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Die Stahlkammer

Die Chefs und Prokuristen der weltbekannten Industrie- und Handelsbank Aktiengesellschaft waren im Konferenzzimmer versammelt, um die Pläne des Architekten Ressel für den Bau einer Stahlkammer zu prüfen.

Die Zeichnungen wanderten von Hand zu Hand, wurden eingehend besichtigt, von den Herren gruppenweise besprochen und dann wieder auf den Tisch gelegt.

»Möchten Sie uns Ihre Entwürfe nicht erläutern, Herr Baumeister«, begann der Generaldirektor die Sitzung, »ich glaube, wir kommen am schnellsten zum Ziel, wenn wir Ihre fachmännischen Ratschläge gehört haben. Es bleibt uns dann überlassen, falls es nötig sein sollte, in eine Diskussion einzutreten und etwaige Bedenken vorzubringen. Im übrigen sind Sie wohl hinreichend über die Gründe informiert, die uns veranlassen, eine Stahlkammer zu bauen, deren Beschaffenheit nach menschlichem Ermessen allen verbrecherischen Angriffen zu trotzen vermag.«

Der Baumeister, ein Herr im besten Mannesalter, modisch gekleidet, glattrasiert, mit nüchternem, unbeweglichem Gesichtsausdruck – Amerikanertyp – erhob sich und erwiderte:

»Meine Herren, die zahlreichen Einbrüche, von denen Ihre Bank, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen, in letzter Zeit heimgesucht wurde, haben mich veranlaßt, Ihnen einen Plan zu unterbreiten, der vielleicht im ersten Augenblick etwas phantastisch anmutet, aber dennoch mit verhältnismäßig geringen Mitteln auszuführen ist und den Vorzug hat, keinem menschlichen Wesen zugänglich zu sein. Ich bitte Sie, nochmals meine Zeichnungen zur Hand zu nehmen, um meinem Vortrage besser folgen zu können.

Die Kasse Ihrer Bank mit dem Effektentresor befindet sich im Erdgeschoß. Hiervon ausgehend plane ich, einen Schacht nach dem Keller zu bauen, wo ich ein geräumiges Wasserbassin anzulegen gedenke. Wie der Querschnitt der Zeichnung B erkennen läßt, wird also ein Teil des Kellers bis zur Decke mit einer Mauer versehen, so daß zwischen Erdgeschoß und Fundament ein nach allen Seiten abgeschlossener Schacht entsteht. Dieser Hohlraum wird betoniert und mit Wasser gefüllt. Durch einen Fahrstuhl werden die Tresorschränke jeden Abend in den Keller versenkt, wo die Menge des Wassers so verteilt ist, daß der Tresor etwa einen Meter unter Wasser steht. Im Erdgeschoß werden die Dielen natürlich bis dicht an die Schränke gelegt, so daß der Tresor während der Geschäftsstunden jederzeit zugänglich ist. Wagt es nun einer der Herren Spitzbuben, sich Ihrem Schatz zu nähern, dann findet er anstelle der Stahlkammer eine leere Wand, und wenn sein Blick in die Tiefe schweift, spiegeln sich die verblüfften Augen in einer so geräumigen Badewanne, daß selbst der kühnste Taucher nicht imstande wäre, mit Ihren eigenen Tresorschlüsseln die Stahlkammer zu öffnen.«

Ein beifälliges Gemurmel klang gedämpft durch den behaglich ausgestatteten Raum. Der eigenartige Plan hatte seine Wirkung nicht verfehlt, und eine Pause stillen Erwägens trat ein.

»Nun, meine Herren«, unterbrach der Generaldirektor das Schweigen, »Sie haben den genialen Entwurf unseres Herrn Ressel zur Kenntnis genommen, und wie ich zu beobachten Gelegenheit hatte, mit einstimmigem Beifall. Das schließt aber nicht aus, daß Sie mit Ihrem nicht technisch geschultem Verstande irgendwelche Bedenken sachlicher Art geltend machen können. Versetzen Sie sich also in die Lage eines Geldschrankknackers und versuchen Sie im Geiste, dem Tresor unter Wasser beizukommen. Auf diese Weise werden Sie am ehesten etwaige Mängel der Anlage entdecken. – Herr Direktor Mayer hat das Wort!«

