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63.

D egenfeld empfing Wolfgang, als dieser am dritten Tage in dem Hauptquartier angekommen war, mit offenen Armen und mit Thränen in den Augen.

»Verzeihen Sie diese unmännliche Schwäche,« sagte er; »aber ich habe Sie als todt beweint und ich kann Ihnen nicht sagen, wie groß meine Freude ist, Sie nun doch wieder an mein Herz drücken zu dürfen. Jetzt erst, da ich Sie beinahe verloren hätte, weiß ich, was ich an Ihnen habe, und wie theuer Sie mir sind. Ich bin stolz auf Sie, liebster Wolfgang. Sie haben Ihr militairisches Talent unter schwierigen Verhältnissen bewährt. Ihr so rühmlich bestandenes Gefecht gegen einen sechsfach überlegenen Gegner ist eine glänzende Waffenthat, und Ihr Rückzug durch das Gebirge ein kleines Meisterstück.«

Wolfgang wollte dieses Lob, das er nicht zu verdienen glaubte, ablehnen; aber Degenfeld kam im Verlaufe der vertraulichen Unterhaltung, in welcher sich die Freunde ihre Erlebnisse seit der Nacht in Rheinfelden wechselseitig mittheilten, wiederholt darauf zurück. Degenfeld und Münzer waren, nachdem sie sich in Gemeinschaft mit Cajus und einigen Anderen durch die Weingärten bis zum Ufer durchgeschlagen hatten, auf einem Boote über den Strom gesetzt, die Nacht hindurch auf dem jenseitigen Ufer fortgewandert und hatten m der Frühe des nächsten Morgens ein vorüberfahrendes Dampfschiff bestiegen, dessen Kapitän Münzer als einen Gesinnungsgenossen kannte und der die Flüchtlinge in wenigen Stunden außer dem Bereiche der Gefahr brachte. Sie hatten darauf ohne Aufenthalt ihre Reise durch das insurgirte Land bis an den Sitz der provisorischen Regierung fortgesetzt, wo man sie mit Freuden aufnahm. Er selbst habe es für seine Pflicht gehalten, die ihm gleich am ersten Tage zu Theil gewordene Stelle zu behalten, trotzdem ihm seitdem höhere Posten, ja sogar der eines Oberbefehlshabers angetragen seien. »Sie wissen, lieber Wolfgang,« sagte er, »daß ich mir die Eigenschaften eines Feldherrn abspreche; als Officier im Generalstab glaubte ich der guten Sache besser dienen zu können; aber ich gestehe, daß ich auch diese Hoffnung verloren habe.«

Er entwarf nun ein Bild von den am Sitz der provisorischen Regierung und in der Revolutionsarmee herrschenden Zuständen, das Wolfgang nach den Erfahrungen, die er selbst gemacht und nach Allem, was er seit seiner Ankunft gesehen hatte, kaum übertrieben finden konnte. »Es fehlt an Allem,« sagte Degenfeld, »nur nicht an dem unglaublichsten Leichtsinn und an dem krassesten Hochmuth, der, Angesichts dieser jämmerlichen Verhältnisse, lächerlich sein würde, wenn er nicht noch viel trauriger wäre. Sie wissen, daß ich sehr wenig von der Organisation unserer Armee halte; aber sie ist doch trotz ihrer pedantischen Schwerfälligkeit eine compacte Masse, die schon durch ihr Gewicht allein respectabel ist. Aber hier bei uns herrscht das Chaos. Wir haben keine Waffen, keine Munition, und man sorgt auch nicht dafür, daß wir welche bekommen. Von Disposition irgend welcher Art ist kaum die Rede. Jeder thut, was er will, und unter zehn Fällen will er kaum ein einziges Mal das, was er wollen müßte. Wir thun, als ob wir hier sicher wären, wie in Abraham's Schoß, und es werden nicht zweimal vierundzwanzig Stunden vergehen, so stehen die Feinde vor den Thoren; ja sie müßten schon längst hier sein, wenn ihre Furchtsamkeit nicht noch größer wäre als ihre Langsamkeit. Vergebens, daß ich den Leuten vom Morgen bis zum Abend die Schritte anrathe, die gethan werden müssen, wenn unsere ganze Armee in diesen Bergen nicht gefangen werden soll, wie eine Maus in der Falle. Man hört nicht auf mich: ›Kossuth hat es auch so gemacht; wir müssen es machen wie Kossuth.‹ Mit diesem geheimnißvollen Schiboleth schlägt man alle meine Einwürfe nieder. Ich wiederhole es: ich habe alle Hoffnung auf einen günstigen Verlauf dieses Feldzuges, wenn man diesen Wirrwarr überhaupt so nennen kann, verloren.«

