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Wenn man zu den Gedankenmassen, die unter dem Begriff der Philosophie gesammelt sind, einen Eingang sucht, eine Bestimmung dieses Begriffes von einem Orte der geistigen Welt her, der nicht selbst schon in den philosophischen Bezirk hineingehört, so kann sich dieses Bedürfnis an der gegebenen Struktur unseres Erkennens nicht befriedigen. Denn was Philosophie ist, wird tatsächlich nur innerhalb der Philosophie, nur mit ihren Begriffen und Mitteln ausgemacht: sie selbst ist sozusagen das erste ihrer Probleme. Vielleicht richtet keine andre Wissenschaft ihre Fragestellung in dieser Art auf ihr eignes Wesen zurück. Der Gegenstand der Physik ist doch nicht die physikalische Wissenschaft selbst, sondern etwa optische und elektrische Erscheinungen, die Philologie fragt nach den Plautushandschriften und der Kasusentwicklung im Angelsächsischen – aber nach der Philologie fragt sie nicht. Die Philosophie, und vielleicht also sie allein, bewegt sich in diesem eigentümlichen Zirkel: innerhalb ihrer eignen Denkweise, ihrer eignen Absichten, die Voraussetzungen dieser Denkweise und Absichten zu bestimmen. Es gibt von außen keinen Zugang zu ihrem Begriff, weil nur die Philosophie selbst ausmachen kann, was die Philosophie sei, ja, ob sie überhaupt sei oder etwa mit ihrem Namen nur ein geltungsloses Phantasma decke.
Dieses einzigartige Verhalten der Philosophie ist die Folge oder vielleicht nur der Ausdruck ihrer grundlegenden Bemühung: voraussetzungslos zu denken. Wie es dem Menschen überhaupt nicht gegeben ist, ganz und gar »von vorn anzufangen«, wie er in sich und außer sich immer eine Wirklichkeit oder eine Vergangenheit vorfindet, die seinem Verhalten einen Stoff, einen Ausgangspunkt oder wenigstens ein Feindseliges und zu Vernichtendes bietet – so ist auch unser Erkennen von irgendeinem »Vorgefundnen« bedingt, von Realitäten oder inneren Gesetzen; von ihnen, die der Denkprozeß selbst nicht erzeugen kann, hängt, in mannigfaltigster Beschränkung seiner Souveränität, sein Inhalt und seine Richtung ab – und seien es auch nur die Regeln der Logik und der Methode oder das Faktum einer bestehenden Welt. Wo nun das Denken dennoch versucht, sich jenseits von Voraussetzungen überhaupt zu stellen, beginnt es zu philosophieren. Im ganz radikalen Sinne freilich wird dieser Versuch selten auch nur unternommen. Es wird vielmehr in der Regel ein Erkenntnisbild erstrebt, das von irgendwelchen einzelnen Voraussetzungen unabhängig ist: von dem unmittelbaren Eindruck der sinnlichen Welt oder von den hergebrachten moralischen Wertungen, von der selbstverständlichen Gültigkeit der Erfahrung oder der ebenso selbstverständlichen Realität göttlicher Mächte. Aber selbst in solcher Begrenzung unterscheidet sich die philosophische Voraussetzungslosigkeit von der andrer Gebiete durch die mitschwebende Stimmung: dieses Sich-selbst-gehören des Denkens, diese von nichts Äußerem gebundene Konsequenz seiner betreffe, über die momentane Einzelheit hinaus, das Ganze des Erkennens, ja, des Lebens. Die vollkommene Voraussetzungslosigkeit ist freilich unerreichbar. Wo auch das Erkennen einsetzt, irgend etwas ist schon vorausgesetzt, das uns entweder als ein Dunkles, nicht zu Bewältigendes ängstigt, oder umgekehrt uns ein Halt in der Relativität, dem Fließen, dem Nur-Sich-selbst-haben der Erkenntnis ist. Darum ist die absolute Voraussetzungslosigkeit zwar ein richtunggebendes, aber nicht ein erreichbares Ziel des philosophischen Denkens, während sie dies in andern Wissensgebieten von vornherein nur in relativem Maße ist. Wo sich die Philosophie zur Erkenntnistheorie entwickelt, hat dies den tieferen Sinn, daß sie nun die Voraussetzungen des Erkennens, auch des philosophischen selbst, aufsucht und anerkennt, oder eben dadurch dies außerhalb ihrer Gelegene in ihre Jurisdiktion, ihre Erkenntnisformen einbezieht.
Diese, im Begriff der Philosophie gelegne Voraussetzungslosigkeit, diese innere Autonomie ihres Denkprozesses hat begreiflicherweise jene Folge: daß sie ihr Problem mit ihren eignen Mitteln bestimmt, daß, wenn ihr Gegenstand, ihre Ziele und Wege untersucht werden, es nur innerhalb ihrer selbst geschehen kann. Diese Folge hat aber ihrerseits eine wichtigere Konsequenz. Das Recht und die Pflicht der Philosophie, sich mit größerer Unabhängigkeit von dem Gegebenen, als sie in andern Erkenntnisprovinzen besteht, ihr Objekt selbst zu fixieren, bringen es mit sich, daß die verschiednen philosophischen Lehren auch von grundsätzlich verschiednen Problemstellungen ausgehen. In jeder andern Wissenschaft besteht ein allgemeiner, prinzipiell anerkannter Erkenntniszweck, der sich sozusagen erst in einer oberen Schicht in die Mannigfaltigkeit der Sonderaufgaben zerlegt. In der Philosophie allein bestimmt jeder der überhaupt originalen Denker nicht nur, was er antworten, sondern auch, was er fragen will – fragen nicht nur im Sinn jener Sonderaufgaben, sondern was er überhaupt zu fragen hat, um dem Begriff der Philosophie zu entsprechen. Diesen Begriff bestimmt z. B. Epikur als die Bemühung, durch Gründe und Überlegungen zu einem glückseligen Leben zu gelangen, Schopenhauer als das Bestreben, durch Vorstellungen zu dem zu gelangen, was nicht Vorstellung ist, d. h. zu dem Jenseits der empirischen Erscheinung, mit der die andern Wissenschaften sich beschäftigen; für das Mittelalter ist die Philosophie die Magd der Theologie, die Begründung der religiösen Wahrheiten, für den Kantianismus die kritische Besinnung der Vernunft auf sich selbst; während sie einerseits rein ethisch bestimmt wird als die Untersuchung dessen, was für die praktischen Lebensideale des Menschen bedeutsam ist, erscheint sie anderswo als eine logische Bearbeitung des Weltbildes, um dessen ursprünglich vorgefundne Widersprüche zu überwinden. Aus dieser – beliebig vermehrbaren – Mannigfaltigkeit der philosophischen Zielsetzungen ergibt sich unzweideutig: daß der einzelne Philosoph das scheinbar ganz allgemeine, gegenüber aller Antwort noch unparteiliche Problem dennoch von vornherein so stellt, wie es der Antwort, die er geben will, entspricht. Jene Personalität des philosophischen Denkens verhindert es, daß ein allgemeines Erkenntnisziel, über die Zentriertheit der Denkbewegung in sich selbst hinausreichend, gegeben werde. Man könnte fast sagen, die philosophische Produktivität des originellen Denkens sei etwas in sich so Einheitliches, so sehr der intellektuelle Ausdruck eines in sich geschlossenen Seins, daß Frage und Antwort erst eine nachträgliche Spaltung des Denkbildes bedeuteten. In viel geringerem Maße mindestens, als auf andern Gebieten, ist hier das Problem ein gemeinsames und die Lösung eine besondere; vielmehr, wenn diese die jeweilig bestimmte sein soll, so kann von vornherein das Problem nur in der bestimmten, auf jene zugespitzten Art gestellt werden.
