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Fünfzehntes Kapitel.

In derselben Stunde als der Cavalier die sonnige Chaussée nach dem Schlosse hinaufsprengte, ritt Hermann langsam durch den schattigen Wald nach der Fasanerie.

Es war derselbe Theil des Waldes, durch den er vorgestern Abend gekommen war, das Herz so voll unaussprechlichen Leides, daß er des tosenden Sturmes nicht geachtet hatte; und heute Morgen war die zauberhafte Schönheit des Ortes und der Stunde, der wolkenlose Himmel, der zwischen den Wipfeln der Riesentannen herniederblaute, die goldenen Lichter, die durch die smaragdnen Zweige schlüpften und auf den moosigen Stämmen spielten, die duftigen Schatten in den Waldgründen, der Gesang der Vögel, der wonnesame Duft der warmen Waldesluft – war Alles für ihn verloren, oder er empfand es nur, wie man den wohlgemeinten Zuspruch eines Freundes empfindet, der heiter von heiteren Dingen spricht, während wir unablässig den trüben Gedanken nachhangen, die unsere verdüsterte Seele zur Wohnstatt erwählten.

Gestern noch hätte ihn der Gedanke, sie unter vier Augen sprechen zu sollen, in die größte Aufregung versetzt; ja er würde freiwillig nicht eine Stunde heraufbeschworen haben, die für ihn kein Glück mehr war, die für ihn und, wenn nicht Alles täuschte, auch für sie nur eine Qual sein konnte. Jetzt aber handelte es sich nicht um ihn; er war sich bewußt, daß auch nicht der Schatten einer Hoffnung, eines Wunsches, der sich auf ihn selbst bezog, in seiner Seele zu finden war, so wenig wie eine Wolke droben am blauen Himmel.

Und so mußte er freilich gesinnt sein, wenn er den Muth haben sollte, sein Pferd weiter bergan schreiten zu lassen, wenn er jetzt absteigen und das Gatter am Fasaneriepark öffnen, und, das Pferd am Zügel führend, unter den ungeheuren hundertjährigen Eichen den Weg zu Prachatitz' Häuschen einschlagen sollte.

Er fand den Alten unter dem großen offenen Schuppen an einem der Holzhäuschen beschäftigt, in welche zur Nacht die Puter mit ihrer Fasanenbrut getrieben wurden. Die Miene des Alten, den man sonst selten lächeln sah, war heute beinahe heiter.

Sehen Sie, Herr Doctor, sagte er, hier hat heute Nacht ein Marder hineingewollt, in dieses Astloch hier, das ich alter Graubart übersehen habe; und nun schauen Sie da mal hin, da hängt der Schelm bereits, oder doch sein Balg, was auf dasselbe hinauskommt. Ich habe heuer rechtes Glück mit meinen Fasanen; noch ist außer den fünf gleich im Anfang keines daraufgegangen, und sie sind jetzt so derb, daß ihnen nicht mehr viel passiren kann. Sehen Sie nur.

Prachatitz zeigte auf eine Kette Küchlein, die munter durch die Büsche schlüpften, während die Puterhenne mit dem Strick am Bein ängstlich hinterdrein schritt.

Ist es nicht ein Stolz? sagte er, sich die braunen Hände reibend, und fügte dann, als schäme er sich seiner Heuchelei, in demselben Athem hinzu: Sie hat auch ihre Freude dran gehabt, vorhin, und ich bin so froh, daß ich sie endlich einmal habe lächeln sehen und daß sie wieder malen will wie in den guten Tagen, bevor diese Wirtschaft über uns hereinbrach. Und sie wird sich gewiß auch recht freuen, Sie zu sehen, kommen Sie nur, Herr Doctor, ich will Sie gleich melden.

Hermann folgte dem Alten, der schnellen Schrittes vorausging. Es war doch ein eigner Zauber, der dieses schöne Wesen umgab, ein Zauber, dem sich Niemand, wie es schien, entziehen konnte und dessen Macht er selbst, so sehr er sich dagegen sträubte, jetzt wiederum spürte an dem unruhigen Schlagen seines Herzens, und immer stärker spürte, je mehr er sich dem Pavillon näherte.

Und, sagte der Alte, plötzlich stehen bleibend und seine Stimme senkend, was mir da vorgestern durch den Kopf gegangen ist, das ist doch Alles Hirngespinnst und Teufelsspuk gewesen, und ich habe es ihr heute, als ich so vor ihr stand und ihr in die reinen Augen schaute, so recht von Herzen abgebeten. Und Sie, Herr Doctor, wollte ich noch recht schön bitten, daß Sie mir es nicht nachtragen und zu vergessen suchen, was ich, wenn mich der Teufel reitet, für ein grundschlechter Kerl sein kann. Kommen Sie nur gleich mit hinauf, Herr Doctor, sie wird Sie gewiß sprechen wollen.

Prachatitz ging die Treppe zum Theehause hinauf; langsam folgte ihm Hermann. Der Gang war doch schwerer, als er gedacht.

Endlich stand er oben vor einer der drei großen Fensterthüren, durch welche Prachatitz eingetreten war und die er weit offen gelassen hatte.

Da stehst du abermals an der Schwelle, die dein Fuß nicht wieder betreten sollte, sprach er bei sich, und wenn, was dich hiehergeführt, die selbstsüchtige Schwäche wäre, welche die Menschen Liebe nennen, du würdest dir selbst der Verächtlichste der Menschen sein. Gott sei Dank! Die Liebe hat mit diesem Schritt nichts zu thun.

Die gnädige Frau bittet Sie, in dem Saal zu warten; sie wird gleich kommen, sagte Prachatitz. Sie sitzt so in ihren Malsachen, fügte er wie zur Entschuldigung hinzu. Hedwig hatte früher oft genug Hermann in ihrem Atelier empfangen.

