Friedrich Spielhagen
Quisisana
Friedrich Spielhagen

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XXVII.

Sie bleiben also dabei, morgen in die Debatte eingreifen zu wollen? sagte der Medizinalrat.

Ich schmeichle mir, daß es notwendig ist, erwiderte Bertram.

Als Parteimann muß ich konzedieren; als Ihr Arzt wiederhole ich: es ist unmöglich.

Bitte, lieber Freund, Sie sagten vorhin: nicht wünschenswert; das scheint mir denn doch eine kühne Steigerung. Ich denke, wir bleiben bei dem bescheidenen Positiv.

Der Medizinalrat, der bereits seit einigen Minuten Hut und Stock zur Hand genommen, legte beides wieder hin, drückte Bertram in seinen Arbeitssessel vor dem Schreibtische, nahm abermals ihm gegenüber Platz und sagte:

Daß Sie sich mindestens ein paar Tage vollkommen ruhig verhalten, ist für den Augenblick – ich meine: nach Ihrem momentanen Befinden, allerdings nur wünschenswert; ich fürchte aber sehr, die Aufregung, ohne die es morgen nicht abgeht, wird Ihren Zustand verschlimmern, und die Notwendigkeit tritt alles Ernstes ein, und nicht bloß für ein paar Tage. Lassen Sie mich ganz offen sprechen, Bertram; ich weiß, ich erschrecke Sie dadurch nicht, obgleich ich es eigentlich möchte. Sie bereiten mir ernsthafte Sorge. Ich beklage tief, Sie im Herbste von Ihrer italienischen Reise zurückgehalten, in die Strapazen der Wahlkampagne, die Mühen und Sorgen des parlamentarischen Lebens gedrängt und getrieben zu haben. Ich nahm an, diese energische Tätigkeit werde zu Ihrer vollkommenen Genesung beitragen – ich habe mich arg verrechnet. Und dabei weiß ich nicht, wo der Rechenfehler eigentlich steckt. Sie haben sich die Handgriffe des Berufs mit einer so spielenden Leichtigkeit zu eigen gemacht, Sie traten so von Kopf zu Fuß gerüstet auf den Kampfplatz, Sie handhaben die Waffen mit der Virtuosität eines alten Meisters, Sie werden, was doch auch nicht zu unterschätzen ist, so vom Erfolg getragen – nach aller menschlichen Einsicht und Erfahrung müßte die glanzvolle und relativ leichte Erfüllung eines Berufs, zu dem Sie so augenscheinlich auserwählt sind, zu Ihrem Wohlergehen beitragen, und – das gerade Gegenteil tritt ein. Ich finde, wie ich auch grüble, dafür nur eine Erklärung. Trotz des schönen Gleichmuts, den Sie stets bewahren, trotz der ungetrübten Heiterkeit Ihrer Stimmung und Ihrer Miene, durch die Sie Ihre Freunde entzücken und Ihre Gegner so oft entwaffnen – es muß in Ihrer Seele ein verborgenes Etwas sein, das an Ihrem Leben nagt, ein tiefer, dunkler Unterstrom von Gram und Leid. Habe ich recht? Sie wissen, ich frage nicht aus müßiger Neugier.

Ich weiß es, erwiderte Bertram, und so antworte ich Ihnen: Sie haben recht und auch nicht recht; oder das erstere doch nur, wenn Sie mich für die Wirkung einer Ursache verantwortlich machen, die ich nicht verschuldet habe.

Sie antworten in Rätseln, lieber Freund.

Lassen Sie mich's mit einem Bilde versuchen. Es ist jemand gezwungen, in einem Hause zu wohnen, bei dessen Fundamentierung oder bei welchem wichtigen Punkte immer der Baumeister ein arges Versehen begangen hat. Der Bewohner ist ein ruhiger, ordentlicher Mann, der das Haus gut und sauber hält; aber da kommt ein Sturm, und das schlecht konstruierte Gebäude kracht in allen Fugen. Der ordentliche Mann repariert die Schäden nach besten Kräften, und so geht's eine Zeitlang wieder, eine lange Zeit, bis ein zweiter, noch schlimmerer Sturm kommt und ihm das Haus über dem Kopfe zusammenwirft.

