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Dreiunddreißigstes Kapitel.

Der Abend war bereits tief hereingesunken, aber auf Schloß Roda wollte es nicht dunkel werden. Aus allen Fenstern schimmerten und strahlten die Lichter; auf dem Schloßhofe warfen aus großen Candelabern brennende Pechkränze ihre rothe Gluth bis hoch hinauf an die alten Thürme; in den Gärten schlangen sich Ketten bunter Laternen von Ast zu Ast, die Terrassen hinab, bis die letzten sich in den braunen Wassern der Roda spiegelten.

Und durch die Säle, über die Höfe, die Gärten hinab und hinauf wogte, drängte eine aufgeregte Menge in buntem Durcheinander, daß die seidene Robe der gnädigen Frau oft genug den dunklen Kattunrock der Bäuerin streifte und der Herr im Frack sich unversehens von einem Mann in blauem Kittel angeredet sah. Aber die gnädige Frau fühlte sich heute nicht beleidigt und der Herr im Frack gab mit bereitwilliger Höflichkeit die gewünschte Auskunft; er habe es ebenfalls erst heute Mittag erfahren, und er habe auch zwei Söhne, die mit müßten.

Das sieht halb aus wie ein Fest und halb wie eine Volksversammlung sagte Herr von Fischbach zu Herrn von Zeisel, als er desselben einmal habhaft werden konnte.

Und ist auch beides, erwiederte der Cavalier, sich den Schweiß von der Stirne wischend; ich weiß nicht mehr, wo das Eine aufhört und das Andere anfängt, und will es nun gehen lassen wie's Gott gefällt. Wer hätte das gestern Abend denken können! Von zweihundertfünfzig Eingeladenen hatten gestern Abend hundert absagen lassen – unter uns: hauptsächlich auf Anstiften Neuhofs, die damit eine Demonstration gegen unsere Durchlaucht beabsichtigten; heute kommen sie Alle und, so viel ich sehen kann noch fünfzig mehr. Aus Rothebühl, wo gestern die offenbare Revolution war, ist alle Welt hier; und was so aus dem Walde und vom Lande herbeigelaufen, ist gar nicht mehr zu berechnen. Es will eben Jeder hören, erzählen, sich unter Seinesgleichen wissen –

Wofür er in diesem Augenblick jeden Menschen hält, sagte Herr von Fischbach; und das mit Recht – einem so gewaltigen Ereigniß gegenüber sind wir Alle gleich klein und hilfsbedürftig.

Freilich, erwiederte der Cavalier eifrig, und das ist's, was sie von heute Morgen an hergetrieben hat und noch immer hertreibt. Ich habe Leute gesehen, die ihre drei Meilen zu Fuß gemacht haben, um eine halbe Stunde hier zu sein. Der Geburtstag unserer armen Durchlaucht ist eben nur ein Vorwand. Wer denkt heute an den! Er hat dem Grafen seinen Platz abgetreten.

Wird der alte Herr sich gar nicht sehen lassen? fragte Herr von Fischbach. Ich hatte mich recht darauf gefreut, Sie als meinen Schwiegersohn vorstellen zu können.

Daran ist schwerlich zu denken, sagte der Cavalier seufzend. Ich war vorhin bei ihm, nach seinen Befehlen zu fragen – nur zum Schein; ich wußte ja, daß ich wieder dieselbe Antwort erhalten werde: wenden Sie sich an den Grafen! Aber ich gehe nicht wieder hinein, ich kann den Jammer nicht mit ansehen. Der arme alte Mann, der über Nacht zum Greis geworden ist, wie er dasitzt, den Kopf in beide Hände gestützt, noch gerade so, wie der Johann Kreiser erzählt, daß er gestern oben im Walde stundenlang gesessen.

Wer ist bei ihm?

Gleich, und Herr von Kesselbusch geht ab und zu; er will sonst Niemanden sehen.

Da kommen unsere Damen, fuhr der Cavalier fort. Lassen Sie uns eine Promenade durch den Garten machen. Es soll hernach nun doch noch das Feuerwerk abgebrannt werden. Der Graf will es ausdrücklich. Er meint, das sei die passendste Unterhaltung, die wir unseren Gästen an dem heutigen Tage bieten können.

Die Herren gingen Frau von Fischbach und Adele entgegen, die aus dem ebenfalls erleuchteten großen Gewächshause kamen. Adele hing sich in ihres Verlobten Arm und flüsterte: Gott sei Dank, daß ich Dich endlich wieder habe. Ich bin so erschrocken.

Worüber, liebstes Herz?

Mama und ich werden schon seit einer Viertelstunde von zwei verschleierten Damen in tiefster Trauer verfolgt; es ist ganz unheimlich. Siehst Du, da sind sie schon wieder.

