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Einunddreißigstes Kapitel.
Das Rennen

Der Renntag brachte schönes Wetter; es war einer jener Aprilmorgen, die so frisch und wonnig sind, wie der Frühling selber. Mr. French, der bei Major Lawson in Badminton House eben außerhalb Epsoms wohnte, erwachte aus unruhigem, traumerfülltem Schlummer in der Stimmung eines Mannes, der unmittelbar nach dem Frühstück den Besuch des Henkers erwartet.

Die Gewißheit des Mißlingens lastete schon beim Erwachen schwer auf ihm. Monate und Monate der Besorgnis waren vergangen, ein Hindernis nach dem andern überwunden und jetzt kam das letzte – das Rennen selbst. Das war nicht zu bewältigen, so fühlte er, ohne einen besondern Grund dafür zu haben. Garryowen war glücklich in Lawsons Stall angelangt, das Pferd in vorzüglicher Verfassung, Andy frisch und leistungsfähig und der Favorit vor zwei Tagen von der Liste gestrichen. Mehrere andre gute Pferde waren ebenfalls zurückgezogen und der Stand der Wetten hatte sich, seitdem wir seiner das letzte Mal gedachten, erheblich verändert. »Glücksrad« war jetzt Favorit, »Motte« zweiter. Diese neue Lage der Dinge war dem irischen Pferde nicht ungünstig, aber dessenungeachtet drückte die Ahnung kommenden Unheils French nieder.

Vor dem Frühstück begab er sich in den Stall. Der Major ließ kein Pferd in dem Rennen laufen und war deshalb imstande, Garryowens Vorzüge mit neidlosen Blicken zu bewundern. Andy war am vergangenen Tage über die Rennbahn geführt worden, er hatte deren Eigentümlichkeiten studiert und von seinem Herrn und Lawson weise Ratschläge empfangen, die er mit anscheinendem Respekt anhörte, obgleich sie ihm kaum nützten, denn sein durchdringendes Auge und sein Scharfsinn erklärten ihm das Drum und Dran einer Bahn fast so gut, als deren älteste Besucher und Kenner es gekonnt hätten.

Nach dem Frühstück ging Mr. French hinaus, um eine Zigarre zu rauchen und alles noch einmal zu überdenken. Lawson, der die Nervosität und Erregung seines Freundes bemerkte, hatte versprochen, nach dem Rechten zu sehen und in diesem Duell mit dem Schicksal das Amt eines Sekundanten zu übernehmen.

Die Umgebung der Rennbahn machte bereits einen belebten Eindruck und nach wenigen Stunden würden die Sonderzüge Tausende und Abertausende herbeiführen, um das Gedränge zu vermehren. Zigeuner, Landstreicher und Taschendiebe, allerlei unerwünschtes Volk hatte auf der Grasebene übernachtet oder war von London hergewandert. Obstbuden wurden aufgeschlagen, Hökerkarren herangefahren und Ingwerbierstände errichtet.

Vor dem Hause begegnete Mr. French Moriarty.

»Das Pferd in gutem Zustande, Moriarty?« fragte French.

»Jawoll, Sir, so frisch wie Regen und so gesund wie 'n Fisch im Wasser. Sie brauchen sich keine Sorge zu machen, Sir; wenn keine Heimsuchung Gottes dazwischen kommt, wird er siegen.«

»Wenn er siegt,« sagte French, »gewinne ich fünfundsechzigtausend Pfund, und wenn nicht, komme ich, bei Gott! an den Bettelstab.«

»Er braucht vor nix bange zu sein, Sir, aber Glücksrad soll sich man in acht nehmen. Die ganze Zeit, daß ich hier bin, hab' ich 'rumgeguckt und gehorcht und geredet und nach meine Meinung is hier kein Pferd, das Garryowen hinter sich lassen kann. Und wenn Sie 'nen kleinen Rat von mir annehmen wollen, Sir, so sage ich: machen Sie 'nen kleinen Spaziergang und bekümmern Sie sich nich mehr um die Sache. Major Lawson sorgt für allens und Andy und ich werden das Stück schon holen.«

»Ich weiß, ich weiß,« sagte French. »Ihr werdet alles tun, was in eurer Macht steht. Na, es hat keinen Zweck, sich aufzuregen. Ich werde deinen Rat befolgen.«

Er nahm Moriartys schwielige Hand und schüttelte sie. Dann drehte er sich um und wanderte über die Sandhügel von dannen.