Des Arztes dunkle Augen hatten prüfend und teilnahmvoll auf dem Sprecher geruht. Jetzt sagte er:

Ich glaube, Ihr Bild zu verstehen; es geht ihm wie allen Bildern: es deckt die Sache nur teilweise. Ich kenne das Haus, von dem Sie sprechen, zufällig sehr genau; es war freilich an ihm, trotz seiner übrigens sehr soliden Konstruktion, von vornherein ein schwacher Punkt; aber –

Kein Aber, lieber Freund! rief Bertram lebhaft. Räumen Sie mir den schwachen Punkt ein, so resultiert daraus alles andere mit Notwendigkeit. Ihnen, dem treuen Anhänger Spinozas, brauche ich doch wahrlich nicht zu demonstrieren, daß Denken und Ausdehnung nur Attribute einer und derselben Substanz sind, daß es keinen physiologischen Fall gibt, der nicht, recht betrachtet, in einen psychologischen sich verwandelte und umgekehrt; daß ein so erregliches Herz wie das meinige sich eben auch alles anders zu Herzen nimmt, als es andere Herzen tun, deren Reifen nicht springen, es geschehe, was auch geschehe, und stürme auf sie ein, was da wolle. Oder sind Sie nicht überzeugt, wenn Sie die Herzen von Werther oder dem Eduard der Wahlverwandtschaften zu untersuchen gehabt hätten, Sie würden da Dinge gefunden haben, von denen sich die Herren Ästhetiker nichts träumen lassen? Ich nun, ich bin aus ihrem Geschlecht. Ich rühme mich dieser Abstammung so wenig, wie ich mich ihrer schäme; ich konstatiere eben ein Faktum, das zugleich mein Fatum ist, unter dessen Gewalt ich mich beuge; vielmehr: dessen Gewalt mich beugt, trotz meines Widerstrebens. Denn, wie sehr ich vielleicht meiner Naturanlage nach in das vorige Jahrhundert gehöre, ich bin doch auch ein Bürger meiner Zeit und nicht taub gegen ihre Gebote. Ich weiß sehr wohl, daß der moderne Mensch nicht mehr seinen privaten Freuden und Leiden ausschließlich leben und sterben darf; ich weiß sehr wohl, daß ich ein Vaterland habe, dessen Ruhm und Ehre und Größe ich heilig halten muß und dem ich verpflichtet bin, solange noch ein Atemzug meine Brust hebt. Ich weiß es und glaube es betätigt zu haben, nach meinen Kräften, früher und wieder jetzt, wo –

Er bedeckte sich Stirn und Augen mit der Hand und saß so eine Weile in tiefer Bewegung, die der ärztliche Freund durch sein Schweigen ehrte. Dann fuhr er, aufschauend, mit leiser Stimme fort:

Lieber Freund, der letzte der Stürme war sehr, sehr hart. Er hat den morschen Bau bis in seine Grundfesten erschüttert. Was Sie jetzt in Sorge versetzt, es ist in der Tat nur Folge jenes fürchterlichen Sturmes. Die schauerlich süßen Einzelheiten – es kennt sie bis jetzt niemand außer einer Frau, die ein fast identisches Schicksal zu meiner Vertrauten machte, die das Geheimnis unverbrüchlich bewahren wird. Auch Sie würden es; ich weiß es. Und Sie sind ja schon oft mein Rater und mein Beichtiger gewesen. Also vielleicht ein andermal, wenn Sie es wünschen und es Ihnen nötig scheint. Für heute nur noch dies – zu Ihrer Beruhigung, denn ich lese in Ihrem ernsten Gesichte dieselbe inhaltschwere Frage, die auch die Freundin an mich richtete, ob ich genesen will? Ich antworte darauf nach meinem besten Wissen und Gewissen: ja; ich halte es für meine Pflicht, daß ich es will. Für eine Pflicht einfach meinen Wählern gegenüber, die mir mein Mandat nicht daraufhin gegeben haben, daß ich mich hinlege und an unglücklicher, unerwiderter Liebe sterbe. Wenn mir das letztere – ich meine das Sterben – doch passiert, so werden Sie mir bezeugen, daß es durchaus gegen meinen Willen geschah, nur infolge des bewußten Konstruktionsfehlers, den sich der Baumeister zuschulden kommen ließ. Aber damit mir es nicht oder doch nicht so bald passiere, lieber Freund, müssen Sie mir gerade das erlauben, was Sie mir vorhin verboten haben. Der Traum, den ich geträumt, war seltsam schön, und das wirkliche Leben kommt mir, offengestanden, im Vergleich dazu recht kahl und nüchtern vor. Der Gegensatz ist zu groß, ich kann ihn nur ungefähr dadurch verwischen, daß ich in die schale Speise die Würze der Aufregung mische, wie sie uns unsere parlamentarische Küche in bester Qualität gerade jetzt liefert, und von der unser Oberkoch morgen noch ganz besonders reichlich zustreuen wird. Und deshalb muß ich morgen meinen gewöhnlichen Platz in unserer Tafelrunde einnehmen und meine Tischrede halten. Quod erat demonstrandum.

