Heinrich Smidt
Seeschlachten und Abenteuer berühmter Seehelden
Heinrich Smidt

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Kamerad Forbin.

Die Zeit rollt unaufhaltsam vorüber. Aus dem Jahre 1680 ist das Jahr 1696 geworden. Madame Nicole Gontier ist gestorben und hat sich an dem späteren Ruhme ihres Gatten nicht mehr erfreuen können. Auch der alte Saurret ist mit allen seinen köstlichen Geschichten heimgegangen. Aber trotz seiner vielen Aufschneidereien hat er in Bezug auf den kleinen Cornelius doch die Wahrheit gesagt. Der Tabaksdampf, den sein Vater ihm in das Gesicht blies, ist ihm so gut bekommen, daß er nun schon seit zwei Jahren in den Dienst der königlichen Marine getreten ist.

Jean Bart trägt die Uniform eines königlichen Kapitäns zur See erster Klasse. Er hat schon mehrmals selbständig eine Eskadre kommandiert, und ist Ritter des Ordens vom heiligen Ludwig. Durch eine zweite Ehe mit Mademoiselle Marie Thuges, die eine der ersten Familien Dünkirchens angehörte, war er in Besitz eines bedeutenden Vermögens gekommen und bewohnte ein prächtiges Haus in der Rue de Bar. Ueber dem Portal desselben prangte das dem Seehelden von dem Könige verliehene Wappen: Ein silbernes Thor im blauen Felde, gekrönt mit einer goldenen Lilie, links und rechts zwei aufrecht stehende Anker, und darüber ein schreitender roter Löwe.

Die Ehren, die ihm zu teil geworden, waren sämtlich nur ein verdienter Lohn für die während seiner Kreuzzüge in den Gewässern des Nordens dem Vaterlande geleisteten vielen Dienste. Er hatte jene als Matrose, Steuermann und Kapitän befahren, kannte sie bis auf die geringste Kleinigkeit und war deshalb im stande, dem englischen und holländischen Handel den empfindlichsten Abbruch zu thun.

Jean Bart hatte einen treuen Freund und Waffengenossen, den Kapitän de Keyser verloren. Es dauerte lange, bis sich für denselben ein Ersatz finden lassen wollte. Dergleichen seltene Schätze liegen nicht obenauf, sie ruhen verborgen in der Tiefe. Auch hilft das absichtliche Suchen nicht; je mehr man sich bemüht, desto weiter wird der Schatz unseren Händen entrückt. Da fügte es sich, daß dem Kaperkapitän von Dünkirchen, wie man Jean Bart noch vorzugsweise zu nennen pflegte, ein neuer Gefährte zu teil wurde, mit dem er manchen tüchtigen Kreuzzug unternahm. Ihr erstes Zusammentreffen war allerdings eigener Art.

Dieser Gefährte war Herr von Forbin.

Claude Forbin, am 6. August 1656 zu Gerdanne, nahe bei Aix geboren, war bei seiner Bekanntschaft mit Jean Bart achtunddreißig Jahre alt. Die Forbins waren Grafen von Janson, und gehörten demnach einem der ersten Häuser der Provence an. Claude war der jüngste Sohn einer mit zahlreichen Kindern gesegneten Familie, die nur ein geringes Vermögen besaß. Sein Vater starb sehr jung, als Claude gerade in den Dienst treten sollte. Seine Mutter, die sich keinen Soldaten zum Sohn wünschte und deshalb mit ihrem Gatten stets verschiedener Meinung gewesen war, bestimmte ihn für den geistlichen Stand und befahl ihm, seine Studien fortzusetzen.