*

Noch zwanzig Minuten bis zum Beginn des Rennens. Hunderttausend Menschen hielten die Bahn besetzt und erfüllten die Luft mit dem Gemurmel eines englischen Rennpublikums, ein Geräusch, das mit dem Gemurmel keiner andern Menschenmenge der Welt zu vergleichen ist.

Als Mr. French, dessen nervöse Erregung völlig verschwunden war, den Sattelplatz betrat, berührte jemand seinen Arm. Es war Bobby Dashwood.

»Tag!« sagte French. »Gut. Wann kamen Sie an?«

»Mit dem letzten Zug,« erwiderte Mr. Dashwood. »Ich wollte Ihnen nur sagen, daß alles in Ordnung ist. Ich bezahlte die Geldstrafe für den Kerl und lotste ihn nach The Martens zurück, wo er nun, so friedlich wie ein Lamm, sitzt und auf die Rückkehr des Pferdes wartet.«

»Großer Gott, Dashwood,« sagte French, »noch in dieser Stunde werde ich entweder ein reicher Mann oder ruiniert sein und mir ist gerade so gleichgültig zumut, als wenn kein Pfennig von mir auf dem Rennen stünde. Komisch, nicht wahr?«

»Gar nicht,« sagte Bobby. »So ist mir auch immer zumut, wenn es zum Klappen kommt. Beim Zeus! Da ist Garryowen – sieht er nicht tadellos aus?«

»Lassen Sie uns nicht an ihn herangehen,« sagte French. »Er ist nun glücklich hier, aber ich habe das Gefühl, daß mein Pech sich auf ihn übertragen könnte, wenn ich in seine Nähe käme. Wir wollen in den Ring gehen.«

Er ging voran und Dashwood folgte ihm. Major Lawson kam ihnen entgegen. »Es steht jetzt fünfundzwanzig zu eins,« sagte er, »sie haben Witterung von Garryowen bekommen und wahrhaftig, ich würde mich nicht wundern, wenn er zehn zu eins startete. Sie können sich nicht beklagen, French, Sie machen ein gutes Geschäft. Sie sagten mir ja, Sie hätten noch fünfundsechzig zu eins bekommen. Ich habe eben siebenhundert gesetzt, daraus können Sie meine Meinung von Garryowen ersehen. Bleiben Sie ruhig hier und machen Sie sich keine Sorgen. Ich will noch ein Wort mit Ihrem Trainer reden. Überlassen Sie alles ihm und mir und bleiben Sie hier – aber setzen Sie nicht noch mehr, Sie dürfen Ihren Durchschnitt nicht verschlechtern.«

»Schön,« sagte French und Lawson verließ ihn.

»Ich habe keinen Durchschnitt, den ich verschlechtern könnte,« bemerkte Bobby. »Von mir steht bis jetzt kein Pfennig auf dem Pferd, aber gestern habe ich zwanzig Pfund ergattert, also los damit!« Er näherte sich einem ihm bekannten Buchmacher und siehe da! Garryowen stand jetzt fünfzehn zu eins und Mr. Dashwood zahlte daraufhin zwanzig Pfund ein.

»Dreihundert Pfund kann man immer brauchen,« sagte er. »Mein Gott, ich wollte, ich wäre früher hier gewesen, dann hätte ich noch fünfundzwanzig zu eins bekommen. Na, es hat keinen Zweck, sich zu ärgern. Sehen Sie, da werden die Nummern hochgezogen!«

French beobachtete das Hochziehen der Nummern.

»Sechzehn Konkurrenten,« bemerkte Dashwood.

»Ja, ja,« nickte French, »es sind sechzehn.«

»Garryowen ist Nummer sieben,« sagte Dashwood.

»Sehen Sie!« rief French.

Die Pferde verließen den Sattelplatz. Glücksrad kam zuerst heraus – was als schlechtes Omen unter Sportsleuten gilt; dann erschienen Motte, Royal George, Überdruß und Garryowen; ein wunderhübsches Bild im hellen Aprilsonnenschein!

