Heinrich Spiero
Paul Heyse
Heinrich Spiero

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1. Heyses Leben

Es gibt Dichter, deren langsames und kämpfevolles inneres Emporwachsen für jedermann klar am Tag liegt – meist sind es diejenigen Naturen, deren äußerer Lebensgang gleichfalls ein Vorwärtsschreiten und Rückwärtsgleiten und erneutes Vorwärtsschreiten von Hindernis zu Hindernis, von Überwindung zu Überwindung darstellt. Am klarsten tritt das bei unserem größten dramatischen Genius, bei Schiller, hervor, und unter den späteren ist dank dem überreich fließenden Material Friedrich Hebbel seinem inneren und äußeren Geschick nach immer wieder und mit Recht unter diesem Gesichtspunkt erfaßt und charakterisiert worden. Auch da, wo der Ablauf der persönlichen Schickungen nicht sonderlich aus der regelmäßigen Bahn wich, offenbart sich auch dem flüchtig Zusehenden häufig ein gewaltsames, schmerzvolles und, wenn es keine Vollendung fand, tragisches Ringen, besonders dann, wenn der eingesammelte, hinterlassene Hort des Schöpfers so viel Fragmentarisches, niemals fertig Gewordenes umschließt, wie bei Otto Ludwig.

Demgegenüber erleben solche Naturen, die früh die Form beherrschen lernten, und deren Pfad rasch zu Erfolgen führte, deren persönliche Erlebnisse scheinbar nur Glück ohne Kampf umschließen, es immer wieder, daß ihnen jenes tiefinnere Ringen, ohne das künstlerische 2 Größe noch nie lebendig ward, abgesprochen wird. Wie lange hat es gedauert, bis die leidenschaftliche und echt tragische Kampfnatur Goethes überall ihrem wahren Gehalt und ihrer wirklichen Entwicklung nach erfaßt worden ist. Wie sehr wird noch heute und gerade heute die eigentliche Wesensart Detlevs von Liliencron verkannt, und wie wenige haben in dem Dichter, dem am 15. März 1910 achtzig Lebensjahre sich vollenden, das leidenschaftlich arbeitende Leben, das wahrlich nicht schwer zu spüren war, herausempfunden.

Denn es ist eine fable convenue, gegen die Paul Heyse sich gelegentlich mit Eifer, öfter mit der ruhigen Gelassenheit eines Großen, der sich kennt, gewendet hat, es ist eine überkommene Weisheit ohne Wahrheit, daß dieses Glückskind kampflos rasch zu hohen Zielen gekommen sei und dann nur läßlich immer wieder die junge Meisterschaft zu bewähren brauchte. In Wahrheit täuscht die von Anbeginn feine und gefeilte Form über den wachsenden inneren Gehalt, der dann aus der gleichen Form etwas ganz anderes machte, hinweg.

Daß eine gewisse Frühreife bei Paul Heyse erkennbar ist, darf nicht wundernehmen: er ist ja ein Kind der Großstadt, noch dazu aus einer in Berlin, München, Wien so häufigen Blutmischung hervorgegangen. Bei ihm selbst sprudeln die Quellen für seinen Lebensgang und seine Entwicklung sehr reichlich; er gab vor seinem siebzigsten Geburtstage »Jugenderinnerungen und Bekenntnisse« heraus, die durch manche Novellen, wie »Der letzte Centaur« und »Ein Ring« ergänzt werden, und zu denen insbesondere die jüngst erschienene Skizzensammlung »Menschen und Schicksale« noch wertvolle Kleinigkeiten hinzufügt. Und dann sehen wir ihn ja durch die Erinnerungen Julius Grosses, 3 Hermann Linggs, Otto Roquettes, Felix Dahns, vor allem durch Theodor Fontanes Tunnelschilderungen hindurchgehen. Sein Vater war der Sprachforscher Karl Wilhelm Ludwig Heyse (1797 in Oldenburg geboren), der Sproß einer mitteldeutschen Familie, die sich seit Generationen im Schul- und Kirchendienst bewegte, seit dem Großvater Johann Christian August besonders der Sprachforschung zugetan war, wovon die bekannten Heysischen Wörterbücher zeugen. Als Hegelianer kam Heyses Vater nach seines Meisters Tode an der Universität Berlin nicht weiter und hat dort ein lebenslängliches Extraordinariat erdulden müssen, das ihm bei den schmalen Einkünften die Brotarbeit an den vom Vater begonnenen Wörterbüchern zur Pflicht machte, so daß sein wissenschaftliches Hauptwerk, das »System der Sprachwissenschaft«, erst nach seinem Tode von seinem bedeutendsten Schüler, Heinrich Steinthal, abgeschlossen herausgegeben werden konnte.