»Die Anlage selbst erscheint auch mir absolut diebessicher«, sagte der Abteilungsdirektor, der sich zu Wort gemeldet hatte, »nur möchte ich dem Herrn Baumeister zwei Fragen technischer Art vorlegen, nämlich erstens: kann die Mauer im Keller dem Druck des Wassers auf die Dauer widerstehen, und zweitens: wodurch wird verhindert, daß die Einbrecher den Fahrstuhl in Bewegung setzen und sich die Stahlkammer auf demselben Wege zur Benutzung vorführen lassen, wie wir es tun?! Meiner Ansicht nach liegt der Schwerpunkt nicht in der Wasseranlage, sondern in der Unmöglichkeit, den Tresor aus dem Wasser herauszuholen!«

»Sehr richtig!« riefen die Herren, und der Generaldirektor winkte dem Sprecher mit einer verbindlichen Handbewegung zu: »Mayer, Sie sind ein heller Kopf!«

Der Baumeister lächelte etwas ironisch, als er zur Antwort gab: »Ja, meine Herren, mich überraschen solche Fragen nicht. An derartige Selbstverständlichkeiten habe ich von vornherein gedacht. Die Stahlkammer selbst verdrängt soviel Raum, daß für das Wasser nur etwa zwölf Kubikmeter übrigbleiben, was dem Inhalt von etwa vierundzwanzig Badewannen entspricht. Es bedarf keiner besonders starken Betonschicht, um den verhältnismäßig geringen Druck auszuhalten. Was das Hebewerk der Stahlkammer anbetrifft, so habe ich bereits bei meinem ersten flüchtigen Entwurf erkannt, daß hier der Kern der ganzen Sicherungsanlage zu suchen ist. Und damit das Geheimnis des motorischen Antriebs sogar meinen Gehilfen verborgen bleibe und nur wenigen Ihrer Herren Direktoren anvertraut werden könne, finden Sie in meinen Zeichnungen nicht die geringste Andeutung von einem Motor und dessen Einschaltung. Der Herr Abteilungschef hat also sehr richtig erkannt, daß die wichtigste Stelle der Anlage in meiner Zeichnung fehlt.

Ohne das Geheimnis völlig zu verraten, möchte ich Ihnen nur mitteilen, daß der Motor an einer Stelle unsichtbar eingebaut wird, von der nur drei Herren Kenntnis bekommen. Die Maurer- und Montagearbeiten erledige ich selbst während der Nacht. – Von dem Motor geht eine Kabelleitung in die Privatwohnung des Herrn Generaldirektors, wo sich der Kontakt in einem winzigen eisernen Wandschränkchen befindet. Dieser Kontakt wiederum ist ein kleines Meisterstück der Feinmechanik. Fünf Rollen aus Hartgummi vereinigen sich, aneinandergereiht, zu einer schwarzen Walze. Da auf jedem Röllchen das Alphabet in Goldprägung sichtbar ist, macht die Walze beinahe den Eindruck einer Buchstabiermaschine. Und auf das Buchstabieren kommt es insofern an, als ein aus fünf Buchstaben zusammengesetztes Geheimwort erforderlich ist, um die Verbindung des Stroms zu bewirken. Im Innern der Walze befindet sich nämlich, gegenüber dem betreffenden Buchstaben des Geheimwortes, ein kleines Metallstück. Erst wenn die richtigen Buchstaben zusammengesetzt sind, ist die metallene Brücke hergestellt, die den Strom zum Motor fließen läßt und diesen in Bewegung setzt. Sobald die Stahlkammer untergetaucht ist, wird automatisch eine Erschütterung in der Kontaktwalze verursacht, wodurch die einzelnen Röllchen sich drehen und das Kennwort verwischt wird. Dasselbe geschieht beim Aufstieg. Hierdurch wird verhindert, daß ein Unberufener das Geheimnis ermittelte, selbst wenn der Herr Generaldirektor im Augenblick der Kontakteinschaltung plötzlich erkranken und ohnmächtig werden sollte, denn Abstieg und Aufstieg der Stahlkammer nimmt knapp eine halbe Sekunde in Anspruch. Um aber auf alle Eventualitäten gefaßt zu sein – ich denke an suggestive oder hypnotische Einwirkung – ist die Walze so konstruiert, daß die Metallstückchen gegenüber einem beliebigen Buchstaben eingeschraubt werden können. Der Herr Generaldirektor ist dadurch imstande, das geheimnisvolle Kennwort täglich zu wechseln, da er selbst ohne Mühe die kleinen Veränderungen an der Walze vornehmen kann. Ich glaube, meine Herren, Sie davon überzeugt zu haben, daß die von mir entworfene Sicherungsanlage nach menschlichem Ermessen nicht überrumpelt werden kann.«

Ein lebhaftes Bravo ertönte von allen Seiten und der Generaldirektor schritt auf den Baumeister zu und dankte ihm mit einem freundlichen Händedruck. Dann wurden die finanziellen Fragen besprochen und der Entwurf gelangte einstimmig zur Annahme. Mit dem Bau der Anlage sollte sofort begonnen werden.