»Es ist entweder Glücksrad oder Garryowen,« sagte Dashwood, der halb verrückt vor Aufregung war. »French, ich würde meinen letzten Pfennig auf Garryowen setzen, aber Glücksrad ist ein Wunder! Sind sie nicht einfach großartig, die beiden! Die übrigen sehen neben ihnen wie alte Witwen aus.«

French betrachtete sein Pferd, während es hinter Glücksrad die Bahn entlang galoppierte. Er konnte nicht umhin, den Favoriten zu bewundern, aber im Augenblick beherrschte Garryowen sein ganzes Denken und merkwürdigerweise war die Geldfrage bei ihm gänzlich in den Hintergrund getreten; der heiße Wunsch, zu siegen, allein um des Sieges willen, erfüllte seine Seele. Daß Garryowen einen so guten Gegner hatte, freute ihn. Es würde ein Triumph sein, Glücksrad zu schlagen.

Und nun trat in bezug auf Garryowen die Ausgleichung der Wetten ein, die stets kurz vor dem Start stattfindet. »Hören Sie!« rief Dashwood, »Garryowen steht nur noch zehn zu eins! Hören Sie!« Das Brüllen des Wettrings brauste auf, die Pferde befanden sich jetzt tänzelnd und kurbettierend am Start. French sah Andys schwarzgelbe Jacke und die rotweiße von Lofts auf Glücksrad. Wollte denn die Flagge niemals fallen! Ein falscher Start – noch ein falscher Start – und fort waren sie. Die purpurrote Jacke von Motte lag vorn; drei Längen hinter Motte kamen Überdruß und Garryowen. Garryowen ging wie ein Wolkenschatten, ohne Anstrengung in gleichmäßiger Bewegung; neben ihm, sich langsam vorwärtsschiebend, galoppierte Glücksrad.

Jetzt kamen sie die Höhe entlang. Überdruß hatte sich einen Vorsprung zu sichern gesucht, aber plötzlich änderte sich das Feld mit kaleidoskopartiger Wirkung und Schnelligkeit, und Überdruß lag nicht mehr im Vordertreffen. Motte war zurückgefallen, das Feld lockerte sich, Glücksrad und Garryowen übernahmen die Führung. Libelle, ein Außenseiter, hatte sich an Garryowen herangeschoben und die ganze sich vorwärtsbewegende Wolke von Pferden zog auf Tattenham Corner los, diesem Kap Horn des Glücks, an dem so manches Schicksal gescheitert ist. Glücksrad ging großartig, und als das Feld sich Tattenham Corner näherte, brauste ein Gebrüll gleich dem Tosen des Meeres die Bahn auf und nieder. Als die Pferde um die Ecke bogen, lag Garryowen dicht an der Barriere, Libelle war erledigt und Überdruß, wie von einem unsichtbaren Finger geschoben, verbesserte seine Position. Nur etwa sechs Pferde hatten noch eine Chance.

Den Abhang hinab war die Pace enorm, herzbeklemmend, prachtvoll, wenn bei Geschwindigkeit von Pracht die Rede sein kann. Auf halber Höhe schoß Glücksrad nach vorn und wieder brach ein Tosen aus, gleich dem Tosen der sturmgepeitschten See; eine Tonwelle brauste die Bahn entlang, erstarb und erhob sich von neuem.

»Sehen Sie! sehen Sie!« schrie Dashwood, den Feldstecher an die Augen pressend. Die Pferde hatten den Fuß des Hügels erreicht, Überdruß war zurückgefallen; die Entscheidung lag jetzt zwischen Garryowen und Glücksrad. Glücksrad war um eine Länge voraus und die Distanz wurde kürzer.

Kürzer, kürzer!

»Sie laufen Hals an Hals!« schrie Dashwood. »Sehen Sie, sie sind schon beinah bei der Richterloge! Sehen Sie! Er gewinnt! Garryowen hoch!«

»Man kann es nicht wissen!« rief French. »Von hier kann man es nicht sehen! Die Bahn täuscht. Aber ich glaube, er siegt. Garryowen hoch!«

Auf der Anhöhe an der andern Seite der Bahn, von Tattersalls Ring her – wo an und für sich stets ein Höllenlärm ist – erhob sich jetzt wildes Getöse, ein langes, nicht endenwollendes Geschrei. Das Wehen weißer Taschentücher gab den Tribünen den Anschein, als seien sie von einer Million weißer Taschentücher besetzt.

