Heinrich Smidt
Seeschlachten und Abenteuer berühmter Seehelden
Heinrich Smidt

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Am Bord der »sieben vereinigten Provinzen«.

Es war am 30. Juli 1666. Derjenige Teil der Ostküste von England, der sich in der Richtung von Süden nach Norden, von der Mündung der Themse bis zu der gemeinsamen Mündung der Staour und des Orvel erstreckt, grenzt mit der Grafschaft Essex. In seiner Nähe liegen die Bänke von Harwich, die bei Nordost- und Südostwinden einen sichern Ankerplatz darbieten Dort ankerte an dem obengedachten Tage die niederländische Flotte bei einer leichten südöstlichen Brise.

Diese Flotte stand unter den Befehlen Michael Adrianson de Ruiters, Großadmiral im Dienste der Generalstaaten. Sie war aus fünfundsiebzig Kriegsschiffen und elf Brandern zusammengesetzt.

Eine leichte Kühle wehte von Südosten. Die Flotte der vereinigten Provinzen lag, in drei Linien geteilt, in schönster Ordnung vor Anker. In dem Zentrum derselben erhob sich, alle andern Schiffe beherrschend, das Linienschiff von achtzig Kanonen: »Die sieben Provinzen«. Am Bord desselben hatte Herr de Ruiter seine Admiralsflagge aufgesteckt. Dieses Fahrzeug galt allgemein für das prächtigste in der holländischen Marine und verdiente diesen Ruf nicht nur durch seine Ueberlegenheit im Segeln, sondern auch wegen der kostbarem Bildhauer-Arbeiten, mit denen die fünf Stockwerke seines Hinterkastells geschmückt waren. Dasselbe wurde von dreien aus vergoldeter Bronze bestehenden Seeleuchten überragt, so daß der Hackbord des Schiffes sich zu einer Höhe erhob, die mit zwei Dritteilen der Höhe des großen Mastes parallel stand. Man konnte nicht ohne Bewunderung diese Masse von Holz und Eisen anschauen, die sich wie ein riesiger Turm aus der Flut emporhob.

Es war ungefähr um acht Uhr morgens, als der Soldat, welcher auf der vorderen Schanze die Wache hatte, einen Logger anrief, der mit ausgestützten Segeln gerade auf das Admiralschiff lossteuerte.

»Franzosen, mit einer Botschaft des Gouverneurs von Calais,« war die Antwort, während das leichte Fahrzeug beidrehte.

»Legt an, am Backbord!«

Kaum war dieser Befehl gegeben, als der Logger seine Segel einzog und längs dem Backbord des Linienschiffes schoß. Die Mastenspitzen des kleinen Fahrzeuges reichten bei weitem nicht an die Verschanzungen des Admiralschiffes.

Einer der Offiziere vom Dienst erschien auf dem Fallreep. Drei Edelleute, die Herren von Cavoye, d'Harcourt und Coislin, betraten das Verdeck, überholt von dem jungen Matrosen Jean Bart, der, in der seemännischen Gymnastik wohl erfahren, ihnen zuvorkam.

Der holländische Offizier, welcher der französischen Sprache mächtig war, empfing die drei Herren, und sobald er erfuhr, daß sie eine Botschaft von dem Grafen von Charost zu überbringen hatten, schickte er sich an, sie in die Kajüte des Admirals zu geleiten.

Jean Bart, beide Hände in die Taschen seiner weiten flamändischen Beinkleider gesteckt, überlief mit bewundernden Blicken das Takelwerk des Schiffes. Als aber der Offizier die Edelleute ersuchte, ihm zu folgen, drängte er sich zwischendurch, stellte sich vor den Offizier hin und sagte, die Hand an die Mütze legend: »Ich bin es, Herr Lieutenant, den Ihr zu dem Admiral führen müßt.«

»Was will der junge Mann?« fragte der Offizier, nicht wenig erstaunt, daß sich der kleine Matrose den drei Edelleuten vordrängte.

