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Drittes Kapitel.

Wenn Du nur nicht wieder eine Dummheit gemacht hast, sagte Frau Kanzleirath Iffler, als sie ungefähr um dieselbe Zeit mit ihrem Gatten in eifrigem Gespräch zwischen den neu angelegten Spargelbeeten ihres Gartens einherschritt, während Lieschen in der Veranda an der Hinterseite des Hauses über dem Abendtisch, der schon längst für die erwarteten Gäste gedeckt war, die Hängelampe anzündete.

Aber liebes Kind! sagte der Kanzleirath kleinlaut.

Wolltest Du mich doch nur einmal ausreden lassen, fuhr Frau Iffler in gereiztem Tone fort. Ist das wirklich Deine Meinung, willst Du sie dem Doctor geben, so mußt Du Herrn von Zeisel das begreiflich machen und mußtest ihn vor Allem heute Abend loszuwerden suchen. Aber das Unglück ist, daß Du niemals thust, was Du sollst, und niemals weißt, was Du willst. Gestern hast Du noch gesagt, wenn Herr von Zeisel doch nur endlich den Mund aufthun wollte, und heute –

Aber liebes Kind! murmelte der Kanzleirath.

So laß mich doch nur ein einzigesmal zu Worte kommen! – und heute heißt es wieder, wenn Doctor Horst doch nur endlich den Mund aufthun wollte; blos weil Durchlaucht gefragt hat: wie stehen Sie mit dem Doctor? als ob er nicht morgen fragen könnte: Wie stehen Sie mit Herrn von Zeisel?

Aber das ist doch unmöglich, sagte der Kanzleirath.

Woher weißt Du das? Woher weißt Du, ob er nicht blos hat hören wollen, daß es mit dem Doctor nichts ist, und ob er sich nicht sehr freuen würde, wenn er hört, daß es mit dem Herrn von Zeisel auch nichts ist? wenn er mit einem Worte –

Mit einem Worte? fragte der Kanzleirath erstaunt, als seine Frau plötzlich abbrach und eifrig nach der Veranda blickte.

Lieschen war in's Haus gegangen.

Frau Iffler nahm den Arm ihres Gatten und sprach in einer Aufregung, die dem Kanzleirath das Herz unter der weißen Weste unruhig klopfen machte:

Es steht oben nicht, wie Ihr immer sagt, trotzdem ich doch auch meine Augen im Kopfe habe und, Gott sei Dank, sehen kann; und der alte Gleich wird auch nicht umsonst so geheimnißvoll thun. Heute Morgen hat unser Kind bei ihr einen Besuch gemacht, um mit ihr quatre mains zu spielen, und weil sie Niemanden gefunden, der sie anmelden konnte und das schon öfter vorgekommen ist, geht sie ohne weiteres durch das Vorzimmer bis in ihren Salon, und da hat sie vor dem offenen Flügel gesessen, so vornübergebeugt, den Kopf in beide Hände gestützt, und Lieschen hat nicht anders gedacht, als sie sei über dem Spielen eingeschlafen, und ist leise herangetreten, und plötzlich hat sie sich aufgerichtet und ihr Gesicht ist ganz mit Thränen übergossen gewesen, und sie hat einen großen Schrecken gehabt, dann aber gleich zu lachen angefangen und gesagt: Lieschen solle sich nicht wundern, sie habe eben, ich weiß nicht was, gespielt, und das habe sie so traurig gemacht. Aber Lieschen sagt: sie sei gewiß, daß sie aus einem anderen Grunde geweint habe; und es ist auch aus dem Spielen nicht viel geworden, denn nach einer Viertelstunde hat sie gesagt: sie habe so arge Kopfschmerzen und Lieschen möchte doch an einem der nächsten Tage wiederkommen. Aber Du hörst schon wieder nicht zu, Iffler!