»Glücksrad gewinnt! Glücksrad gewinnt!«

Da! – sie haben das Ziel passiert und das Rennen ist aus.

»Sehen Sie! Sehen Sie!« schrie Dashwood.

Von ihrem Platz aus war es unmöglich zu unterscheiden, wer gesiegt hatte. Die beiden Männer standen dort und starrten auf den Mann hin, der die Nummer hochziehen mußte.

»Sieben!« rief French, als die Nummer erschien, im Tone eines Menschen, der nicht zu fassen vermag, was er sieht.

Mr. Giveen und sein neuer Freund, Mr. Welsh, fuhren mit einem Frühzuge nach Epsom und nahmen Aufstellung in der Nähe des Rings. Es war Giveen gänzlich unbekannt, daß sein Vetter French Garryowen für das City- und Suburban-Rennen genannt hatte. Er wußte, daß das Pferd dazu bestimmt sei, in einem Rennen zu laufen, aber im übrigen ahnte er ebenso wenig vom Rennsport, wie von einem Basar, und auf das Rennprogramm, das Mr. Welsh ihm einhändigte, warf er keinen Blick. Das Getriebe der Menge nahm ihn völlig in Anspruch und der ringsum herrschende Lärm betäubte ihn fast.

Auf dem Bahnhof hatte sich ein sehr verdächtiges, auffallend gekleidetes Individuum zu ihnen gesellt; es nannte sich freimütig Lazarus, vielleicht, weil es Zeit- und Kraftverschwendung gewesen wäre, sich anders zu nennen. Nachdem Mr. Welsh Mr. Lazarus mit Mr. Giveen bekannt gemacht hatte, setzte das Trio seinen Weg fort.

Auf dem von ihm gewählten Standort angelangt, stellte sich Mr. Welsh, der für die Gelegenheit den erstaunlichsten karrierten Anzug gewählt hatte, auf ein von Mr. Lazarus herbeigeschafftes Faß und begann die Menge anzureden in einer Sprache, die, was Mr. Giveen anbelangt, ebensogut hätte griechisch sein können. Aber die Wirkung von Mr. Welshs Worten war leichter zu begreifen. Ein Individuum nach dem andern trat heran, unterhielt sich auf Griechisch mit Paddy Welsh, bekam eine kolorierte Marke von Mr. Lazarus und händigte diesem Geld ein, das er in einen Beutel tat.

Die Zeit verging, und als der Augenblick des Starts immer näher rückte, verwandelte sich der auf dem Faß thronende Welsh aus einem Menschen in einen Vulkan, der anstatt Lava Töne ausspie, und je mehr Mr. Welsh brüllte, desto mehr Menschen zogen herbei und desto mehr Geld ergoß sich in den Beutel des schweißbedeckten Lazarus.

Plötzlich wogte die Menge davon. Ein Geschrei erfüllte die Luft: »Sie sind fort!« und Mr. Welsh sprang von seinem erhöhten Standpunkt herunter.

»Nun,« sagte Mr. Welsh, »will ich mit meinem Freunde zu dem Sekretär gehen. Hier ist der Beutel mit Geld, bewahren Sie ihn gut auf und bedenken Sie, daß wir Ihnen vertrauen. In zwei Minuten sind wir wieder da. Bleiben Sie ruhig hier und warten Sie auf uns.«

Im nächsten Augenblick waren er und Mr. Lazarus verschwunden, indem sie den unseligen Giveen, den Beutel in der Hand, bei dem Faß zurückließen.

»Sie sind fort!« An einem City- und Suburban-Tag umschließen diese Worte in ihrer Bedeutung manchmal sowohl zweifüßige als vierfüßige Wesen.

Giveen, den Beutel in der Hand, wurde von widerstreitenden Empfindungen zerrissen. Wenn nun Paddy Welsh und Mr. Lazarus ihn in dem Gedränge nicht wiederfänden? Was sollte er dann mit dem Geldbeutel anfangen? Wahrhaftig, ihm blieb nichts übrig, als ihn nach London mitzunehmen; und da er am nächsten Tag nach Irland zurückreiste, konnte er anders, als ihn auch dorthin mitschleppen?