Aus ganz anderen Verhältnissen und Kreisen wie der Vater stammte Paul Heyses Mutter. Sie war (neun Jahre vor dem Gatten) als die jüngste Tochter des königlich preußischen Hofjuweliers, des Hofjuden Salomon Jakob Salomon in Berlin zur Welt gekommen. Julie Heyse, deren Familie später den Namen Saaling annahm, war sehr schön, hatte aber durch einen Unglücksfall früh ein Auge verloren und trug über der leeren Augenhöhle eine schmale Locke aus ihrem schwarzen Stirnhaar, die durch ein Samtband festgehalten wurde. Über die Saalings besitzen wir allerlei interessante Nachrichten, insbesondere über Heyses Tante, Marianne Saaling, die in Wien in den Kreisen der jüdischen Aristokratie eine große Rolle spielte, und deren schönes und reines Bild noch durch die jüngst erschienenen 4 Erinnerungen der Frau von Olfers schreitet – ihr Vater, Friedrich August von Stägemann, erscheint zur Zeit des Wiener Kongresses ganz von der Anmut dieser Frau bezaubert.

Heyses Eltern hatten sich kennen gelernt, als der Vater, der zuerst im Hause Wilhelms von Humboldt Erzieher war, die gleiche Stellung im Hause Abraham Mendelssohn-Bartholdys einnahm, dessen Frau Lea Salomon (dieser Zweig der Familie nahm später den Namen Bartholdy an) Julie Saaling nahe verwandt war.

So ist denn Paul Heyse, der in Berlin geboren ward, auch in mehr als diesem Sinn ein echtes Berliner Kind. Gewiß war die Stadt damals viel kleiner als heute, aber immerhin eine Großstadt, außer Hamburg so ziemlich die einzige in Deutschland, die Hauptstadt Preußens, und schon erfüllt und durchzogen von jener Mischung verschiedener Elemente, wie sie sich in Heyses germanisch-jüdischer oder in des etwas älteren Theodor Fontane romanischer Herkunft für jedermann in der Physiognomie der jetzigen Reichshauptstadt deutlich heraushebt. Dabei war das Leben auch in den geistig sehr angeregten und anregenden Kreisen außerordentlich bescheiden, und Heyse hat dann selbst betont, wie er als genügsam erzogener Bewohner Berliner Hinterstuben sich besser in manche Unbequemlichkeit habe schicken können als verwöhntere Süddeutsche. Die Ehe der Eltern war überaus glücklich, aber außer Paul war ihnen nur noch ein Kind beschieden, ein geistig etwas schwacher Sohn, der später in einfachen, ländlichen Verhältnissen bei einfacher Beschäftigung gelebt hat und gestorben ist.

Paul Heyse hat das Friedrich-Wilhelms-Gymnasium besucht, ein Klassengenosse des späteren berühmten 5 Parlamentariers Wilhelm von Kardorff und für kurze Zeit auch Herman Grimms. Mit der warmen, ungemachten Pietät, die er überall betätigt und die heute oft mit Recht, oft mit nur zu großem Unrecht dem Gymnasium gegenüber verleugnet wird, hat er der Anstalt und einzelnen seiner Lehrer ein tief dankbares Gedächtnis bewahrt und diese Dankbarkeit immer wieder verkündet. »Nur zur Ergänzung des Allbekannten,« schreibt er einmal, »will ich bezeugen, wie weit entfernt wir waren, ein Gefühl der Überbürdung zu empfinden oder, so gründlich wir in den klassischen Sprachen geschult wurden, über grammatischem Formelkram den Blick für die Schönheit der alten Welt, ihre Geschichte und Dichtung uns trüben zu lassen.« Freilich erfüllt es Jüngere, die für Mathematik, Chemie und Physik ebenso verdorben waren wie dieser Dichter, mit einem Gefühl des Neides, daß er in den oberen Klassen an Stelle der Rechnungen, die seinem Kopf nicht eingingen, Bücher lesen und gar auf den Bogen für die Arbeit Landschaften oder Köpfe nicht nur stricheln, sondern auch ungetadelt abliefern durfte.