Doch, doch, sagte der Kanzleirath, wenn ich auch in der That nicht weiß –

So warte doch nur einen Moment! sagte Frau Iffler. Also Lieschen hat sich empfohlen, und weil sie nun schon einmal eine Stunde frei gehabt, den Umweg durch den Schloßgarten und unten durch den Wildpark machen wollen, und so ist sie die Terrasse hinabgegangen und dann an der Roda hin und hat noch immer bei sich gedacht: was es wohl da oben gegeben haben müsse, als sie plötzlich, wie sie um den Schwanenfels biegt – weißt Du, gerade der ersten Wildhütte gegenüber, wo der Weg so schmal ist – Durchlaucht in der Felsengrotte sitzen sieht, den Hut neben sich auf der Bank und das Gesicht in beide Hände gedrückt, gerade wie sie vorhin am Flügel gesessen hatte, so daß Lieschen, die schon dicht vor ihm gestanden, auf den Tod erschrocken gewesen ist und nicht gewußt hat, was sie um Alles in der Welt nun anfangen solle; und plötzlich hat er aufgeblickt, gerade Lieschen in's Gesicht, und Lieschen schwört, daß er beide Augen voll Thränen gehabt, gerade wie sie oben, und so sonderbar ausgesehen hat, daß Lieschen es gar nicht beschreiben kann. Dann hat er sich natürlich gleich zusammengenommen und angefangen von dem schönen Morgen zu sprechen und wo Lieschen herkomme und wo sie hin wolle, und so ist er den ganzen Weg an der Roda hin mit ihr bis an das Wärterhäuschen am unteren Parkthor gegangen und hat fortwährend die sonderbarsten Reden geführt: daß es nur ein Unglück auf Erden gebe, wenn man von Niemandem geliebt werde, und daß Lieschen, wenn sie heirathe, ihren Mann gewiß recht lieben würde, weil sie ein so gutes und bescheidenes Mädchen sei; und als Lieschen, um doch nicht ganz stumm zu bleiben, gesagt hat, ich werde niemals heirathen, Durchlaucht, ist er stehen geblieben und hat sie wieder so sonderbar angesehen und gesagt: sie müsse heirathen, sie würde ihren Mann sehr glücklich machen. Dann hat er ihr wiederholt die Hand gedrückt und ist langsam zurückgegangen, und Lieschen sagt, sie habe noch aus der Ferne gesehen, wie er sich noch ein paarmal mit dem Taschentuch über die Augen gewischt. Ist das nicht sonderbar?

Sehr, sehr sonderbar, erwiederte der Kanzleirath. Aber was schließt Du daraus?

Ich schließe daraus, sagte Frau Iffler, daß ich Recht habe und daß der Krug so lange zum Wasser geht, bis er bricht, und daß noch lange nicht aller Tage Abend ist.

Sehr wahr, sehr wahr, sagte der Kanzleirath, aber –

Du wirst mich noch umbringen mit Deinem Aber, sagte Frau Iffler heftig. Freilich, ich sollte es schon längst wissen, daß Du keinen Funken von Liebe für Dein Kind in der Brust hast, wenn Du auch hundertmal wiederholst, daß sie eigentlich gar nicht verheirathet sind, da Durchlaucht nicht einmal um den Consens beim Könige eingekommen ist, und daß sie jeden Augenblick auseinandergehen können, ohne daß sie sich scheiden zu lassen brauchen. Und auf dem letzten Hofball vergangenen Winter hat er sich auch eine halbe Stunde mit ihr unterhalten, so daß es schon damals aller Welt auffiel; und ich möchte doch wahrhaftig wissen, was so Eine, von der man kaum weiß, wer ihre Eltern waren, vor unserem Lieschen voraus hat, das so wunderhübsch singt und Clavier spielt, und Französisch und Englisch liest und Gedichte macht, und sich in grünem Sammet ausnehmen würde wie eine Prinzeß, wenn sie auch nicht reiten kann, was sich Alles nachholen läßt, wofür ich schon sorgen würde. Aber dafür ist mein Vater auch fürstlicher Hofprediger gewesen, und Dir wird man den Rothebühler Stadtschreibersohn immer ansehen, und Art läßt nicht von Art.

Frau Iffler warf einen grimmigen Blick auf ihren Gatten und eilte den Gang hinauf nach dem Hause, von wo die klare Stimme Herrn von Zeisels, der eben angekommen war, ertönte.

Der Kanzleirath war wie vom Donner gerührt stehen geblieben; die wunderbare Perspective, welche eben vor ihm aufgethan war, hatte ihn vollständig geblendet. Er hatte ein dunkles Gefühl, daß, was seine Frau da zuletzt gesagt, durchaus windig, närrisch und – sozusagen – abscheulich unmoralisch sei. Und in demselben Moment rückte er seine Brille höher und blickte nach dem Schlosse hinauf, um dessen hohe Zinnen der letzte Abendschein spielte.

Verheirathet sind sie im Grunde genommen nicht, murmelte er, und Lieschen würde sich in einer dunkelgrünen Sammetrobe wunderschön ausnehmen; und reiten könnte sie in der That auch noch lernen.