Was aber bleibt, wenn jede Definition nur für die besondre Philosophie des besondern Denkers gilt, noch übrig, um die Gemeinsamkeit des Namens für so auseinandergehende Bestrebungen zu rechtfertigen? Vielleicht wird man, um hier zu einer Antwort zu kommen, die Frage aus ihrer bisherigen Richtung herausdrehen müssen. So lange Zweck und Inhalt der Philosophie ihre Definitionen bestimmen, scheint ihr Gesamtgebiet keinen Generalnenner zu besitzen; aber noch könnte dieser in dem Verhalten der Philosophen selbst liegen – nicht in den Resultaten ihres Denkens, sondern in einer Grundbedingung, unter der all jene, in ihren Verzweigungen nicht mehr zusammenzubringenden Resultate allein gewonnen werden können. Es handelt sich um eine formale innere Beschaffenheit des Philosophen als solchen, die nicht als psychologische »Lebensstimmung« gemeint ist, sondern als die sachliche, wenn auch natürlich nur in seelischer Verwirklichung lebendige Bedingung alles Philosophierens überhaupt. Man kann den Philosophen vielleicht als denjenigen bezeichnen, der das aufnehmende und reagierende Organ für die Ganzheit des Seins hat. Der Mensch ist im allgemeinen – dafür sorgt schon die Praxis des Lebens – immer auf irgendwelche Einzelheiten gerichtet; mögen sie sehr klein oder sehr groß sein: der tägliche Broterwerb oder ein kirchliches Dogma, ein Liebesabenteuer oder die Entdeckung der Periodik der chemischen Elemente – es bleiben immer Einzelheiten, die das Sinnen, das Interesse, die Betätigung erwecken. Der Philosoph aber hat, natürlich in sehr verschiednen Maßen und niemals in absolut vollkommnem, einen Sinn für die Gesamtheit der Dinge und des Lebens und – insoweit er produktiv ist – die Fähigkeit, diese innere Anschauung oder dieses Gefühl des Ganzen in Begriffe und ihre Verknüpfungen umzusetzen. Er braucht natürlich nicht immer vom Ganzen zu sprechen, ja vielleicht kann er das im genauen Sinne gar nicht; aber welche Spezialfrage der Logik oder der Moral, der Ästhetik oder der Religion er auch behandle – als Philosoph tut er es nur, wenn jene Beziehung zu der Totalität des Seins irgendwie darin lebt.
Nun ist natürlich die Ganzheit des Daseins im wirklichen Sinne niemandem zugängig und kann auf niemanden wirken. Sie muß erst aus den allein gegebenen Fragmenten der Wirklichkeit zustande gebracht werden – wenn man will: als »Idee« oder auch nur als Sehnsucht –, um so erst die Reaktion des philosophischen Intellekts hervorzurufen. So ist freilich damit ein Wechsel diskontiert, der nie mit seinem vollen Betrage eingelöst werden wird. Aber dies philosophische Produzieren eines objektiven Ganzen aus den Fragmenten der Objektivität und der Weiterbau auf dem so Produzierten ist nur die äußerste Steigerung eines allgemeinen Verfahrens. So leuchtet z. B. dem Historiker aus den Bruchstücken der Überlieferung die Ganzheit eines Charakters entgegen, auf die er seine Darstellung aufbaut; ja, selbst die vollständigste Überlieferung kann hier jene innere Anschauung des Gesamtwesens nicht enthalten, sondern diese bleibt die spontane, wenn auch durch äußere Einzelheiten angeregte und gelenkte Tat einer merkwürdigen Energie, die man, um nur einen Namen dafür zu haben, das Totalisierungsvermögen der Seele nennen mag. Und dieses wird, jenseits einer gewissen Größenschwelle, zur gemeinsamen Voraussetzung alles Philosophierens überhaupt, zu so individuellen – schon in jenen Definitionen der Philosophie ihre Individualität ausdrückenden – Gebilden dieses sich auch entwickle.
Es sind nun zwei prinzipielle Versuche geschehen, die Ganzheit des Seins dennoch in einer realeren Weise zu ergreifen und – sowenig sie von dahingehendem Bewußtsein und Absicht gelenkt waren – eine Verständlichkeit dafür zu schaffen, daß der Philosoph von dieser Ganzheit irgendwie berührt ist und intellektuell darauf antwortet. Der eine ist der Weg der Mystik, der andre der Kants. – Ich lasse dahingestellt, ob die Mystik – als deren Typus ich hier die des Meister Eckhart wähle – ohne Vorbehalt der Philosophie zuzurechnen ist; vielleicht ist sie ein für sich stehendes geistiges Gebilde, jenseits von Wissenschaft wie von Religion; aber Eckharts Spekulation bewegt sich sozusagen in einer so allgemein menschlichen letzten Tiefe, daß die Philosophie seine Motive ohne weiteres in ihre Formen übertragen kann. Das erste Glied der Reihe, in die seine Gedanken für unsern jetzigen Zweck zu ordnen sind, ist die absolute Eingeschlossenheit aller Dinge in Gott; insoweit sind sie alle ein Wesen, das einzelne ist nichts Individuelles für sich. Erst durch das Geschehen, das Eckhart mit dem mystischen Symbole bezeichnet: daß Gott in Ewigkeit den Sohn gebäret – werden die Dinge in ihrer Mannigfaltigkeit. Aber sie bleiben, ihrer Wurzel wie ihrer Substanz nach, des göttlichen Wesens. Gott fließt in alle Kreaturen aus und darum ist alles Geschaffne Gott; kehrte sich Gott einen Augenblick ab, so würden sie zunichte. Dieses Göttliche aber ist in sich schlechthin Einheit – Gott, der alles ist, ist »weder dies noch das«, sondern »ein und einfältig in sich selber«. So ist also zunächst die Ganzheit der Welt in einen Punkt gesammelt. Dies aber gibt Eckhart die Möglichkeit, sie in die Seele überzuführen. Die Seele selbst hat zwar mannigfache Fähigkeiten, aber es ist ein Mittelpunkt in ihr, der von keiner kreatürlichen Mannigfaltigkeit berührt wird; Eckhart nennt ihn »das Fünkchen« – ein schlechthin »Eines und Einfältiges«, der eigentliche Geist der Seele. In diesem spricht Gott unmittelbar, ja, er ist überhaupt nicht mehr von Gott geschieden, er ist mit ihm »eins und (nicht nur) vereint«: »hier ist Gottes Grund mein Grund und mein Grund Gottes Grund«. An diesem Punkte erkennen wir alle Dinge in ihrem wahren Wesen, weil wir ihre Einheit in Gott haben, oder richtiger: sind; »mein Auge und Gottes Auge ist ein Auge und ein Gesicht«.
Hier ist vielleicht das innerste Motiv der Verbindung, die von je zwischen Religion und Philosophie bestanden hat, am klarsten ausgesprochen. An der Vorstellung Gottes hat der Gläubige das Ganze der Welt, auch wenn ihm all ihre unzähligen Einzelheiten fehlen. Die Mystik sucht dies gewissermaßen anschaulich zu machen, indem sie das Wesen der Seele in einen letzten, einfachen Lebenspunkt sammelt, der von jener Einheit des göttlichen Wesens nicht mehr getrennt ist. In den verschiedensten Formen geht dieses Motiv durch die religiöse Mystik und die philosophische Spekulation aller Zeiten hindurch: daß die tiefste, alle Mannigfaltigkeit überwindende Versenkung in uns selbst zugleich in die absolute Einheit der Dinge führt; es gäbe einen Punkt, an dem diese Einheit, in der Idee Gottes ausgesprochen, sich als das Wesen und die Einheit unser selbst offenbarte. Die philosophische Attitüde, die ein Verhältnis des Geistes zum Ganzen der Welt bedeutet und angesichts der Maße des Individuums und der Welt als ein Widersinn, ja, ein Irrsinn erscheinen könnte, erhält damit eine metaphysische Rechtfertigung, sie erscheint als die intellektuelle Wendung jenes, wie es scheint, in allen Epochen des tieferen Menschheitslebens auftauchenden Gefühles: daß wir in den Grund der Welt gelangen, wenn wir uns in den Grund der eignen Seele versenken.
Von der entgegengesetzten Seite her gibt das Grundmotiv der Philosophie Kants eine Möglichkeit, jenes, im Weltgefühl des Philosophen vorweggenommene Wissen um die Ganzheit der Dinge zu begründen. Kants Hauptwerk findet seinen Gegenstand nicht an dem Dasein, das als Ganzes gedacht wird oder das unmittelbar erlebt wird; sondern an ihm, insoweit es Wissenschaft geworden ist. Dies ist die Form, in die jene Ganzheit der Dinge für ihn eingeht, um nach ihrem Wesen und nach ihren Bedingungen befragt zu werden. Die Welt ist ihm Realität, insofern sie Inhalt der – schon gewonnenen oder möglichen – Wissenschaft ist; was den Bedingungen dieser nicht entspricht, ist nicht »wirklich«. Und hierüber bedarf es einer weiter ausholenden Besinnung, ehe der Kantische Weg zu dem jetzt fraglichen Ziel verfolgt werden kann.
