Das Leben, das is das wenigste, aber was i' im letzten Monat schon im Kartenspiel verloren hab', das is wirkli' nimmer schön.«
Der Ungar lachte noch immer. »Glück in der Liebe, Unglück im Spiel, Du kennst das Sprichwort. Der Mann, welcher die gefeierteste Schönheit der Stadt einem Prinzen abspenstig machte, dürfte sich eigentlich nicht beklagen.«
Dann, als er bemerkte, daß seine Heiterkeit die üble Laune des andern nicht beseitigen könne, fuhr er fort: »Übrigens, wenn Du nicht spielen willst, brauchst Du ja nicht mehr in den Klub zu gehen, den Verlusten ist leicht auszuweichen.«
Poldl fuhr förmlich erschrocken zurück. »Nimmer in den Klub gehen? Was Dir nöt einfallt. I' bin froh, daß i' drin bin. Aber dös wilde Spielen will i' aufgeben, oder besser noch, das Spielen überhaupt.«
Der Ungar nickte zustimmend mit dem Kopfe. »Das wird wohl das beste sein. Zwar, Deine Stellung wird dadurch schwierig werden, man wird es als Schäbigkeit deinerseits deuten, wenn Du, der millionenreiche Fabrikant, Dich vom Spiele zurückziehst. Aber schließlich, was braucht Dir an dem Urteil der Leute zu liegen.«
Der andere protestierte entrüstet. »Na hör' mal, dös is aber dumm g'red't. Du weißt doch, daß ich durch die Leut' gern in die Höh' kommen möcht'.«
»Da bist Du auch auf dem richtigen Wege. Erst vorgestern abends sagte mir der Graf Trautheim: »Wir müssen uns bei Ihnen bedanken, lieber Baron, daß Sie Ihren Freund in unseren Klub eingeführt haben. Sie wissen, ich bin sonst Bürgerlichen gegenüber ziemlich exklusiv, aber der Mann versteht es, mit so einer Noblesse zu spielen und ohne mit den Wimpern zu zucken zu verlieren, wahrhaftig wie ein geborener Edelmann.«
Das Gesicht Kipferls strahlte bei dieser Kunde vor Glück und Freude. »Dös hat er g'sagt, der Graf? Freili', ich hab' an ihn bald fünftausend Gulden verloren, a bisl teuer is dös Lob, aber schad't nix, freuen tut 's mi doch.«
Keröpesy überhörte geflissentlich die wenig kavaliermäßigen Äußerungen seines Begleiters. »Du weißt,« fuhr er fort, »daß Trautheim durch seinen Oheim, den Minister, einen bedeutenden Einfluß besitzt. Wenn Du Dir seine Freundschaft erhältst, dann ist es nicht unmöglich, daß – –«
»Na, was denn, so red' doch,« drängte der andere.
»Nun, da der Graf so ungern mit Bürgerlichen verkehrt, so könnte man ihm ja die Idee nahe legen, Dich in den Adelstand erheben zu lassen!«
Das ohnehin nicht sehr geistreiche Gesicht Kipferls nahm einen geradezu blödsinnigen Ausdruck des Staunens an. So hoch hatte er sich selbst in seinen kühnsten Phantasien nicht verstiegen.
»Dös glaubst, daß dös geht?« stammelte er.
Keröpesy zuckte mit den Achseln. »Ich wüßte nicht, was die Sache hindern sollte? Es sind schon ganz andere Leute geadelt worden als Du, der Du als bedeutender Industrieller, als Brotherr von, ich weiß nicht wieviel hundert Arbeitern, ein gewisses Anrecht darauf hast. Man muß die Sache nur beim richtigen Ende anpacken, muß Trautheim die Idee unmerklich suggerieren, daß er zuletzt glaubt, er selbst habe sie gehabt. Das überlasse nur mir. Aber richtig, Du gedenkst, Dich ja aus dem Klub zurückzuziehen; schade, da fällt der ganze Plan ins Wasser.«
Das Gesicht Kipferls glühte wie eine Päonie. »Red' nöt so dumm daher. Das tät' mir einfallen, mich jetzt zurückzuziehen. Wüßt' nöt, warum.«
»Weil Du Dich vor Deinem Herrn Vetter fürchtest, dem Du zuviel Geld verbrauchst,« bemerkte Keröpesy mit unverhülltem Hohn. »Nun, wenn Du ihn recht schön bittest, vielleicht gibt er Dir noch ein paar Gulden Taschengeld.«
Der Fabrikant fuhr zornig empor: »Hör' auf mit Deiner Frozzelei. Dem Pep' will ich schon zeigen, wer der Herr im Haus' is. Übrigens wird er selber so g'scheit sein, wann i' ihm sag', daß i' am End' noch g'adelt werd' – – –«
