Heinrich Spiero
Paul Heyse
Heinrich Spiero

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8. Übersetzungen. Wissenschaftliches. Die Wirkung

Die Münchener waren in einer Beziehung ganz die Erben der romantischen Schule: sie waren glänzende Übersetzer. Kein Gebiet blieb ihnen verschlossen. Wilhelm Hertz und Joseph Viktor Scheffel waren im alten deutschen Heldenepos, Hertz außerdem gleich Heyse bei den Troubadouren und den Altfranzosen zu Hause, Geibel im klassischen Altertum und in Spanien, dem auch Adolf Friedrich Graf von Schack vor allem mit wärmster Neigung zugewandt blieb. Bodenstedt verdeutschte die russische Romantik, kleinrussische Volkslieder und seinen Mirza Schaffy, Heinrich Leuthold, oft den Münchenern gesellt, übersetzte mit Geibel französische Lyrik. Diesen Interessen war auch Heyse früh nahe gekommen und hatte ganz im Anfang seiner dichterischen Laufbahn mit Geibel das »Spanische Liederbuch« herausgegeben. Für die Prosaepik des Auslands erwies er, der skeptische Beurteiler Balzacs, sein objektives Interesse durch die Begründung und Fortführung des »Novellenschatzes des Auslandes« (seit 1872), und seinem früh ergriffenen Shakespeare huldigte er durch die Beisteuer zweier Stücke (Antonius und Kleopatra 1867, Timon von Athen 1868) zu der großen, 108 leider viel zu selten genug gewürdigten Übersetzung, die Friedrich Bodenstedt herausgab, und an der neben diesem Otto Gildemeister, von Heyse als »der Übersetzergilde Meister« gefeiert, Nikolaus Delius, Hermann Kurz, Adolf Wilbrandt und Georg Herwegh mitarbeiteten. Dem spanischen folgte 1860 ein italienisches Liederbuch, in dem sich nun Heyses eigene, inzwischen reif gewordene lyrische Verskunst auch als höchst verfeinerte Übersetzerkunst zeigen konnte; das schöne Werk fand durch Hugo Wolfs wundervolle Vertonung eine gerechte Würdigung. Und bei den Italienern hielt es Heyse dann seinem ganzen Entwicklungsgang gemäß und im Zusammenhang seines äußeren Lebens fest. Er bearbeitete ein Märchenstück des Carlo Gozzi unter dem Titel »Die glücklichen Bettler« für die deutsche Bühne, und während er einst in knappen Tagen seiner jungen Ehe seufzend ums liebe Brot ein Werk von Caveda über spanische Baukunst übersetzt hatte, ging er nun nach seines Herzens Lust an die geliebten italienischen Dichter und verdeutschte sie. Im Jahre 1875 erschienen die »Gedichte« von Giuseppi Giusti mit einer literarhistorischen Einleitung und einem Anhang, der Vittorio Alfieri als Satiriker und Vincenzo Monti mit reichen Proben ihrer Kunst darstellte. 1878 folgten die Gedichte und Prosaschriften von Giacomo Leopardi, dem er in der Novelle »Nerina« ja ein feines Denkmal gesetzt hat. Die beiden letzten Bücher wurden mit anderen in den Jahren von 1889 bis 1905 zu der großen Sammlung »Italienische Dichter seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts« vereinigt. In fünf Bänden bringt diese, wie der Dichter am Schluß sagt, »immerhin reichhaltige«, wahrlich sehr reiche Sammlung zunächst Parini, Alfieri, Monti, Foscolo und Manzoni, für dessen 109 »Verlobte« Heyse eine alte Liebe im Herzen trägt – hatte er doch Mailand nachgerühmt:

Wo nur dein Name klingt, wird zweier Werke
Gedacht, zu ew'gen Zierden dir errichtet,
Wie schön're nie italischen Geist erprobten.

Eins schuf des Leonardo heil'ge Stärke,
Das andre hat dein edler Sohn gedichtet:
Das wundervolle Buch der zwei Verlobten.

Der zweite Band bringt dann den Leopardi, der dritte neben dem Giusti die beiden anderen Satiriker Guadagnoli und Belli und die letzten beiden Bände eine Fülle von Lyrikern, von Machiavelli, Metastasio bis zu Amicis und D'Annunzio. Mit warmer Liebe wird in einer sehr feinen Einleitung das Talent und die Persönlichkeit der Ada Negri dargestellt, ohne aber zu verschleiern, daß diese leidenschaftliche Natur »für die Lichtseiten der modernen Kulturwelt kein Auge zu haben scheint, nirgends auf die sittlichen Heilmittel der kranken Gesellschaft deutet«, daß »für alle Zukunft der Gegensatz der Glückskinder und der Enterbten unversöhnlich vor ihrer ekstatischen Phantasie zu stehn scheint«. Und auch die Kunst von Annie Vivanti, einer Nichte Rudolf Lindaus, wird liebevoll aus der Flut hervorgehoben. Den Annalen der romanischen Philologie aber gehört Paul Heyse an durch die Entdeckung eines Fragments des bis dahin nicht aufgefundenen Alexanderliedes, das der Franko-Provençale Alberich von Bisenzun zu Ende des elften Jahrhunderts geschrieben hat und das Heyse mit anderem Ungedrucktem in seinen »Romanischen Inedita« (1856) veröffentlichte.