Prachatitz war gegangen. Hermann stand in der Rotunde und ließ seinen Blick mechanisch über die alten Gobelintapeten schweifen, über die Marmorvasen und Marmorbilder in den Nischen, über all die verblichene Pracht des fürstlichen Raumes, als sähe er das zum erstenmale. Eine seltsame Erstarrung hatte sich seiner bemächtigt; er versuchte sich zurückzurufen, was ihn hiehergeführt, was er ihr hatte sagen wollen. Es war vergebens; er wußte nur, daß er sie wiedersehen sollte, daß dies die Thür war, durch welche sie kommen würde, und daß die Zeit stillstand, bis sie kam.

Die Tapetenthür wurde geöffnet, Hedwig trat herein in sommerlich hellem Kleide und kam mit ausgestreckter Hand auf ihn zu, schön wie immer, und doch – der Zauber war gebrochen. Er wußte wieder, was er sollte, was er wollte, und daß die Wirklichkeit ihn nicht übermannen konnte, wie seine Träume es thaten.

Sie kommen, Abschied zu nehmen, sagte Hedwig, nachdem sie sich ein paar Momente stumm gegenüber gesessen hatten.

Ihre tiefe Stimme zitterte ein wenig, als sie das sagte und eine leichte Blässe flog über ihr Gesicht; aber als müßte sie diese Schwäche so schnell als möglich überwinden, fuhr sie, ohne Hermanns Antwort abzuwarten, fort:

Sie haben einen weiten Weg nicht gescheut, mich hier in meiner Einsamkeit aufzusuchen, in die ich mich geflüchtet habe, dem Wirrwarr unten auf ein paar Stunden zu entrinnen.

Um Hermanns Lippen zuckte ein bitteres Lächeln. Sie war die Einzige gewesen, die gestern keine Theilnahme an seinem Unfalle gezeigt; sie hatte auch heute kein Wort dafür. Er existirte eben nicht mehr für sie. Aber er wußte es ja längst, daß es so war, mochte es denn sein.

Ich bitte um Verzeihung, wenn ich Ihre Muße in so unliebsamer Weise störe, sagte er. Was mich zu Ihnen führt, ist eine Angelegenheit, die leider für ein ruhebedürftiges Gemüth sehr wenig geeignet ist und von der ich deshalb zum voraus bemerke, daß dieselbe mich nicht persönlich betrifft.

Auch nicht mich? sagte Hedwig, und es zog eine Wolke über ihre Stirn.

Auch nicht Sie, erwiederte Hermann, wenigstens nicht direct, obgleich freilich Ihre Betheiligung unbedingt nothwendig ist.

So wird es vielleicht das Beste sein, wenn Sie mich hören lassen, was es ist.

Sie hatte sich in den Fauteuil zurückgelehnt, die linke Hand im Schoß, während die rechte mit der Schärpe spielte. Die großen Augen ruhten voll auf Hermann mit einem finstern, fast drohenden Ausdruck, als sei sie willens, ihm bei dem ersten Wort, das ihr mißfallen würde, die gegebene Erlaubniß wieder zu entziehen.

Ich will mich bemühen, möglichst kurz sein, sagte Hermann, und, kann ich es doch nicht vermeiden, etwas weiter auszuholen, so muß mich eben die Schwierigkeit der Sache, um die es sich handelt, entschuldigen. Es handelt sich aber um Folgendes: Ich sehe den Fürsten auf einem Wege, auf welchem ihn Niemand, der es gut mit ihm meint, sehen kann, ohne ihn zu warnen, wenn er darf; ohne ihn von demselben abzuwenden, wenn er kann. Das erste habe ich gethan; es ist vergebens gewesen. Ich weiß Niemanden, der zu dem zweiten im Stande wäre, außer Sie, gnädige Frau, und ich wende mich deshalb an Sie.

Ich glaube zu wissen, was Sie sagen wollen, erwiederte Hedwig, und glaube auch zu wissen, daß Sie in einem Irrthum befangen sind; aber bitte, sprechen Sie weiter.

Sie kennen die politischen Gesinnungen des Fürsten, fuhr Hermann fort, kennen sie vermuthlich besser als ich, der ich wohl wußte, daß er Preußen hasse, aber nicht wußte, daß dieser Haß grenzenlos sei, daß dieser Haß selbst die Schranken überrenne, die dem Patrioten ein für allemal gesetzt sind. Ich weiß es jetzt –

Sie hatte die Schärpe aus der Hand gleiten lassen, ihr Gesicht trug nur noch den Ausdruck gespanntester Aufmerksamkeit.

Seit heute Morgen weiß ich es, fuhr Hermann fort. Der Fürst hatte mich zu ungewöhnlich früher Stunde zu sich bescheiden lassen; er empfing mich in seinem Schlafzimmer. Das Bett war unberührt. Die fieberhafte Aufregung, in der er sich befand und die er vergebens vor mir zu verbergen suchte, bewies mir ohnedies, daß er die Nacht nicht geschlafen haben konnte. Ich will Ihnen, gnädige Frau, nicht die Unterredung, welche jetzt zwischen ihm und mir stattfand, ausführlich wiederholen, ich wäre das auch vielleicht nicht einmal im Stande; ich will nur sagen, daß ich die Mittheilungen, die mir der Fürst machte, eher für die Phantasien eines Fieberkranken, als für die wohlerwogenen Entschlüsse eines staatsmännischen Kopfes halten mußte. Der Fürst versicherte mich mit einer Bestimmtheit, die ihre Quelle nicht in den Zeitungsnachrichten haben konnte, welche uns bis jetzt vorliegen, daß der Krieg zwischen Frankreich und Preußen in Paris beschlossene Sache und also unvermeidlich sei; daß dieser Krieg in der allernächsten Zeit schon zum Ausbruch kommen werde. Er machte mich weiter mit den extravaganten Hoffnungen bekannt, die er an diesen Krieg knüpft; wie Oesterreich, Italien, Dänemark zu Frankreich halten, ganz Süddeutschland, Hannover, Hessen, Schleswig-Holstein sich erheben und das preußische Joch abschütteln würden; und weiter theilte er mir die Entschlüsse mit, die er selbst für diese Eventualität gefaßt habe: daß er kraft seines legitimen Rechtes, welches ihm keine Vergewaltigung habe rauben können, sich auf die Seite stellen werde, wo er das Recht und die Ehre erblicke; daß er hoffe, sein Beispiel werde das Signal des Losbruchs für unsere ganze Landschaft sein, und, wenn er sich ja in dieser Annahme täusche, er für seine Person, ganz allein, wenn es denn so sein müsse, sich an dem Kampfe gegen Preußen betheiligen wolle. Schließlich machte er mir, von dem er voraussetzte, daß ich seine Ansichten, seine Hoffnungen, seine Entschlüsse unbedingt theile, billige, das Ansinnen einer Mission, über die ich um des Fürsten willen schweigen und nur so viel sagen will, daß ich dieselbe auf der Stelle ablehnte, und dies mit einer Heftigkeit, die ich sofort bereute.