Es gibt vielleicht keine Notwendigkeit des Denkens, deren wir uns – obgleich sie weder logischen Zwang noch den der fühlbar gegebnen Tatsächlichkeit enthält – so wenig entschlagen können, als der Zerlegung der Dinge in Inhalt und Form. In unzähligen, so und anders benannten Modifikationen durchzieht diese Scheidung unser Weltbild, als eine der Organisationen und Gelenkigkeiten, mit denen der Geist die in ihrer unmittelbaren Einheit ungefüge Masse des Daseienden sich gefügig macht. Schließlich erhebt sich über alle einzelnen Inhalte und variierenden Formen ein höchstes Gegensatzpaar: die Welt als Inhalt, als das in sich bestimmte, aber in seiner Unmittelbarkeit uns nicht ergreifbare Dasein – dadurch indeß ergreifbar gemacht, daß es in einer Mannigfaltigkeit von Formen ausgestaltet ist, deren jede prinzipiell seine Ganzheit zu ihrem Inhalt gewinnt. Die Wissenschaft und die Kunst, die Religion und die gefühlsmäßig-innerliche Verarbeitung der Welt, die sinnliche Auffassung und der Zusammenhang der Dinge nach einem Sinn und Wert – dies und vielleicht noch andre sind die großen Formen, durch welche jeder einzelne Teil des Weltinhaltes sozusagen hindurchpassieren kann oder soll. Wie uns unsere Welt gegeben ist, zeigt sie an jedem Punkt ein inhaltliches Element, das in eine dieser Kategorien ausgenommen ist; denselben Inhalt meint unsre Reflexion bald unter dieser, bald unter jener Kategorie zu erblicken: eben denselben Menschen können wir als Gegenstand des Erkennens und der künstlerischen Formung haben, eben dasselbe Ereignis als Moment unseres inneren Schicksals und als Erweis eines göttlichen Eingreifens, eben denselben Gegenstand als rein sinnlichen Eindruck und als Moment einer metaphysischen Konstruktion des Daseins. Es ist nun der Sinn jeder dieser großen Formen, jeden überhaupt vorhandnen Inhalt in sich aufnehmen zu können; die Kunst kann es ihrem Prinzip nach beanspruchen, den ganzen Umfang des Daseins zu gestalten, ebenso kann sich der Erkenntnis kein Stück der Welt entziehen, jedes Ding kann man nach seiner Stellung in irgendeiner Wertreihe fragen, auf ein jedes muß ein vollkommenes Gefühlsleben reagieren können usw. Allein wenn, der Idee dieser Formen nach, eine jede die ganze Welt in ihre Sprache übersetzen kann, so läßt die Wirklichkeit sie dennoch nicht in diesem vollen Maß zu Worte kommen. Und zwar deshalb nicht, weil jene Formen niemals in abstrakter Reinheit und absoluter Vollendung wirksam sind, sondern nur in den Grenzen und Besonderheiten, die die jeweilige Geisteslage ihnen läßt. Wir haben keine Kunst schlechthin, sondern die in der Zeitkultur gegebnen Künste, Kunstmittel und Stile. Und da diese heute andere sind als gestern und als sie morgen sein werden, so reichen sie nur aus, bestimmte Inhalte künstlerisch auszugestalten, während andre in diesen jetzt verfügbaren artistischen Formungen kein Unterkommen finden – grundsätzlich aber allerdings zum Inhalt der Kunst werden könnten. Ebensowenig haben wir die absolute Religion, die es gestatten würde, jedem Dinge, dem niedrigsten und zufälligsten wie dem höchsten einen religiösen Sinn, einen Zusammenhang mit allen in der Einheit des religiösen Grundmotivs zu geben; sondern wir haben nur historische Religionen, deren jede einen gewissen Teil der Inhalte von Welt, Seele, Schicksal religiös durchdringt, während ein andrer Teil draußen bleibt und sich der religiösen Formung entzieht. Es ist immer dasselbe: das ideelle Recht jeder dieser großen Formen, aus der Gesamtheit der Inhalte je eine ganze Welt aufzubauen, realisiert sich nur in der unvermeidlichen Unvollkommenheit des historischen Gebildes, als welches sie allein lebendig ist, mit all den Zufälligkeiten, Anpassungen, Zurückgebliebenheiten oder Schiefheiten der Entwicklung, individuellen Einseitigkeiten, kurz all den Besonderheiten und den Ausfällen, die die historische, an die Umstände der Zeit gebundene Realität gegenüber der Idee und dem Prinzip aufweist. Mit der wissenschaftlichen Erkenntnis kann es sich nicht anders verhalten. Die Begriffsbildung und die Art, Erfahrungen zu sammeln und zu ordnen, die Umbildung der sinnlichen Gegebenheit in ein naturgesetzliches oder geschichtliches Bild, die Kriterien von Wahrheit und Irrtum, kurz all die Formen und Methoden, in die aufgenommen die Weltinhalte zu Wissenschaftsinhalten werden, haben sich im Verlauf der menschlichen Geistesgeschichte entwickelt und entwickeln sich zweifellos weiter. Zu dem Ideal der Wissenschaft, in die die Weltinhalte restlos aufgegangen seien, fehlt uns nicht nur die Fähigkeit, diesen Inhalt empirisch zu bewältigen, die Wissenschaftsform nun auch tatsächlich auf die ganze Unermeßlichkeit der Dinge anzuwenden; sondern es fehlt uns auch die absolute, jeder Aufgabe überhaupt gewachsene Vollendung dieser Form selbst, da wir sie nur in den fortwährend modifizierten, nicht abgeschlossenen und für ein historisch-evolutionistisches Wesen, wie der Mensch es ist, auch niemals abzuschließenden Ausgestaltungen in der jeweiligen Erkenntnisepoche besitzen. Allen Wahrscheinlichkeiten, allen Analogien, unzähligen tatsächlichen Hinweisen würde die Annahme widersprechen, daß die von unübersehbar mannigfaltigen historischen Umständen bedingten Formungen irgendeiner aktuellen Wissenschaft auch nur imstande wären, die Ganzheit des Daseins in sich aufzunehmen. Wenn Fichte sagt, was für eine Philosophie jemand habe, hänge davon ab, was für ein Mensch er wäre – so gilt dies weit über die Philosophie und weit über den einzelnen Menschen hinaus. Was für eine Wissenschaft die Menschheit in einem gegebnen Augenblick hat, hängt davon ab, was für eine Menschheit sie in diesem Augenblick ist; und wie sich die Unvollendetheit und geschichtliche Zufälligkeit ihres Seins zu der Idee ihrer Vollendung verhält, so ersichtlich die Formen und Kategorien, die für sie in jedem Jetzt Wissenschaft bedeuten, zu jenen, die für die Gestaltung des gesamten Weltinhalts zur Wissenschaft zulänglich wären.