Wie erschrocken legte ihm der andere die Hand auf den Arm. »Still, still, was fällt Dir denn ein, von so etwas spricht man nicht laut, bevor es Tatsache ist. Das wäre das beste Mittel, alles zu verderben. Übrigens, ich will im Ernst zu Dir reden. Ich weiß, Dein Vetter ist die Seele des ganzen Geschäftes, er leitet alles, während Du selbst – – –«
»Na weißt, i selbst bin a wer,« protestierte Kipferl beleidigt. »Gar so schlimm ist's mit dem Pep' a nöt. Schließlich tät's a anderer a und wann er mir noch weiter G'schichten macht, ich hab's satt, mir san ja nöt verheiratet.«
Ein Leuchten des Triumphes, das aber dem andern entging, flog über die Züge des Barons, während er mit gemacht gleichgültigem Tone fortfuhr: »Du bist der Herr und mußt wissen, was Du tust. In Geschäftssachen rede ich Dir prinzipiell nicht darein. Aber allerdings, wenn Du diesen bürgerlichen Verwandten, der trotz seiner gewiß guten Eigenschaften denn doch ein wenig zuviel Plebejer ist, auf gute Art loswerden könntest, am besten, wenn Du ihn außer Land schaffst, so würde das die Sache sehr unterstützen. Das verstehst Du doch. Und wenn außerdem Deine Schwester durch Heirat mit einem Adeligen nobilitiert wird, so läßt sich vielleicht die Sache rascher realisieren, als wir selbst glauben.«
Die klugen Worte des adeligen Abenteurers hatten in dem beschränkten Hirne Kipferls einen Brand entfacht, der ihn alles andere vergessen ließ. Ohnehin nicht all zu urteilsfähig, verlor er jetzt ganz die Überlegung und der kindische, egoistische Ehrgeiz war das einzige Gefühl, welches in seinem Herzen Platz hatte. Er begann sogar, den Vetter im stillen zu hassen als ein Hindernis auf dem erstrebten Pfade. Keröpesy hatte recht. Ein Edelmann – der Schwachkopf sah sich in Gedanken bereits nobilitiert – durfte sich mit solchen Verwandten nicht allzu eng einlassen.
Keröpesy hielt jetzt den Moment für gekommen, den letzten Schlag zu tun. Stehenbleibend reichte er dem andern die Hand. »Servus, Poldl. Wir sehen uns wohl heute nicht mehr. Ich gehe jetzt zuerst nach Hause und dann in den Klub.«
»Ich komm' a',« erklärte der andere bestimmt. »Ich fahr' jetzt nur in die Fabrik 'naus mir a Geld holen. Und wann der Pep' wieder G'schichten macht, dann werd' i ihm zeigen, wer der Herr is'.«
Ein Händedruck, dann schwang er sich in einen vorbeirollenden Fiaker. Mit teuflischem Lächeln blickte der Ungar dem Gefährte nach, bis es um die Straßenecke verschwunden war.
»Das hat sich famos getroffen. Wenn ich mich nicht irre, gibt es heute zwischen den beiden Vettern einen Krach, der in ihre Freundschaft ein tüchtiges Loch reißen soll. Daß es nicht wieder zugekleistert wird, das soll meine Sorge sein. Damit wäre der eine Nebenbuhler glücklich beseitigt.«
Und befriedigt schlug auch er den Heimweg ein.
*
Der Klub der »Harmlosen«, dessen Mitglied zu sein sich Kipferl rühmte, genoß in der Gesellschaft keines besonderen Rufes. Es war allgemein bekannt, daß seine Lokalitäten eine Spielhölle ersten Ranges seien, in denen neben Berufsspielern vom zweifelhaften Rufe Keröpesys sich Dummköpfe von der Art Kipferls und Verschwender wie Graf Trautheim zusammenfanden. Die peinliche Exklusivität, die sonst in den adeligen österreichischen Klubs herrscht, wurde hier nur dem Scheine nach gewahrt, und die wirklichen Mitglieder der Hofaristokratie, welche hierherkamen, um ihrer verbotenen Leidenschaft zu fröhnen, wußten ganz gut, was hinter diesen exotischen Marquis und Baronen steckte, die hier ihr Wesen trieben. Aber der Hang des Spiels verwischte alle Unterschiede, die übrigens der beschränkte Kopf Kipferls nicht merkte.
Es war elf Uhr vorüber. Da im Klub die Regel galt, pünktlich um ein Uhr nachts die Sitzungen zu schließen, begannen die Abende ungewöhnlich früh. Die meisten Tische waren bereits besetzt, und mit gierigen Augen hingen die Spieler an den bunten Blättern, die je nachdem sie fielen, ihnen ein Vermögen eintragen oder rauben konnten.