»Und Münzer?«

»Er will einen Vernichtungskrieg der Proletarier in den Städten und auf dem platten Lande gegen die herrschenden Klassen. Das ist das Ziel gewesen, auf das er schon seit lange gesteuert ist; seine Theilnahme an dieser Bewegung steht in offenbarem Widerspruch mit seinen Grundsätzen. Er ist sich dessen natürlich vollkommen bewußt, und zürnt jetzt sich und der ganzen Menschheit, daß er sich überhaupt in diesen Froschmäusekrieg, wie er es nennt, gemischt hat. Und doch sollte er einsehen, daß, wie die Dinge in Rheinstadt lagen, er nicht wohl anders konnte; ebenso wie ich dieser Bewegung folgen mußte, ich mochte wollen oder nicht. Wir waren zu weit gegangen, um nicht noch weiter gehen zu müssen. Ich that es, offen gestanden, in der Hoffnung, daß doch möglicherweise in diesem Chaos ein fester Punkt hervorträte, um den sich eine Revolutionsarmee von modernen Independenten krystallisiren könnte. Vielleicht hat auch Münzer noch einen Hoffnungsschimmer gehabt, daß der einmal entfesselte Strom sich selbst das Bett vertiefe. Zum wenigsten hat er auch noch hier Versuche gemacht, einige radicale Maßregeln in der Verwaltung durchzusetzen. Ich brauche Ihnen wohl kaum zu sagen, daß er mit diesen Versuchen gescheitert ist. Seitdem ist er womöglich noch düstrer und menschenscheuer geworden, als früher, so daß er selbst mir, der ich in der letzten Zeit in Rheinstadt sein einziger Umgang war, aus dem Wege geht. Er verkehrt fast nur noch mit Cajus, seinem bösen Dämon, wie ich den unheimlichen Menschen schon oft genannt habe.«

»Aber hielten Sie nicht selbst früher große Stücke auf diesen Mann?

»Ich kann es nicht leugnen,« erwiderte Degenfeld, »er ist ohne Zweifel ein sehr bedeutender Mensch, dessen Tapferkeit, Geistesgegenwart und eiserne Willenskraft Jeder, der ihn näher kennen lernt, und für diese Eigenschaften ein Verständniß hat, bewundern muß. Es müssen außerordentliche Schicksale gewesen sein, die den Mann zu dem gemacht haben, was er ist; ich richte deshalb nicht über ihn, aber ich kann mich eines unheimlichen Gefühls in seiner Gegenwart nicht erwehren. Ich halte ihn jeder That fähig, wenn es darauf ankommt, seine Ideen in's Werk zu setzen. Es schlägt kein Herz in seiner Brust, denn mit der einzigen Leidenschaft, die ihn erfüllt, mit dem kalten, unerbittlichen Haß, mit welchem er die Aristokraten haßt, hat das Herz nichts zu thun. Und wer ist ihm nicht Aristokrat! ich bin es ihm, Sie sind es ihm, und ich glaube: er macht selbst mit Münzer keine Ausnahme. Und was das Merkwürdigste ist: ich bin überzeugt, daß Münzern dieser sein Gesell im Grunde nicht minder antipathisch ist, als mir. Münzer ist, wie ich zu meinem Staunen gefunden habe, eine durch und durch aristokratische Natur. Er ist es in seiner Denkweise nicht weniger, als in seinem Geschmack. Alles Gemeine, ja alles Gewöhnliche ist ihm peinlich, unerträglich, verächtlich. In dem Großen, dem Schönen, schwelgt seine Seele bis zur Verzückung. Mir ist immer: als wäre er dazu geboren, in einer Sphäre zu leben, die weit über dem Niveau des gewöhnlichen alltäglichen Lebens liegt, und in der er freilich auch nicht glücklich gewesen wäre, aber doch in seiner Weise hätte unglücklich sein können. Nun hat ihn ein feindliches Geschick nicht auf einem Thron, sondern in einer Hütte geboren werden lassen, hat ihm zum Instincte des Löwen das Joch des Arbeitsstieres gegeben. Stolz, wie er ist, hat er aus der Noth eine Tugend gemacht, oder vielmehr: zu machen versucht, denn er würde nicht der unglückliche Mann sein, der er ist, wenn ihm dieser Versuch nicht mißglückt wäre. So ist sein Leben äußerlich wie innerlich, eine Kette von Widersprüchen: Er fühlt sich zu mir hingezogen, weil ich ein Aristokrat bin, und er meidet mich, wiederum weil ich ein Aristokrat bin; er bewundert in Cajus die starre Consequenz des communistischen Republikaners, und heimlich empfindet er einen Schauder vor dieser Verkörperung seines politischen Ideals; er hat ein einfaches und unbedeutendes Mädchen geheirathet, um Nichts voraus zu haben vor den andern Menschen, und er betet Antonien an, weil sie in Allem der genaue Gegensatz von seiner Frau ist. Sie sehen, lieber Wolfgang, ich urtheile scharf über unsern Freund; ich würde mir das nicht erlauben, wenn er nicht eben mein Freund, oder vielleicht genauer: wenn ich nicht eben sein Freund wäre.«

