Heinrich Sohnrey
Friedesinchens Lebenslauf
Heinrich Sohnrey

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6.

Der lange Lenz.

Wie die Tage kürzer wurden, kürzten sich auch die Brotschnitte – und auf einmal gab's überhaupt kein Halbabendbrot mehr. Unsere Mutter pflegte dann zu sagen: Der lange Lenz hätte es weggeholt. Der lange Lenz? Den hatte ich ja noch gar nicht gesehen, und lange beschäftigte mich der Gedanke, was der wohl mit den vielen schönen Stückern anfangen möchte, denn Bornriekens und Frohnhöfers und Bertrams hatte er auch weggeholt. Und ich hätte den langen Lenz gar zu gern 'mal gesehen. Als das Frohnhösers Friedesinchenpate hörte, winkte sie mir 55 geheimnisvoll zu, und wir gingen zusammen unter die Linde, und sie hob mich auf ihre Arme und deutete hinunter nach der hilgen Beke. Ich drückte mich etwas ängstlich an die Pate, und da sah ich einen großen Mann in einem langen weißen Mantelrocke die hilge Beke herunterkommen, und er hatte einen halbgefüllten Sack auf der Schulter hängen.

»Sühste, MekenSiehst du, Mädchen.«, flüsterte die Pate geheimnisvoll leise, »dat is de lange Lenz! Dat is he!«

Ich hatte ihn gesehen, und ich glaubte an ihn und plagte die Mutter nun nicht mehr um ein Vesperstück.

Lag nicht eine kluge Schalkheit in dieser alten Ausrede? Sie erleichterte den Eltern das Versagen und den Kindern das Ertragen. 56


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