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Ein paar Momente steht sie regungslos, nach der Thür stierend, die sich hinter ihm geschlossen. Plötzlich, mit einem dumpfen wimmernden Laut, stürzt sie in die Knie, die Hände ringend, die sie auseinanderreißt, mit der Stirn den Teppich des Bodens schlagend.
Vorbei – alles – unwiderruflich! Was die Krone ihres Lebens hatte werden sollen, in Stücke zerbrochen! Sie selbst zerbrochen, gedemütigt bis in den Staub, schmachvoll besiegt! Von ihm, der eben noch da gestanden, ragend wie ein Riese in dem Halbdunkel, aus dem nur noch seine Augen leuchteten, die blauen, zornblitzenden Augen! Der einzige Mann auf Erden, den sie hätte lieben können! Den sie liebte! Jetzt weiß sie's. Als hätten die Himmel sich geöffnet und blendendes Licht in die Nacht ihrer Seele geworfen! Und Engelposaunen riefen mit dem schmetternden Klang seiner Stimme: Du liebst ihn!
Vorbei! vorbei alles – unwiderruflich. – Er hat's gesagt. Er ist sich treu. Sie hat ihn zum letzten Mal gesehen!
*
Sie rafft sich mühsam auf. Aber das Zimmer beginnt um sie herum zu kreisen: Wände, Bilder, Möbel in wildem Wirbel. Sie preßt die Hände gegen die Schläfen, die springen wollen: ist das der Wahnsinn, den sie so oft schon gefürchtet hat?
Da liegt jemand vor ihr auf den Knieen, streckt die Hände flehend zu ihr empor: Wladimir von Plat. Wie ist der Mensch dahin gekommen? Was will er?
»Mein gnädiges Fräulein! Geliebtes gnädiges Fräulein! Ich weiß alles. Sah ihn über den Hof rennen – den elenden Buben, den Schurken. Sie – du sollst deine Rache haben. Ich reite ihm nach. Ich schieße ihn tot. Mögen sie mir hernach den Kopf herunterschlagen. Nur einmal vorher sage mir, daß du mich liebst!«
Er sucht, ihre Hände zu ergreifen, sie an sich zu pressen. Sie bricht in ein tolles Gelächter aus und stößt ihn wild zurück. In demselben Moment hört er Schritte auf dem Korridor dicht an der Thür. Ist es der Graf, der zurückkommt? Im Nu steht er wieder auf den Füßen. Es ist Philipp mit zwei angezündeten Lampen in den Händen, hinter ihm Karl, der meldet: Frau Direktor sei von Greifswald zurück und lasse fragen: ob das gnädige Fräulein zum Abendbrot kommen werde, oder den Thee im Salon befehle?
Wladimir atmet erleichtert auf: das verschafft ihm einen Abgang. Er bringt es fertig, sich vor Becky zu verbeugen, die jetzt starr, teilnahmlos dasteht. Dann ist er aus dem Salon auf dem Korridor, wo er Frau Krafft beinahe in die Arme rennt.
*
Die Anfrage des Dieners hatte nur eine vorläufige sein sollen. Frau Krafft war den Leuten auf dem Fuße gefolgt, sich persönlich nach Beckys Befinden zu erkundigen und von den Erlebnissen in Greifswald zu berichten, falls sie das gnädige Fräulein zum Anhören geneigt fand.
»Was bedeutet denn das?« rief sie jetzt erschrocken, mit beiden Händen den heranstürmenden Wladimir abwehrend und beim Licht der Korridorlampen mit bösen Ahnungen in sein bleiches, wutverzerrtes Gesicht spähend.
»Was das bedeutet? was das bedeutet?« erwiderte der junge Mann mit dumpfer keuchender Stimme. »Daß ich die Geschichte hier satt habe – – bis an den Hals! Daß ich fort will – morgen am Tage!«
»Da haben Sie sehr recht;« sagte Frau Krafft. »Das ist ein gescheiter Einfall. Sie hätten nur früher darauf kommen sollen.«
»Wäre ich. Wollte nur noch sehen, welches Ende die Geschichte mit dem Grafen nahm. Na, das habe ich jetzt. Aus ist's! radikal aus! Fortgejagt hat sie ihn. Da läuft er jetzt in der Nacht nach Selchow, der Vagabund. Und ich lasse mir den Mustapha satteln, hole mir meinen Revolver, reite ihm nach, schieße ihn tot.«
»Schön!« sagte Frau Krafft. »Und nun machen Sie mal Ihre Ohren auf: wenn Sie jetzt nicht direkt auf Ihr Zimmer gehen und da ruhig bis morgen bleiben, und über das, was Sie gehört oder gesehen haben, nicht reinen Mund halten gegen jedermann – sehen Sie, dann lasse ich Sie in der greulichen Patsche, in der Sie stecken. Haben Sie mich verstanden?«
Der junge Mann hatte sie sehr wohl verstanden; und daß es für ihn die weitaus beste Politik sei, sich, wie die Dinge für ihn mißlich lagen, unter den Schutz der Frau zu flüchten, die in dem Hause so ziemlich alles vermochte. Unverständliches durch die Zähne murmelnd, lief er davon.