Seine Gedanken spielten mit Habgier und Diebstahl, wie ein junger Hund mit seinen Gefährten. Er wollte das Geld nicht stehlen, aber behalten, wenn die andern ihn zufällig verfehlen sollten. Und er beschloß, ihnen diese Möglichkeit auf jede Weise zu erleichtern. Wenn das Rennen beendet war, wollte er eine gewisse Zeit, etwa zwei bis drei Minuten warten und dann nach dem Bahnhof zurückschlendern. Nebenbei kamen ihm zehn Pfund zu. Paddy hatte ihm auf alle Fälle zehn Pfund versprochen.

In diese Betrachtungen vertieft, hörte er kaum das ihn umtosende Geschrei, als die Pferde um die Biegung bei Tattenham Corner schossen.

Das Verlangen, jetzt schon einen Blick in den Beutel zu werfen, überwältigte Giveen; er öffnete den Verschluß und guckte hinein.

Kiesel und Stücke von Ziegelsteinen begegneten seinem Auge und versetzten ihn in höchste Bestürzung.

Was in aller Welt konnte das bedeuten? Dann erriet er es. Er war betrogen.

Paddy und Mr. Lazarus waren mit dem Gelde durchgebrannt. Sie mußten zwei Beutel gehabt und sie vertauscht haben. Diese Elenden! Nun würde er seine zehn Pfund niemals erhalten. Deshalb hatten sie sich aus dem Staube gemacht. Anstatt selbst Reißaus zu nehmen und den verwünschten Beutel fortzuwerfen, hängte der unselige, nichts von Bauernfängerei und seiner abscheulichen Lage ahnende Mann ihn sich an dem langen Riemen über die Schulter und was noch schlimmer war: er stieg auf das Faß. Von diesem Standort aus durchforschte er eifrig die Menge, um die Übeltäter wenn möglich zu entdecken.

Er sah sie nicht; nur ein unendliches Meer affenähnlicher dünkelhafter Gesichter; jedes Antlitz verunziert durch einen weitgeöffneten Mund, und jeder Mund schrie: »Glücksrad! Glücksrad!«

Zehntausend Stimmen machten den Himmel widerhallen von ihrem Ruf. Der um eine Halslänge führende Garryowen passierte das Ziel, aber die durch die Bahn und ihre eigenen Wünsche irregeleitete Menge bildete sich ein, daß der Favorit Sieger sei.

Als das Resultat bekanntgemacht wurde, war das Triumphgeschrei nicht so groß.

  1. Garryowen.
  2. Glücksrad.
  3. Überdruß.

»Da sind Sie. Zehn Schilling. Ich habe Platz gewettet aus Glücksrad, zwei zu eins.«

»Was sagen Sie?« fragte Mr. Giveen, seine Augen von der Menschenmenge losreißend und niederblickend auf einen schlaff aussehenden Jüngling, der in Zylinder und grell kariertem Anzug vor ihm stand und ihm eine rosenrote Karte entgegenhielt.

»Ich möchte mein Geld haben.«

»Ich habe Ihr Geld nicht. Ich suche einen großen Mann mit rotem Gesicht und –«

»Da sind Sie! Fünfzehn Schilling. Platzwette auf Überdruß.«

»Da sind Sie! Fünfundvierzig halbe Kronen für Garryowen –«

»Gehen Sie zum Teufel!« schrie Mr. Giveen die sein Faß umringenden und ihr Geld verlangenden Menschen an. »Für wen halten Sie mich?«

»Er hat den Beutel!« rief eine Stimme.

»Er war bei den andern Kerls!« brüllte eine andre.

»Betrüger!« rief eine dritte und bei dem letzten Ruf wurde Mr. Giveen vom Faß heruntergestoßen. Man entriß ihm den Beutel und öffnete ihn.

Dann begann erst das Wahre und es wäre unmöglich, zu sagen, woher die Polizei kam, aber sie erschien noch gerade rechtzeitig, um Mr. Giveens Hemd und Hosen zu retten. Als vier stämmige Konstabler ihn umringten und für sein Leben zu kämpfen begannen, hatten sich sein Hut, sein Rock und seine Weste in Nichts aufgelöst. Mehrere andre Schwindler hatten in der Nähe ihr Geschäft gemacht und waren ebenfalls durchgebrannt. Die Menge war in übler Stimmung, denn die Niederlage des Favoriten hatte ihr Geld gekostet und die Götter schienen mit einer gewissen poetischen Gerechtigkeit Giveen der Volkswut als Entschädigung opfern zu wollen.