 

»Menschenskind«, sagte der Maurer Hoppe, ein schon ergrauter Mann, zu seinem neben ihm arbeitenden jüngeren Kollegen, »ick habe schon mehr Steine zusammenjepatzt, als ick Haare uff'm Deetz habe, aber sonne blödsinnige Arbeet is mir denn doch noch nich vorjekommen. Det sieht beinah so aus, als ob se hier 'ne Dungjrube machen wollen!«–

»Beinah hättste recht«, erwiderte der andere, »aber so janz jenau stimmt det nich. Ick habe de Zeichnung beim Polier jesehen, et wird 'ne Stahlkammer draus. Und wat det Ulkichste is, di janze Kiste kommt unter Wasser. Wenn so'n Jeldschrankknacker, 'n schwerer Junge, de Sehnsucht kriejt, sich mal de Einjeweide von so'm Unjetiem näher anzukieken, und er kann's nich länger verkneifen, denn bleibt ihm nischt änderet übrij, als mit 'm Hechtsprung in det Basseng zu tauchen. Aber ick jloobe, er kommt als Wasserleiche wieder ruff. Die Idee is jut. Man sieht, wie der menschliche Jeist jejen die Jemeinjefährlichkeit unserer demokratisierten Verbrecherzunft mit immer neuem Jehirnschmalz arbeetet.«

Der alte Mann schüttelte verärgert den Kopf. »Det is ja allens umsonst«, polterte er und warf unwillig einen Stein auf das Mauerwerk, »jejen die Brieder is keen Kraut jewachsen. Weeß der Deibel! Wat so'n richtjer Verbrecher is, der kommt überall rin, und wenn et 'n Mauseloch wäre, die Jungs sind nich uff n Kopp jefallen. Mit sonne Mätzken is nischt zu machen. De Schule und de Eltern sind de Hauptsache. Und de Lust zur Arbeet. So wie unsereens erzogen is! Aber heute? Det is 'ne Zeit! Pfui Deibel! – Na, mir kanns jleich sind, ick mache meene Arbeet und krieje mein Jeld!«

»Det stimmt, Hoppe«, gab der jüngere Kollege zurück, »uns kann's janz schnuppe sind. Wir hab'n so und so nischt davon. Die da oben hab'n Mist jenuch, da jönne ick lieber 'n armen Schlucker 'n juten Jriff …«

Der alte Maurer unterbrach den Sprecher barsch: »Nu halt' man de Luft an, von wejen armen Schlucker. Du hast ja keene Ahnung nich von die Sorte. So'n Bandit jibt an eenem Tage mehr Jeld aus, als du und deine Olle in fünf Jahren. Und wenn der jeklaute Zaster verjubelt is, denn wird wieder 'n Ding jedreht und so immer weiter, bis se endlich jefaßt und hinter Schloß und Riejel jesetzt werd'n. Mit solche Leute, die vor ehrliche Arbeet auskneifen, als ob se choleraverdächtig war, mußte keen Mitleid hab'n, sonst könn'n wir keene Freunde bleiben.«

Jetzt trat der Polier heran und machte darauf aufmerksam, daß der Bau in einer Woche fertig sein müsse, und daß weitere zwei Maurer vom nächsten Tage an eingestellt werden würden. Falls erforderlich, müßte mit Doppelschicht gearbeitet werden, denn die Bank habe ein lebhaftes Interesse daran, bis zum bevorstehenden Osterfeste, wo das Geschäftshaus drei Tage geschlossen sei, die Stahlkammer unter Wasser zu bringen.

Die Arbeit wurde nun so eifrig gefördert, daß das Wasserbassin zur angegebenen Frist fertiggestellt war und der Einbau des Fahrstuhls begonnen werden konnte. Es handelte sich vor allem darum, die Träger der eisernen Schränke so stark zu machen, daß sie das enorme Gewicht mitsamt dem Wasserdruck zu ertragen vermochten. Da Eisen und Stahl hierzu nicht genügten, ließ der Baumeister das Gerüst des Tragestuhls vollständig betonieren. Demnach befand sich die Stahlkammer auf einer mächtigen Betonplatte, die an beiden Enden durch armdicke Drahtseile gehoben wurde. –

Die Anlage funktionierte ausgezeichnet, die schweren Panzerschränke senkten und hoben sich mit spielender Leichtigkeit.