»Ich will den Admiral sehen und ihm meine drei Passagiere überliefern, denn ich bin der Kapitän jenes Loggers,« entgegnete Jean Bart mit der Entschlossenheit, die ihm stets eigen.

»Ihr dürft ihm unbedingt Glauben schenken,« sagte Herr von Cavoye zu dem Offizier. »Er ist in der That ein tüchtiger Junge. Aber er soll mich nicht wieder dahin bringen, auf eine solche Art mit ihm zu segeln. Seitdem wir Segel machten, sind wir aus dem Seebade nicht herausgekommen. Indessen, der Wahrheit die Ehre, er hat uns mit geschlossenen Augen hierher gebracht, wie er es vorher sagte. Thun Sie also nur, was er verlangt; es ist alles in Ordnung.«

Der Lieutenant betrachtete Jean Bart mit leichtem Achselzucken und sagte dann mit spöttischem Tone: »So folgt mir denn, Herr Kapitän!« – Und Jean Bart, beide Hände wieder in die Tasche steckend, folgte dem Offizier, mit reger Neugier seine Augen ringsumher werfend und selbst die geringfügigsten Gegenstände sorgfältig prüfend. Als sie sich der Thür näherten, die in die Admiralskajüte führte, wandte sich Herr von Coislin an den Offizier und sagte leise: »Aber, mein Herr, wäre es nicht schicklicher, bei dem Herrn de Ruiter vorher anzufragen, ob und wann es ihm gefällig ist, uns zu empfangen? Wir könnten uns während der Zeit umkleiden, um mit Anstand vor Seiner Excellenz zu erscheinen.«

»Meine Herren,« entgegnete der Offizier lächelnd, »unser Admiral hängt nicht an Förmlichkeiten. Das ist ein leutseliger Herr, zu dem der geringste Mann an Bord ungescheut treten und sein Gesuch vorbringen kann. Und was Eure von Wind und Wetter zerzauste Kleidung betrifft, so wird der Herr Admiral nicht im geringsten darauf achten.«

Mit diesen Worten öffnete der Offizier die Thür, und die Edelleute traten in eine geräumige Kajüte, die sehr einfach ausgestattet war. Die Wände waren mit einer rötlichen Farbe bedeckt; in der Mitte stand ein großer Tisch, auf welchem eine Decke von braunem Schafleder lag. Um denselben standen mehrere Stühle von Nußbaumholz.

»Der Admiral ist nicht hier,« sagte der Offizier. »Er giebt also ohne Zweifel seinen Lieblingen ihr Frühstück. Da ist er, in dem Kabinett zur rechten Hand.«

In dem Fenster dieses Kabinettes war ein großer Käfig angebracht, und in demselben saßen vier prächtige flamändische Hühner, deren gelbes und schwarzes Gefieder wie Gold und Ebenholz glänzte.

Der Offizier vom Dienst hatte dem Admiral im ehrfurchtsvollsten Tone seine Meldung gemacht, und dieser näherte sich den Edelleuten. Mynheer de Ruiter war damals ungefähr sechzig Jahre alt. Seine Haare waren weiß, und sein ebenfalls weißer Knebelbart war nach Art und Weise der damaligen Seeleute in der Höhe gestutzt. Sein Wuchs war schmächtig und sein Gesicht breit. Er hatte eine hohe Stirn, und seine grauen Augen blickten scharf. Er war mit einem langen Rocke von dunkler Farbe bekleidet, der von einem ledernen Gurt zusammengehalten ward. Der Admiral begrüßte die Edelleute mit freundlichem Wohlwollen und sah dann auf Jean Bart, der ihn mit staunender Bewunderung betrachtete.

»Herr Admiral,« sagte der Offizier, »diese französischen Herren sind die Ueberbringer einer Botschaft von seiten des Gouverneurs von Calais, und dieser junge Seemann hat sie hierher geführt.«

Herr von Cavoye neigte sich achtungsvoll vor dem Admiral und übergab ihm die Depeschen des Grafen von Charost. Herr de Ruiter begann sie zu lesen.