Frau Krafft ging weiter den Korridor hinauf mit schwerem Herzen. Was auch vorgefallen war, etwas ganz Schlimmes war es sicher gewesen. Die Klugheit riet, aus der Sache heraus zu bleiben; aber die Sorte Klugheit hatte sie ja wohl im Leben nie geübt.
Dennoch schlug ihr das Herz, als sie jetzt vor der Salonthür stand, die Hand auf dem Drücker. Dann hatte sie geöffnet.
Der Salon war leer. Die Diener hatten sich durch eine andere Thür entfernt. Auf den Tischen brannten still die Lampen. Es war schwer zu glauben, daß der schöne, friedliche Raum die Scene schlimmer, verhängnisvoller Auftritte gewesen sein sollte. Und doch war er es sicher gewesen. Frau Krafft zweifelte nicht mehr daran.
Eilig schritt sie durch mehrere Zimmer bis zu dem schmaleren Gang, der durch den Seitenflügel lief, in welchem Beckys Schlaf- und Garderobezimmer lagen. Hier kam ihr Marie entgegen.
»Ich muß das gnädige Fräulein sprechen.«
»Es ist nicht möglich, Frau Direktor.«
»Ich muß, sage ich Ihnen.«
»Dann kostet es mich meinen Dienst. Sie will niemand sehen. Ach, du lieber Gott!«
Das gute Mädchen wischte sich die Augen.
»Marie, was ist – was kann das nur gewesen sein zwischen – Sie wissen –«
»Ja, Frau Direktor, ich weiß. Aber ich habe keine Ahnung. Sie sind im Salon gewesen, während ich das Schlafzimmer zurecht machte. Dann kam sie und sagte nur, daß kein Mensch zu ihr dürfe; sonst kein sterbendes Wort. Sie war ja auch so weit ganz ruhig, aber totenblaß; und ein paarmal ging es wie ein Zuck durch ihren ganzen Körper. Ich habe ihr nur das Reitkleid aufmachen müssen. Dann hat sie mich weggeschickt. Ich denke, sie legt sich jetzt zu Bett und schläft es sich aus.«
»Das möge Gott geben, Marie!«
*
Es war ein täppischer Zufall, ein Versehen des Kutschers, der in der Meinung, der gnädige Herr wolle heut Nacht in Polchow bleiben, schon vor Stunden nach Hause gefahren war, daß der Graf jetzt in der Nacht den Weg von Polchow nach Selchow zu Fuß machen mußte, wie ein vom Hof gejagter Bettler. Geschieht dir recht, der du zum Verräter geworden bist an deinem Stande, deinem alten Adel; an allem, was dir heilig gewesen ist, seitdem du denken kannst!
Und der Graf, in der Marter solcher Selbstvorwürfe, dankte Gott, daß er es Nacht sein ließ, die seine Schmach, für den Augenblick wenigstens, der Welt verbarg.
Und keine Möglichkeit der Satisfaktion! Kein Bruder, Vetter – niemand als ein alter siebzigjähriger Mann mit eisgrauen Haaren, der hundert Meilen gefahren war, eine Stunde an seinem Krankenbette zu sitzen; seinen Vater gerettet hätte, wäre er zu retten gewesen; ihm selbst zwanzig Millionen schenken wollte mit der Hand seiner einzigen Tochter!
In seiner Zorneswut hatte er bereits das ganze ausgedehnte Tannengehölz durchmessen, das sich breit zwischen Polchow und Selchow streckte, als er durch die Stille der Nacht hinter sich Hufschlag zu hören glaubte und jäh stehen blieb mit klopfendem Herzen.