Obgleich Wolfgang selbst jetzt vielfach anders als noch vor einem Jahre über Münzer dachte, so hatte er doch zu lange liebend und bewundernd zu dem älteren Freunde hinaufgeschaut, als daß er nicht Degenfeld gegenüber Alles, was für Jenen zu sprechen schien, hätte geltend machen, sollen. So theilte er ihm auch die Entdeckung mit, welche er Balthasar verdankte. Er behauptete, daß eine Frau, die sich so gleichsam geflissentlich vor ihrem Gatten verberge, den schwereren Theil der Schuld des Mißverständnisses trage. Degenfeld wollte das nicht gelten lassen.

»Eine Frau, wie sie Clärchen Münzer schildern,« sagte er, »verbirgt ihre Tugenden nur, wie das Noli-me-tangere seine Blätter schließt: wenn ihr Licht und Wärme zur fröhlichen Entfaltung derselben fehlen. Dieses Licht, diese Wärme strahlen nicht von Münzer aus; vor der Gluth in seinem Herzen erlischt die Flamme des häuslichen Heerdes. Ich kann deshalb auch Ihre Hoffnung, daß Münzer, wenn er den Werth seiner Frau erkannt hätte, ein glücklicher Familienvater werden könnte, nicht theilen. Es gehört zu Allem Talent, auch zum Familienvatersein. Ich hätte dies Talent wahrscheinlich gehabt; Münzer hat es nicht. Doch nun kommen Sie, lieber Hauptmann, Sie wollten mir Ihre Compagnie zeigen; hernach müssen wir zu den Spitzen der provisorischen Regierung; Sie werden zu Ihrem Erstaunen sehen: wie leicht sich's leben und – regieren läßt.«

Für den Abend dieses Tages hatte Degenfeld seinem jungen Freunde in einem Gasthaus, dessen Speisesaal ein Vereinigungspunkt für die Notabeln der Revolution war, ein Rendezvous gegeben. Wolfgang stand eben in einem größeren Kreise, in welchem jenes geheimnisvolle Dogma, »daß man es machen müsse, wie Kossuth,« nach allen Seiten hin begründet wurde, als sich eine Hand leicht auf seine Schulter legte. Er wandte sich um; es war Degenfeld. Sein schönes Gesicht trug einen Ausdruck sorgenvollen trüben Ernstes, daß Wolfgang sofort aus dem Kreise heraustrat und ihn fragte: ob etwas von besonderer Wichtigkeit sich ereignet habe? Degenfeld faßte ihn unter den Arm und führte ihn schweigend zum Saale hinaus in den großen stillen Garten, der hinter dem Hotel lag. Wolfgang, dessen Gemüth ganz von kriegerischen und politischen Dingen erfüllt war, glaubte nicht anders, als daß es sich um die Entscheidung des unhaltbaren Zustandes handle, welche Degenfeld vorausverkündet hatte. »Ich bin auf das Schlimmste gefaßt,« sagte er, »sprechen Sie es aus; der Rückzug ist uns abgeschnitten, es bleibt uns nichts als ein ehrenvoller Tod auf dem Schlachtfelde.«