Aus der Jugend Dämmerflor
Ragt in meinen Träumen
Altersgrau ein Haus empor
Mit bekannten Räumen,
Und mir deucht, den Saal zu sehn,
Wo die Knaben lauschen,
Treppenab zum Hof zu gehn,
Kühl im Wipfelrauschen.

Daß diesen Schülern gegönnt ward, jung zu sein, hat der Meisterschüler, ob er gleich nur Deutsch »haud ita male« gelernt hat, immer wieder dankerfüllt hervorgehoben. 6

Unter den Jugendeindrücken, die neben Elternhaus und Schule besonders lange hafteten und wirkten, steht naturgemäß der Besuch des verwandten Mendelssohnschen Hauses obenan, das uns so oft und so eingehend geschildert worden ist. Alle die aus den Büchern Sebastian Hensels, auch eines Heysischen Schulfreundes, bekannten Gestalten bis zu Liszt und Peter Cornelius sind auch durch Heyses junge Jahre gegangen, selbst Thorwaldsens Silberhaupt ragte noch in sie hinein, und mit den sicheren Strichen des großen Novellisten hat Heyse das erste Auftreten Ferdinand Lassalles in diesem Kreise gezeichnet, wie er als ein glänzender künftiger Philologe von dem alten August Böckh in eines der Sonntagskonzerte von Fanny Hensel eingeführt wird.

Wichtiger aber für Heyses Entwicklung war jener Tag, an dem er, im Herbst des Jahres 1846, ein sechzehnjähriger Primaner, zum ersten Male über Emanuel Geibels Schwelle trat. Die Verse eines Schülerkränzchens waren durch einen Hausgenossen Geibels dem Dichter vorgelegt worden, und sehr zum Erstaunen Heyses waren seine Verse und nicht die Bernhard Endrulats, der später politisch bekannt wurde, Geibels sicherem Blick aufgefallen. Emanuel Geibel führte den Primaner in das Haus Franz Kuglers ein, wo der Student und der Dichter rasch Heimatrecht erwarb.

Es hat in Berlin im neunzehnten Jahrhundert eine Reihe von Häusern gegeben, die nicht eigentliche Salons hatten, sondern lediglich bei gesellschaftlich sehr bescheidenem Zuschnitt geistig arbeitende und angeregte Menschen in sich versammelten. Alle diese Häuser brachten, dem demokratischen Zug des Berliner Lebens gemäß, alle Kreise, vom Hofe abwärts, durcheinander und miteinander in Berührung – so das Varnhagen 7 von Enses und der Rahel, das der Madame Levy, besonders bekannt durch Bettina von Arnim, auch noch Heyse wohl vertraut, später noch, hart bis an unsere Tage, das der Frau von Olfers, dann das des Verlagsbuchhändlers Franz Duncker und das von Ernst und Hedwig Dohm. Keines unter allen kann sich an Einfluß und Bedeutung für junge Talente messen mit dem Kuglerschen Hause, wie keine der Dichtergesellschaften des Jahrhunderts so fruchtbar an Talenten und so weit ihrem inneren Gehalt nach war wie der Tunnel über der Spree. In beiden begegnete Paul Heyse Theodor Fontane, und in Theodor Fontanes Schilderungen lebt der äußere Zuschnitt des Kuglerschen Hauses weiter. »Dies Haus, das, wenn ich nicht irre, dem alten Kammergerichtsrat Hitzig, dem Freunde von E. T. A. Hoffmann, gehört hatte, lag am Südende der Friedrichstraße, nahe dem Belle-Allianceplatz, und umschloß, klein wie es war, nur drei Familien. Im Erdgeschosse wohnten zwei Fräulein Piaste, wahrscheinlich Muhmen aus alten Tagen her, im ersten Stock General Baeyer, im zweiten – Mansarde – Franz Kugler, der sich 1833 oder 1834 mit der jüngsten Hitzigschen Tochter, einer viel umworbenen und besungenen Schönheit, verheiratet hatte. Mehr als eines der Geibelschen Lieder ist an sie gerichtet. Ihrer Schönheit entsprach ihre Liebenswürdigkeit und ihrer Liebenswürdigkeit der feine Sinn und Geschmack, mit dem sie Räume von äußerster Einfachheit in etwas durchaus Eigenartiges umzugestalten gewußt hatte. Da, wo die weit vorspringenden Mansardenfenster ohnehin schon kleine lauschige Winkel schufen, waren Efeuwände aufgestellt, die, sich rechtwinklig bis mitten in die Stube schiebend, das große Zimmer in drei, vier Teile gliederten, was einen 8 ungemein anheimelnden Eindruck machte. Man konnte sich, während man im Zusammenhang mit dem Ganzen blieb, immer zurückziehen und jedem was ins Ohr flüstern. An gesellschaftlichen Hochverrat dachte dabei keiner.