Dies nun steht mit der Überzeugung Kants insofern in Widerspruch, als ihm die Grundformen, in denen die bestehende Wissenschaft den Stoff des Daseins erfaßt, für dessen ganzen Inhalt zuzureichen und keiner Evolution unterworfen scheinen. Dennoch ist auch jener jetzige Standpunkt nur auf Grund des seinigen möglich, für den er den gesammeltsten, freilich auch paradoxesten Ausdruck damit findet: daß der Verstand der Natur ihre Gesetze vorschreibt. Das Grundmotiv ist, daß die Erkenntnisvorstellungen der Dinge nicht in uns hineingeschüttet werden, wie Nüsse in einen Sack, daß wir als Erkennende nicht die passiv Ausnehmenden gegenüber den Sinnesempfindungen sind, wie die indifferente Wachsplatte durch den Eindruck des Stempels von außen her geformt wird. Sondern alles Erkennen ist eine Aktivität des Geistes, die Sinneseindrücke, denen gegenüber wir uns rezeptiv verhalten, sind noch nicht Erkenntnis, und der Komplex ihrer Inhalte ist nicht »die Natur«. Vielmehr, diese Eindrücke müssen Formen und Verbindungen erhalten, die in ihnen selbst nicht liegen, sondern die eben von dem erkennenden Geiste als solchen an ihnen ausgeübt werden. Dadurch wird aus dem Chaos oder dem bloßen Nebeneinander und Nacheinander von sinnlichen Erscheinungen erst das, was wir Natur nennen: ein sinnvoller, verständlicher Zusammenhang, in dem alle Mannigfaltigkeiten als prinzipielle, durch Gesetze verbundene Einheit erscheinen. Sobald diese Gesetze sich auf einzelne gegebene Dinge beziehen, geben sie sich uns freilich nur durch Erfahrung, d. h. durch ein Zusammenwirken der sinnlichen Empfänglichkeit mit dem ausgestaltenden Verstande. Die allgemeinsten Regeln aber, die überhaupt die Vielheit der Erscheinungen zu der einheitlichen Natur formen (z. B. das Kausalgesetz), stammen nicht aus den Erscheinungen, sondern aus der dem Geiste eigenen Fähigkeit, zu verbinden, zu vereinheitlichen. Diese Fähigkeit nennt Kant den Verstand, und dieser also ist es, der der Natur ihre Gesetze vorschreibt, da ja diese Gesetze – die Verbindungsformen des Geistes selbst für die gegebenen Weltinhalte – aus den letzteren erst »die Natur« zustandebringen. Dieser genauere Sinn der populären Formulierung von Kants Lehre: daß »die Welt meine Vorstellung ist« – gibt dem Geiste eine Beziehung zur Welt, die deren ganzen Umfang, trotz aller Unerschöpflichkeit seiner Einzelheiten, in sich sammelt. Wir wissen absolut nichts von den Dingen, außer insoweit sie in unserem Bewußtsein sind, d. h. von der Aktivität unseres Geistes zu Gegenständen der Erkenntnis gestaltet werden; dadurch sind die Gesetze des Geistes die Gesetze der Dinge, kein Erkenntnisinhalt, von dem wir überhaupt sprechen können, kann sich der Gestaltung gemäß den Formen des Geistes entziehen. Und dies mag für die wissenschaftliche Erkenntnis vollkommen richtig sein – nur daß die Formen dieser Erkenntnis selbst eben historische Gebilde sind, die deshalb die Totalität der Weltinhalte nie völlig adäquat aufnehmen. Wäre ihre Entwicklung aber so vollendet, wie Kant sie ohne weiteres annimmt und wie sie gemäß der prinzipiellen Idee der Erkenntnis zweifellos sein könnte – so würde damit allerdings eine geistige Berührungsmöglichkeit zwischen dem Menschen und der Totalität des Daseins gegeben sein. Der Widersinn, mit dem die quantitative Diskrepanz zwischen einem einzelnen seelischen Sein und der Unermeßlichkeit des Daseins überhaupt diese Berührung und damit die philosophische Attitüde überhaupt zu schlagen schien, hebt sich durch die unerhörte Kühnheit der Kantischen Wendung: daß dieses ganze Dasein seine Form als Gegenstand der Erkenntnis eben der seelischen Beschaffenheit verdankt. Seine inhaltlichen Einzelheiten mögen sozusagen in der Welt verbleiben und ihrer allmählichen Aufnahme in die Erfahrung warten; aber die Formen, die Erfahrung und Natur überhaupt zustande bringen, in denen also der Gesamtumfang der erkannten Welt potentiell enthalten ist – die liegen im Geiste und nur in ihm bereit und sind seine Funktionen, die sein Erkennen heißen. Er hat eine Beziehung zur Ganzheit der Welt, da gerade ihre Ganzheit sein Erzeugnis ist.
Eigentümliche Relationen also bestehen zwischen der Begründung, die die Mystik dem Prinzip des philosophischen Verhaltens gibt, und der, die dafür aus dem Kantischen Motiv zu schöpfen ist. Dort war der Inhalt der Welt gewissermaßen in einem Punkt gesammelt, insofern seine Differenzen als unwesenhaft gelten und nur die Einheit des göttlichen Seins eigentlich existiert – so daß die Seele, dieser gleichfalls zugehörig, in ihr die unmittelbare Durchdringung mit der Welt gewinnt, die sich dann in der philosophischen Gedankenentwicklung sozusagen expliziert. Diese Anschauungsweise hat etwas Formloses, es steht nur die Substanz des Seins und das Eingesenktsein in sie in Frage, wobei die Wirklichkeit alle Individualität, d. h. alle Form einbüßt. Die Kantische Reflexion dagegen hat ihren Angelpunkt im Formbegriff. Es gibt einige wenige, das Weltmaterial zu einer Welt bildende Formen, die sich einer Unendlichkeit mannigfaltiger Inhalte darbieten. Und da es sich für Kant nur um die Welt der Erkenntnis handelt, das Erkennen aber nirgends anders als im Bewußtsein vor sich geht, so sind es die Formen des Bewußtseins, die die Welt nach allem, was als Prinzip für sie gilt, nach allem, was sie zu einem Gegenstand des Erkennens macht, präjudizieren oder in sich fassen. Es ist verständlich, daß das philosophische Ergreifen des Weltganzen sich entweder in dessen Reduktion auf die bloße formlose Substanz oder auf die inhaltlose Form vollzieht. Denn die konkrete Erscheinung, d. h. der geformte Stoff, ist das Unabsehliche, ist die Unendlichkeit des Seins, die kein Gedanke umfassen, von deren Ganzheit er sich nicht mit einem Male berührt wissen kann. Nur wenn der Geist den Inhalt für sich oder die Form für sich abstrahiert und damit eine gestaltende Eigentätigkeit am Dasein ausübt, scheint er durch eben diese einen Zugang zu dessen Totalität zu gewinnen. Die Analogie, die so zwischen den beiden, nach Gesinnung und Inhalt unendlich differenten Weltanschauungen dennoch in Hinsicht des gegenwärtigen Problems besteht, wird ersichtlich durch die gemeinsame Bedeutung des Wissens um uns selbst für das Wissen um die Welt getragen. Alle Formen, die die Erkenntniswelt bilden, laufen für Kant in einer zentralen, der eigentlich schöpferischen und normgebenden zusammen: in der Einheit. Die mannigfaltigen Vorstellungen werden zu objektiven Erkenntnissen, indem sie zu der Einheit eines Gegenstandes, eines Satzes, einer Gedankenreihe, eines Weltbildes zusammengehn. Für die Ordnung des chaotischen Nebeneinander, Durcheinander, Nacheinander der Elemente, d. h. für das Gestaltungsprinzip einer verständlichen Welt haben wir keinen anderen Ausdruck als: Einheit des Mannigfaltigen. Daß dies eben die Form unsrer Erkenntniswelt ist, wird einerseits bedingt, andrerseits realisiert durch die Form des Bewußtseins, durch das und für das diese Welt besteht; diese Form ist Einheit; die Inhalte meines Bewußtseins sind mir eben als einer Persönlichkeit zugehörig bewußt, als Empfindungen und Gedanken, Impulse und Leiden eines Ich, das sich an jedem Punkte dieser Mannigfaltigkeit als das identische weiß, das durch die Diskordanz seiner Inhalte und Produkte nicht zerrissen werden kann; oder vielmehr: dessen Zerrissenheitsgefühl, wo es auftritt, eben gerade nur durch das Bestehen seiner Einheit möglich ist – sonst würde keine Zerrissenheit, sondern ein gleichzeitiges Nebeneinander dieser Inhalte bestehen. Dieser letzte Punkt des Ich in uns, in den die Welt eingeht und von dem, anders angesehen, jene Strahlen ausgehn, die die Welt in sich fassen und sie damit überhaupt erst zu einer Welt machen – besitzt für das Problem, das uns hier angeht, die gleiche Bedeutung wie das »Fünklein« bei Eckhart. In beiden Fällen ist es gerade die absolute, zentrale Einheit des Geistes, durch die er sich der Beziehung zu der absoluten Ganzheit des Daseins öffnete.