»Reißt ihn in Stücke!«

»Taucht ihn unter!« (Innerhalb meilenweitem Umkreis befand sich kein Teich in der Nähe.)

»Springt auf ihn 'rauf!«

»Nieder mit der Polizei!«

»Betrüger!«

»Sehen Sie!« rief Dashwood.

Der vor Freude halb trunkene French, der Gewinner eines großen Vermögens – den Preis und den Ruhm nicht zu erwähnen – wurde von Mr. Dashwood nach dem Sattelplatz geleitet, als sie auf einen Strudel heulender Menschheit stießen, in deren Mitte die Helme der Konstabler gleich Felsen hervorragten.

»Es ist ein Schwindler, armer Teufel!« rief French. »Die Polizei hat ihn gefaßt. He! Ist es – mein Gott, es ist Giveen!« Er hatte das Gesicht seines Vetters einen Augenblick gesehen. In der nächsten Sekunde war er mitten im Gewühl und unterstützte die Polizei.

»Michael!« heulte der Halbnackte. »Hilf mir oder ich werde in Stücke gerissen! Hilfe! Hör nur die Teufel – Hilfe!«

Im nächsten Moment wurde French beiseite gestoßen. Vierzehn Schutzleute gingen gleich einem Keil zum Angriff vor, Giveen war gerettet und wurde fortgeführt, um hinter Schloß und Riegel gebracht zu werden.

»Haben Sie je so etwas für möglich gehalten!« rief French. »Nachdem ich das Rennen und alles gewonnen habe, muß ich diese Schande erleben!«

»Kommen Sie,« sagte Dashwood, »Sie können auf die Polizeistation gehen, sobald Sie das Pferd gesehen haben. Der Kerl ist jetzt in Sicherheit. Und es ist ihm ganz recht geschehen. Natürlich wird es ein Versehen sein. Er hat gar nicht genug Verstand, um Leute betrügen zu können. Kommen Sie.«

Zwei Stunden später fuhren Mr. French, Major Lawson und Mr. Dashwood, nachdem sie den Sieg mit Champagner gefeiert hatten, nach der Polizeistation. Der Major gab seinen Namen an und verschaffte Mr. French die Erlaubnis, seinen Vetter zu besuchen.

Mr. Giveen saß in einer Zelle, über seinen Schultern lag eine Gefängnisdecke.

»Na, da bist du!« sagte French. »Eine nette Schande für mich und die ganze Familie! Was brachte dich überhaupt her? Weißt du, was du hierfür bekommen wirst? Sechs Monate wahrscheinlich.«

»Ach du meine Güte!« jammerte Giveen. »Wahrhaftig, ich weiß nicht, wie das alles hat geschehen können. Was habe ich getan, daß ihr alle so über mich herfallt?«

»Was du getan hast?« rief French. »Du hast mich an Lewis verraten, du Lump! Das hast du getan. Möge das Unglück dich bessern! Du kamst heimlich nach Crowsnest, um meine Adresse auszukundschaften. Du bist ein schlechter, gemeiner Schuft, das bist du, und es freut mich, zu denken, daß du die nächsten sechs Monate oder vielleicht das ganze Jahr damit zubringen wirst, Werg zu zupfen oder auf der Tretmühle zu tanzen. Nun aber beichte mir die ganze Wahrheit. Was hast du angestellt?«

Dieser Nötigung folgend, erstattete Mr. Giveen Bericht über Paddy Welsh und Lazarus, und French konnte, während er zuhörte, kaum seine Heiterkeit bemeistern.