Er reichte lächelnd dem Freunde die Hand. Auch der Freund lächelte; es war ein sehr trübes Lächeln und verschwand auch alsobald wieder.

Daß doch gerade die geistreichsten Patienten immer die unträtabelsten sind, sagte er; aber ich habe mir geschworen: nach Ihnen nehme ich keinen wieder an.

Ich mache Ihnen auch wahrlich mehr als billig zu schaffen, erwiderte Bertram. Sie, lieber, guter Freund, kommen da zu mir in beinahe nachtschlafender Zeit, wo Sie jedenfalls von Ihres Tages schweren Mühen längst ausruhen sollten, aus freien Stücken, getrieben von treuer Sorge um mein Wohl, um schließlich, mit Undank belohnt, den Heimweg anzutreten. Nun, Gott besser's! und auf Wiedersehen morgen!

Konski war eingetreten, um dem Doktor, da die Hauslichter bereits verlöscht waren, hinabzuleuchten. Die Herren reichten sich zum Abschiede nochmals die Hände; die des Arztes glitt nach dem Gelenk der Freundeshand hinauf. Er schüttelte den Kopf.

Konski, sagte er, sich zu jenem wendend, wenn Ihr Herr in diesen Tagen einmal ein Glas Champagner trinken will, so können Sie ihm ausnahmsweise eines geben; aber auch nur eines.

Merken Sie sich das, Konski! sagte Bertram.

Wird wohl nicht mehr passieren, brummte Konski.

Er will mich morgen verlassen, sagte Bertram erläuternd.

Will? gar nicht will ich; aber –

Schon gut, sagte Bertram, wir dürfen den Herrn Medizinalrat nicht mit unseren Privatangelegenheiten behelligen. Leben Sie wohl, lieber Freund! Wenn es Ihnen recht ist, speise ich morgen bei Ihnen.

Der Arzt war gegangen; Bertram hatte sich sofort wieder an seinen Schreibtisch gesetzt und die Arbeit vorgenommen, in der ihn der späte Besuch unterbrochen. Es war eine verschleppte Wahlprüfungsangelegenheit, über die er morgen berichten sollte. Im Interesse seiner Partei lag es, daß die Wahl, bei der einige Unregelmäßigkeiten vorgekommen waren, annulliert wurde; mit desto größerer Gewissenhaftigkeit hatte er den ziemlich komplizierten Fall bis dahin geprüft. Aber jetzt war ihm der Faden der Untersuchung entschlüpft; er blätterte hin und her in den Akten; dabei fiel ihm ein feines, zusammengefaltetes Blatt entgegen – ein Brief –

Mein Gott, wie kommt er dahin?

Er hatte hastig danach gegriffen, wie ein irrender Bettler nach einem Goldstück, das aus dem Straßenstaub zu ihm heraufblinkt. Das Blut siedete ihm aus dem kranken Herzen in die Schläfen; die Hand, die das leichte Blatt hielt, zitterte.

Jetzt würde er wohl nicht mehr über meinen matten Puls schelten.

Gestern morgen bereits hatte er den Brief erhalten, aber es nicht über sich gewinnen können, mehr als ein paar Zeilen zu lesen. Vielleicht wenn er aus dem Reichstage zurückkam, war er in gesetzterer Stimmung. Dann hatte er den beiseite gelegten Brief nicht wiederfinden können, trotzdem er, zuerst allein, dann mit Konski, stundenlang gesucht.

Und nun – die Akten hatte er beiseite geschoben – starrte er wieder wie gestern auf das Blatt, und wieder wie gestern schwammen die Zeilen ineinander; aber er schüttelte unwillig den Kopf, fuhr sich über die Augen und las:

»Capri, den 24. April.

Geliebter Onkel Bertram!