Seit einigen Augenblicken war in der ganzen Haltung Jean Barts eine völlige Veränderung eingetreten. Er war mit einem Male verlegen. Seine Wangen färbten sich, der Schweiß trat ihm vor die Stirn, und als ihn einmal das Auge des Admirals traf, sah er blitzschnell zu Boden.

Es war ein seltsames Wesen in diesem jungen Seemann. Er konnte mit vornehmen Herren, wie er sie eben an Bord gebracht hatte, ungeniert sprechen und sie ohne Verlegenheit ansehen; aber er wußte sich nicht zu fassen, als er sich einem Seemanne gegenüber sah, wie dem allgepriesenen de Ruiter.

Als der Admiral die Briefe durchgelesen hatte, sagte er mit einiger Förmlichkeit zu den Kavalieren, daß er ihrem Wunsche, einem Seegefechte beizuwohnen, gern genügen wolle, und er sie bis dahin mit Vergnügen am Bord als seine Gäste sehen würde.

Die Kavaliere sprachen ihren Dank aus, und Herr von Cavoye fügte hinzu: »Erlaubt mir, Herr Admiral, Eure Teilnahme für den jungen Mann, der uns hierher brachte, in Anspruch zu nehmen. Er hat sich, seltsamerweise, seit unserm Hiersein auffallend verändert, und ich kenne ihn kaum wieder. Noch vor kurzem war er trotzig und verwegen, und jetzt ist er ganz verwirrt.«

»Ja, in der That,« fügte Herr von Harcourt hinzu. »Er scheint beklommen.«

»Ganz perplex!« ergänzte Coislin.

Jean Bart, dessen Ungeduld sich mit jedem Worte steigerte, rief seinen Passagieren mit funkelnden Augen zu: »Beim heiligen Kreuz! Ihr habt gesehen, daß ich in Eurer Gegenwart auch nicht einen Augenblick beklommen oder perplex gewesen bin.«

»So bin ich es, der Dir ein ähnliches Gefühl einflößt?« fragte der Admiral freundlich.

»Ja, – nein! – Aber ich wollte eigentlich . . . . . Es ist nur . . .« Und Jean Bart, dem die Wangen höher glühten und die Augen voll Thränen standen, konnte nicht Worte finden für das, was er zu sagen hatte. Er warf sich vor dem Admiral nieder und umfaßte seine Kniee.

»Nun, nun, beruhig Dich, mein Junge!« sagte de Ruiter, die Hand auf sein Haupt legend, und wandte sich zu den Edelleuten: »Meine Herren, man wird Euch Eure Kajüte anweisen. Am Bord muß man sich behelfen, wißt Ihr. Um zwölf Uhr erwarte ich Euch zum Mittagessen.«

Die Franzosen verbeugten sich und ließen Jean Bart mit de Ruiter allein.

Die erste heftige Gemütsbewegung des jungen Matrosen war vorüber, und er zeigte sich ziemlich besonnen, als der Admiral ihn neuerdings anredete.

»Nun, Junge? Hast Du Dich jetzt beruhigt?«

»Es kommt schon, Herr Admiral. Aber beim heiligen Kreuz, der erste Augenblick war schwer zu überstehen, denn so lange ich lebe, ist mir noch nichts so Ehrwürdiges begegnet, als ein solcher Seemann, wie Sie.«

Diese ungeschminkte Bewunderung schmeichelte de Ruiter. Er lächelte und sagte mit jenem milden Ernste, der einer der hervorstechendsten Züge seines Charakters war. »Was ich bin, verdanke ich unserm Herrgott, der mich machte, wie ich bin; wir können nichts davon und dazu thun. Du kommst also von Calais?«

»Ja, Herr Admiral. Eigentlich von Sanct Paul, ganz nahe bei Calais.«

»Und Du kommandierst den Logger?«

»Ja, Herr Admiral; das ist aber nicht schwer. Ich war schon öfter in diesen Gewässern. Früher diente ich auf einem Schmuggler, der bald zu Calais, bald an der Küste von Suffolk landete.«

»Und bist Du niemand begegnet, als Du hierher kamst? Sahst Du kein Orlogschiff?«

Jean Bart antwortete nicht. Er errötete, drehte die Mütze zwischen den Händen und schlug die Augen nieder.