»Paddy Welsh!« sagte er. »Du lieber Himmel, das wird ja schlimmer und schlimmer! Wirklich, du bist gründlich hereingefallen und es kann sein, daß du zwei Jahre sitzen mußt. Nun höre mir zu, ich will versuchen, dir aus der Patsche zu helfen. Wenn du mir versprichst, mit dem nächsten Zug nach Irland zurückzureisen, werde ich morgen mit dem Polizeirichter sprechen und ihm sagen, du seist mein Verwandter und ein Narr. Du kannst ihm erzählen, was du mir erzähltest; vielleicht glauben sie dir, falls ich für dich eintrete. Verstehst du mich?«

»Ja.«

»Willst du nach Irland zurückfahren?«

»Ja.«

»Und dich nie wieder in meine Angelegenheiten mischen?«

»Das will ich schwören.«

»Nun, diese Nacht wirst du hier bleiben müssen, denn man wird dich nicht entlassen, bevor der Untersuchungsrichter dich gesehen hat. Es hat keinen Zweck, so zu jammern, du mußt hier bleiben – und wenn du morgen vor dem Richter stehst –«

»Ganz gewiß, ich will so tun, als wäre ich ein dummer Tropf,« sagte Mr. Giveen.

»Du brauchst gar nicht so zu tun,« entgegnete Mr. French.

Er verließ die Zelle und hörte mit tiefer Befriedigung, wie der Gefangene eingeschlossen wurde; dann fuhr er mit seinen Begleitern nach Badminton House zurück.

»Ich habe an Miß Grimshaw telegraphiert,« sagte Mr. Dashwood, »daß Garryowen gesiegt hat.«

»Das ist recht,« erwiderte French.

»Wissen Sie,« sagte Mr. Dashwood, »ich habe die Absicht, ihr sofort zu schreiben. Da diese Giveenaffäre noch erledigt werden muß, werden wir keinesfalls vor übermorgen nach The Martens zurückkehren können; deshalb will ich ihr schreiben und ihr geradeheraus erklären, daß – nun, ihr sagen, daß ich wünschte, sie heiratete mich. Ich will ihr sagen, daß sie mich jetzt so gut kennt, wie sie mich überhaupt jemals kennen lernen wird, und wenn sie keine Lust hätte, würde ich mich darein zu finden wissen und trotzdem gut Freund mit ihr bleiben. Wir alle, Miß Grimshaw und ich und Sie, werden stets gute Freunde sein, was auch geschieht; aber ich halte es für das Richtigste, die Situation so bald wie möglich zu klären, denn so kann es nicht weitergehen. Und schriftlich läßt sich alles am besten auseinandersetzen.«

»Sie haben recht,« erwiderte French. »Wahrhaftig, das Pferd ließ mich an nichts andres denken. Die Art und Weise, wie das Mädchen in mein Haus kam und mein Leben vorm Schiffbruch bewahrte, ist höchst sonderbar. Ich sage Ihnen offen, sie hat es mir so angetan, daß ich ihr mit geschlossenen Augen selbst in schwarzen Morast hinein folgen würde, wenn sie mir winkte. Sie ist ein Juwel, bei Gott, ein Juwel. Stellen Sie sich vor, was sie alles für mich getan hat: gespart und zusammengescharrt, mir mein Taschengeld zugezählt, – ohne Scherz – das Haus in Ordnung gehalten; und sie war es auch, die mir die Idee eingab, Garryowen von Drumgool fortzunehmen. Und überdies würden Sie ohne ihr Zutun niemals in mein Haus gekommen sein, und was alles verdanke ich nicht Ihnen? Sie haben mir zwei-, dreimal über größte Schwierigkeiten hinweggeholfen! Mein lieber Junge,« rief French herzlich, indem er Mr. Dashwoods Hand ergriff, »Sie waren mein guter Genius, denn wenn Sie nicht den Lumpenkerl von Giveen beiseite geschafft hätten, so wäre es aus mit mir gewesen, und ich hoffe zu Gott, daß sie Sie nehmen und glücklich machen wird!«

»Es ist ein Glücksspiel,« sagte Mr. Dashwood, indem er Frenchs Hand schüttelte, »man weiß nie, was eine Frau tun wird. Und das sage ich Ihnen, falls sie mir einen Korb gibt und wenn Sie – wenn Sie – na, mit einem Wort, wenn Sie sie heiraten, so will ich vergessen, daß ich sie jemals liebgehabt habe, und wir wollen Freunde sein, gerade wie wir es immer gewesen sind.«

»Sie sagten, Sie wollten ihr schreiben?«

»Ja, jetzt gleich.«

»Dann,« sagte French, »will ich dasselbe tun. Ich schreibe ihr auch.«


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