Schon in dem Alter von fünfzehn Jahren sprachen sich seine Heftigkeit und seine nicht zu zügelnde Wildheit auf das entschiedenste aus und brachten sowohl ihn, als auch seine Familie in die größten Verlegenheiten. Um ihn davon abzubringen, ward er der Obhut eines Geistlichen übergeben. Dieser war ein Mann von festem Willen, kalt, ruhig, entschlossen. Die Familie hielt den frommen Vater ganz und gar dazu geeignet, den Trotz des Knaben zu brechen und ihn geschmeidig zu machen; aber dies war ein Irrtum. Bitten, Ermahnungen, Drohungen, Strafen waren vergebens; weder Geduld noch Strenge vermochten etwas über den wilden Jungen. Da ward der geistliche Herr eines Tages über seinen widerspenstigen Zögling so aufgebracht, daß er nach seinem Stock griff, um denselben zu züchtigen. Aber fast in demselben Augenblicke war dieser Stock auch schon in Forbins Händen, der ihn zerbrach, dem erschrockenen Geistlichen die Stücke in das Gesicht warf und dann spornstreichs davonlief. Er nahm seine Zuflucht zu seinem ältesten Bruder, der die Domäne von Gerdanne bewohnte, und bat ihn, es bei der Mutter dahin zu vermitteln, daß er Soldat werden dürfe, wie es der Vater früher bestimmt hatte. Der Bruder aber schlug es ihm kurzweg ab. Forbin wußte sich nun nicht anders zu helfen, als daß er sich einiger silberner Geräte bemächtigte und mit diesen nach Marseille eilte, um sich durch den Verkauf derselben einiges Geld zu verschaffen und damit sein Glück auf eigene Hand zu versuchen. Der Goldschmied, dem er die wertvollen Geräte zum Verkauf anbot, erkannte das Wappen der Grafen von Janson, welches darauf eingegraben war, und ließ den Knaben sofort anhalten, der nun seiner Mutter wieder zugeschickt ward. Als der Geistliche, bei dem der junge Forbin gewesen war, von dieser Rückkehr in Kenntnis gesetzt und aufgefordert ward, ihn wieder bei sich anzunehmen, verbat er sich dessen Gegenwart ein für allemal.

In diese Epoche fällt ein Ereignis, das Zeugnis von der Kaltblütigkeit und Geistesgegenwart des jungen Mannes ablegte. Ein toller Hund rannte durch die Straßen von Aix; alles flüchtete voll Schrecken. Forbin warf sich dicht vor dem wütenden Tiere auf die Straße nieder, hielt demselben seinen breitkrempigen Hut entgegen, und während das Tier diesen packte und ihn zerriß, stieß Forbin demselben ein Jagdmesser, das er gerade bei sich führte, in das Genick. Diese That machte Aufsehen. Man begriff wenigstens, daß ein Bursche, der in solchen Kampf sich einließ, nicht zu einem Geistlichen tauge.

Eine zweite Reise nach Marseille schlug glücklicher für ihn aus. Er fand dort seinen Onkel, den Kommandanten von Gerdanne, welcher eine der Galeeren des Königs als Kapitän befehligte. Dieser Edelmann machte der Frau von Forbin begreiflich, daß ihr Sohn einzig und allein in dem Dienste des Königs zu einem tüchtigen Manne gemacht werden könne, während er im entgegengesetzten Falle verloren sei. Die Dame gab endlich nach, und der junge Mann trat unter dem Namen des Ritters Forbin in den Dienst der königlichen Flotte. Späterhin wohnte er dem sicilianischen Kriege bei. Nach dem Frieden von 1678 diente er zu Lande in einer Kompanie Mousquetaires, welche von einem anderen seiner Oheime, dem Bailli von Forbin, befehligt ward. Aber sein heftiges und unbeugsames Naturell vermochte nicht, sich der Disziplin, die in diesem Korps herrschte, zu fügen. Darum schied er aus dem Dienst der Armee und begab sich nach Toulon, um sich wieder dem Seedienst zu widmen. Hier geriet er in Streit mit einem andern jungen Edelmanne, dem Ritter von Gourdan, und war so unglücklich, denselben im Duell zu töten. Es ward deshalb vor dem Parlamente von Aix ein Prozeß eingeleitet, und Forbin von diesem Gerichtshofe verurteilt. Allein es gelang ihm, sich dem Arme der Gerechtigkeit durch die Flucht zu entziehen und sich dem Zuge nach Amerika anzuschließen, der 1678 von dem Grafen Estrées unternommen ward. In den Jahren 1682 und 1683 diente er als Lieutenant zur See unter dem Admiral Duquesne in Afrika. Seine Duell-Angelegenheit war unterdessen durch die Bemühungen eines dritten Oheims, des Kardinals Janson, beigelegt. Der König übertrug ihm das Kommando einer Fregatte, die den Befehl erhielt, den Marquis von Torcy an Bord zu nehmen und nach Lissabon überzuführen, welcher den Auftrag hatte, Seiner Majestät Don Pedro von Portugal bei seiner Thronbesteigung Glück zu wünschen.