»Warum errötest Du?« fragte de Ruiter rasch. »Denkst Du mich zu belügen?«

»Nein, beim heiligen Kreuz, Herr Admiral, das glauben Sie nicht. Man hat mir auf Befehl des Gouverneurs zu Calais gesagt, es sei gefährlich für mich, wenn ich mich beim Hersegeln von dem graden Kurs entferne.«

»Nun?«

»Auf die Gefahr hin, gefangen zu werden, habe ich mich von dem eigentlichen Steuerkurse etwas verirrt. Als ich mich geradeüber von Komings-Diep befand – es sprang gerade im Nordost eine leichte Kuhlte auf – lavierte ich rasch in den Kanal hinein, der mir sehr wohl bekannt ist.«

»Nun, was hast Du dort gesehen?« rief de Ruiter mit Ungeduld. »Hat man Dich nicht verfolgt?«

»Freilich, Herr Admiral. Da aber mein Logger ein tüchtiger Segler ist, dachte ich, so schadet es wenig, wenn einer der Kreuzer auf mich Jagd machte. Hatte ich doch die Höhe, und wenn ich ihn herauslockte, mußte er mich wohl in Frieden lassen, denn eine Fregatte ist viel zu durstig, als daß sie sich mit dem Wasser begnügt, das auf den Bänken von Heap zu finden ist. Ich wollte nun einmal etwas sehen und habe es auch, denn als ich nun Ost-Nord-Ost von Colchester war . . . .«

»So weit wagtest Du Dich?« unterbrach ihn der Admiral lebhaft.

»Ja, Herr Admiral. Aber nun durfte ich nicht weiter, denn alle Bojen, Baken und Tonnen, welche das Fahrwasser bezeichnen, waren zerstört. Ich legte also bei. Nahe bei Middle-Ground sah ich wohl an fünfzehn Fregatten, die ihre Segel aufgeiten und mit dem Lande Signale wechselten. Da hielt es mich nicht länger; ich machte noch einen Schlag vorwärts und sah mehrere Masten hervorragen, die vor Queens-Bourough zu ankern schienen. Da setzte ein Kreuzer Segel. Bei Westrocks habe ich ihn aus den Augen verloren und bin dann hier angekommen.«

»Das ist brav, mein Junge!« sagte Herr de Ruiter und schlug den jungen Mann auf die Schulter. »Deine Nachrichten sind sehr gut. Du hast mir einen wesentlichen Dienst geleistet. Kann ich etwas für Dich thun?«

»Beim heiligen Kreuz, wenn ich's sagen dürfte. . . . .«

»Nun, so rede. . . . .«

»Ich würde Euch bitten, Herr Admiral, meinem Herrn, der Lotse zu Sanct Paul ist, den Logger zurückzuschicken und mich bei Euch an Bord zu behalten, als was es immer sei.«

»Das will ich gern thun. Du bleibst also auf meinem Schiffe und ich werde den Logger durch einen Ostender Segelmeister, den ich den Engländern abgenommen habe, zurückbringen lassen.«

»Dank, Herr Admiral! Aber ich habe einen alten Seemann bei mir, der mich nie verläßt und mir Vater war. Darf der auch bleiben?«

»Das darf er.«

»Herr Admiral,« sagte Jean Bart in großer Bewegung, »ich weiß nicht, wie ich das sagen soll, was ich fühle. Aber beim heiligen Kreuz! Ihr seid ein Mann, wie der Seefuchs, von dem mir mein armer Vater erzählte. Das ist alles, was ich sagen kann . . . . Ihr seid ein zweiter Seefuchs.«

