Friedrich Spielhagen
Quisisana
Friedrich Spielhagen

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XI.

Aber kein Dichterwort mochte fürder die Glut bannen, die in seinem Herzen brannte, und jeder Gedanke, mit dem der Geist nach Ruhe und Klarheit rang, erwies sich als ein feiger Söldner, der die erste Gelegenheit benutzt, zu dem mächtigeren Feinde überzugehen. Vergebens, daß er sich ins Gedächtnis rief, womit er in jener merkwürdigen Unterredung Ernas Behauptungen zu widerlegen gesucht – es war ja eitel Lüge gewesen und höchstens theoretisches Geschwätz. Seine Liebe Reminiszenz? woran denn? an die traurige Verirrung eines dreißigjährigen und doch immer noch gläubigen, unerfahrenen Herzens! oder an die koketten Spiegelfechtereien und häßlichen Zerrbilder der Leidenschaft, mit denen ein Herz, das an die Liebe nicht mehr glaubt, sich über seine wahren Bedürfnisse wegzutäuschen sucht! – Dich, rief er, dich habe ich immer geliebt; mein ganzes Leben ist nur eine ununterbrochene Sehnsucht nach dir gewesen; und jetzt, da ich das gelobte Land endlich erreicht, soll ich nichts weiter dürfen, als es schauen, Gott loben und sterben! Ich bin nicht sterbemüde; wie mir das Leben noch nie so schön erschienen, habe ich niemals so das Verlangen und die Kraft gefühlt, es zu genießen. Und muß gestorben sein – nun denn: man stirbt schließlich am Leben, und wenn es noch so öde war, so stirbt sich's doch besser in der Liebe vollem Glück! Nein, nein! wenn ich sie liebe, so erinnere ich mich an nichts als an die Wüstenweite, die ich mich durchschleppen mußte bis zu ihr; wenn sie mich lieben könnte – ihre Liebe würde keine Fata Morgana sein einer Oase der Zukunft: Palmen sollten ihr zu Häupten rauschen, Silberbäche zu ihren Füßen rinnen, hat Liebe überall die Zaubermacht, ein Paradies zu schaffen auf Erden.

Und aus diesen gaukelnden Zukunftsträumen schreckte ihn dann der Gedanke auf, Ernas Herz müsse schon einmal einen mächtigen Eindruck empfangen haben. Es war doch auffallend, daß sie so manches der geheimnisvollen Zeichen im Buche der Leidenschaft so gut zu deuten wußte; daß sie offenbar gern in diesem Buche las. Aber da alle seine vorsichtigen Fragen durchaus zu keinem Resultate führten, sie über die wenigen jungen Männer, die sie zu kennen schien, entweder mit Gleichgültigkeit oder gar, wie über ihre beiden Vettern, mit einem sehr merklichen Anfluge von Ironie sprach, mußte er wohl von seinem Verdachte zurückkommen und sich immer mehr in eine Hoffnung einwiegen, vor der er zuerst wie vor einer Verlockung zum Wahnsinn zurückgeschreckt war.

Und er hatte ja doch noch den vollen Gebrauch seiner Sinne, und niemals waren diese Sinne so scharf gewesen. Wie sollte er es denn aber deuten, daß der Ton ihrer Stimme, so oft sie sich zu ihm wandte, und besonders, wenn er sich mit ihr allein befand, ein so ganz anderer war als sonst, weicher, tiefer, inniger? wie es deuten, daß sie – sicher, ohne es zu wissen – manchmal über Tisch, wenn er lebhaft sprach, minutenlang den Blick auf ihn geheftet hielt – jenen seltsam festen Blick, den er noch aus keinem Menschenauge gesehen, und der ihn wieder und wieder an jenen Blick der Götteraugen mahnte; und sie dann, wenn er zu sprechen aufhörte, wie aus einem Traume erwachte, mit einem tiefen Atemzuge, der den zarten Busen hob und senkte?

An anderen glückverheißenden Zeichen fehlte es nicht. Er hatte guten Grund gehabt, Ernas Gebot, gegen Lydie fürder weniger freundlich zu sein, zu mißachten; ja er hatte seine Aufmerksamkeiten und Höflichkeiten verdoppelt, nicht bloß gegen die gefallsüchtige Dame, sondern auch gegen den Baron. Es kostete ihn jetzt so gar nichts, zu verzeihen, Nachsicht zu üben, alles von der besten, liebenswürdigsten Seite zu sehen; und die Höflichkeit ist ein Schleier, hinter dem sich so viel verbergen läßt! Nun hatte er sich anfänglich auf Widerspruch oder ernsthaftes Zürnen von seiten des stolzen, eigenwilligen Mädchens gefaßt gemacht, aber nichts der Art trat ein; sie schien seinen Ungehorsam entweder nicht zu bemerken oder ihn gar zu billigen, denn ein und das andere Mal, wenn er die Komödie allzu weit trieb, spielte ein feines Lächeln um ihre Lippen. Und was noch mehr war: sie folgte, wenn auch offenbar zögernd, seinem Beispiele; sie hatte für Lydies Überschwenglichkeiten nicht jene kurzen, herben Abfertigungen mehr, oder jenes kalte Übersehen, das tiefer schneidet als direkter Tadel; sie fuhr fort, wie in den ersten Abenden, mit dem Baron zu musizieren; sie duldete sogar, daß auch sie auf dem famosen Terrassenbilde angebracht wurde, und hatte die Geduld, ein paar Stunden lang dem Künstler zu sitzen, der immer einen Pinselstrich vorwärts und zwei zurück tat und ein Mal über das andere schwur: dies sei die dankbarste, aber auch die schwierigste Aufgabe, die er je in seinem Leben ausgeführt.