»So sah es in dem ›Kuglerschen Salon‹ aus, an den ich, wenn ich wegen meiner eigenen mehr als einfachen Wohnräume gelegentlich bespöttelt werde, zurückzudenken häufig Gelegenheit habe. ›Was wollt Ihr?‹ frage ich dann wohl. ›Ihr müßt mir diesen Zuschnitt schon lassen. Seht, da war mein väterlicher Freund Franz Kugler, der war ein Geheimrat und eine Kunstgröße und wohnte womöglich noch primitiver als ich. Und doch, ich habe da die schönsten Stunden verbracht, schöner als in manchem Schloß. Und nun gar erst als in mancher modernen Stuck-Bude. Laßt mich also ruhig. Es kommt wirklich auf was anderes an.‹

»Ja, auf was anderes kommt es an. Was einem Hause Wert leiht, das ist das Leben darin, der Geist, der alles adelt, schön macht, heiter verklärt. Und dieser Geist war in dem Kuglerschen Hause lebendig. Was steigt da nicht alles vor mir herauf, welche Fülle der Gesichte!«

Und nun schildert wiederum Heyse die Rolle, die Emanuel Geibel in diesem Hause spielte.

Ich sah das Haus, das uns so oft empfing,
Das Gärtchen, drin Frau Klara sich erging,
»In stiller Anmut lächelnd«. Wieder fliegen
Wir Arm in Arm hinauf die schmalen Stiegen
Und treten ein ins niedrige Gemach,
Wo es an frohem Willkomm nie gebrach,
An Widerhall für jeden Herzensklang,
An alles Gut und Schönen Überschwang. 9
Ich seh' dich wieder, wie mit finsterm Blick
Du streichst die braunen Locken dir zurück
Und, deinen Kinnbart zausend, träumst und sinnst,
Bis tiefen Tons zu lesen du beginnst
Ein neues Lied, das dir der Tag beschert.
Und ringsum lauschen, ernst in sich gekehrt,
Die Frau'n und Jünglinge, des Spiels vergessen
Die Kinder, die am Tische mitgesessen.

Ja damals! Nie vergess' ich dir's, wie mich,
Den jungen Fant, du ließest brüderlich
An deiner Hand dies traute Haus betreten:
»Da bring' ich euch den werdenden Poeten!« –

Hier hat Heyse noch ein Fest zu Ehren Eichendorffs mitgemacht und, erregt durch den Glanz der Stunde, kaum zweiundzwanzigjährig, ihm eine Huldigung in improvisierten Versen dargebracht; hier hat er Jakob Burckhardt, Kuglers Fachgenossen, hier Adolf Menzel, Fritz Eggers kennen gelernt, und von hier aus dann auch als Student den Tunnel über der Spree betreten. Freilich bleibt Heyses Bild diesem zwanglosen Kreise, dessen Wesen oft genug, von keinem intimer als von Fontane, geschildert worden ist, nicht so untrennbar verbunden wie das Theodor Fontanes oder gar das Christian Friedrich Scherenbergs. In seiner Schilderung des Tunnels hat Heyse wohl hervorgehoben, daß die kurze, scharfe Kritik, die man dort übte, ihr Gutes hatte,