»Der würde uns Beide nicht schrecken, glaube ich,« entgegnete Degenfeld – und es lag eine eigenthümliche Wehmuth in dem Ton seiner sanften Stimme – »den Tod, den wir sterben, haben wir mehr oder weniger in unsrer eignen Hand; aber das Leben der Unsern steht in einem Buche geschrieben, in das wir nur gelegentliche Blicke thun können, und daher kommt es, daß uns das Schlußcapitel oft seltsam überrascht. Ich habe Nachrichten aus Rheinstadt, Wolfgang, von einem Korrespondenten, der Ihnen näher steht als mir: von Ihrem Onkel Peter Schmitz.«

»So ist mein Vater todt,« sagte Wolfgang mit bebenden Lippen.

»Sie haben es gesagt, lieber Wolfgang;« entgegnete Degenfeld ernst und traurig.

»Und ich habe ihn getödtet! habe ihn tödten helfen!« rief Wolfgang, indem er hastig seinen Arm aus Degenfeld's Arm zog; »verhehlen Sie mir nichts! mein Vater war gesund, als ich ihn verließ – er ist keines natürlichen Todes gestorben! Ich weiß es, wenn Sie mir es auch nicht sagen wollen. Seine Verhältnisse waren sehr zerrüttet – er sprach mit Ruhe darüber – aber ich durfte mich durch diese Ruhe nicht täuschen lassen – ich war seine letzte Hoffnung – ich habe ihn um diese Hoffnung betrogen – ich mußte ihm das Opfer bringen – aber, Herr von Degenfeld, konnte ich das! konnte ich ihm meine Ehre opfern!«

Wolfgang preßte Degenfeld's Hände und starrte ihm angstvoll in das Gesicht.

»Sie konnten es nicht, Sie durften es nicht,« erwiderte Herr von Degenfeld mit fester Stimme. »Kommen Sie, Wolfgang, Sie sind ein Mann. Ein Mann hat das Recht, in Allem, was ihn angeht, klar zu sehen, es sei auch, wie es sei. Ihr Vater ist durch seine eigene Hand gestorben; seine Verhältnisse waren zerrüttet, aber Sie hätten selbst mit dem Opfer Ihrer Ehre – wenn ein solches Opfer überhaupt denkbar wäre – ihn nicht retten können, der rettungslos verloren war. Ich kannte Ihren Vater, Wolfgang, als er und ich junge Officiere im Regiment waren; wir waren Freunde; ich habe ihn sehr geliebt, denn er war sehr liebenswürdig, so weit Schönheit, Anmuth und ein munterer Geist einen Menschen liebenswürdig machen können. Aber es fehlte ihm, was den Mann zum Manne macht: Treue und Wahrhaftigkeit. Er hat es niemals mit dem Leben ernst genommen; ich fürchtete schon damals, daß es so mit ihm enden würde, denn wer das Leben zu einem einzigen frivolen Spiel macht, muß zuletzt falsch spielen, er mag wollen oder nicht. So ist denn auch Ihr Vater zum falschen Spieler geworden, und zuletzt hat er das Deficit in der Kasse, die ihm anvertraut war, mit seinem Leben decken müssen. – Armer lieber Freund! wie gern hätte ich Ihnen diesen Schmerz erspart! aber Sie mußten es doch über kurz oder lang erfahren, und ich bin stolz genug, zu glauben, daß Sie mich ein wenig lieben, und mir verstatten, mit Ihnen zu tragen, was sich allein so schwer trägt.«

Wolfgang warf sich dem edlen Freunde an die Brust; auch Degenfeld war tief erschüttert: »Sehen Sie, was Sie aus mir machen können,« sagte er: »ich könnte den Jahren nach Ihr Vater sein, und Gott weiß es! wie stolz ich auf einen solchen Sohn sein würde. Oder nehmen Sie mich zu Ihrem Bruder; ich fühle mich durch Sie wieder jung; – daß ich Ihr Freund bin, wissen Sie ja längst!«



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