Wenn ich heute zum ersten Male von unserer Reise an Dich schreibe, so nimm es als gelinde Strafe dafür, dass Du nicht zu unserer Hochzeit gekommen bist; nimm es – nein! Dir darf ich auch im Scherz nicht lügen. Wir – ich meine Kurt und ich – empfanden wohl Dein Fortbleiben schmerzlich, aber zürnten nur der leidigen Politik, die Dich nicht loslassen wollte gerade in jenen Tagen, in welchen es sich, wie mir Kurt erklärte, um so wichtige Dinge handelte. Nimm also, ich bitte Dich, mein langes Schweigen als einen Beweis der Verwirrung, die sich meiner unter den tausend neuen Eindrücken der Reise bemächtigt, und der Eile, mit der wir gereist sind. Kurt hat just vier Wochen Urlaub; da müssen wir uns freilich beeilen; und so sind wir denn auch direkt von Genua mit dem Dampfer (er legt nur in Livorno an) nach Neapel gefahren, wo wir gestern abend ankamen, um heute morgen bei dem köstlichsten Wetter mit frischer Tramontana hierher nach Capri zu segeln.

Und so schreibe ich denn diesen meinen ersten Brief von dem Balkon eines Hauses –

Kennst Du, geliebter Onkel Bertram, auf Capri ein Haus, das ›mitten in Orangengärten steht mit wundervollem Blick auf das blaue, unendliche Meer? ein weißes, von Rosen übersponnenes Haus?‹

Es sind Deine eigenen Worte, und weißt Du, wo und wann Du mir das sagtest? An dem ersten Abend, als ich Dich im Walde auf dem Hirschstein traf. Du hast's gewiss vergessen, aber ich habe es wohl behalten und ist mir immer in der Seele herumgegangen auf unserer Reise: ich wolle von allen Herrlichkeiten Italiens zuerst das Haus sehen, das Dir so lieb in der Erinnerung geblieben, daß ›Du Dich immerdar nach ihm sehntest‹ und dessen Name ›so tröstlich, so verheißend klingt: Quisisana!‹

Und da sind wir nun, wir, die keines Trostes bedürfen, wir, an denen, was immer an Paradiesesseligkeit auf Erden verheißen werden kann, erfüllt ist – und trinken die blaue Himmelsluft und atmen den süßen Duft der Rosen und Orangen.

Du aber, geliebter Onkel Bertram, Du weilst – das Herz voll Sehnsucht nach dem holden Quisisana– da oben im grauen Norden, vergraben unter Parlamentsakten, abgearbeitet, müde – und, siehst Du, Onkel Bertram, dieser Gedanke, das ist die graue Wolke, die einzige am weiten, blauen Himmelsgewölbe, die da drüben über der schroffen Felsenstirn des Monte Solaro schwebt, und von der Federigo, der junge Wirt, behauptet, dass sie uns eine ›burasca‹ bringen werde. Ich habe ihn ausgescholten und gesagt, ich wolle Sonnenschein, viel Sonnenschein, nur Sonnenschein, und dabei nicht an uns, sondern an Dich gedacht. Und nicht wahr, Du Guter, Edler, auch Dir scheint die Sonne – auch Du wandelst im Lichte – im Sonnenlichte des Ruhmes! Ja, Onkel Bertram, wie bescheiden Du auch bist, es muss Dir doch Freude bereiten, es muss Dich doch mit Stolz erfüllen, zu sehen, wie du anerkannt und bewundert wirst – ich spreche nicht von Deinen Freunden – das versteht sich von selbst, sondern auch von Deinen politischen Gegnern. In Genua an der Table d'hôte hatten wir die Bekanntschaft eines vornehmen Herrn gemacht – eines Grafen aus Pommern – ich habe den Namen vergessen – mit dem Kurt viel über Politik geplaudert. Am Abend brachte uns der Graf eine Berliner Zeitung, in welcher Deine letzte große Rede stand. – Sehen Sie, sagte er, das ist ein Mann, von dem können wir alle lernen, auf den müsste jede Partei stolz sein! – Er hatte keine Ahnung, weshalb Kurts Augen stolz aufleuchteten, und warum ich, als ich Deine herrlichen Worte las, in Tränen ausbrach.