Keröpesy beteiligte sich nicht am Spiel. Unruhig ging er von Tisch zu Tisch, mit gerunzelter Stirn jeden Augenblick nervös nach der Türe blickend. Daß Kipferl noch nicht da war, beunruhigte ihn. Sollte bei dem Zusammenstoß zwischen den Vettern vielleicht doch Neubert die Oberhand behalten haben? Der Ungar täuschte sich nicht über die Charakterschwäche des Fabrikanten, der einem stärkeren Willen gegenüber unterliegen mußte. Das hatte er selbst sich ja schon zu Nutze gemacht. Freilich vertraute er auf den Ehrgeiz und Eigensinn, der bei solchen Menschen die Stelle der Charakterfestigkeit einnimmt. Aber sollte er sich vielleicht doch getäuscht haben, sollte das Spiel, das er schon gewonnen glaubte, im letzten Moment verloren sein?
In diesem Augenblick tauchte das plumpe, rote Gesicht des Erwarteten in der Türe auf. Keröpesy fiel ein Stein vom Herzen. Lebhafter, als es sonst seine Art war, eilte er dem Freunde entgegen.
»Nun da bist Du ja, ich glaubte schon, Du kämest nicht mehr.«
»Ich hatte noch eine Menge zu tun, ich erzähle Dir das ein anderes Mal,« schnaufte Kipferl.
»Wohl eine Attacke mit Deinem Herrn Vetter, was?«
Der Fabrikant warf sich prahlerisch in die Brust. »O, mit dem bin i' bald ferti' worden, dem hab' i' ganz einfach den Stuhl vor die Tür' gesetzt.«
In den Augen des Ungarn leuchtete es auf, und wäre der andere nicht so harmlos gewesen, hätte ihm die hastige Frage, was es gegeben habe, auffallen müssen. Aber im Bestreben, sich als energischer Mann zu zeigen, überhörte Kipferl die Aufregung des Freundes und erzählte prahlerischen Tones: »Zehntausend Gulden hab' i' verlangt. Und wie er wieder ang'fangen hat zu predigen, da hab' i' g'sagt, Donnerwetter, der Herr bin i' und wem's nöt paßt, der kann geh'n. D'rauf hat er g'sagt, wenn's so is', so geh' i'; die Schlüss'l hat er mir hing'schmissen und i' hab' sie g'nommen und hab' dem Kassier g'sagt, daß er ihm sein' G'halt auszahl'n soll. Wir zwei san fertig miteinander.«
Keröpesy drückte ihm die Hand. »Ich gratuliere; erst jetzt bist Du Herr im eigenen Haus. Ich wollte Dich nicht mit Deinem Verwandten entzweien, aber da die Sache von selbst gekommen ist, kann ich Dir nur gratulieren. Nur fest bleiben mußt Du.«
Kipferl lachte geschmeichelt auf. »Da fehlt sich nix. Und wenn er auf den Knien gekrochen käme, zwischen uns is' es aus. Ich bin eh froh, daß es so rasch gegangen is'; weißt, nix is' mir mehr z'wider, wie Zankereien und solche Szenen, na ja, man is' ja nöt dazu da auf der Welt, sich's Leben so verbittern z' lassen. Und noch was is' mir heut' passiert, a komische G'schicht', na, Du würdest Augen und Ohren aufsperren, wenn Du sowas hörtest. Anfangs war i' ganz weg, wie i' dös Papierl in mei' Vater sein Schreibtisch g'funden hab', und bin glei' zum Doktor Weiß g'fahren.«
»Hm, hm, Du machst mich neugierig. Was soll das sein?«
Der Fabrikant schüttelte den Kopf. »Dös kann i' Dir jetzt nöt sag'n. Weißt, es is' a heikle G'schicht', deshalb hab' i' a mit'n Advokaten ausg'macht, daß wir von der G'schicht' nix reden, bis morgen, bis er selbst dös Papierl gelesen hat. I' hab's ihm versprochen und ein Mann ein Wort.«
Keröpesy verbarg seine Aufregung hinter einer Miene heuchlerischen Mitgefühls. »Ich dringe natürlich nicht in Dich, wenn die Sache ein Geheimnis ist, aber die Frage mußt Du dem Freunde schon beantworten: Es ist doch nichts unangenehmes für Dich?«
Gerührt drückte ihm Kipferl die Hand. »Bist a guter Kerl, Baron, und a treuer Freund. Aber was dös anbetrifft, o konträr. Weißt, anfangs war i ja ganz paff, aber nachher hab' i mir's z'recht gelegt. Wann sich Dein Vermögen über Nacht verdoppeln tät', das wär' Dir nöt unangenehm? Na siehst, warum sollt' ich darüber greinen.«
Der Ungar war fest entschlossen, nicht früher zu ruhen, bis er entdeckt hatte, was hinter den rätselhaften Andeutungen steckte, aber in diesem Augenblick gewahrte Kipferl den Grafen Trautheim, und seinen Freund stehen lassend schoß er wie ein Geier auf ihn zu. Eine Zeit lang beobachtete Keröpesy aus der Ferne, wie der Fabrikant unter zahlreichen devoten Bücklingen auf den Grafen einsprach, der ihn sehr von oben herab behandelte, sich aber schließlich doch herbeiließ, mit Kipferl an einem Kartentisch Platz zu nehmen.