Papa, Papa! ertönte eine sentimentale Stimme ganz in seiner Nähe.

Der Kanzleirath wachte aus seinem Traum auf.

Vor ihm stand Lieschen, die blassen Wängelein ungewöhnlich geröthet, die lichtblauen Augen von einem lebhafteren Glanz erhellt.

Wo bleibst Du denn, Papa? Herr von Zeisel ist schon lange hier und eben kommt auch Doctor Horst. Warum siehst Du mich so sonderbar an, Papa? Gefällt Dir mein Anzug nicht? Herr von Zeisel hat mir schon die schönsten Complimente darüber gemacht.

Du verdienst, in Sammet und Seide zu gehen, murmelte der Kanzleirath mit gerührter Stimme.

Wie meinst Du, Papa?

Armes unschuldiges Kind! armes unschuldiges Kind! murmelte der Kanzleirath, die junge Dame an sich ziehend und ihr einen Kuß auf die Stirn hauchend.

Gott, Papa, Du zerdrückst mir ja meine neue Schleife, rief Lieschen, sich etwas ärgerlich aus der väterlichen Umarmung befreiend und eilig nach dem Hause zurückkehrend.

Die lautere Unschuld! sagte der Kanzleirath, seinen Kragen zurechtzupfend. Es ist das eine sonderbare Lage, eine ganz merkwürdige Lage. Zwei Freier auf einmal und im Hintergrunde – man muß eine abwartende Position einnehmen; man muß transigiren, man darf sich auf keinen Fall engagiren, auf keinen Fall.

Die Gesellschaft war beim Nachtisch.

Herr von Zeisel erzählte die närrischsten Geschichten und wußte dann wieder so gefühlvoll zu sprechen und mit seiner reizenden Tenorstimme die ersten Tacte von den neuen Liedern anzuschlagen, die er selber dichtete und componirte, daß Lieschens kleines Herz entschieden nach der linken Seite hin schlug, wo der bezaubernde Cavalier saß und an seinem blonden Schnurrbärtchen drehte. Aber dennoch war Lieschen nicht ganz sicher, ob sie nicht auch Ja sagen würde, wenn der ernste Doctor zu ihrer Rechten das entscheidende Wort zuerst sprach. Der Doctor war nach ihrem Vater ganz unbestritten der angesehenste Mann auf Schloß Roda, in dem Städtchen Rothebühl und in der ganzen Umgegend bis weit das Thal der Roda hinab, bis hoch hinauf in die einsamsten Dörfer des Waldes. Auch war Frau Doctor ein schöner Titel, der fast so gut klang wie gnädige Frau, umsomehr, als Herr von Zeisel das Rittergut, welches zu der gnädigen Frau gehörte, mit seinem kleinen fürstlichen Kammerjunkergehalt – und andere Ressourcen hatte er nicht – schwerlich würde kaufen können.

So wurde es denn der jungen Dame, wenn auch nicht ohne einige Mühe, möglich, den beiden Herren gegenüber jene liebenswürdige Unparteilichkeit zu bewahren, welche sie sich zur Regel gemacht hatte und die auch von ihren Eltern noch immer gebilligt worden war.

Sie hatte mit dem heute Abend noch ganz besonders ernst gestimmten Doctor über die Mühseligkeiten des ärztlichen Berufs gesprochen und war dann wieder auf die Scherze des Herrn von Zeisel mit mädchenhafter Schüchternheit eingegangen. Wie erstaunt war sie nun, als die Mutter ihr durch Stirnrunzeln, Kopfschütteln und Augenwinken deutlich zu verstehen gab, wie sie mit ihrer Haltung keineswegs einverstanden sei, und der Vater, bei dem sie sich in ihrer Verlegenheit Rath erholen wollte, ihr nur mit Augenwinken, Kopfschütteln und Stirnrunzeln antwortete.

Sie versuchte es jetzt, indem sie den Ton wechselte, den Doctor wegen seiner Melancholie neckte und Herrn von Zeisel ermahnte, endlich einmal den Ernst walten zu lassen, der doch die Grundstimmung eines Mannes sein müsse; aber das arme Mädchen konnte es heute den Eltern nicht recht machen. Die Geberden der Mutter nahmen einen immer bedrohlicheren Charakter an und die Augenbrauen des Vaters erreichten fast den Rand der dunkelblonden Perrücke.