Obgleich der Admiral den jungen Mann nicht ganz verstand, gefiel ihm doch der Ausdruck der innigen Dankbarkeit, der ihm aus den feuchten Augen Jean Barts entgegenleuchtete, und er sagte mit wahrhaft väterlichem Tone. »Baue auf Gott, mein Sohn! Er sei Deine Stärke und Deine Hoffnung, und wer weiß, ob Du nicht mit seiner Hilfe steigst. Denke stets an das, was ich Dir jetzt sagen will. Ich bin Admiral, und hundert Kriegsschiffe stehen unter meinen Befehlen. Nun denn, ich bin der Sohn eines armen Bierzapfers und verdiente täglich einen Sou auf den Seilerwerften von Vlissingen! Geh! Ich werde Dich nicht vergessen.«

Und der Admiral entließ Jean Bart, nachdem er ihn und den alten Saurret von dem Schreiber in die Musterrolle des Schiffs hatte eintragen lassen. Hierauf wurden beide zum Zeugmeister geführt. Ein jeder empfing eine Jacke von grünem Tuche mit orange Knöpfen und Aufschlägen, weite Beinkleider von grober, friesischer Leinwand, einen Gurt von roter Serge und eine Kappe von brauner Wolle. Hierauf wurden beide zum Oberbootsmann geführt.

Auf dem Wege dahin ermahnte sie der Zeugmeisters-Maat unaufhörlich und mit einem hohen Tone, die Kleider nicht zu beschmutzen oder zu zerreißen. Jean Bart begann bereits ungeduldig zu werden, aber Saurret flüsterte ihm zu: »Seid still! Hier ist es nicht wie am Bord eines Kauffahrers. Hier ist der Matrose so gut Sklave, als der Christ bei den Türken. Hier geht oder steht, schläft oder arbeitet man nach dem Willen des Kapitäns, der keinen Meister über sich hat. Ein Kriegsschiff ist ebensowenig etwas Erfreuliches, als ein Franziskanerkloster, namentlich bei diesen Mynheers, die stumm sind wie ein Fisch im Netze. Wir hätten sollen so schnell wie möglich von hier fortsegeln.«

»Aber denke doch nur, was ich alles sehen werde! Beim heiligen Kreuz! Ich werde einer Seeschlacht beiwohnen. Ich, der ich nie dergleichen sah und nur mit den Strandsoldaten an der Küste von Suffolk ab und zu einige Kugeln wechselte. Und über das alles werde ich unter de Ruiter dienen, wie mein Vater unter dem Seefuchs diente.«

»Wohl wahr, junger Herr!« sagte Saurret. »Nichts ist herrlicher, als zwei Flotten, die sich gegenseitig hart bekämpfen. Es ist auch eine große Annehmlichkeit, sich mitten unter diesen Streitern zu befinden und Schlag um Schlag zu nehmen und zu geben. Aber wir werden sehen . . . .«

Hier brach Saurret plötzlich ab. Sie standen im ersten Zwischendeck vor der Thür einer Kajüte, unfern des Kabelgats. Der Bursche des Zeugmeisters öffnete die Thür und sagte zu dem dort anwesenden Hochbootsmann: »Hier sind zwei Matrosen, die von heute ab auf Befehl des Herrn Admirals angenommen sind.«

Herr Abraham Lely, Hochbootsmann der »sieben Provinzen«, war ein Mann, welcher an Bord gut angeschrieben war. Er galt für einen Seemann, in welchem sich ein rastloser Eifer mit kaltem Blute und großer Erfahrung einten. Er war einer von den zuverlässigen Leuten, die sich, wie ein niederländisches Sprichwort sagt, einen Backzahn ausreißen, um einen Nagel daraus zu machen, der ihnen mangelt. Aber außerdem war Herr Abraham Lely der gröbste, ungeselligste Kerl von ganz Niederland, ein dicker Wanst von ungefähr fünfzig Jahren mit einer schwarzen Perücke auf dem Kopf, die sein breites, fahles Gesicht noch abstoßender machte. Der linke Arm war ihm von einer Kanonenkugel weggerissen und darum der Aermel auf der Brust mit einer Segelnadel befestigt.