Weiter, weiter! sagte Hedwig.

Nicht, als ob ich jemals anders denken könnte, fuhr Hermann fort, sondern weil ich mir dadurch meine Position unnöthig erschwert hatte. Der Fürst wußte jetzt, daß er auf mich nicht zählen könne und er sagte mir, daß er bereue, so weit gegangen zu sein, und daß es meine Pflicht gewesen, ihn früher zu unterbrechen, bevor er mir sein Geheimniß enthüllt. Ich nahm diese Kränkung ruhig hin; ich dachte wahrlich in diesem Augenblicke an nichts weniger als an mich. Ich dachte nur, daß es meine Pflicht sei, zu versuchen, so viel in meiner Kraft stand, einen Herrn, den ich liebte und verehrte, vor dem augenscheinlichsten Verderben zu warnen. Ich habe diese Pflicht erfüllt, gnädige Frau, so schwer mir dieselbe auch durch den immer heftiger auflodernden Zorn des Fürsten gemacht wurde. Ich habe ohne jede andere Rücksicht als die, welche der jüngere Mann dem älteren schuldig ist, gesprochen. Ich habe dem Fürsten zu beweisen gesucht, daß es jetzt, wo es sich um einen Krieg mit Frankreich handle, ganz anders liege als Sechsundsechszig; ich habe ihm gesagt, daß er sich zum Spielball in den Händen gewissenloser Abenteurer hergebe; ihm den Beweis geführt, daß mindestens Herr Rosel, den ich von früher kenne und der diese Bekanntschaft zu erneuern die Frechheit gehabt, ein solcher Abenteurer der schlimmsten Sorte sei; ich habe mich zuletzt nicht gescheut, das Wort auszusprechen, daß ein solches Unterfangen für jetzt und alle Zukunft in den Augen jedes Patrioten brandmarken wird – das Wort Landesverrath – es ist Alles, Alles vergeblich gewesen.

Und wie schieden Sie von einander? fragte Hedwig.

Wie ich es nicht erwartet hatte, erwiederte Hermann, und doch nach meiner Kenntniß von der Herzensgüte und dem Seelenadel des Fürsten erwarten konnte. Ich war bereits an der Thür, als er mich wieder zurückrief und mit einem Händedruck, der fast eine Umarmung war, sagte: Sie meinen es doch gut mit mir, trotz alledem. Die Thränen standen ihm dabei in den Augen. Ich schäme mich nicht zu sagen, daß meine Rührung nicht minder groß war.

Und was haben Sie beschlossen? fragte Hedwig.

Zu beweisen, daß der Fürst sich nicht geirrt hat, wenn er annimmt, daß meine persönliche Liebe zu ihm jetzt nicht geringer ist als vorher, und sollte ich dabei wiederum die peinliche Rolle eines unbefugten und unbefragten Rathgebers übernehmen müssen.

So will ich Sie denn lieber direct um Ihren Rath fragen und bitten, sagte Hedwig. Was wünschen Sie, das ich thun soll?

Dasselbe, was ich gethan habe, erwiederte Hermann. Ich bitte Sie, daß Sie mit dem Fürsten sprechen, wie ich gesprochen, oder vielmehr, wie ich weiß, wie Sie sprechen können und sprechen werden.

Und wenn ich nun bereits gesprochen hätte, sagte Hedwig, gestern Abend, gleich nach dem Eintreffen der Nachricht – und mein Erfolg um nichts günstiger gewesen wäre als der Ihre?

So müssen Sie es noch einmal versuchen! erwiederte Hermann.

Muß ich das?

Sie war aufgestanden und schritt durch das Gemach bis zu einem der Fenster, in welchem sie stehen blieb. Plötzlich wendete sie sich wieder um und sagte mit Heftigkeit:

Weshalb muß ich?

Ich habe keine Antwort auf eine Frage, die Sie nur selbst beantworten können, sagte Hermann.

Er hatte sich erhoben, während Hedwig in der Rotunde auf- und abschritt, sich dann wieder zu ihm wendete und jetzt mit größerer Ruhe sagte:

Gesetzt, ich müßte, und ich wollte, was ich müßte, was spricht dafür, daß ich erreichen würde, was Sie, ein Mann, nicht erreicht haben, dessen Stimme in solchen Dingen doch ein ganz anderes Gewicht hat, als die einer Frau?

Verzeihung, erwiederte Hermann, ein Mann, und wäre er noch so wohlgelitten, vermag in solchem Moment wenig über einen Mann; aber viel, sehr viel eine Frau, die nicht an den Verstand, sondern an das Herz sich wendet, und diese Frau vermag Alles, wenn sie von dem Manne geliebt wird, wie der Fürst Sie liebt.