Nachdem Forbin einer Gesandtschaft an den König von Siam beigegeben worden war, welche total verunglückte, sah er bei seiner Rückkehr nach Europa die Fackel des Krieges an allen Ecken lodern. Forbin war im Besitz aller der Eigenschaften, die einen Kriegsmann auszeichnen. Er besaß das Geheimnis, sich ein sehr vornehmes Ansehen zu geben, war dabei gewandt, lebhaft in allen Bewegungen und trotz seines zierlichen Aussehens von großer Körperkraft. In seinen Gesichtszügen prägte sich die verwegene Energie seines Charakters auf das entschiedenste aus. Sein ungemessener Stolz ließ ihn alle wackern Seeleute, welche seine Zeit in so großer Zahl aufzuweisen hatte, über die Achseln ansehen, ein Charakterzug, der ihm wenig zur Ehre gereichte. Sonst war Forbin, wie schon gesagt, ein Mann von Mut und Entschlossenheit, sorglos und unbefangen in dem Augenblicke der Gefahr. Seiner unglaublichen Kühnheit, die alle blindlings fortriß, verdankt Frankreich glänzende Waffenthaten. Er war außerdem ein besserer Segelmeister, als irgend einer von denjenigen, die auf der Flotte dieses Amt bekleideten; auch verstand er sich vortrefflich auf den Schiffbau. Dies alles waren Eigenschaften, die einem Seemanne zu allen Zeiten und in allen Ländern zur Zierde gereichen. Im bürgerlichen Leben, wie man es zu nennen beliebt, war der Graf Forbin ein etwas lockerer Gesell, der sich allen Zerstreuungen hingab, eine brillante Tafel und auserlesene Weine führte, sowie die Würfel und das Kartenspiel liebte. Er war auf der einen Seite kurzab und geradezu, konnte aber auf der anderen Seite ein eleganter und liebenswürdiger Kavalier sein, der durch seinen Witz und seinen Grazie alle bezauberte, die in seine Nähe kamen.

Ein merkwürdiger Gegensatz stellt sich heraus, wenn man diesen Mann, wie er hier geschildert ward, dem Jean Bart gegenüber aufführt, diesem einfach bürgerlichen Manne, der nach einem ruhmreichen Kreuzzuge zur See sich in das Innere seines Hauses zurückzieht und das Glück des Herzens in dem Schoße seiner Familie sucht und findet.

Diese beiden Männer trafen das erste mal in Dünkirchen zusammen. – Als Graf Forbin in Dünkirchen, das ihm zum Stationsort angewiesen worden, angekommen war, fand er es für gut, gegen Jean Bart einen überaus hohen Ton anzunehmen. Dieser hatte in seiner Harmlosigkeit wenig auf das anmaßende Wesen des Mannes geachtet, der fortan, wenigstens für längere Zeit zu seinem Waffengefährten bestimmt war. Das Benehmen Forbins, der den Korsaren von Dünkirchen einen ungeschlachten Bären nannte, mit dem man sich trefflich amüsieren könne, wenn man ihn gut abrichte, wurde endlich so auffallend, daß der Marine-Intendant, Herr Patoulet, mit mehreren anderen Freunden und Verehrern Jean Barts es für geraten hielt, diesem die Augen zu öffnen.

Einmal gewarnt, faßte Jean Bart, der vielen gesunden Menschenverstand und natürlichen Humor besaß – der letztere vielleicht ein Erbteil des alten Saurret – den Entschluß, seinen neuen Kameraden, den Herrn Grafen Forbin, bei nächster Gelegenheit hart anlaufen zu lassen und ihm, nach Seemannsgebrauch, die glatte Lage zu geben. Diese Gelegenheit ließ nicht auf sich warten, und eine große Anzahl von Seeoffizieren waren Zeugen dieser Szene.