So umfassen die achtzig Jahre dieses immer noch unerschöpften Lebens in mehr als zwei Menschenaltern 110 schöpferischer Tätigkeit überreiche Ernten auf mehr als einem Gebiet geistiger Arbeit, auf nahezu allen Gebieten poetischer Künstlerschaft. Nicht daß Paul Heyse unter allen neueren Dichtern wohl der fruchtbarste ist, erregt unsere Bewunderung, sondern daß er überall, als Novellist und Versepiker, als Lyriker und Dramatiker, als Übersetzer und Beurteiler, sich selbst in harte Zucht nahm, sich erzog, die Leidenschaft nicht dämpfte, aber in die Form zwang und, nie zufrieden, immer bemüht war, seine Kraft zur letzten Leistung zu steigern. Das Wort, um das Detlev von Liliencron, der anders Geartete, heroisch den Stachelkranz sticken wollte. das Wort Selbstzucht, gilt für Paul Heyse so voll, wie es noch für jeden großen Dichter gegolten hat. Der oft Gehöhnte ist nie ausgebogen, wenn auch seine Wege vielfach andere waren, als die der gleichzeitig neben ihm emporklimmenden Genossen. Wenn ihm glückliche Naturanlage und Erziehung manchen Kampf ersparten, den minder gut gebettete und gehegte Naturen durchstreiten müssen, so sind ihm die tiefen, leidenschaftlichen Herzenskonflikte des Menschen und des Dichters zu seinem Heile nicht versagt gewesen. Und er hat vor vielen, vielleicht vor manchem Größeren sogar, das Eine voraus, was die so oft ausgesprochene Parallele mit Goethe erklärlich macht: seinen großen Kulturbesitz. Wir haben in der Darstellung seines Lebens gesehen, wie ihm dieser als Erbgut und als erworbene Habe zuwuchs, und wir empfinden allerdings als besonderen Reiz die Gestalt, gerade auch im silbernen Zeitalter des deutschen Realismus, die Fülle ihrer sich doch niemals zersplitternden Interessen, die Sicherheit ihres Weltblicks, die doch niemals mondäne Kühle wird, die Freiheit ihrer hohen und weiten Bildung. Diese Kunst ist so deutsch, wie Heyses ganze 111 Person, aber daß er dabei ein Italianissimo ist, wollen wir mit Freuden gelten lassen, Lessings Wort beherzigend, daß gar keinen Geschmack ansprechen dürfe, wer nur einen einseitigen Geschmack hat.

Paul Heyse war das wirkliche Haupt des Münchener Kreises. Und dankbar haben jüngere oder selbst ältere, aber von seiner Überlegenheit überzeugte Genossen, wie Julius Grosse, seine unaufdringlich leitende geistige Führerschaft anerkannt. Unter dem jüngeren Geschlecht hat er wenig Schule gemacht und machen können. Wir empfinden bei Adolf Wilbrandt viel Heysischen Einfluß, freilich nicht überall die Einfachheit der Heysischen Linienführung. Am stärksten ist wohl Heyses Einfluß bei dem um eine halbe Generation jüngeren Hans Hoffmann gewesen, während Adolf Sterns Heyse ihrer Art nach mannigfach verwandte historische und römische Novelle zwar einem starken Naheleben, aber bei dem fast Gleichalterigen kaum einer Abhängigkeit zu danken ist. Hans Hoffmann aber, den auch eine Linie mit den großen Realisten, Raabe und Keller, verbindet, hat in seiner Novelle, die ja auch gern nach Süden über die Berge und an südliche Meere schweift, vieles von Heyses bester Art gelernt, wie wir diese Wirkung auch bei Isolde Kurz, der Tochter von Heyses Freund Hermann Kurz, hier sich kreuzend mit Meyerschem Einfluß, wiederfinden. Aber wer wollte sagen, wie sich in manchen Kanälen Heysisches Gut verbreitet hat. Und wer es erlebte und erlebt, daß längst vergessen geglaubte Dichter nach Jahrzehnten zu ganz neuer und größerer Wirkung auf Jüngere aufwachen, kann sich vorstellen, daß der Heyse, der nie sein lesendes Publikum verlor, noch einmal auch ein weithin wirksamer Anreger nicht nur genießender, sondern auch schaffender Geister wird. Noch 112 lebt er uns, und wer ihn im letzten Sommer mit hellen Augen zu den Schneegipfeln der Alpen emporschauen sah, möchte kaum glauben, daß achtzig Winter über ihn dahingegangen sind, daß noch mit uns Jungen teilnehmend lebt, der einst mit Eichendorff, Scherenberg, Kugler Trunk und Sang geteilt hat. Und wenn er einst in seinem Wintertagebuch gefragt hat_

                                        Kann der Tod
Auch Antwort geben, wenn das Leben ihn
Um seine Rätsel fragt?

so antwortet ihm das Leben heute und immer mit seinen eigenen Worten:

Und Tod und Schicksal überdauernd zieht
In fernste Zeit dein herzbezwingend Lied.

 

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