Eine flammende Röthe ergoß sich über Hedwigs schönes Gesicht und ihre Stimme klang sonderbar erregt, als sie nach einer kurzen Pause antwortete:

Wäre dazu nicht erforderlich, daß die Frau den Mann ebenso liebt, wie er sie, oder, was freilich auf dasselbe hinauskäme, daß der Mann sich ebenso von dieser Frau geliebt glaubt?

Gnädige Frau, erwiederte Hermann, ich weiß nicht –

Was Sie darauf erwiedern sollen, unterbrach ihn Hedwig. Weshalb nicht? Wir sind einmal auf einen Punkt gerathen, wo es nicht mehr hilft, sich zu verstecken. Wie nun, wenn weder das Eine noch das Andere der Fall ist? Wenn der Fürst in diesem Grade nicht von mir geliebt wird und sich nicht von mir geliebt glaubt, wie dann? Würde nicht Alles, was ich sage, sagen könnte, von vornherein vergeblich sein? Oder, wenn es das nicht sein sollte, müßte ich nicht einen Glauben erwecken, der einfach eine Täuschung wäre? Ja, würde ich eben durch meine Bitten, durch die herzlichen Töne, die ich anschlagen müßte, nicht nothwendig diese Täuschung hervorrufen? Und können Sie das von mir verlangen? Sie! – Sehen Sie, da liegt ein Widerspruch, den zu lösen Sie Ihren Scharfsinn vergebens aufbieten; und da liegt noch mehr: da liegt das Urtheil –

Sie unterbrach sich und sagte dann in ruhigerem Tone:

Nein, nein, es wäre ein schweres Unrecht, wollte ich in Ihrem guten Herzen eine Hoffnung erwecken, die nicht erfüllbar ist, und Sie dadurch abhalten, auf andere Mittel zu sinnen, wie man den Fürsten retten könnte. Hinge seine Rettung wirklich nur von mir ab, so wäre er verloren.

Weil du ihn nicht retten willst, sprach Hermann bei sich, während Hedwig wieder in dem Gemache auf- und abschritt; aber ich, ich darf den alten Mann nicht so leichten Kaufs verloren geben, und so mag denn auch noch das gesagt sein, entstehe daraus, was da will.

Verstatten Sie mir noch ein Wort, gnädige Frau, sagte er laut. Sie wissen, es ist das Schicksal der guten und vielleicht etwas schwachen Herzen, sich nicht beruhigen zu können, wenn nicht weniger gute, aber festere Herzen bereits ihr letztes Wort gesprochen haben. Ich hatte in diesen drei Jahren so reichlich Gelegenheit, den Fürsten zu studiren; es ist deshalb keine Anmaßung, wenn ich ausspreche, daß ich ihn genau zu kennen glaube. Der Fürst ist, so sehr er auch vom Gegentheil überzeugt sein mag, kein Staatsmann, nicht einmal ein Politiker. Bedürfte es dafür noch eines Beweises, so wäre es der gänzliche Mangel an Ruhe, an Selbstbeherrschung, den er heute Morgen mir gegenüber an den Tag gelegt hat; so wäre es die kopflose fieberhafte Hast, mit welcher er sich in ein so ungeheures Unternehmen stürzt. Aber es ist hier und jetzt wie immer und überall. Bei der unendlichen Erregbarkeit seiner Phantasie, bei der unglaublichen Empfänglichkeit seines Herzens verliert er nur allzu leicht die Sache, um die es sich handelt, aus den Augen. Niemandem liegt, wie ihm, die Gefahr so nahe, stets die Sache mit den Personen zu verwechseln. Es ist meine innigste Ueberzeugung, daß, mag er sich mit den französischen Emissären vorher noch so weit eingelassen haben, seine angeborne Bedenklichkeit ihn dennoch stets vom letzten, äußersten Schritt zurückgehalten hätte; daß selbst der Ausbruch des Krieges ihn schließlich heute ebensowenig wie Sechsundsechszig aus der Thatenlosigkeit eines langen Lebens aufrütteln würde. Was ihn bis zu diesem Grade der Leidenschaft entflammt, ist ein persönliches Moment, ist die tiefe Abneigung, ich darf wohl sagen: der Haß gegen den Grafen. Die Gegenwart dieses Mannes, welche durch das unseligste Verhängniß zusammenfallen mußte mit den anderen Momenten – das ist es, was ihn zu diesem Extrem treibt und ihn weiter und weiter treiben wird, bis von wo keine Umkehr mehr für ihn ist.

Hermann konnte den Ausdruck von Hedwigs Gesicht nicht mehr sehen, während er diese Worte sprach. Sie hatte die Stirn in die Hand gestützt und hob auch den Kopf nicht, als sie jetzt antwortete:

Ich habe Aehnliches schon selbst gedacht, aber was läßt sich dagegen thun? Der Fürst hat den Grafen eingeladen; er mußte wissen, was er that.

Er hat es offenbar nicht gewußt, sagte Hermann, wie mir denn diese Einladung bis auf den Augenblick ein vollkommenes Räthsel ist. Aber gleichviel: der Graf ist hier, und ich meine, jede Stunde, die er länger hier bleibt, ist für den Fürsten ein Schritt auf der Bahn zu seinem Verderben.

Der Graf geht am sechszehnten, sagte Hedwig.

Bis dahin ist vielleicht Alles längst entschieden.

Aber, mein Gott, rief Hedwig, in leidenschaftlicher Bewegung ihr Haupt emporrichtend, was verlangen Sie von mir? Ich kann den Grafen doch nicht wegschicken?

Warum nicht, gnädige Frau? Ich glaube, daß dazu ein Wink von Ihnen genügt.

Das Feuer aus Hedwigs dunklen Augen loderte Hermann entgegen; er hielt den Blick aus, ja, sein Herz pochte zornig, als er ruhig fortfuhr:

Ich meine, daß eine Andeutung von Ihnen, die Sie, gnädige Frau, ja viel geschickter machen würden, als ich es anzugeben im Stande wäre, für den Grafen genügen müßte und genügen würde.