In ihrer gänzlichen Rathlosigkeit verstummte Lieschen gänzlich und hatte nichts zu erwiedern, als die Mutter jetzt erklärte, daß das liebe Kind den ganzen Tag die heftigsten Kopfschmerzen gehabt habe, und es die höchste Zeit für sie sei, sich zurückzuziehen.

Herr von Zeisel war außer sich über ein so trauriges Ende eines so reizenden Abends und erklärte, noch mindestens eine Flasche auf das specielle Wohl des Fräuleins trinken zu wollen; der Doctor schien in seiner düsteren Zerstreutheit die Entfernung der Damen kaum bemerkt zu haben; so mußte denn der Kanzleirath nothgedrungen die Herren, welche keine Miene zum Aufbruch machten, dringend ersuchen, doch noch nicht aufbrechen zu wollen, und eine frische Flasche entkorken.

Im Grunde ist es mir lieb, daß wir noch einen Augenblick zusammen bleiben, sagte Herr von Zeisel. Ich habe schon den ganzen Abend eine Frage auf den Lippen gehabt, die sich doch in Gegenwart der Damen nicht wohl aussprechen ließ. Ich bitte Sie um Himmelswillen, meine Herren, sagen Sie mir, wenn Sie können, was war das heute bei Tafel für ein sonderbarer Ton zwischen Durchlaucht und der gnädigen Frau?

Der Kanzleirath, welcher selbst viel darum gegeben haben würde, hätte er die Frage beantworten können, nickte geheimnißvoll. Hermann war aufgestanden und schritt auf dem Gartenwege vor der kleinen Veranda hin und her.

Ihr Herren hüllt Euch in geheimnißvolles Schweigen, rief der Cavalier, ärgerlich lachend, und das ist nicht recht. Ihr habt wahrhaftig nicht Ursache, Euch mir gegenüber in dieser Weise zuzuknöpfen, sobald auf gewisse Dinge die Rede kommt.

Nichts könnte meiner Absicht weniger entsprechen, sagte der Kanzleirath würdevoll. Wer könnte tiefer als ich die Solidarität empfinden, welche uns Alle gleicherweise an die durchlauchtige Person unseres gnädigsten Herrn bindet? Wer könnte mit größerer Sorge als ich diesem Besuch entgegensehen?

Wer? sagte von Zeisel mit schlauem Lächeln. Nun, ich dächte doch, die gnädige Frau –

Wollen wir nicht aufbrechen? sagte Hermann, an den Tisch tretend.

Aber so bleiben Sie doch noch ein wenig, rief der Cavalier, den Doctor auf den Stuhl zurückziehend. Ich wette, Sie möchten ebenso verteufelt gern wissen, wie ich, warum die gnädige Frau von dem Augenblicke an, als die Nachricht von dem Tode des jungen Grafen Casimir Tyrklitz einlief und der Steinburger Erbherr wurde, und nun gar, seitdem der Besuch auf's Tapet kam, so ganz augenscheinlich den schönen Kopf hangen läßt und noch ein wenig düsterer als sonst aus den schönen Augen schaut. Ich meine, ihr könnte es ganz gleich sein, ob die Tyrklitzer oder die Steinburger Linie erbt. Und doch müssen da zweifellos persönliche Interessen mit im Spiele sein; aber welche? Ich wüßte Niemanden, der uns darüber Auskunft geben könnte, wenn nicht hier unser verehrter Wirth, welcher damals, als sich die Sache in Wiesbaden anspann, von Anfang bis zu Ende dabei gewesen ist. Was da, Kanzleirath, knöpfen Sie sich einmal auf! Wir sind ja unter uns. Ist es wahr, daß Durchlaucht wirklich im Anfang an eine Ehe rechter Hand gedacht und die Sache zu Stande gekommen sein würde, wenn der Steinburger sie nicht hintertrieben hätte?

Es war eine schwache Stunde im Leben unseres gnädigen Herrn, sagte der Kanzleirath, an seinem Glase nippend.

Ich habe ein Faible für schwache Stunden, rief der Cavalier, und ich beschwöre Sie, Herr Kanzleirath, bei diesem Mondschein, der so discret durch den venezianischen Epheu fällt, bei dem Gesang der Nachtigall, der so verführerisch aus dem Schloßpark herübertönt, beschwöre ich Sie, Kanzleiräthchen, geben Sie uns die Erzählung der schwachen Stunde unseres Herrn!


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