Wenn sie jemand hinter ihm herschickte? ihn zu bitten, daß er zurückkomme? ihr zu gewähren, daß sie ihn um Verzeihung anflehte für das, was sie gesagt, gethan; wovon ihre Seele nichts wußte?
Nein! nein! tausendmal nein! Dies war nicht zu verzeihen; auch nicht, hätte ihre Seele nichts davon gewußt! Aber sie hatte davon gewußt! Dies war nur der Ausbruch gewesen lange aufgesammelten Grolles und Hasses! Und der Überzeugung, daß zu dem Bund zwischen Becky Lombard und Kurt Bassedow die Teufel in der Hölle wieherten vor Lachen!
Und also denkend lauschte er sehnsuchtsvoll in die Nacht hinein.
Aber es war eine Sinnestäuschung gewesen. Kein Hufschlag, der näher kam! Das Rascheln nur des Nachtwindes in den schmalen Blättern der Krüppelweiden links am Wege und im Weizenfelde rechts das Locken eines Rebhahns.
Gott sei Dank!
Gott sei Dank, daß die Versuchung nicht an ihn herangetreten war! Ihm die Schmach erspart geblieben war, im Kampfe mit der Versuchung vielleicht doch zu unterliegen!
Er hatte sie ja so geliebt! Er liebte sie ja noch so!
Und auf einen Prellstein am Kreuzwege, der weißlich durch das Dunkel schimmerte, niederkauernd, drückte er das Gesicht in die Hände, brennende Thränen weinend, derer er sich schämte, und die ihm keine Linderung seiner Qual schafften.
Und – er wußte nicht, wie das zuging – plötzlich wurde es ruhig in seiner Brust, ganz ruhig und still; als sei da etwas gestorben, das nie wieder zum Leben erwachen konnte.
Er erhob sich und setzte seinen Weg fort, vor sich hinmurmelnd: »Es war ein Traum, ein schwerer Traum – nichts weiter! Danke Gott, daß du erwacht bist, ehe es zu spät war!«
So kam er nach Hause.
In der Halle unten standen große Kisten aufgestapelt, die, wie Peters berichtete, gegen Abend gekommen waren: Möbel, oder was es sonst war, von Loßberg zur Ausstattung der Bibliothek aus Berlin schon vor Tagen beordert.
Der Graf befahl, alles eingepackt zu lassen. Er fahre morgen früh selber nach Berlin, werde von dort bestimmte Ordre geben. Der Wagen solle um vier Uhr bereit sein; er wolle den Fünfuhrzug benutzen. Wieprecht solle ihn begleiten.
Wieprecht sagte: »Zu Befehl, Herr Graf!« glaubte aber doch, den Herrn Grafen darauf aufmerksam machen zu sollen, daß der Fünfuhrzug ein Bummelzug sei, der nur eine Stunde vor dem um neun Uhr von Greifswald abgehenden Schnellzuge nach Berlin kam.
»Gerade auf diese Stunde kommt es mir an,« sagte der Graf.
Er konnte dem Kammerdiener nicht anvertrauen, daß jede Minute mehr, die er in Selchow zubringen mußte, ihm Hölle war. Und dann: er würde die Stunde, die er gewann, benutzen, den Herzog aufzusuchen; ihm zu sagen, daß er sich nach dem, was ihm begegnet, vor keinen, anständigen Menschen in Deutschland mehr sehen lassen könne; und der Herzog, wenn er ihm denn wirklich gnädig sein wolle, ihm durch seinen Einfluß die Möglichkeit gewähren möge, nach Afrika zu gehen und dort einen ehrlicheren Tod zu sterben, als sein Vater sich nach einer wüsten Spielnacht durch einen Revolverschuß zu verschaffen wußte.
Er stand an einem der Fenster der Bibliothek, das er geöffnet hatte. Die Nacht war schwarz; kaum daß sich der Turm der Kapelle ein wenig aus der Dunkelheit hob.
Im Geisterflug ging seine ganze Vergangenheit an seinem inneren Auge vorüber: die Kadettenzeit – das Offizierleben – großer Gott! welch unermeßliche Öde! welch schattenlose Wüste! Und dann die Spiegelung einer Zukunft in behaglich-würdigen Verhältnissen an der Seite eines liebenden, geliebten Weibes in nichts zerfließend! Und abermals schattenlose Wüste bis ans Ende! Nur der eine Trost: das Ende werde nicht mehr weit sein!
Vom Turm der Kapelle erschallte das schrille Gekrächz eines Käuzchens. Es klang überlaut in der Stille der Nacht.