Denn alt und jung und arm und reich
– Vor der Kritik waren alle gleich –

immerhin war ihm dort nicht so wohl, wie vielen andern, wohl schon deshalb, weil seine Kritik, nach Fontanes Schilderung, im umgekehrten Verhältnis zu seiner 10 Jugend sehr berechtigterweise häufig noch über die im allgemeinen geübte hinaus ging, und er sich damals schon leise eines andern Wegziels bewußt war. Aber einer freilich, Theodor Fontane, tat es Heyse damals schon an, er empfand ihn – Storm, auch ein Herzenspoet Heyses, war in jenen ersten Jahren noch nicht im Tunnel – sicher aus der Menge heraus:

Weiß nur, wie gerne gelauscht ich hätt'
Auf dieser beseelten Stimme Klang,
Da sie nun schwieg, noch stundenlang,
Und wacht' erst auf aus meinem Traum,
Als um mich her im dämmrigen Raum
Die »Sehr gut!« wurden eingesammelt.
»O sehr, sehr gut!« hab' ich gestammelt.

Und in diesem Gedicht gelegentlich Fontanes, dessen naturalistische Spätwerke der Freund nicht ohne Skepsis betrachtete, kommt einmal Heyses märkische Heimatliebe heraus, die sonst bei der Entwicklung seines Talents nur hier und da, etwa im »Roman der Stiftsdame«, emporklingt.

»Sehr gut!« Wie oft noch klang's im Chor
Zu deinem Lied, Freund Theodor!
Wie manchmal sagt' ich's vor mich hin,
Seit ich im Süden heimisch bin,
Wenn mir von dir ein Büchlein kam,
Heimweh mich wieder gefangen nahm.
Wie fühlte mein Herz sich wieder jung,
Nahmst du mich mit auf die Wanderung
Durch Oderbruch und Osthavelland –
Der Wagen ächzt im mahlenden Sand,
Nichts Hochromantisches rings zu sehn,
Pappeln, umschwirrt von Spatzen und Krähn,
Ein roter Kirchturm hin und wieder,
Ein Schloßdach dunkelt schwarz hernieder, 11
Ein Land, mit dem verwöhnte Touristen
Wohl nicht viel anzufangen wüßten.
Doch haftet des Dichters Auge dran,
Fängt alles zu leben, zu leuchten an.
Und wie er geliebt, was er beschrieben,
So müssen wir's nun wieder lieben.

Wie der Sechzigjährige in diesen Versen den Eindruck Fontanes, so hat er mit kurzen Sätzen das Wesen Franz Kuglers gegeben:

Du sahst das unerschaffne Licht,
Das irdisch sich in Farben bricht.
Und rein an Sinnen, tief an Sinn,
Die Wunder deutend, schrittst du hin.

Im Kuglerschen Hause fand Heyse den Lebensfreund Otto Ribbeck, der eine Nichte Kuglers, die Tochter des Generals Baeyer, heimführte, und vor allem ein eigenes tiefes Herzensglück in der Verlobung mit Kuglers Tochter Margarete.

Im Jahre 1847 bezog er die Universität Berlin, um klassische Philologie zu studieren. Der Sturm von 1848 unterbrach die Studien und trug auch ein dünnes Heftchen auf seinen Schwingen, das der Angehörige des bewaffneten Studentenkorps gemeinsam mit Bernhard Endrulat, Louis Karl Aegidi und einem nicht mehr zu ermittelnden Dritten (nach Endrulats Lebensabriß Franz Kugler) herausgab und das fünfzehn neue deutsche Lieder zu alten Singweisen »den deutschen Männern Ernst Moritz Arndt und Ludwig Uhland« darbrachte. Bezeichnend ist, daß eins der Heysischen Gedichte »einen Mann« forderte – er durfte dann sehr viel später den damals Ersehnten immer wieder in schönen Versen feiern. 12