Und noch eines, was ihm als besonders seltsam und gewichtig aufgefallen. Erna hatte die Gewohnheit, den Namen dessen, mit dem sie sprach, oft in die Unterhaltung zu mischen und selbst gleichgültigen Phrasen und Fragen hinzuzufügen. So klang ihm noch immer aus den ersten Tagen ihr: wie geht es dir, Onkel Bertram? – ja, Onkel Bertram; – nein, Onkel Bertram! süß im Ohr. Aber süßer, unendlich süßer dünkte es ihn, als er es jetzt nicht mehr hörte, auch nicht ein einziges Mal; daß ihre Rede ja und nein war, nach dem Bibelwort, und entsprechend den wilden Wünschen seines Herzens. Auch Hilarie hatte sicher den Liebhaber nicht mehr Onkel genannt! Der arme Major! Aber schließlich war ihm doch nur recht geschehen: denn nicht sowohl die Jugend fehlte ihm, als der Mut und die Kraft der Leidenschaft. »Und immer ist der Mann ein junger Mann, der einem jungen Weibe wohlgefällt«; und er gefällt ihr wohl, weil sie mit dem sicheren Instinkt der Liebe fühlt, daß er Liebe für Liebe geben kann und geben wird.

Und als wollte er das Schicksal zwingen, ihm alles zu gewähren dafür, daß er sein alles an dies alles setzte, sah er lächelnden Blickes zu, wie das Feuer seiner Liebe mit jedem Tage, jeder Stunde gewaltiger auflohte, gieriger um sich griff, sein ganzes Wesen in sich schlang. Er war stolz darauf, daß er nichts mehr denken, nichts mehr fühlen konnte als nur sie, einzig sie. War sie entfernt, wie leer und öde erschien ihm die Welt! mit wie schmerzlicher Ungeduld harrte er des Augenblicks, wo er sie wiedersehen würde; und sah er sie wieder, war's, als hätte er sie nie zuvor gesehen, als hätte der Herr nur eben erst sein: Werde Licht! gesprochen, und die Welt läge vor ihm im taufrischen Glanze des Schöpfungsmorgens.

Dann, wenn die Qual der Lust schier übermächtig wurde, floh er vor ihr, um in der Einsamkeit des Waldes, in tiefversteckter Felsenschlucht, auf sonniger Halde hoch oben in den Bergen stundenlang von ihr zu träumen, durch die tiefe Stille dem Nachklang ihrer Stimme in seinem Herzen zu lauschen, den verschwiegenen Gräsern und Bäumen ihren Namen zu flüstern; ihren Namen zu hören aus dem Rieseln der Quellen, dem Rauschen des Windes, aus jedem Vogellaut; ihr holdes Bild zu sehen zwischen weißen Wölkchen, vom blauen Himmel auf ihn niederlächelnd, aus Dämmerschatten des ragenden Waldes ihn ernst und sinnend anschauend mit großen, stillen, göttermächtigen Augen.

Daß diese Augen seltener lächelten, daß sie immer ernster, sinnender blickten, oft mit jener süßen Starrheit innerster Konzentration, war ihm nicht entgangen, und er hatte es nicht zu seinen Ungunsten gedeutet: wie sollte, wie konnte es anders sein, wenn in ihre junge Seele auch nur ein schwächster Widerschein des Glanzlichtes fiel, von dem seine Seele bis in ihre Tiefen erfüllt war!

Aber ebensowenig entging es ihm, und er wußte es sich nicht zu deuten, als jener sinnende Ernst, aus dem seine hoffende Liebe – wie eine Biene aus dem sich erschließenden Kelche der Blume – wonnige Nahrung sog, sich in trüben Unmut wandelte, der nicht bloß die geliebten Augen stetig umschleierte, sondern oft das zarte Gesicht mit den seinen, energischen Zügen in dunkle, von Zornesblitzen durchzuckte Nacht hüllte. Diese Wandlung war ganz plötzlich vor sich gegangen, und seltsamerweise fiel sie mit dem Tage, fast mit der Stunde von Agathens Ankunft zusammen.


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