Dieser von der ganzen Mannschaft gefürchtete Deckoffizier war eben damit beschäftigt, einen Zwieback und ein Stück Stockfisch zu verzehren, das er in eine Sauce von Butter und Pfeffer tauchte, als Jean Bart und Saurret eingeführt wurden. Er fing, ohne sich beim Essen stören zu lassen, ein langes Examen an, und als er bemerkte, daß Jean Bart seine Mütze auf dem Kopfe behalten hatte, ergriff er ein langes Bambusrohr, das in seiner Nähe stand, und warf mit einem Schlage die Mütze von dem Kopfe des jungen Mannes herunter.

Jean Bart ballte die Fäuste und murmelte eine Verwünschung vor sich hin. Herr Abraham Lely aber fragte mit der ruhigsten Miene von der Welt. »Wo kommt Ihr her?«

»Von Sanct Paul, nahe bei Calais,« antwortete Jean Bart, seinen Zorn zurückhaltend, und nahm ein Stückchen Kautabak aus seiner Blechdose. Kaum aber hatte er diese geöffnet, als er einen Schlag mit dem Bambusrohre auf die Hand erhielt, so stark, daß die Dose bis an die Decke der Kajüte flog.

Jean Bart biß sich in die Lippen, und um seinem Zorne Luft zu machen, stampfte er heftig mit dem linken Fuße. Aber ein neuer Schlag des Bambus traf gerade auf die große Zehe des linken Fußes, um ihn zu warnen, auf diese Weise seinem Unmute freien Lauf zu lassen.

»Gottes Tod!« schrie er von Schmerz und Wut ergriffen und trampelte so heftig, daß der Sitz des Hochbootsmannes erbebte. »Fange nicht wieder an, Käsesack, oder . . . .«

Zum Glück hatte er dies auf französisch gesagt, und wieder zum Glück schob sich der alte Saurret dazwischen und sagte entschuldigend, der junge Mann lärme nur deshalb so ungebührlich, weil der Bambus eine noch nicht ganz geheilte Wunde getroffen habe.

Meister Lely blieb unerschütterlich kalt und setzte nach jedem Schlage den Stock wieder neben sich. Jean Bart ergab sich in sein Schicksal und ließ von Saurret alle noch folgenden Fragen des Hochbootsmannes beantworten.

»Splitzt mir dies Tau zusammen!« sagte der Hochbootsmann in strengem Tone, indem er auf zwei Tauenden und ein Splitzeisen zeigte. Der alte Saurret machte sich rasch daran und brachte eine so gute Arbeit zu stande, daß man nicht merkte, wo die Enden zusammengefügt waren. Jean Bart mußte dasselbe thun. Meister Lely prüfte die Arbeit, ohne dabei eine Miene zu verziehen, und fragte dann weiter: »Seid Ihr Kanoniere?«

Der alte Saurret, der nicht geringe Lust empfand, einmal tüchtig aufzuschneiden, sagte hastig: »Wir sind so gut daran eingeübt, daß mein junger Maat bei dem Schießen in Dünkirchen von Seiner Majestät dem Könige von Frankreich und Navarra einen Preis erhielt . . . .«

»Ach so!« unterbrach ihn der Hochbootsmann mit einem Blicke tiefster Verachtung. »Ihr gehört zu den Räubern von Dünkirchen?« Und ohne eine weitere Antwort abzuwarten, wandte sich der Hochbootsmann an Jean Bart. »Wo ist die beste Kanonengießerei?«

»Zu Perigord.«

»Was ist eine Raperte?«

»Die ausgezackte Unterlage, auf welcher die Kanonenläufe liegen.«

»Wie löscht man das griechische Feuer?«

»Man bedeckt es mit ungegerbtem Leder.«

»Was ist ein Toppgast?«

»Ein befahrener Matrose, der den Dienst in den Marsen hat. Der erste von ihnen heißt Toppkapitän.«

Nachdem das Examen in dieser Weise noch eine Zeit gedauert hatte, fragte der Hochbootsmann plötzlich, ob er Lotse sei. Harran Saurret wollte das Wort nehmen, um die Fähigkeiten seines jungen Herrn herauszustreichen, aber der gebietende Blick des Deckoffiziers scheuchte ihn zurück, und dieser fragte nochmals: »Bist Du Lotse?«

Aber Jean Bart, der keine Lust mehr zum Antworten hatte, sagte kurzweg: »Nein!« Das seltsame Verhör hatte plötzlich ein Ende, indem Herr Abraham Lely mit der Spitze seines Bambus auf die Thür seiner Kajüte zeigte, worauf sie sich entfernten.