Das scharfe Auge des Cavaliers hatte in den schwarzen Gestalten sofort die Frau Kanzleiräthin und Fräulein Elise erkannt. Die Erinnerung an alle die Stunden, die er in der Veranda des Ifflerschen Hauses mit dem Kanzleirath bei der Flasche zugebracht, an alle Gedichte, in denen er Wiese auf Elise gereimt, überkam sein weiches Herz; er konnte sich eines leichten Seufzers nicht erwehren.

Wer sind die schwarzen Schatten? fragte Adele.

Es sind die Schatten, die in das Leben jedes Menschen, ich wollte sagen: jedes Mannes fallen, erwiederte Oscar von Zeisel mit nachdenklicher Miene; damit das Licht ihm desto heller strahle, damit er desto dankbarer für das holde Licht sei. Siehst Du dort, wie es durch die Zweige schimmert, heller und immer heller, während die Schatten kleiner und immer kleiner werden, so daß nun Alles Licht und Glanz ist. Und alles Licht und Glanz – in Deinem lieben Antlitz sehe ich es vereinigt, und so soll es mir ewig strahlen Dein liebes Antlitz durch mein ganzes Leben, komme, was kommen mag.

Die Liebenden blickten einander an mit trunkenen Blicken, die doch nicht ohne Wehmuth waren. Heute gehörten sie sich noch; morgen schon wollte Oscar sich Urlaub nach Dresden erbitten, seine militärischen Angelegenheiten zu betreiben; und was mochte dann kommen!

Die Menge hatte zu den letzten Terrassen gedrängt, von denen man den besten Blick nach der großen Parkwiese hatte, auf welcher jetzt – unter Herrn Hippe's kundiger Leitung – ununterbrochen bengalische Flammen leuchteten, Raketen emporstiegen, Feuerräder prasselten. Einzelne laute Ausrufe des Staunens und der Bewunderung begleiteten jede besonders gelungene Production, aber ein allgemeines Freudengeschrei erscholl, als jetzt erst matter, dann immer heller und heller, zuletzt in blendendem Glanz ein weißes Licht von einem Punkte drüben am Waldesrande herüberschimmerte, wie von einer Sonne, die plötzlich aufgegangen, und Alles ringsumher mit Tagesklarheit übergoß, besonders die vorspringende Ecke der mittleren Terrasse, auf welcher in diesem Moment der Graf, an einem Arm seine Schwiegermutter, an dem andern die Baronin Neuhof, erschien, während Baron Neuhof Gräfin Stephanie führte. Die in der Nähe aufgestellte Musik begrüßte mit einem dreimaligen Tusch die Herrschaften und intonirte dann, dem Grafen zu Ehren, die heute unzähligemal schon executirte Melodie des Preußenliedes, in welche die Menge enthusiastisch einstimmte. Der Graf dankte wiederholt, zog sich dann aber alsbald von dem Rande der Terrasse zurück, wie Näherstehende bemerkt haben wollten, mit einem mißmuthigen düsteren Gesicht

In der That hatte die Miene des Grafen, seitdem er heute Mittag aus Hedwigs Zimmer gekommen war, keinen anderen Ausdruck gezeigt; nur einmal, als ihm während der Tafel ein Schreiben überbracht wurde, welches soeben per Estaffette angekommen war und die eigenhändige Gratulation des Prinzen zu seinem Avancement enthielt, und daß der Prinz hoffe, ihn noch am siebzehnten Abends in Berlin zu sehen, indem er Dinge von der größten Wichtigkeit mit ihm zu besprechen habe – als er das Schreiben gelesen und sich nun erhob, die Anwesenden aufzufordern, mit ihm auf das Wohl Seiner Majestät zu trinken und auf Preußens Wohl, das mit Gottes Hilfe, gestützt auf sein herrliches Heer, unter der bewährten Führung des Königs, glorreich aus diesem Kriege hervorgehen werde – und die zahlreichen Gäste diese Worte mit begeisterten Hochrufen beantworteten – da war die trübe Wolke von seiner Stirn verschwunden und seine stahlblauen Augen hatten in kriegerischem Feuer geglänzt. Aber das war eben nur ein Moment gewesen. Dann hatte sich der starre Ausdruck wieder eingefunden, und wie pünktlich er auch seinen Pflichten als Stellvertreter des erkrankten Fürsten nachkam, und mit wie gleichmäßiger Höflichkeit er die unzähligen Anreden und Beglückwünschungen erwiederte –, die Generalin hatte erfahren, daß jene äußere Ruhe nur die trügerische Hülle der im Innern wühlenden Leidenschaft war. Mit einer Heftigkeit, die an Raserei grenzte, hatte er ihr die Brief-Affaire vorgeworfen und sie beschuldigt, die bis dahin loyalste Sache in heilloser Weise compromittirt zu haben. Stephanie, welcher die Mutter die Scene wiedererzählt hatte, war, im Bewußtsein ihrer Mitschuld, in äußerst gedrückter Stimmung gewesen, die Generalin hingegen hatte sich nicht irremachen lassen.