»Vorläufig ist nichts zu machen,« brummte er ärgerlich. »Na, später auf dem Heimweg soll er mir beichten.« Und auch Keröpesy wandte sich den Spieltischen zu.
Als er durch die Zimmer schlenderte, prüfend, an welchem Tisch er sich niederlassen solle, rief ihn plötzlich jemand an: »Halloh, Herr Baron, wollen Sie mir nicht Revanche geben?«
Der Sprecher war ein junger Ausländer, dem Keröpesy vor einigen Tagen eine beträchtliche Summe im Spiele abgenommen hatte.
»Recht gern, ich hoffe, daß Sie heute mehr vom Glück begünstigt sein werden, als das letzte Mal.«
Während dieser Worte hatte der Ungar bereits am Tische Platz genommen und mischte mit einer Fingerfertigkeit, die den Berufsspieler verriet, die Karten.
»Ich hoffe es auch,« antwortete sein Gegenüber.
Keröpesy überhörte ganz den eigentümlichen Nachdruck, welchen der andere in die bedeutungslose Phrase legte. Es entging ihm auch im Eifer des Spieles, daß einer der Zuschauer hinter ihn getreten war und das Spiel verfolgte, oder vielmehr, er bemerkte es wohl, achtete aber nicht darauf.
Auch heute war das Glück dem Ungarn hold. Stets fielen die Karten zu seinen Gunsten und bereits hatte sich ein kleines Häufchen Banknoten und Goldstücke vor ihm aufgestapelt, als er sich plötzlich mit kräftigem Griff beim Arm gefaßt fühlte und sich umwendend in das Gesicht des scheinbaren Kibitzes blickte, dessen Augen durchbohrend auf ihn gerichtet waren.
»Mein Herr, was soll das bedeuten? Lassen Sie meinen Arm los.«
»Sofort, bis ich die Karte aus Ihrem Ärmel entfernt habe, die Sie soeben mit bewundernswürdiger Fingerfertigkeit darin verschwinden ließen.«
Der ertappte Falschspieler sprang totenbleich von seinem Sitze empor. Unfähig, seine Gedanken zu sammeln, suchte er vergebens, seine Haltung zu bewahren.
Auch sein Gegenüber hatte sich erhoben. »Verlassen Sie sofort den Klub, Baron, und sorgen Sie dafür, daß wir Ihnen in der Wiener Gesellschaft nicht mehr begegnen! Drei Tage gebe ich Ihnen Zeit; haben Sie bis dahin die Stadt nicht verlassen, so mache ich die Anzeige bei der Polizei.«
Die Worte waren halblaut gesprochen; außer den drei Beteiligten hatte das Schauspiel nur zwei Kibitze als Zeugen. Die Spieler an den andern Tischen merkten nichts von dem Vorgang, der sich geräuschlos und schnell abspielte.
Keröpesy hatte seine Fassung wiedergewonnen; er sah ein, daß seine Rolle hier ausgespielt sei. Ohne ein Wort zu erwidern, erhob er sich und verließ stolzen Ganges die Spielsäle. Draußen drückte er wie gewöhnlich dem Diener, der ihm in den Pelz half, ein reiches Geschenk in die Hand und schritt dann in das Dunkel der Nacht hinaus.
»Verdammt, daß mir so etwas passieren mußte. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als tatsächlich aus Wien zu verschwinden. Der Bursche ist im Stande, seine Drohung wahr zu machen und mich der Polizei zu übergeben. Zu dumm von mir, sich erwischen zu lassen wegen einer solchen Lappalie. Nun adieu, ihr Heiratsgedanken. Schade, ich hätte mich begnügen sollen, den Kipferl zu wurzen. Der Kerl ist so dumm, daß er nie etwas gemerkt hätte. Aber wenigstens einmal soll er noch gehörig Haare lassen. Dann adieu Wien.«
Und einen bedauernden Blick auf die Straßen und Plätze werfend, deren lebhaftes Treiben er fortan missen sollte, setzte er seinen Weg fort.