Die Warnung kam zu spät. Das Unglück war geschehen. Die Heilige in der Altarnische unten hatte es nicht abwenden können. Das Wespennest oben in der Galerie, das leer war und leer bleiben würde, bis es vollends zusammenbrach – es war das rechte Symbol und Bild des Hauses der Grafen Bassedow.
Schmerzlich aufstöhnend wandte der Graf sich vom Fenster.
*
Auch in Polchow starrte um dieselbe Zeit ein Augenpaar trostlos in die dunkle Nacht.
Die Ruhe, in die sich Frau Krafft nach den Ereignissen des Abends künstlich hineingeredet, hatte nicht vorgehalten. In der nächtlich einsamen Stille hatten sich Sorge und Furcht wieder an sie herangedrängt, dichter und dichter – ihr war, als ob sie die grauen Gestalten leibhaftig durch das Zimmer huschen sah.
Nun war es doch gewiß da, was sie die ganze Zeit hatte kommen sehen.
Sie und der alte Vater. So gebrochen war er heute gewesen, daß er den Mut zur Weiterreise nicht hatte finden können.
»Ich habe die Ahnung von einem Unglück, das aus nächster Nähe hereindroht,« hatte er ihr auf dem Perron des Bahnhofes geklagt, als sie ihm dort noch einmal adieu sagen wollte. »Weshalb da die lange Reise nach Bonn machen, wenn ihr mich doch alsbald wieder zurückrufen müßt!«
Und an die Trostgründe, mit denen sie die Sorge des alten Herrn zu beschwichtigen suchte, hatte sie selbst nicht recht geglaubt! Mit gutem Fug: schneller, als sie es denn doch gefürchtet, mußte jetzt etwas geschehen sein, was durch nichts wieder gutzumachen war: schwere Thaten, die sich nie vergeben, nie vergessen, wie es in dem Chorliede der Braut von Messina hieß, das ihr Mann mit solcher Andacht zu citieren pflegte.
Und dies das Ende des Tages, an dem bis dahin der Entschluß des Geheimrats, nicht weiter reisen zu wollen, der einzige dunkle Punkt gewesen war. Und an den sie faktisch nicht mehr gedacht hatte während des vergnüglichen Mittagessens bei Ännchens Eltern, welche die Liebenswürdigkeit gehabt hatten, ihren Jungen und Josephine ebenfalls einzuladen. Was hatte es dabei zu lachen gegeben! und wie herzlich hatte sie gelacht! Als hernach beim Champagner, wo sie sich alle einen kleinen Schwips holten, der Direktor und sein künftiger Assistent Brüderschaft tranken! Und Ännchen sich hoch und teuer vermaß: nie und nie werde es ihr beikommen, gegen irgend eine Frau Assistentin die Frau Direktor herauszubeißen! Mit offenbar kecker Anspielung auf Josephine, die feuerrot geworden war, und ihren Jungen, der ein erzdummes Gesicht machte! Wenn er auch hinterher die Stirn hatte, seiner alten Mutter gegenüber zu behaupten: es sei absolut nichts daran. Ob er wohl in der Lage sei, an so etwas zu denken! – Brav, mein Junge, hatte sie gesagt: denke du nicht daran! Es wäre wirklich in deiner Lage Unsinn! Und da hatte er wieder das liebe dumme verblüffte Gesicht gemacht, wie bei Tisch. Bis sie vor Lachen herausplatzte, und er sie um den Leib faßte, und sie beide im Zimmer herumwalzten!
Ach, es war ein schöner, sonniger, wonniger Tag gewesen!
Und jetzt saß sie, schon halb entkleidet, in ihrem Zimmer am offenen Fenster und horchte in die stille Nacht hinein. Das Unglück war sicher unterwegs! Und es schreitet so schnell!
Das war sein Schritt, der fliegend den schmalen Korridor heraufkam!