Daß das philosophische Grundverhalten sich auf diesem Wege – durch die innerlichste Einheit des Geistes hindurch – realisiert, läßt die Besonderheiten dieses Verhaltens sich als begreifliche Konsequenzen entwickeln. Zunächst diejenige, die man mit dem sehr zweideutigen Begriff der »Subjektivität« philosophischer Theorien, im Gegensatz zu der Objektivität der empirischen oder mathematischen exakten Erkenntnisse, bezeichnet hat. Je weiter der Kreis der Dinge geschlagen ist, auf den eine einheitliche Reaktion des Intellekts erfolgt, um so freier wird sich dessen Individualität in dieser Reaktion ausdrücken können; denn seine Wahl des entscheidenden Elementes oder der wesentlichen Kombination der Elemente wird entsprechend größer sein, als wo nur ein einziges oder wenige Elemente die Reaktion hervorrufen. Mit der steigenden Weite des Kreises differenter Objekte nähert sich die Notwendigkeit, in einer für alle Individuen gleichmäßig gültigen Weise zu reagieren, dem Grenzwert Null: gerade das, was man Weltanschauung nennt, hängt am meisten von dem differenten Sein der Persönlichkeiten ab; gerade das Bild des Ganzen, das das Vollste und Reinste der Objektivität zu enthalten scheint, spiegelt die Besonderheit seines Trägers viel mehr, als das objektive Bild irgendeiner Einzelheit es zu tun pflegt. Wenn man von der Kunst sagt, sie wäre ein Weltbild, gesehen durch ein Temperament, so ist die Philosophie ein Temperament, gesehen durch ein Weltbild. Das Merkwürdige ist nur, daß jene Besonderheit hier nicht die eigentliche Unvergleichlichkeit bedeutet, nicht die Punkte betrifft, in denen jeder Mensch schlechthin anders ist als jeder andre; denn es gibt nicht nur nicht so viele Philosophien, wie es philosophierende Menschen gibt, sondern die Zahl der originalen, die Weltanschauung bestimmenden Grundmotive der Philosophie ist sehr beschränkt. Diese Motive tauchen, die Jahrtausende entlang, immer wieder auf, sie spalten sich, fügen sich zusammen, erscheinen in Abtönungen und wechselnden Gewändern; aber ihre Zahl vermehrt sich nur äußerst langsam und man weiß nicht, ob man es als eine Armut der Menschheit bezeichnen soll, daß sie es, im Verhältnis zu der unendlichen Mannigfaltigkeit der Individualitäten und der Schicksale, der Erfahrungen und der Stimmungen, nur zu einem solchen Minimum wirklicher Gesamtauffassungen und Einheitsgedanken dem Dasein gegenüber gebracht hat; oder als ihren Reichtum, daß sie diesem engen Bezirk philosophischer Grundanschauungen die Befriedigung für unübersehbar nuancierte geistige Ansprüche, die Befruchtung der mannigfaltigsten seelischen Komplexionen, bis in ihr Allerpersönlichstes hinein, entlocken konnte. Aber diese quantitative Geringfügigkeit der unterschiedenen philosophischen Reaktionen auf die Welt und das Leben zeigt an, daß ihre Bestimmtheit durch das persönliche Moment, ihre »Subjektivität«, in keinem Fall eine Willkürlichkeit und ein Nachgeben gegenüber den Schwankungen subjektiver Launen bedeuten kann, ja nicht einmal die Singularität des psychisch-individuellen Verlaufes. Hier wird vielmehr eine tiefgründige, und mit den traditionellen Begriffen nicht ohne weiteres beschreibbare seelische Kategorie wirksam. Es ist einerseits völlig irrig, den Ursprung einer Philosophie aus den »Personalakten ihrer Urheber« ergründen zu wollen. Denn was man das »Persönliche« zu nennen pflegt: das Temperament, die Schicksale, das Milieu – das gerade ist ja das Allgemeine, das dem Philosophen mit unzähligen andern gemeinsam ist und deshalb seine Schöpfung, die absolut nur in ihm und in keinem andern erwachsen ist, nicht erklären kann. Vielmehr, das eigentlich und einzig Persönliche an dem schöpferischen Menschen ist sein Werk, bzw. der Prozeß, der gerade auf dies Werk und nichts anders hingeht und hingehn kann. Aber ebensowenig ist der Einzigkeits- und Unvergleichbarkeitspunkt im Individuum der zureichende Grund seiner Schöpfung, weil dann ihre Begreiflichkeit und Gültigkeit für andre, ihre objektive Vorstellbarkeit, das Hinausrücken in unzählige überpersönliche Zusammenhänge nicht statthaben könnte. Jener seelische Träger der Reaktion auf das Dasein ist also keineswegs die ganz unmittelbare Individualität, sondern muß in einer besondern Schicht oder Modifikation dieser gesucht werden. Andrerseits aber entscheidet doch auch nicht die logische Verkettung, das sachliche Wissen und seine Methoden über die Entstehung einer Philosophie. Denn dies alles mag den Denkern einer Kulturperiode gemeinsam sein und zwischen ihren konkreten Erkenntnissen keinen Widerspruch bestehen lassen – und dennoch gehen ihre philosophischen Weltbilder aufs schärfste und bis zur völligen gegenseitigen Verneinung auseinander. Es muß also im Menschen noch ein Drittes geben, jenseits ebenso der individuellen Subjektivität wie des allgemein überzeugenden, logisch-objektiven Denkens; und dieses Dritte muß der Wurzelboden der Philosophie sein, ja, die Existenz der Philosophie fordert als ihre Voraussetzung, daß ein solches Drittes da sei. Man mag dies – mit sehr ungefährer Charakteristik – als die Schicht der typischen Geistigkeit in uns bezeichnen. Denn Typus ist doch ein Gebilde, das sich weder mit der einzelnen, realen Individualität deckt, noch eine Objektivität jenseits der Menschen und ihres Lebens darstellt. Und es äußern sich tatsächlich in uns geistige Energien, deren Betätigungsinhalte nicht subjektiv-individuellen Wesens sind, ohne darum doch die Nachzeichnung eines Objektiven, das dem Subjekt gegenüberstünde, zu sein. So scheidet ein Gefühl in uns, oft mit großer instinktiver Sicherheit, zwischen solchen Überzeugungen und Stimmungen, die wir uns als unsre rein persönlichen und subjektiven anzuerkennen bescheiden, und andren, für die wir zwar ebensowenig objektive Beweise anzuführen wüßten, die wir aber doch andern, oder gar allen andern zu teilen zumuten – als spräche ein Allgemeines in uns, als bräche jener Gedanke oder jene Empfindung aus einem tiefen und generellen Grunde in uns hervor, der von sich aus ihren Inhalt rechtfertigte. Vielleicht liegt hier auch der Fruchtboden der Kunst. Gewiß schafft der Künstler aus einer rein persönlichen Notwendigkeit heraus, derart, daß jeder Künstler, dem gleichen Modell gegenüber, ein von allen andern abweichendes Kunstwerk zustandebringt. Dennoch hat jedes dieser Werke – ihre artistische Erheblichkeit vorausgesetzt – etwas, was man künstlerische »Wahrheit« nennt und was mit der Forderung, allgemein als solche anerkannt zu werden, auftritt. Es ist also jene individuelle, aus der Persönlichkeit hervorbrechende Produktivität offenbar eine typische, die singuläre Formung hat eine über die Singularität hinausgehende Gültigkeit, nicht vom Objekt her, sondern weil hier in dem Schöpfer jene eigentümliche seelische Schicht spricht, mit der in dem individuellen Phänomen der Typus Mensch oder ein Typus Mensch in Funktion tritt. Auf diesem Boden dürfte auch die Überzeugungsexpansion der religiösen Schöpfung wachsen. Indem das religiöse Genie sein innerstes Leben, das mystisch Subjektive seiner Erschütterungen und Erleuchtungen ausspricht, gewinnen diese für unzählige andere die Dignität einer Wahrheit, obgleich sie sich an keinem objektiven Gegenbild, ja oft nicht einmal an den logischen Normen legitimieren können. In der etwas überschwenglichen Redensart, daß »der Genius der Menschheit« aus diesen Erleuchteten spräche, lebt dennoch der irgendwie richtige Instinkt, daß Energien, die in dem Überindividuellen der Seele wurzeln oder es auf eine geheimnisvolle Weise vertreten, hiermit in dem Individuum und unmittelbar aus ihm heraus zu Worte kommen. Das merkwürdige Zusammen, das die großen philosophischen Leistungen charakterisiert: eine Welt- und Lebensauffassung von einseitiger Entschiedenheit und unverwechselbarer Personalität vorzutragen, und damit zugleich ein allgemein Menschliches, überindividuell Notwendiges und im Leben überhaupt Begründetes zu geben – dies setzt voraus, daß hier das Typische einer geistigen Individualität wirksam ist, das innerlich Objektive einer durchaus nur dem eignen Gesetz gehorchenden Persönlichkeit.