Jean Bart näherte sich, wie es seine Gewohnheit war, mit leichtem Zucken der Achseln dem Grafen. Den Kopf seiner Pfeife zwischen den Fingern und diesen mit Tabak füllend, sagte er zu dem Grafen: »Beim heiligen Kreuz! Sie scheinen mir sehr viel Geist zu besitzen, Herr Graf, ich dagegen bin nur ein einfacher Mann.«

»Ah, Herr Bart!« entgegnete Forbin in seiner stolzen, höhnenden Weise, und ihn groß anschauend, setzte er hinzu: »Es scheint, als wollten Sie vor mir aufbrassen, Herr? Wollen Sie?«

Jean Bart stopfte, ohne gleich zu erwidern, seine Pfeife vollends und sagte dann: »Aber, wenn ich auch ein einfacher Mann bin, so bin ich doch vielleicht im stande, Sie über einiges zu belehren, und das will ich hiermit thun.«

»Mit Ihren Ratschlägen und weisen Ermahnungen ausgerüstet, wird es mir gehen, wie die Devise des alten Ritters Fouquet es besagt: »Ich werde es nie erreichen«

Jean Bart verstand diesen Ausfall entweder nicht, oder er wollte ihn nicht verstehen. Er nahm Stahl und Stein samt der Zunderbüchse heraus, und indem er Feuer schlug, sagte er mit einer Ruhe, die den Grafen außer Fassung brachte: »Sie sprechen und handeln nach Ihrer Art, und die ist so mannigfaltig, daß man nie recht weiß, welche Tonart die richtige ist. Wir einfachen Seeleute von Dünkirchen haben nur zwei Wege, uns zu verständigen; entweder wir machen als wackere Backsgenossen Arm in Arm unsern Trall auf dem Halbdeck, oder wir legen uns hart Bord an Bord und fassen uns scharf in die Augen. Verstanden, Herr Graf?«

»Bord an Bord!« rief Forbin überrascht. »Bravo, Herr Bart! Das ist wie ein echter Seemann gesprochen.«

»Im übrigen,« fuhr Jean Bart mit unerschütterlicher Ruhe fort, indem er den brennenden Zunder auf den Tabak legte und eine mächtige Rauchwolke von sich blies, »im übrigen, Herr Graf: Freund oder Feind, Handschlag oder Säbelhieb; nirgendwo ein drittes. Hoffe, daß Ihnen dies klar ist.«

»Vollkommen, mein Herr! Es ist dies die Sprache eines Ehrenmannes, die ich nie verkenne.«

»Also denn,« fuhr Jean Bart fort, ohne sich im Weiterrauchen zu unterbrechen, »werden Sie mir jetzt gleich als Mann von Ehre sagen, welches Verhältnis nach Ihrem Wunsche zwischen uns bestehen soll? Freund oder Feind? Kurz und schnell, mein Herr! denn ich habe keine Zeit dazu, einen Tag lang nach den Pointen in Ihren Reden zu suchen, auf die Gefahr hin, die Bedeutung derselben nicht zu verstehen.«

Forbin machte eine heftige Bewegung. Der Zorn, der ihn so sehr beherrschte, gewann auch jetzt die Oberhand. Aber das bessere Ich drängte sich vor, und vergessend, daß er sich in diesem Augenblick im Nachteil befand, reichte er seinem Gegner die Hand und rief lebhaft: »Ich bin Ihr Freund und Waffenbruder und schätze mich glücklich, wenn Sie das annehmen. Was ich gesagt . . . .«

»Worte verweht der Wind.« entgegnete Jean Bart, die dargebotene Hand ergreifend. »Lassen Sie uns unser Werk guten Mutes beginnen. Einmal mit mir auf offener See, und Sie werden finden, daß der Sohn meines Vaters ein zuverlässiger Gefährte ist.«

»Wie ich es sein will!« setzte Forbin hinzu.

Die Geschichte der französischen Marine weiß die Wahrheit dieser Worte zu bestätigen.


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