»Frau Direktor! Frau Direktor! um Gotteswillen! Unser gnädiges Fräulein –«
»Was ist's? Was giebts?«
»Ich weiß nicht, was es ist. Sie liegt ganz still im Bett auf dem Rücken. Die Augen hat sie halb geschlossen und ist so entsetzlich blaß. Nur auf den Backen hat sie dunkelrote Flecke. Und sie redet in einem fort: ich bin die Königin! ich bin die Herrin! und so was.«
»Ich komme,« sagte Frau Krafft. »Ich will bei dem gnädigen Fräulein bleiben. Sie rufen unterdes den Karl oder Philipp heraus: Herr Pasedag soll sogleich geweckt werden. Ich will ihn sprechen – in meinem Bureau unten. Sie sagen mir, wenn er da ist! Und Marie – Sie sind ja ein verständiges Mädchen: gegen die anderen vorläufig kein Wort! Wir dürfen sie nicht ohne Not erschrecken. Hoffentlich wird es nicht so schlimm.«
Frau Krafft hatte ihren Anzug so weit in Ordnung gebracht und schritt eilig dem Mädchen voran, den Korridor entlang, die Treppe hinab, sehr fest auftretend, das Zittern ihrer Knie zu überkommen.
War es je nötig gewesen, den Kopf oben zu behalten, war es jetzt.
*
So entschlossen, trat Frau Krafft in Beckys Schlafgemach. Es war hell erleuchtet: die beiden großen Wandlampen brannten, sämtliche Kerzen auf den Konsolen, Toilettentischen, an den Stellspiegeln. Frau Krafft war darauf vorbereitet: Marie hatte ihr, noch auf der Treppe, gesagt, das gnädige Fräulein in ihrem Phantasieren habe es so verlangt, und sie in ihrer Angst ihr den Willen gethan. Der erste Blick der Eintretenden hatte das prunkvolle Himmelbett in der Tiefe des großen Raumes gesucht, und sie erschrak trotz ihres Mutes: die rotseidene Decke auf den Teppich geschleudert, die Spitzenkopfkissen in Klumpen geballt, das Bett leer. Frau Krafft eilte nach der Fensterthür, die auf den Balkon über dem Garten führte – hinter den Damastvorhängen fand sie die Thür verschlossen, der Schlüssel steckte inwendig – da hinaus konnte sie nicht sein. Mit den beiden Fenstern rechts und links von der Thür verhielt es sich nicht anders. War die Unglückliche in das Haus gerannt? irrte in den Zimmern, den Korridoren umher? Wo sie da suchen?
Plötzlich fiel der Blick der Ratlosen auf die Tapetenthür nach dem Toilettenzimmer. Die Thür war nur angelehnt; durch den schmalen Spalt konnte sie bemerken, daß auch da Licht brannte. An das Toilettenzimmer schloß sich der Baderaum. Sollte sie die Fieberglut im Wasser kühlen wollen? sollte sie –
Von jäher Angst ergriffen, stürzt Frau Krafft auf die Thür zu. Die wird aufgestoßen. Becky tritt hervor: einen weiten wallenden purpurroten Abendmantel über den Schultern; um den Kopf, als Turban, ein großes Stück Goldgaze geschlungen, aus dem das blauschwarze Haar in dicken ungleichen Strähnen herabfließt; den nackten Hals, die nackten Arme mit Ketten und Spangen behangen; in der Hand einen mächtigen Fächer von weißen Straußenfedern, mit dem sie sich majestätisch Kühlung zufächelt; das lodernde Feuer des Wahnsinns in den großen schwarzen Augen; das entsetzliche Lächeln des Wahnsinns um die üppigen Lippen:
»Du kennst mich nicht, gute Frau. Ich sehe es an deinen erstaunten Blicken: ich bin die hochberühmte Königin von Saba, die da kam aus Arabien, Salomo, den großen König von Juda, zu versuchen mit Rätseln, die er alle löste – alle!«
Urplötzlich geht eine Veränderung mit ihr vor, die ihr Aussehen womöglich noch grauenhafter macht. Das grelle Feuer in den großen schwarzen Augen erlischt, daß sie gläsern stieren, wie einer Toten; das schauerliche triumphierende Lächeln wandelt sich in schmerzlichste Verzerrung; Leichenblässe anstatt der flammenden Röte deckt die Wangen; die Arme sinken herab; der Fächer entfällt der Hand; der stolze Leib sinkt zusammen – eine alte Frau steht da, vergrämt, trostlos, zum Sterben müde.
Und trostlos, sterbensmüde kommen die leisen Worte:
»Bis auf eines! Das war sie selbst. Das konnte er nicht lösen. Konnte sie nicht lösen. Keiner kann es – keiner. Da wandte sich die Unglückselige und zog in ihr Land mit allen ihren Knechten.«
Und noch einmal rafft sie sich auf, hebt, halb sich wendend, den Arm, als wolle sie dem Gefolge winken, und stürzt, seitwärts taumelnd, nieder auf den Teppich.
* * *