Nein, denke Dir, Onkel Bertram! – da bringt mir eben Signor Federigo, den ich darum gebeten, ein altes Fremdenbuch – aus dem Jahre 1859 – dem Jahre, in welchem Du, wie ich wusste, hier gewesen. Es waren viele Blätter herausgerissen, aber das, auf welchem Du Dich eingeschrieben, war erhalten, und das Datum des Tages – desselben Tages, an dem ich geboren! Ist das nicht wunderbar? Signor Federigo hat mir natürlich das kostbare Blatt schenken müssen, was er mit der anmutigsten Verbeugung – in der einen Hand das Blatt und die andere auf dem Herzen – tat, und wir haben beschlossen, den Tag Deiner Ankunft auf Capri und meiner in der Welt hier zu feiern. Weshalb sollten wir auch so schnell weiterreisen; schöner als hier kann es nirgends sein. Sonne, Rosenduft, Himmelsbläue, das ewige Meer – meinen Kurt und die Erinnerung an Dich, dessen liebes Bild mir jeder Fels, jede Palme – alles, alles vor die Seele zaubert – nein, nein, wir bleiben hier bis zu meinem Geburtstage.

Signor Federigo ruft aus der Veranda herauf, Madame müsse in fünf Minuten fertig sein, wenn der Brief heute noch fort solle. Freilich soll er fort, wenn ich nur nicht die schreckliche Empfindung hätte, bis jetzt rein gar nichts geschrieben zu haben. Aber das hilft nun nicht. Also das nächstemal von allem, was heute nicht darangekommen ist: von den Eltern, die sehr zufriedene Briefe schreiben, besonders Papa, der ja ganz glücklich darüber scheint, dass er – zu meiner großen Verwunderung – die Fabriken aufgegeben; von der Verlobung Agathens und Herrn von Busches, über die ich mich nicht gewundert habe, denn ich sah es schon an meinem Polterabend kommen; von –

Signor Federigo, Sie sind unausstehlich –

Lieber Kurt, ich kann Dir den übrigen kleinen Raum von zwei Zeilen nicht geben, denn ich brauche ihn notwendig selbst, um meinem geliebten Onkel Bertram vielherzlichen Gruß und Kuss zu senden aus Quisisana.«

Bertram hatte das Blatt leise auf den Tisch gelegt; er beugte sich, einen Kuss darauf zu drücken; aber bevor seine Lippen es noch berührten, richtete er sich jäh empor.

Nein! Sie weiß nicht, was sie tut. Du weißt es – deines Nachbars Weib! Schmach und Gram! Reiß das Auge aus, das dich ärgert, und das verbrecherische Herz dazu!

Er griff nach den Akten.

Bis zu ihrem Geburtstage! – ein paar freundliche Worte – sie erwartet sie sicher, darf sie erwarten; mehr noch: Sie könnte es anders auslegen – ob es wohl noch Zeit ist? Wann mag es sein? sie hat das Datum nicht genannt – mir deucht: So im Anfang Mai. An welchem Tage bin ich denn dort angekommen?

Er brauchte in den alten Tagebüchern, die er methodisch geführt und sorgfältig aufbewahrt hatte, nicht lange zu suchen. Da: »Am ersten Mai. In Capri angekommen und in einem Hause abgestiegen, zu dem ich mühselig hinaufgeklettert, weil der Name mich unwiderstehlich lockte: Quisisana. Sit omen in nomine!«

Am ersten Mai! der wäre morgen. Ein Brief natürlich nicht, aber ein Telegramm, wenn es sofort abgeschickt würde. Konski!

Lieber Konski, es tut mir Leid, Sie müssen schleunigst auf das Telegraphenamt. Fräulein Ernas – nun, Sie wissen – ihr Geburtstag ist morgen. Da darf ich doch nicht fehlen.

Er hatte die paar Zeilen deutsch geschrieben; dann fiel ihm ein, ob er sie nicht zu größerer Sicherheit gleich in der Sprache des Landes abfassen sollte. So schrieb er sie noch einmal italienisch.

Konski, der sich unterdessen zu dem Gange zurechtgemacht, trat wieder ein.

Sie werden vor zwölf schwerlich zurück sein und – ja, Konski, wir müssen den morgenden Tag festlich begrüßen. Stecken Sie den Kellerschlüssel zu sich und bringen Sie eine Flasche Champagner mit herauf! Keine Widerrede! ich schreibe Ihnen sonst morgen in Ihr Zeugnis: Entlassen wegen Ungehorsam.


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