Dies läßt nun weiterhin erkennen, daß der Wahrheitsbegriff der Philosophie, insoweit sie jene letzten Entscheidungen und Gesamtreaktionen gegenüber dem Dasein umfaßt, von dem der andern Wissenschaften abweicht. Sie zeichnet nicht die Objektivität der Dinge nach – das tun die »Wissenschaften« im engeren Sinne –, sondern die Typen der menschlichen Geistigkeit, wie sie sich je an einer bestimmten Auffassung der Dinge offenbaren. Nicht die – irgendwie verstandene – Übereinstimmung mit einem »Gegenstand« steht für ihre Behauptungen in Frage, sondern daß diese der adäquate Ausdruck für das Sein des Philosophen selbst, für den in ihm lebenden Menschheitstypus darstellten – sei es, daß dieser eine bestimmte Kategorie von Individuen umschriebe, sei es, daß er ein, in irgendeinem Maße in jedem Individuum vorhandenes Element bildete. Damit ist sie aber nicht etwa als eine psychologische Konfession, als eine Selbstschilderung aufzufassen. Dann hätte sie ja ein Objekt, wie jede Psychologie überhaupt, mit dem übereinstimmend oder nicht übereinstimmend sie als Wahrheit oder Irrtum gelten müßte. Die Persönlichkeit der Philosophen ist nicht der Inhalt ihrer Behauptungen; sondern diese Behauptungen gehen auf irgendwelche objektiven Realitäten, aber jene Persönlichkeit drückt sich in ihnen aus; der besondre Typus Mensch, der sie trägt, ist nicht, wie innerhalb andrer Wissenschaften, in der Behauptung selbst verschwunden, sondern gerade erhalten, es ist nicht die Selbstspiegelung eines Kopfes, sondern die Welt, wie sie sich in ihm malt – nicht nach seiner subjektiv-zufälligen Realität, sondern wie es diesem Typus Mensch entspricht. Denn wie die menschliche Geistesart überhaupt bestimmte Inhalte und Formen des Weltbildes besagt, die bei anders organisierten Wesen durch andre ersetzt wären, so fordern die einzelnen Typen dieser Geistesart jene besonderen Färbungen, Zusammenstellungen, Orientierungen, deren Prinzipien in den großen philosophischen Theorien vorliegen. Man könnte diese Auffassung der Philosophie in die Formel zusammenfassen, daß das philosophische Denken das Persönliche versachlicht und das Sachliche verpersönlicht. Denn es drückt das Tiefste und Letzte einer persönlichen Attitüde zur Welt in der Sprache eines Weltbildes aus und es zeichnet ebendeshalb das Weltbild nach denjenigen Richtungslinien und derjenigen Gesamtbedeutung, zwischen denen zu wählen für immer Sache der Unterschiedenheit zwischen den menschlichen Wesenszügen und Wesenstypen bleiben wird. Dabei ist es sehr wohl möglich, daß das Herausarbeiten der letzteren zu völliger Klarheit, Eindringlichkeit und Überzeugungskraft vermittels solcher Behauptungen geschieht, die in bezug auf ihre Objekte – insoweit über diese vom sachlich-wissenschaftlichen, oder, wenn man will, allgemein menschlichen Standpunkt aus geurteilt wird – völlig irrig ist; ja, gelegentlich kann die objektive Irrigkeit einer Lehre jene andre Wahrheit, nämlich die über den geistigen Typus, der sie trägt, um so tiefer und deutlicher offenbaren. Vielleicht ist Wahrheit deshalb überhaupt nicht der ganz angemessene Begriff, um den Wert einer Philosophie auszudrücken. Denn Wahrheit haftet doch immer an einem Gedankengebilde, dem ein reales oder ideales Sein gegenübersteht und mit dem irgendwie übereinzustimmen eben seine Wahrheit ausmacht. Hier aber ist der Charakter des Gedankengebildes an und für sich entscheidend, es trägt als Sein seinen Wert, d. h. gemäß der Bedeutung der unmittelbar in ihm dokumentierten geistigen Richtung und Verfassung und der überzeugenden Ehrlichkeit, Tiefe und Deutlichkeit dieser Dokumentierung selbst. Nur dadurch, daß nicht die von dem Objekt her festzustellende Wahrheit der Behauptungen hier das letzte Wertkriterium ist, sondern das typische Sein, das in diesen Behauptungen lebt und sich offenbart – nur dadurch wird begreiflich, daß gewisse Geister noch heute in Sokrates und Plato, in Thomas v. Aquino und Giordano Bruno, in Spinoza und Leibniz die Entscheidungen und Erlösungen für ihr Verhältnis zur Welt finden. In beobachtbarer Weise vollzieht die geistesgeschichtliche Entwicklung die Reduktion des an den Objekten orientierten Wahrheitswertes auf die Bedeutung des geistigen Seins, das in den großen Philosophien objektiviert ist. In dem Augenblick, wo sie als Behauptungen über das sachliche Verhalten der Dinge auftreten, fällt der Ton naturgemäß auf ihre Überzeugungskraft nach dieser Seite hin und auf die Kritik derselben. Allmählich aber wird dies gleichgültig, während die innere Bedeutung der Lehre, als des Ausdrucks einer realen, durch die objektive Wahrheitsfrage nicht berührten Stellung zum Dasein, beharrt. Wer fragt heute eigentlich noch danach, ob Platos Ideenlehre oder der Pantheismus der Stoiker und Spinozas »richtig« ist, ob des Nikolaus Cusanus Begriff von Gott als des »Zusammenfallens der Gegensätze« oder Fichtes weltschöpferisches Ich »den Tatsachen entspricht«, ob Schellings Lehre von der Identität von Natur und Geist oder Schopenhauers Willensmetaphysik »wahr« ist? Alles dies ist oft und bündig »widerlegt«; allein der jeweilige menschliche Typus, der in diesen »Irrtümern« seine Reaktion auf das Dasein niedergelegt hat, hat alle Widerlegungen überlebt und jenen Lehren eine in seinem eignen Maße unsterbliche Bedeutung verliehen – die ihr Kriterium als Wahrheit jedenfalls nicht von dem Punkte her gewinnt, auf den die sachliche Behauptung zugeht, sondern von dem, aus dem sie herauskommt.
Die Gestaltung des Inhaltes nun, von dem diese philosophische Reaktion auf den Eindruck des Seins überhaupt sich verkörpert, geschieht so, daß von den gegebenen Erscheinungen des Daseins oder von den begrifflichen Vorstellungen, mit denen unsre Abstraktion die Seiten, die Teile, die Bewegungen des Daseins erfaßt – eine einzelne gleichsam ausgewählt wird, um als der eigentliche Kern oder als der Sinn dieses ganzen Daseins zu funktionieren. Diese Einseitigkeit der einzelnen Philosophien liegt in ihrem tiefsten Wesen begründet; denn als dieses Wesen hat sich doch offenbart, daß das Allgemeinste sich in der Form einer typischen Individualität darstelle – was denn auch, ohne weiteres begreiflich, so empfunden werden kann, als ob die Individualität sich zur Welt erweitere. Die Welt ist uns als eine Summe von Fragmenten gegeben, und es ist die Bemühung der Philosophie, das Ganze für den Teil zu setzen; und sie erreicht das, indem sie den Teil für das Ganze setzt. Aus den unübersehbar vielen Fäden, die das Netzwerk der Wirklichkeit ausmachen und deren Gesamtheit dem Philosophen sein Problem stellt, läßt ihn die Sonderart seines geistigen Typus einen einzelnen ergreifen; ihn erklärt er für den, der das Ganze zusammenhält, von dem alle andern abgeleitet sind, ihn verfolgt er, so sehr er auch an der Oberfläche nur fragmentarisch und oft von andern überdeckt erscheine, als den einzig kontinuierlichen durch das ganze Gewebe hin, ihn spinnt er über das relative Maß seiner endlichen Erscheinung hinaus ins Unendliche und Absolute. Dies ist die formale Möglichkeit, wie die Individualität ihr inneres, fühlendes und gestaltendes Verhältnis zum Weltganzen zu einem sachlichen Bilde dieses letzteren ausprägen kann: indem sie einen gleichsam individuellen Zug des Ganzen, der ihrer Sonderart korrespondiert, ergreift und diesen zu den Dimensionen des Ganzen aufwachsen läßt, alles andre und Abweichende zu Unwesentlichem oder Schein, zu eigentlich Nichtvorhandenem oder bloßen Umsetzungen jenes allein Realen herabdrückend.
