Heinrich Sohnrey
Friedesinchens Lebenslauf
Heinrich Sohnrey

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4.

Die weiße Zipfelmütze.

Allgemach waren Margretchen und Hannchen und unser »Großer« so weit herangewachsen, daß sie in der schulfreien Zeit mit nach dem Steinelesen auf die gräflichen Kleeäcker gehen konnten. Waren's auch nur Pfennige, die sie dafür erhielten, 's kam doch bei einander. »Alle Bate helpet!« sagten die Eltern.

Wenn nun die ältesten drei fortgingen, war Stineliese die älteste unter uns anderen Fünfen und ward von der Mutter zum Haupte über uns gesetzt. 41

Stineliese war ein tolles Mädchen und ging mit uns um, wie die Katze mit der Maus, wenn sie satt ist.

Als Hüterin der Lindenhütte hatte sie auch dafür zu sorgen, daß keine fremde Katze ins Haus kam. Nun war aber neben unserm Backofen, der von der Diele einen dicken Buckel in unseren kleinen Hof machte, ein bröckelndes Rauchloch, durch das eine gewissenlose Katze ganz gut herein und hinaus konnte. Dies Loch mußte verstopft werden und Stineliese verwandte dazu eine alte weiße »Timpelmütze«, die oben auf dem Boden gefunden war. Mochte wohl von unserm Großvater abgelegt sein, denn früher haben die alten Männer noch solche Mützen getragen. Die alte »Timpelmütze« war jedoch empört über die respektwidrige Behandlung, die so ein dummes junges Lindenhüttending ihr widerfahren ließ, denn so oft sie hineingestopft wurde, so oft fiel sie hinaus in den kleinen Hof. So oft mußte aber das geduldige Friedesinchen hin und sie wieder herein holen, und wenn ich nicht hurtig genug lief, schalt Stineliese wie ein gräflicher Hofinspektor.

Ohne Zweifel lag es nicht allein an der Mütze, daß sie nicht in dem Loche bleiben wollte; es mußte wohl ein bißchen Teufelei der Schwester in dem Loche stecken, vor der es der Zipfel der Mütze nicht aushalten konnte. Allmählich dämmerte 42 mir das auf, und als ich die Mütze etwa dreißigmal herein geholt hatte, wollte ich nicht mehr. Was? Du willst nicht mehr? Also sollte wohl die Katze all unsere Würste und Schinken und Speckseiten wegholen? Und Stineliese machte kurzen Prozeß, kriegte mich her und knuffte mich mit ihrer geballten Hand, wie einige Tage zuvor der alte Bertram ein kleines Mädchen knuffte, das sich aus seinem Mohnfelde einige Köpfe abgebrochen hatte. Dann mußte unser Lorchen hin und die Mütze holen. Das kleine runde Ding wackelte auf seinen runden Beinen, was es nur konnte, kriegte seine Prügel schließlich aber auch, als es nicht mehr wollte.

Was sich hier unter uns unmündigen Kindern abspielte, das habe ich hernach auch unter den großen Leuten oft, oft sich wiederholen sehen, und was mir damals die eigene Schwester that, das haben mir später die fremden Leute in viel schmerzhafterer Weise zugefügt. Ein armes Mädchen muß in seinem Leben gar viel nach der weißen Zipfelmütze laufen, ohne etwas anderes zum Lohn erwarten zu können, als eine knuffende Faust. 43


 << zurück weiter >>