Und Sie versprechen sich wirklich von diesem Schritt so viel?

Ich wüßte wenigstens für den Augenblick keinen anderen, geschweige denn einen besseren, sagte Hermann.

Nun gut, sagte Hedwig, das kann ich und will ich.

Ich danke Ihnen, erwiederte Hermann; danke Ihnen aus tiefstem Herzen um des edlen Mannes willen, der mir in diesen drei Jahren so theuer geworden ist, viel theurer, als ich es selbst gewußt, und der wahrlich zu gut ist, um einer phantastischen Laune – denn mehr sind seine politischen Aspirationen kaum – zum Opfer zu fallen. Und nun, da ich um seinetwillen ruhig scheiden darf, da Sie ihn retten wollen, die Einzige, die ihn retten kann – ich glaube, es ist dies das letztemal, daß ich, wie in alter Weise, als lästiger Bittsteller Ihnen ohne Zeugen nahen durfte – lassen Sie mich auch Ihnen Lebewohl sagen, gnädige Frau.

Hermanns Stimme bebte bei diesen Worten, wie sehr er auch nach Festigkeit rang. Hedwig schüttelte abwehrend den Kopf.

Nein, nein, sagte sie, nicht Lebewohl!

Wie, gnädige Frau?

Nicht Lebewohl! wiederholte Hedwig. Es wäre ja besser, viel besser für Sie – wenn Sie gingen, wenn Sie nie wieder mit einem Fuß jene Räume betreten, in denen für Sie nur Unheil brütet; aber eine Ahnung sagt mir, daß Sie nicht gehen werden, nicht gehen dürfen, daß nicht ich es bin, daß Sie es sind, der den Fürsten retten kann. Nein, blicken Sie mich nicht so fragend vorwurfsvoll an, ich werde halten, was ich versprochen, aber – gehen Sie jetzt, ich bitte!

Hermann war gegangen. Hedwig strich mit beiden Händen über ihr glühendes Gesicht und schaute mit irren Blicken um sich her. Plötzlich sprang sie auf und stürzte nach der Thür; sie mußte ihn zurückrufen, ihm sagen, daß sie den Grafen nicht liebe, daß sie es nicht ertragen könne, wenn er in diesem Glauben von ihr scheide, daß sie ihn Niemandem opfere. Es war zu spät; der Platz vor dem Pavillon war leer, kein Laut sich entfernender Schritte; Alles still, nur das Singen der Vögel in den sonnebeglänzten Bäumen.

Sie kehrte langsam zurück und ging in ihr Atelier. Sie hatte sich heute Morgen ihre Malsachen bringen lassen, um die Zeit, die mit bleierner Schwere auf ihr lag, um ein paar Stunden zu täuschen, und Prachatitz hatte das Atelier wieder ganz in der früheren Weise hergestellt, als wolle er sie einladen, zu ihren alten Gewohnheiten zurückzukehren. Auf der Staffelei stand das Bild, an welchem sie zuletzt gemalt. Sie schien es lange prüfend zu betrachten, aber ihre starren Augen sahen nichts – nichts als das schöne ernste Antlitz des Mannes, der sie so eben verlassen.

Du hättest ein besseres Loos verdient, murmelte sie; warum mußte dein Schicksal dich mir in den Weg führen, mich in deinen? Nun wird mein Schatten für immer dunkel in dein Leben fallen, wie dein Schatten in meines. Vielleicht habe ich dich nie verstanden. Guter, Edler! viel zu gut, viel zu edel für diese Welt des Lugs und Trugs, des Unrechts und der Gewalt! du kannst dich nur opfern; du hast es von je gethan, für deinen blinden König früher, wie jetzt für den alten Mann der nicht sehen will. Und Jeder nimmt dein Opfer an; wie sollten sie nicht; es ist ja so bequem! Und du zürnst niemals! Ja, wenn du zürnen könntest, wenn du dich besinnen könntest, wie stark du bist, und sie, die ohne dich und deinesgleichen nichts wären, in ihr Nichts zurückschleudertest! Aber ich, ich zürne für dich, daß du nicht zürnen kannst; ich will nicht, daß du so freundlich blickst; ich will nicht, daß du immer nur für Andere lebst! Wer weiß, wenn du für dich zu leben verstanden hättest, ob es jetzt nicht mein Stolz und meine Lust wäre, für dich zu leben, ob es nicht deine Schuld ist, wenn ich jetzt noch meine Ketten trage. Du hast mich dulden gelehrt; es war keine gute Lehre!

Sie trat an das offene Fenster, durch welches Wald und Wiese und die im Sommerduft verschwimmenden Berge und der tiefblaue Himmel zu ihr hereingrüßten. Sie breitete die Arme aus: ich komme, ich komme!

Sie eilte aus dem Gemach in die Rotunde, aus der Rotunde durch eine Tapetenthür in ein kleineres Hintergemach, aus welchem sie unmittelbar in das Grüne und in den Schatten der riesigen Bäume des Hügels trat, an den sich der Pavillon mit seiner Rückseite lehnte. Nun ging sie unter den Bäumen hin, eilenden Schrittes, einer Fliehenden gleich; plötzlich blieb sie wieder stehen. Was hatte er ihr doch zuletzt gesagt? was ihr aufgetragen? Das war es: sie sollte den Grafen fortschicken, und sie hatte es versprochen. Eine Kette wieder an den fliehenden Fuß! eine Kette, von ihm geschmiedet, der ohne Ketten nicht leben konnte und immer dafür sorgte, daß auch Andere nicht ohne Ketten seien. Und nun machte sich die überreizte Stimmung in Thränen Luft, deren sie sich schämte und die sie doch nicht zurückhalten konnte.

Ich bin nur ein Weib, rief sie; ich bin nur ein Weib!