Dies ist, wie ersichtlich, das Verhalten, aus dem der Philosophie der gleiche Vorwurf wie der Religion erwächst: die Welt zu vermenschlichen. Das Weltbild als die Reaktion einer Seele und von deren Sonderart bestimmt; die Struktur dieses Weltbildes durch die ausschließende Betonung eines seiner möglichen Züge gegeben, der nur das objektive Gegenbild jener Sonderart ist – das macht denn doch, offener oder versteckter, die Welt zu einem »mit großen Buchstaben geschriebenen« Menschen! Am unverkennlichsten erscheint das an all den Lehren, die das Wesen des Seins überhaupt mit der menschlichen Seele und ihren Bestimmungen identisch setzen – wenn z. B. also für Leibniz alles Dasein seelenhaft ist und die Materie, ihrem wahren Wesen nach, aus denselben seelischen Elementen besteht, wie die Menschen – nur daß dort schläft, was hier wach ist; oder wenn Kant den Zweck der Weltexistenz, ihrem gesamten Umfang nach, im Menschen, soweit er unter moralischen Gesetzen steht, erblickt; oder wenn Schopenhauer als das metaphysische Wesen aller Wirklichkeit den Willen erklärt, d. h. ebendasselbe rastlose und im tiefsten Grunde zwecklose Getriebenwerden, das wir in uns als das bewußte, mit angebbaren Einzelzielen verlaufende Wollen finden. Sieht man in all dem einen Mißbrauch dichterischer Analogien, einen Rückfall in die primitive Beseelung der Welt, für die das Wesen des Windes nur das Blasen des Äolus sein konnte und die Bewegungen der Gestirne Kraftäußerungen der ihnen innewohnenden Geister – so ist dies ein gründliches Mißverständnis. Gewiß sind jene Bilder des Weltganzen durch den Brechungswinkel bestimmt, in dem die spiegelnde Ebene der Seele sie zurückwirft. Allein der Gedankengang des Metaphysikers verläuft nicht so: ich sehe soundso aus, also ist dies auch das Aussehen der Welt; sondern: welches ist der tiefste, einheitliche Grund, auf dem die Welt, und ich mit ihr und in ihr, ruhen kann? Der Metaphysiker findet sich in der Welt vor, als objektive, sicherste Tatsache, und fragt – gleichviel in welcher Formulierung –: wie muß die Welt aussehn, damit diese Tatsache in ihr, als in einer verständlichen, harmonischen Einheit, möglich sein? Daß Leibnitz alle Elemente des Seins für Seelen, in abgestuften Graden der Vollkommenheit oder Bewußtheit, erklärte, ist also keine naive Übertragung der menschlichen Seele auf das Weltall, sondern umgekehrt, jene ist von diesem aus gesehen, das Ganze wird nach seiner Beschaffenheit gefragt, unter deren Voraussetzung die menschliche, gegebene Seele keinen Sprung und keine Fremdheit hineinbringt, sondern eine durchgehende Ordnung und Beziehung aller Elemente bestehen läßt. Dieselbe Absicht führt bei Schopenhauer den Gedanken nur in eine etwas andre Dimension. Wenn er alles Dasein als Erscheinung eines »Willens« deutet, so wäre dies nur dann jene kindliche Vermenschlichung der Welt, wenn er den Willen, wie er als empirische Bewußtseinstatsache in uns auftritt, in die Natur hineinsähe. Ganz im Gegenteil aber meint er dasjenige, was auch den Bewußtseinserscheinungen des Willens erst zugrunde liegt, den metaphysischen Kern der Dinge, der für die nichtseelischen Erscheinungen der gleiche ist wie für die seelischen; nur daß er durch die letzteren deutlicher, bezeichenbarer hindurchschimmert als durch jene. Der Wille, den wir in uns kennen, bleibt auch für Schopenhauer eine einzelne Tatsache der psychologischen Erfahrung. Aber er ist der Punkt, an dem die metaphysische Wirklichkeit, das ruhelose Werden und Streben, das dunkle Verhängnis des Getriebenwerdens ohne Endpunkt, des unendlichen Anderswerdens – an dem dieses nur sein unzweideutigstes Symbol, sein unmittelbarstes Gefühltwerden gewinnt. Dieses Absolute steht jenseits der Relativität unsrer eignen wie jeder andern Erscheinung, und ist deshalb so wenig in die menschlichen Formen hineingezogen, daß diese vielmehr hier mit allen andern zugleich auf den metaphysischen Grund gebaut werden. Ob solche Gedanken, ihrem besondern Inhalte nach, richtig, ob sie logisch notwendig oder auch nur möglich sind, bleibt ganz dahingestellt. Es kommt hier nur auf das Prinzipielle an: die Reaktion des philosophischen Geistes auf den Gesamteindruck des Seins bedeutet, sachlich und der Intention nach, nicht, daß die Welt in das Individuum einbezogen und nach seinem Bilde vermenschlicht wird, sondern daß umgekehrt ein typisches Weltbild entsteht, in das das Individuum einbezogen ist; es wird ein Ganzes gestaltet, wie dieser Typus Mensch es eben denken muß, damit er, der sich als die unbezweifelbare Realität weiß, der Einheit dieses Ganzen zugeordnet und aus ihr begriffen werden könne.
Durch diese letzte Erwägung ist das Formprinzip des philosophischen Weltbildes bezeichnet: es gilt, die Einheit zu gewinnen, deren der Geist gegenüber der unermeßlichen Vielheit, dem Bunten, Zerrissenen, Unversöhnten der Welt bedarf. Unter welchen Kategorien immer das philosophische Denken sagt, was die Ganzheit der Welt ihm ist – mag es ihren Sinn oder ihre Substanz, ihren Wert oder ihren Zweck zu erkennen glauben – immer erfüllt diese Behauptung auch das formale Bedürfnis, einen Einheitspunkt in all den Wirrnissen und Gegensätzlichkeiten der Erscheinungswelt zu bieten, eine Stelle, an der die Fremdheit der Realitäten vor ihrer Verwandtschaft zurückweicht. Denn selbst wenn die Feindseligkeit der Dinge gegeneinander als metaphysische Weltdeutung vorkäme, würde dies als einheitlicher, durch die gegenseitigen Beziehungen der Elemente realisierter Charakter des Ganzen auftreten.
Ebendarin, daß die Vielheit der Welt zur geistigen Einheit wird, spiegelt es sich, daß die Philosophie die Reaktion von Seelen auf die Totalität des Seins ist: denn die Seele weiß sich als Einheit, in ihr – und zunächst nur in ihr – schneiden sich die Strahlen des Daseins wie in einem Punkte. Alles, was das Bewußtsein als das ihm Äußere, als die objektiven Elemente des Seins vorfindet, ist in eine unaufhebbare Getrenntheit gebannt, sei diese das Nebeneinander im Raume, sei sie das Nacheinander in der Zeit, sei sie das logische Außereinander der einzelnen Vorstellungen. Allein indem die Dinge sich im Bewußtsein zusammenfinden, gewinnen sie eine ihnen sonst unerreichbare Einheit. In dem Satz etwa: Leben ist Leiden – gehen die beiden Begriffe zu einem Sinn zusammen, der in keinem von beiden, auch nicht pro rata, liegt, der vielmehr in der völligen Durchdringung beider zu einem einheitlichen Gebilde besteht, wie es weder in den Verhältnissen des Raumes, noch in denen der Zeit irgendeine Analogie findet. Diese Vereinheitlichung ist eine schlechthin unvergleichliche Fähigkeit des Geistes, ja, es ist sein eigentliches, ihn konstituierendes Wesen, sie zu vollziehen. Subjekt und Prädikat durchdringen sich in dem Urteil, das nur im Geiste seine Stelle hat, zu einer Einheit, die die Dinge im Raum, von denen jedes seinen zwar auswechselbaren, aber nie verlierbaren Umfang für sich allein erfüllt, nie auch nur in annähernder oder andeutender Weise gewinnen können. Darum ist die Vereinheitlichung der Welt die eigentlich philosophische Tat, in ihr drückt sich aus, daß hier die Antwort der Seele auf den Eindruck des Gesamtseins gegeben wird. Wenn aber dieses Gesamtsein an die Seele rührt und in sie hinein will, so muß sie ihm ihre eigne Form geben, muß die Mannigfaltigkeit seiner Inhalte in einen Begriff, eine Bedeutung, einen Wert zu fassen suchen.
Der Wahrheitsbegriff, der sich an dieses Grundwesen der Philosophie heftet, ist in seiner eigentümlichen Gelöstheit von dem Sachgehalt ihrer Behauptungen aufgezeigt worden. Ergab sich dies daher, daß in diese nicht das generelle oder objektive Bild der Welt, sondern das Verhältnis der typisch-geistigen Individualitäten zur Welt niedergelegt ist – so zeichnet sich die Eigenart jenes Wahrheitsbegriffes jetzt noch einmal an dem so entstandenen Bilde selbst. Dieses Bild hat, jenem Ursprung zufolge, die Form der Vereinheitlichung des Gesamtseins und zwar vermittels eines einseitig ausgewählten und als absolut intronisierten Elementes aus ebendiesem Gesamtsein. Anders als um den Preis solcher Einseitigkeit kann unser Intellekt keine Gesamteinheit zustandebringen; unter gleichmäßigem Einbeziehen jeder Seite und Richtung der Wirklichkeit und jeder möglichen Auffassung das Ganze als eine Einheit anzuschauen, würde man als die Kraft eines göttlichen Geistes ansehn. Und dies begründet nun wohl einen entscheidenden Zug der philosophischen »Wahrheit«: daß eine Lehre innerhalb der philosophischen Sphäre, festgehalten in der Höhe ihrer Abstraktion, durchaus als zutreffende Wahrheit behauptet und empfunden werden kann, und dabei die Anwendung auf all die Einzelheiten, auf die sie sich als allgemeine Behauptung eigentlich beziehen soll, nicht verträgt. Gerade die tiefsten Gedanken der Philosophie, die doch für die Gesamtheit der Erscheinungen zu gelten beanspruchen und aus dieser Geltung ihre Tiefe zu gewinnen scheinen – gerade diese werden in dem Augenblick unzulänglich, dürftig, widerspruchsvoll, in dem ihre Leistung für die einzelnen Phänomene und Probleme geprüft wird. Vielleicht liegt der Grund dafür in jenem tiefen Widerspruch, mit dem die Art unsrer Geistigkeit alle philosophische Bestrebung trifft: daß die Forderung des absolut Allgemeinen und All-Einheitlichen sich nur mit einem einseitigen, individuell designierten Inhalt verwirklichen kann. Wir haben in den philosophischen Ideen oft genug Allgemeinheiten, die aber nicht die Allgemeinheiten von Besonderem sind; sondern, aus ihrer Höhe zu diesem herabsteigend, verlieren sie die Giltigkeit, die wir ihnen zusprechen, solange sie in ihrer eignen Sphäre verbleiben und an deren Kriterien, aber nicht an denen der singulären Erfahrbarkeit, gemessen werden. Dies ist ein so merkwürdiges Verhältnis, der logischen Vorstellung vom Allgemeinen und Besonderen, von der überindividuellen Einheit und der individuellen Wirklichkeit, auf die sie sich bezieht, so widersprechend, daß es überhaupt eine Legitimation nur durch Einstellung in einen weiten Kreis verwandter Phänomene des Geistes gewinnen kann.