1849 ging Heyse nach Bonn. Die klassische Philologie wollte er aufgeben, konnte sich aber zu der ihm durch Kugler und Burckhardt nahe gekommenen Kunstgeschichte um so weniger bequemen, als ihr Bonner Lehrer Gottfried Kinkel ihn bitter enttäuschte; dagegen glitt er langsam zur romanischen Philologie hinüber, die damals durch Friedrich Diez gerade in Bonn eigentlich erst geschaffen wurde. Unter den Studienfreunden jener Zeit sind Bernhard Abeken, Levin Goldschmidt und Rudolf Grimm, ein Bruder Hermans, hervorzuheben, unter den älteren Männern, die Einfluß auf Heyse gewannen, vor allem der hervorragende Philologe Jakob Bernays, während Karl Simrock den jungen Berliner wenig anzog. Mit Arbeiten über das spanische Theater beschäftigt, kam Heyse 1850 nach Berlin zurück, gab mit Emanuel Geibel 1852 ein »Spanisches Liederbuch« heraus, dessen Umschlagvignette Adolf Menzel gezeichnet hatte, und wurde im Mai 1852 auf Grund einer Dissertation über den Refrain in der Poesie der Troubadours zum Doktor der Philosophie promoviert – als Professorssohn von Boeckh, Trendelenburg, Ranke, von der Hagen aufs schärfste ins Gebet genommen.

Mit einem kurzen Aufenthalt in Baden-Baden, wo er Justinus Kerner kennen lernte, ging Heyse nun mit seinem Freunde Ribbeck für ein Jahr nach Italien, ein Stipendium des Unterrichtsministeriums zur Erforschung provencalischer Liederhandschriften in der Tasche. Hier in Italien, bei seinem Onkel, dem Catullübersetzer Theodor Heyse in Rom, durch ein Mißgeschick seiner eigentlichen wissenschaftlichen Arbeit rasch entzogen, ward er, schauend und genießend und lernend, der Italianissimo, als den er sich selbst oft scherzend bezeichnet hat, 13 einstweilen der letzte große deutsche Dichter, der seit Goethes Tagen in Italien eine zweite Heimat, »sein gelobtes Land« verehrt. »Mir wenigstens ist es jedesmal,« so sagt er von Venedig, »wenn ich wiederkehrte, so zumut gewesen, als gehörte mir diese wundersame Stadt als Ergänzung meiner nordischen Heimat mit so gutem Recht, wie jeder neben seiner wahren Wirklichkeit ein zweites Leben im Traum führt. Alles ist unwahrscheinlicher, glänzender und schwermütiger zugleich, das Lachen leiser, die Erlebnisse schattenhafter, und doch fühlt sich die Brust von allem irdischen Druck entladen.« Zu Ribbeck trat in Italien vornehmlich ein Freund, dessen farbenfroher Genius Heyses Phantasie auch später immer wieder angeregt hat, Arnold Böcklin. Ein Fest mit frohen Genossen im Hain der Egeria hat Heyse, wie er selbst sagt, wahrheitsgemäß, in einem späteren Terzinenbrief an Böcklin geschildert. Mit höchstem Reiz ist da der bacchantische Übermut der Künstler gemalt, der sich schließlich zu einem nackten Tanz ums Feuer steigert und unter dem Böcklin von allen der ruhigste bleibt.

Doch tief im Innern sammelnd alle Gluten
Des schönsten Abends, brannte dein Gemüt.