Sie hatte sich in der von hohen Bäumen umdüsterten Allee, durch deren Ausgang man einen Theil des Theehauses wie in einem Medaillon eingerahmt erblickte, auf eine der Bänke sinken lassen. Ueber ihr säuselten die Winde in den Zweigen, rastlos sangen die Vögel, ein paar Fasanen huschten über den Weg; sie sah nichts, sie hörte nichts, in ihre verzweifelten Gedanken versunken, bis plötzlich ein Geräusch ertönte, wie der Hufschlag eines Pferdes. Erschrocken fuhr sie empor; vielleicht hundert Schritte von ihr tauchte aus einem schmalen Seitenpfade, der auf die Allee mündete, ein Reiter hervor; es war der Graf.

Ihre erste Regung war, zu fliehen, dann aber sagte sie sich alsbald, daß es zu spät sei, daß der Graf sie ohne Zweifel schon bemerkt habe, und daß, wenn er sie wirklich liebte, er in diesem Augenblicke mehr Ursache habe, sie zu fliehen, als sie ihn. Da gab auch er bereits seinem Pferde die Sporen, war in dem nächsten Augenblicke bei ihr, sprang aus dem Sattel und sagte:

Das nenne ich Glück, gnädige Frau! Ich reite nun schon eine Stunde die Kreuz und die Quer, da mir Niemand im Schlosse zu sagen wußte, wohin Sie gegangen, bis mir endlich einfiel, Sie könnten am Ende doch auf der Fasanerie sein – eine sehr entfernte Möglichkeit allerdings an diesem heißen Tage, indessen – da sind Sie nun und vor Allem: guten Morgen!

Er bot ihr die Hand, von dem er den Handschuh abgestreift hatte. Seine Augen glänzten und aus den glänzenden Augen und aus jedem Zuge des schönen männlichen Gesichts sprach die leidenschaftliche Liebe, die er für sie empfand, deren Hand er jetzt in der seinen hielt und noch lange gehalten haben würde, wenn Hedwig sie ihm nicht alsbald entzogen hätte.

Warum suchten Sie mich? fragte sie.

Der Graf antwortete nicht sogleich. Er hatte wohl das Abwehrende in Hedwigs Bewegung empfunden und den eisigen Ton, in welchem sie ihre Frage gethan; aber das war doch nur der Widerstand gewesen, der sich dem Waldbach entgegenstemmt und an dem seine schäumenden Wasser nur höher aufbrausen. Jedesmal, wenn er sie sah, glaubte er, sie nie vorher so schön gesehen zu haben; und jetzt, und hier, als sie ihm unter diesen Bäumen in der schattigen Einsamkeit des Parkes so plötzlich entgegentrat, überkam ihn wieder dieselbe Empfindung mit einer solchen Allgewalt, daß Alles um ihn her zu schwanken schien und er krampfhaft nach der Mähne seines Pferdes griff.

Warum ich Sie suchte? sagte er. Verzeihung, gnädige Frau, Ihr Anblick hat es mich wirklich vergessen machen.

Es war durchaus keine Phrase, was er sagte, und Hedwig wußte es. Aber welchen Eindruck das auch in einem anderen Moment auf sie gemacht hätte, ihre Seele war eben jetzt zu tief in die nächtliche Fluth der Schmerzen getaucht und die Sonne und die Liebe hatten keinen Theil an ihr.

Vielleicht besinnen Sie sich, sagte sie.

Ich habe mich besonnen, sagte der Graf.

Der Rausch war vorüber. Es hatte in den letzten Worten Hedwigs ein Hohn gelegen, der seinen Stolz jäh aufgeschreckt hatte. Um so gewaltiger und in seinem Sinne selbstloser die Leidenschaft eben in ihm aufgeglüht war, um so stärker war der Rückschlag. Ja, er fühlte jetzt deutlich, was er schon mehr als einmal dunkel gefühlt: Haß statt der Liebe, Haß gegen ein Wesen, das ihn nur anlockte, um ihn abzustoßen, um ihn vor sich selbst zu demüthigen. Sein Gesicht, das eben nur noch die innere Gluth seiner Seele wiedergestrahlt hatte, nahm einen finstern, drohenden Ausdruck an, und drohend klang seine Stimme, als er jetzt mit einem tiefen Athemzug fortfuhr:

Sie erinnern sich, gnädige Frau, was ich Ihnen gestern aus meinen Briefen mittheilte. Ich sagte Ihnen, daß man in Berlin die Situation für im höchsten Grade bedenklich halte. Nun schickt mir heute mein Correspondent, der übrigens kein Anderer ist als Baron Malte, den Sie kennen und dessen Stellung, wie Sie wissen, ihn in den Stand setzt, so gut unterrichtet zu sein, wie irgend Jemand, per Expreß folgenden Ausschnitt aus einem Telegramm, welches gestern Nachmittag im Ministerium des Auswärtigen angekommen und auf das ich Ihre Aufmerksamkeit lenken möchte.

Der Graf nahm aus seinem Portefeuille ein Blatt.

Es ist die Antwort Grammonts, sagte er, auf die angekündigte Interpellation; die ersten Zeilen sind weniger wichtig, doch hier, wenn Sie die Güte haben wollen: »Wir hoffen, daß diese Eventualität sich nicht verwirklichen wird; wir rechnen dabei auf die Weisheit des deutschen und die Freundschaft des spanischen Volkes; wenn es aber anders kommen sollte, so würden wir, stark durch Ihre Unterstützung und durch die der Nation, unsere Pflicht ohne Zaudern und ohne Schwäche zu erfüllen haben.«

Der Graf faltete das Blatt wieder zusammen und wartete, daß Hedwig etwas erwiedern werde; aber Hedwig antwortete nicht sogleich. Das Alles war so schnell gekommen, der Moment zu handeln so plötzlich vor sie hingetreten und in so anderer Gestalt als sie gedacht! Sie hatte vorhin, als sie Hermann das Versprechen gab, darauf gerechnet, daß sie mit dem Grafen ruhig werde reden können, daß sie im schlimmsten Falle, wenn ja das Gespräch eine persönliche Wendung nahm, dem zu begegnen wissen werde. Sie hatte sich geirrt; so durfte ein Gespräch nicht beginnen, das gut enden sollte; sie hatte die Leidenschaft des Grafen leidenschaftlich zurückgewiesen; wie war hier ein Einlenken möglich? Ihr Herz schlug zum Zerspringen; sie brachte nur mit Anstrengung die Worte hervor:

Und weshalb mir diese Mittheilung, Herr Graf, gerade mir?