Jetzt wurde das Bassin mit Wasser gefüllt. Hierzu diente ein Rohr der Wasserleitung, das unterhalb des Fußbodens vom Erdgeschoß in das Bassin mündete; der Hahn zu diesem Rohr befand sich an der Wand des Kassenraums. Die Füllung dauerte knapp eine Stunde, und die Stahlkammer war nicht mehr sichtbar.

Der einzige Übelstand der Anlage zeigte sich darin, daß die Schränke naß an die Oberfläche kamen und jeden Morgen abgewischt werden mußten. Der Baumeister fand aber auch hier einen Ausweg, er ließ die Stahlkammer mit einem öligen Anstrich versehen, an dem das Wasser herabglitt.

Das gelungene Werk wurde durch eine kleine Festlichkeit im Hause des Generaldirektors gefeiert, und der in so eigenartiger Weise gesicherte Tresor der Industrie- und Handelsbank Aktiengesellschaft erlangte in wenigen Tagen eine solche Berühmtheit in der Geschäftswelt, daß die Depotkasse der Bank bedeutend mehr in Anspruch genommen wurde als früher. Hierzu trug natürlich auch die Presse bei, die auf die Anlage als auf eine Errungenschaft der modernen Technik hinwies. –

Am Ostersonnabend war der Geschäftsgang ein besonders reger. Die Einlagen häuften sich zu Bergen, und um die Effekten zu buchen, die bis Mittag eingereicht wurden, mußte das Personal aus anderen Abteilungen herangezogen werden. Der Depotchef hatte alle Hände voll zu tun, um die Schätze in Sicherheit zu bringen, und noch lange nach Geschäftsschluß war das Ende der Arbeit nicht abzusehen. »Jetzt ist es bereits fünf Uhr«, rief er verzweifelt aus, »drei Überstunden und noch nicht fertig. Vier Millionen liegen bereits im Tresor, was haben Sie denn, Fräulein!« fragte er eine Dame am Nebentisch, die ihre Eintragungen im Depotbuch soeben beendet hatte, »mir scheint, wir sind am Schluß, sagen Sie mir die Werte schnell an!«

Und während sich das Personal zum Fortgehen rüstete, leierte die Buchhalterin mit eintöniger, müder Stimme die Titel und Werte herunter, wobei sie dem Abteilungschef jedesmal die Papiere aushändigte:

 

»Schantung Eisenbahn-Aktien 120 000.
Bochumer Gußstahl 90 000.
Phönix Bergwerk 180 000.
Deutsche Übersee 70 000.
Berliner Elektrizitätswerke 210 000.
Stöhr Kammgarn 60 000.
Orientbahn 100 000.
Hamburg-Amerika Paketfahrt 50 000.
Südamerikanische Dampfschiffahrt 130 000.
Deutsche Kaliwerke 80 000.

 

»Danke, Fräulein!« beschloß der Depotchef die Litanei, »das macht zusammen eine Million zweihundertfünfundachtzigtausend Mark. Beeilen Sie sich, nach Hause zu kommen, um für morgen mittag das Osterlämmchen vorzubereiten!«

In diesem Augenblick klingelte das Telefon.

»Der Generaldirektor«, murmelte der Abteilungschef vor sich hin, »wundere mich, daß er nicht schon früher angerufen hat!« Dann nahm er den Hörer ans Ohr, und es entwickelte sich folgendes kleines Zwiegespräch:

»Hier Depot!«

»Warum haben Sie mich nicht angerufen, Herr Heinemann, der Tresor muß doch versenkt werden?!«

»Verzeihung, Herr Generaldirektor, wir sind in diesem Augenblick fertig geworden. Fünf Millionen zweihundertfünfundachtzigtausend Mark liegen im Tresor!«

»Keine Kleinigkeit! Aber, Gott sei Dank, wir sind gesichert. Mit Ausnahme der Reichsbank und des Kassenvereins hat wohl keine Berliner Bank einen solchen Betrag im Hause. Haben Sie alles verschlossen?«

»Jawohl, Herr Generaldirektor!«

»Dann kann ich also Strom geben?«

»Jawohl, Herr Generaldirektor!«

»Vergnügte Feiertage, Herr Heinemann!«

»Danke, gleichfalls, Herr Generaldirektor!«

Im nächsten Augenblick erzitterte die Stahlkammer leise und versank gespensterhaft in der Tiefe.

Ein dumpfes Plätschern und der Tresor war unter Wasser.


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