Das ist nun einmal die Art der Männer, sagte sie; sie sehen durch die Finger, wenn wir in ihrem Interesse Dinge thun, die ihr Hochmuth ihnen verbietet, und geht die Sache gut, ist nicht weiter davon die Rede; geht sie aber schlecht, ist die Entscheidung zweifelhaft oder nur noch nicht eingetreten, müssen wir freilich ihre Spannung, ihre Unruhe, ihre Gewissensbisse entgelten.

Aber haben wir denn etwas so Schlechtes begangen? fragte Stephanie erschrocken.

Kinderei! sagte die Generalin. Es dauert keine acht Tage, so wird er uns auf den Knieen dafür danken.

Morgen früh muß er ja schon fort, sagte Stephanie.

Wir können es nicht ändern, sagte die Generalin; übrigens kann man auch sehr gut brieflich auf den Knieen danken.

Und kehrt vielleicht nicht wieder! rief Stephanie, in Thränen ausbrechend. Die Generalin zuckte die Achseln.

Darum schaffe mir einen Enkel, sagte sie trocken; und nun laß um Himmelswillen Deine larmoyante Miene! Die Männer wollen nicht sehen, daß wir für sie leiden.

Stephanie litt wirklich; sie hatte sich den ganzen Tag unwohl gefühlt und würde geglaubt haben, daß ihre Stunde gekommen sei, wenn der Geheimrath nicht auf das bestimmteste versichert hätte, daß es damit noch gute vier Wochen Zeit habe. Dennoch hätte sie sich jetzt gern zurückgezogen, nachdem sie den ganzen Tag, so weit ihr Zustand es erlaubte, an Stelle Hedwigs die Honneurs gemacht, wagte aber nicht Nein zu sagen, als jetzt ihr Gatte und Baron Neuhof herantraten, die Damen zum Feuerwerk zu geleiten. Sie hielt sich nur mit Mühe aufrecht und mußte – als das elektrische Licht eben seine hellsten Strahlen aussendete – doch bitten, daß man sie auf ihr Zimmer bringe.

Der Graf hatte die beiden anderen Damen losgelassen und seiner Gattin den Arm gegeben.

Ich mache Dir so viel Mühe, sagte Stephanie, und Du bist so sehr gut gegen Deine arme kleine Frau.

Du weißt, daß ich dergleichen Phrasen in Deinem Munde gar nicht leiden kann, erwiederte der Graf mit einem flüchtigen Druck seines Armes.

Warum hat sich nur Hedwig, wenn sie doch nicht bei dem Fürsten ist, den ganzen Tag nicht sehen lassen? fragte Stephanie.

Der Graf antwortete nicht. Er hatte bemerkt, daß der Reitknecht Dietrich, offenbar Jemanden suchend, durch die Menge drängte und jetzt eilig auf ihn zukam. Der Mann sah ganz verstört aus.

Was giebt's? fragte der Graf.

Darf ich den Herrn Grafen um einen Augenblick bitten?

Der Graf überließ Stephanie Herrn von Neuhof, der mit den beiden anderen Damen auf dem Fuße folgte und trat mit Dietrich ein wenig auf die Seite.

Dieser Zettel ist mir eben von dem Herrn Gleich für den Herrn Grafen übergeben worden, sagte Dietrich. Von Herrn Gleich, wiederholte er, als ob mit dem Namen Alles gesagt sei.

Wirst Du ein vernünftiges Gesicht aufsetzen, Dummkopf, herrschte der Graf, welcher bemerkte, daß ein Kreis von Zuschauern ihn bereits umstand, den Dietrich leise an.

Zu Befehl, sagte Dietrich zurücktretend.

Der Graf warf einen Blick auf den offenen Zettel, faltete denselben, steckte ihn zwischen zwei Knöpfe seiner Uniform und wendete sich wieder zu den Anderen.

Um Gotteswillen, was hast Du? fragte Stephanie, die wohl bemerkt hatte, daß ihr Gatte, als er den Zettel las, bleich geworden und zusammengezuckt war.

Nichts, absolut nichts, erwiederte der Graf; eine rein geschäftliche Meldung, die mich auf ein paar Minuten in Anspruch nehmen wird.

Es hat gewiß ein Unglück gegeben! rief Stephanie, einer Ohnmacht nahe, der Baronin Neuhof in die Arme sinkend.

Bitte, schaffen Sie sie fort, sagte der Graf zur Generalin. Und dann fügte er durch die Zähne hinzu: Wenn es ein Unglück giebt, so danke ich es Ihnen.

Was ist es denn? fragte leise der Baron.

Der Fürst ist geflohen und Hedwig, erwiederte der Graf.


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