Sie waren sonst in diesen Dingen scharfsichtiger, gnädige Frau, erwiederte der Graf. Sie haben mir noch gestern Abend eine Probe Ihres Scharfsinns gegeben. Gestern wußten Sie, ohne daß ich es Ihnen zu sagen brauchte, daß die eingelaufenen Nachrichten den Krieg zwischen Frankreich und Preußen bedeuten. Heute, wo der Krieg so gut wie erklärt ist, wissen Sie es nicht mehr, oder wollen es nicht wissen. Gleichviel. Mir geht es hier wie den Männern in Paris: ich muß meine Pflicht ohne Zaudern und ohne Schwäche erfüllen. Diese Pflichterfüllung würde mir nun verhältnißmäßig leicht werden, wenn Sie die Gnade hätten, mich dabei zu unterstützen; und ich bin jetzt in der peinlichen Lage, gnädige Frau, Sie direct fragen zu müssen, ob ich auf Ihre Unterstützung hoffen darf oder nicht?

Und worin bestünde meine Unterstützung? fragte Hedwig.

Auch das muß ich Ihnen sagen! rief der Graf. Nun gut, Sie sollen wenigstens nicht darüber zu klagen haben, daß ich Ihnen etwas verschwiegen. Ich würde eine Unterstützung meiner Absichten darin sehen und würde Ihnen dankbar sein, wenn Sie den Fürsten darauf aufmerksam machen wollten, daß man bei einem so hohen und möglicher Weise so gefährlichen Spiel seine Karten nicht so offen zeigen darf, wie er es gestern Abend gethan und wie er es, wenn Sie wollen, diese ganze Zeit gethan hat und –

Ich kann darüber mit dem Fürsten nicht reden, sagte Hedwig; nach gestern Abend – wo ich ihm sofort mittheilte, was Sie mir gesagt, um von ihm auf das schärfste zurückgewiesen zu werden – kann ich es nicht mehr.

Die Sache liegt heute anders und schlimmer als sie gestern lag, erwiederte der Graf; vielleicht würden Sie heute gnädigeres Gehör finden.

Sie müssen mir verzeihen, Herr Graf, wenn ich, die ich den Fürsten besser kenne, darüber anderer Meinung bin.

Ich hätte Ihre Macht über den Fürsten höher angeschlagen, sagte der Graf, indessen, Sie müssen das besser wissen; und wenn Sie mich versichern, daß Sie nach dieser Seite hin nichts über ihn vermögen, so habe ich mich zu bescheiden. Aber das werden Sie doch dürfen, gnädige Frau: als Dame des Hauses den Herrn des Hauses auf eine gesellschaftliche Unschicklichkeit – verzeihen Sie das Wort, ich weiß kein anderes zu finden – aufmerksam machen?

Herr Graf!

Ich bitte noch einmal um Verzeihung, aber es handelt sich hier nicht um Worte, sondern um Thatsachen, und ich meine, es ist eine Thatsache, die vor Aller Augen liegt, welche sehen wollen, daß es gegen die Gesetze der Schicklichkeit verstößt, mich hieher einzuladen und mir zur Gesellschaft den Marquis de Florville zu geben; oder besser, mich in der Gesellschaft dieses Herrn zu lassen, nachdem die Lage der Dinge eine Wendung genommen hat, wo er und ich ohne die peinlichsten Inconvenienzen uns nicht mehr wohl auf dem Boden eines und desselben Zimmers bewegen können. Sie erlassen mir sicherlich, gnädige Frau, den Beweis für eine so einfache Sache, ebenso wie Sie es mir erlassen, die einfachen Folgerungen aus diesen Prämissen zu ziehen.

Der Graf blieb stehen, verbeugte sich, die Hand an der Mütze; und, sich von Hedwig abwendend, fing er an, die Zügel seines Pferdes zu ordnen.

Hedwig hatte ein paar Schritte gethan in grenzenloser Verwirrung. Das Gespräch hatte genau die entgegengesetzte Wendung von der genommen, welche sie demselben hatte geben wollen, welche sie demselben geben mußte, wenn sie ihr Versprechen erfüllen, und mehr als das: wenn sie die Lage ändern wollte, deren Gefahr ihr nie so klar gewesen war als jetzt. Wenn der Graf so von ihr ging, voll Zorn, tief beleidigt, stand Alles zu befürchten, mußte eine Katastrophe erfolgen. Und doch, was sollte sie thun? Ihm gute Worte geben, sich auf's Bitten legen, von ihm erbitten, was jetzt geradezu wie ein Hohn klang? Und doch, und doch!

Herr Graf, sagte sie, sich umwendend, einen Augenblick!

Sie befehlen, gnädige Frau? sagte der Graf, den Fuß, den er bereits in dem Bügel hatte, zurückziehend.

Ich wollte Ihnen eine Bitte vorlegen, die –

Eine Bitte? Von Ihnen? Nun, gnädige Frau, das ist etwas so Neues in Ihrem Munde – Sie machen mich in der That neugierig.

Um seinen Mund zuckte, um seine Augen blitzte es. Hedwig wußte, daß es sie nur ein Wort kostete und der stolze Mann lag zu ihren Füßen; sie konnte von ihm verlangen, was sie wollte; aber sie konnte, sie wollte das Wort nicht sprechen, das sie zur Sklavin machte, und wäre es auch nur eine Lüge.