Als Heyse mit nicht eben schwerer wissenschaftlicher Ausbeute nach Deutschland zurückgekehrt war – noch zuletzt fand er auf der Markusbibliothek zwei bisher unbekannte Strophen des ältesten Troubadours, des Grafen Wilhelm von Poitiers – mußte er, der die Braut heimführen wollte, sich über seinen äußeren Lebensweg entscheiden und dachte seufzend an eine Habilitation für sein nunmehriges Spezialfach, als er durch Geibels Freundschaft aller Sorgen überhoben 14 wurde: König Max von Bayern berief ihn 1854 mit einem Jahresgehalt von tausend Gulden nach München, ohne weitere Verpflichtung als die der Teilnahme an den geselligen Abenden des Königs, den sogenannten Symposien. Am 15. Mai fand die Hochzeit statt, und dann siedelte das junge Paar nach der bayrischen Hauptstadt über, was Heyse damals sehr willkommen war. Ganz abgesehen von dem praktischen Wert der Berufung empfand er es wohltuend, in ganz andere Luft versetzt zu werden, dem Berliner Umkreis einmal für lange hinaus zu entsteigen und aus literarisch überaus angeregten Kreisen in gänzlich unliterarische verpflanzt zu werden. Wie sich nun unter seiner Mitwirkung und bald unter seiner Führung München zum literarischen Mittelpunkt entwickelte, ist bekannt – es sei neben Heyses eigenen Erinnerungen wiederum auf die Werke von Grosse, Lingg, Dahn, dann auf Hans Hopfens Aufsatz »Wie ich anfing und wie ich in die Literatur kam« und aus Max Haushofers zwei Essays über das Münchnertum verwiesen. Wenn bei den Symposien in der Residenz Geibel der Führer war, der sich selbst der Königin gegenüber Ruhe für seine Vorlesungen zu erobern wußte, so gewann Heyses jüngere Persönlichkeit bald auch den widerstrebenden eingeborenen Bayern unumwundene Anerkennung führender Überlegenheit ab in dem von ihm gegründeten Kreise des Krokodils. Waren dem königlichen Zirkel von Dichtern zunächst nur Geibel, Bodenstedt und Heyse zugehörig, so sammelte sich im Krokodil ein weit größerer Kreis, zu dem vornehmlich zählten: Hermann Lingg, Wilhelm Hertz, Hans Hopfen, Julius Grosse, Heinrich Leuthold, Max Haushofer, später Melchior Meyr und als Ehrenkrokodil Graf Schack, dann Scheffel, Heinrich von Reder, Karl Stieler, 15 Felix Dahn, Karl von Heigel, als ein etwas weiterer Kreis. Deutlich ist in Art und Abzeichen, in Satzung und Tun die Herkunft des Krokodils vom Tunnel über der Spree zu spüren, und auch die Beziehungen zur bildenden Kunst, die in Berlin vorhanden waren, sind hier, vielleicht noch stärker, dagewesen. Heyse im besonderen hat außer Böcklin Bonaventura Genelli, Charles Roß, einem Holsteiner, Karl Rahl, dem wir das berühmte Porträt Hebbels verdanken, in späteren Jahren dann vornehmlich seinem Münchener Nachbarn Franz Lenbach nahe gestanden.

Nach dem jähen Tode König Maximilians im Jahre 1864 zerstoben die Symposien, aber Ludwig der Zweite beließ den Dichtern ihre Pensionen. Als aber Emanuel Geibel wegen seiner beredten Huldigung an König Wilhelm, den er als künftigen Kaiser feierte, sein Jahresgehalt entzogen wurde, verzichtete Heyse sofort auf das seine, ebenso sicher und unbeirrt, wie er aus dem Kapitel des Maximiliansordens trat, nachdem Anzengrubers Wahl zum Ritter dieser vom König Max gestifteten Auszeichnung auf kirchliches Betreiben vom König Ludwig nicht bestätigt worden war.

Paul Heyse ist in München leben geblieben. Die Stadt ist ihm lieb geworden durch Glück und Leid, das er in ihr erfahren hat. Am 30. September 1862 starb Margarete Heyse. Fünf Jahre später fand der Dichter in der Heirat mit Anna Schubart ein neues Glück. Mehrere sehr geliebte Kinder hat er hingeben müssen, sieht aber heute, neben den am Leben gebliebenen, Enkel, darunter schon wieder verheiratete, um sich. Unter den Freunden späterer Jahrzehnte hat er selbst Hermann Kurz, Ludwig Laistner, Adolf Wilbrandt hervorgehoben. Lange Jahre bewohnte er in jedem Winter 16 ein Häuschen in Gardone, während ihn sonst hart an den Propyläen Ruhe und Frieden des eigenen Hauses und Gartens umschließen. Achtzig Lebensjahre, aufrecht getragen, mehr als sechzig Jahre eines Schaffens, das sich nie genug tun konnte, so sehr es andere beglückte. 17

 


 


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