»Gottes Tod!« schrie Jean Bart, als sie draußen waren, und trampelte mit beiden Füßen zugleich auf dem Deck herum. »Ich will das Leben nicht haben, wenn ich nur noch eine Minute mit diesem Stockfischesser zusammen bleibe.«

»Um Gottes willen, beruhigt Euch doch!« sagte Harran Saurret in größter Angst. »Da kommt ein Sergeant. Ich sehe seine Partisane schon leuchten.«

Der Sergeant kam mit zwei Soldaten herbei, die den noch immer trampelnden Jean Bart festnahmen und ihn fortführten. – »Legt den Unruhstifter auf die Latten!« befahl der Sergeant.

»Auf die Latten? Mich? Gottes Tod! Das wollen wir sehen!« schrie Jean Bart.

»Legt dem Großmaul einen Maulkorb an!« sprach der Sergeant weiter, und die Soldaten steckten ihm einen Knebel in den Mund.

Plötzlich wurde die Trommel gerührt. Der Admiral machte seine Runde längs den Batterieen und kam in die Nähe des Platzes, wo Jean Bart festgenommen war. – »Was bedeutet das?« fragte er staunend. »Wird man sprechen? Was giebt es hier?«

»Herr Admiral,« erwiderte der Sergeant, »ich fand diesen Mann, wie er einen furchtbaren Lärm vollführte.«

»Nehmt ihm den Knebel aus dem Munde, damit er antworten kann!« befahl Herr de Ruiter und sagte dann:

»Was kannst Du zu Deiner Entschuldigung sagen?«

»Herr Admiral! Beim heiligen Kreuz, ich will die ganze Wahrheit sagen. Bis heute bin ich nur auf Kauffahrern und Schmugglern gewesen, und da sind Kapitän und Matrose sich gleich. Wir thun jeder unsere Arbeit und rauchen nachher von demselben Tabak. Hier ist es anders. Sie schickten mich zu einem dicken Stockfischesser, der die ungeschlachte Manier hat, mit dem Bambus zu reden, statt mit dem Munde.«

»Das ist Lely!« sagte de Ruiter lachend.

»Weil der Hochbootsmann mich mit dem ersten Schlage lehren wollte, zu grüßen, mit dem zweiten, nicht Tabak zu kauen, mit dem dritten, ruhig zu sein, und mit dem vierten, hinauszugehen, übermannte mich der Zorn, und ich trampelte mit den Füßen, worauf der Mann mit der Partisane kam und mir einen Maulkorb anlegte, wie ihn die Bären auf dem Jahrmarkt zu Dünkirchen tragen.«

Herr de Ruiter hatte große Mühe, ernsthaft zu bleiben, und sagte zu Jean Bart: »An Bord eines Kriegsschiffes muß die strengste Mannszucht herrschen, mein Sohn. Jedermann ist derselben unterthänig, also mußt auch Du Dich unterwerfen. Scheint Dir das zu hart, so reise ab. Dein Logger ist noch nicht unter Segel. Wenn Du aber bleibst – blinden Gehorsam. Jetzt wähle.«

»Beim heiligen Kreuz!« rief Jean Bart entschlossen, »man soll nicht sagen, daß der Sohn des Cornelius Bart das Schiff des Admirals de Ruiter kurz vor der Schlacht verlassen habe, weil er nicht zu schweigen wußte. Ich bleibe, Herr Admiral, wenn ich mich bei der ersten Kanone vor Anker legen darf. Vergebt mir den Lärm, den ich machte, und ich schwöre, daß es nicht wieder vorkommen soll.«

Mit diesen Worten umschlang er die Kniee de Ruiters, der ihn mit Freundlichkeit aufhob und ihn freizulassen befahl.


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