Herr Graf, sagte sie, ich wende mich an Ihren Edelmuth, an die Großmuth, die dem Starken ziemt und die er sich verstatten darf, weil man ihn deshalb noch nicht der Schwäche zeihen wird. Was Sie von mir fordern, ist unmöglich. Den Fürsten auffordern, seine französischen Gäste wegzuschicken, heißt: ihm zumuthen, einzuräumen, daß er – wie Sie selbst sagten – eine Unschicklichkeit begangen hat; ja noch mehr, heißt: ihn zwingen, einzugestehen, daß seine Politik eine Thorheit, vielleicht etwas viel Schlimmeres ist. Das können Sie von dem Fürsten, und wenn von dem Fürsten, so können Sie es von dem alten Mann nicht verlangen, der ein langes Leben vergrollt hat, auf den die ungeheure Last eines so furchtbaren Schicksals drückt, gleichviel ob verdient oder unverdient. Er hat die Kraft nicht mehr, sich aufzuraffen; er kann nicht mehr ein Anderer werden, als er ist. Und das verlange ich auch nicht von Ihnen; Sie sollen ja bleiben, der Sie sind, und werden es bleiben, auch wenn Sie den Fürsten schonen, wenn Sie thun, als sähen Sie nicht, was Sie sehen. Und Sie können das so leicht; Sie brauchen nur einen Besuch abzukürzen, der Ihnen unter diesen Umständen eine Qual sein muß, vielleicht nie eine Freude gewesen ist. Die Frau Gräfin kommt in den nächsten Tagen. Es liegt kein Grund vor, weshalb Sie Stephanie nicht so lange hier allein lassen könnten, und ich –

Nun, gnädige Frau, so endigen Sie doch; Sie wollten sagen: ich würde glücklich sein, Sie auf diese bequeme Weise loszuwerden.

Das war es, was ich erwartete, murmelte Hedwig.

Und was Sie erwarten mußten, sagte der Graf. Sprechen wir ganz offen, gnädige Frau; ich hatte und habe keine Ahnung, weshalb der Fürst mich eingeladen hat. Die Tyrklitzer Erbschaft war offenbar nur ein Vorwand, den ich wohl durchschaute, aber nicht, was dahinter steckte. Ich war in meiner Ruchlosigkeit kühn genug, anzunehmen, die Gestalt, die holde Gestalt der Geliebten meiner Jugend könnte dahinter stehen. Es war eine ungeheure Thorheit, diese Annahme, aber ich bin zu dem beschämenden Bekenntniß gezwungen, weil ich sonst nicht erklären könnte, weshalb ich kam, und nicht erklären könnte, weshalb ich jetzt nicht gehe. Nein, gnädige Frau, nicht gehe! Hätten Sie mich gerufen, nun, bei Gott, ich würde mich auch von Ihnen wegschicken lassen. Ihr Herz konnte sich ja geirrt haben; dieser Irrthum würde für mich sehr schmerzlich, sehr demüthigend gewesen sein, dennoch hätte ich Ihren Willen respectirt. Davon ist jetzt keine Rede. Warum man mich hieher gerufen hat, ich weiß es nicht; desto besser weiß ich, weshalb ich bleibe. Noch einmal, blicken Sie mich nicht so drohend an, gnädige Frau; Ihre Umgebung hat Sie etwas verwöhnt, mich schreckt man nicht so leicht. Und daß zwischen uns von diesem Augenblicke an der Kampf erklärt ist, bedarf eben keiner Erklärung; ich kenne Sie nach dieser Seite so gut, wie Sie mich darauf hin kennen, daß ich keinen Pardon gebe und ein Herz breche, das sich nicht beugen lassen will. Aber glücklicherweise für Sie und für mich ist ja in diesem Kampfe von dem Herzen überall nicht die Rede. Es ist, soviel ich sehe, ein Kampf der Interessen. Was Sie wollen, nun, Sie werden es recht genau wissen; Sie sind ja ebenso klug, wie Sie schön sind. Was ich will, ich kann es Ihnen ebenfalls sehr genau sagen, und es ist vielleicht gut, wenn Sie es wissen: ich will, daß der Fürst die Ehre meines Hauses nicht zum Spielball seiner phantastischen Launen macht; ich will, daß der Fürst den Namen, den ich einst führen soll, nicht mit dem Stempel des Hochverraths brandmarkt; ich hätte das nie gelitten, unter keinen Umständen, aber es giebt verschiedene Mittel zum Zweck, und ich würde um Ihretwillen die mildesten gewählt haben. Wenn ich diese Rücksicht jetzt nicht mehr walten lasse, wenn ich auf dem kürzesten Wege zu meinem Ziele zu gelangen suche und gelangen werde – Sie und Sie allein haben es zu verantworten.

Wie ich – so Vieles in Ihrem Leben zu verantworten habe, erwiederte Hedwig mit bitterem Spott; wenn das Wasser einmal trübe sein soll, muß es freilich Einer getrübt haben. Und das Ganze ist ja wohl nur die Fortsetzung von der Geschichte, die Sie mir vor vierzehn Tagen auf eben diesem Wege unter eben diesen Bäumen erzählten.

Dann hüten Sie sich vor den letzten Capiteln, sagte der Graf.

Diese Drohung steht Ihnen gut, Herr Graf, sehr viel besser, als die Schäfermaske; und hier trennen sich ja wohl unsere Wege.

Sie machte eine Bewegung mit der Hand und wendete sich.

Hedwig, schrie der Graf, Hedwig!

Aber sie hörte es nicht, sie wollte es nicht hören, und schritt, ohne sich umzusehen, eilends dem Pavillon zu. Der Graf stand mit ausgestrecktem Arme da; dann stampfte er zornig den Boden mit dem Fuße, knirschte mit den Zähnen, warf sich auf's Pferd und sprengte in rasender Eile durch die Allee davon.


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