Nehmen wir an, daß es auf einigen oder vielleicht allen Gebieten ein elementares Material gibt, fundamentale und letzte Erscheinungen, zu denen unser Tatsachensinn gelangen kann: so gewinnen wir, diesen gegenüber verschiedene Distanz nehmend und auf der einen haltmachend, ein andres Bild, andren Normen gehorsam, andre Relationen in sich und zu allen andern zeigend, als wenn wir von einem zweiten Abstand aus geblickt hätten; und jede Hinzufügung eines Bildteiles aus dem letzteren würde das erstere fälschen und sinnlos machen, und so wechselseitig. Die optische Vorstellung eines Hauses aus dreißig Meter Entfernung ist völlig geordnet, einheitlich, verständlich; würde in dieses Bild aber plötzlich ein Abschnitt desjenigen eingestellt, das wir aus einer Entfernung von drei Metern von demselben Hause gewinnen und das in sich genau so richtig und sinnvoll ist, so entstünde eine ganz unbegreifliche und widerspruchsvolle Vorstellung. Nach der Norm dieses einfachen Verhältnisses erwachsen all die geistigen Gebilde, in die wir die Gegebenheiten der Dinge aufnehmen. Unsere Malerei z. B. ist an eine bestimmte Sehschärfe gebunden; in den Distanzen, in die die Lebenspraxis, von unsrer Organisation bestimmt, uns zu den räumlichen Objekten stellt, gewinnen wir ein bestimmtes Bild von ihnen, derart, daß wir nur bei Entfernungen von relativ geringer Verschiedenheit noch vom »Sehen« ihrer sprechen. Hätten wir aber etwa die Sehschärfe des Adlers, so würden wir eine ganz andre Kunst brauchen und wenn wir uns ein Stück einer solchen innerhalb der unseren dächten, so würden wir es als »falsch« bezeichnen, obgleich es vielleicht sehr viel »genauer« wäre und den letzten objektiven Bestandteilen der Gegenstände sehr viel näher stünde. Nicht anders verhält es sich mit dem übertragenen Sinn der »Distanz« in der Kunst. Die vielfachen Lebenselemente, die in einem lyrischen Gedicht zusammenströmen, haben vom Standpunkt des empirischen Daseins aus eine Genauigkeit der Umrisse, einen Reichtum von Beziehungen zu allem möglichen andern, eine verstandesmäßige Verknüpftheit, die sich völlig umbilden, sobald eben die Distanz der lyrischen Kunst ihnen gegenüber genommen wird. Jedes der beiden Genauigkeitsmaße der inneren Bilder gibt eine in sich zusammenstimmende Gesamtvorstellung, und dies ist der Grund, weshalb es ein völliges Mißverständnis ist, wenn man dem Inhalt eines Gedichtes, über ein sehr begrenztes Maß hinaus, mit Kritik vom Standpunkt der empirischen Wahrheit und mit logischer Analyse nachgeht. Die Gesetze der künstlerischen Wahrheit beziehen sich eben sozusagen auf Umrisse der Dinge, die von einer viel weiteren Distanz her gesehen sind und deshalb ganz andre Relationen unter ihnen gestatten, als die Wahrheit der Wissenschaft oder die der empirischen Praxis fordern. Mit dieser verglichen, ist es wiederum ein andrer Abstand, in dem sich die Religion hält. Der Gläubige fällt gleichsam aus seinem Stil, wenn er die Bedeutungen und Erwartungen, die Verknüpftheiten und die Tiefen, die innerhalb der religiösen Sphäre an den Dingen haften, auf die Unmittelbarkeit ihres konkreten Nahbildes übertragen will, also z. B. die »Hilfe Gottes«, die nur in einem ganz sublimen, das tiefste und allgemeinste Verhältnis zu Leben und Schicksal betreffenden Sinne einen echt religiösen Sinn hat, für die banalen Interessen und Nöte des Tages erwartet. In diesem Sinne hat ein Religionsphilosoph gesagt: »Gott füllt nicht den Löffel, auch nicht den Teller, sondern nur die Schüssel.« Obgleich, bloß logisch genommen, der Inhalt des Löffels doch auch aus dem der Schüssel kommt und dadurch dessen Bestimmungen unmittelbar zu teilen scheint, so ist dennoch der Löffelstandpunkt ein andrer als der Schüsselstandpunkt und was für diesen gilt, wird unwahr, sobald es auf die ganz anders distanzierten Bilder, die jener angibt, übertragen wird. So darf man von dem, was man den Sinn des Daseins nennt, nicht fordern, daß es uns jeden Augenblick verständlich mache, da es doch nicht für die Stunde gilt, auch nicht für das Jahr, sondern nur für das Leben – obgleich das Leben aus Stunden und Jahren besteht. Diese Eigentümlichkeit unserer geistigen Struktur: daß ein Allgemeines, das sich doch schließlich an dem Einzelnen und Näheren scheint verwirklichen zu müssen, für dieses nicht ohne weiteres gilt, daß es Bilder und Normen für seine Distanz ausbildet, die sich aus den für seine »realeren« Grundlagen gültigen nicht zusammensetzen lassen – diese bestimmt nun auch den Charakter der metaphysischen Gebilde; indem sie das Dasein einheitlich zusammenfassen, ist die von ihnen verkündete Allgemeinheit dennoch nicht eine solche, unter die die zusammengefaßten Einzelheiten in demselben Sinne gehörten, wie die Eiche, die Tanne, die Linde unter die Bestimmungen des Begriffes Baum, in dem ihre gemeinsamen Eigenschaften vereinheitlicht worden sind. Wie wir der wesentlichen Züge unsres Charakters sicher sind, als eines festen, unser Leben bestimmenden Seins, und dennoch unsre einzelnen Handlungen keineswegs immer mit ihm in Übereinstimmung, durch ihn gelenkt, finden; wie das Detail unsres Wesens keineswegs dessen tiefste Einheit, in die es doch befaßt scheint, immer bestätigt, ohne uns darum an jenen, gleichsam nach innen hin gefesteten, irre zu machen, so sind wir von der Wahrheit gewisser letzter Allgemeinheiten und Maximen durchdrungen und bleiben es, auch wenn die Einzelheiten, auf die sie eigentlich Anwendung fordern, sich ihrer Gesetzgebung zu entziehen scheinen. Ich führe zwei Beispiele an.
Durch die ganze Entwicklung der Philosophie zieht sich das pantheistische Motiv; immer wieder taucht die Überzeugung auf, daß alle Mannigfaltigkeit und Gegensätzlichkeit des Daseins sein wahres Wesen nicht beträfen; dadurch, daß die Welt nicht dem göttlichen Sein gegenübersteht, sondern unmittelbar sein Leben lebt oder Gott das Leben der Welt – dadurch werden alle Teile und alle Augenblicke der Wirklichkeit für den tieferen, in die Substanz eindringenden Blick zu einer unterschiedslosen Einheit des Wesens und des Wertes. Dieser Gedanke, alle Einzelheiten übergreifend und ihren Aspekt von sich aus bestimmend, ist offenbar die philosophische Formung eines Gefühlselementes, das der menschlichen Seele allenthalben, in den verschiedensten Maßen und Wendungen, innewohnt, in manchen philosophischen Geistern aber zum Alleinherrscher über das Weltbild geworden ist. Man mag nun von dieser All-Einheit und Wesensidentität der Dinge noch so innig überzeugt sein – mit ihrer Anwendung auf alle Einzelheiten der Erfahrung dürfte man dennoch scheitern. Xenophanes, einer der ersten Verkünder der pantheistischen Lehre, versichert freilich: »wohin ich auch meinen Geist schweifen lasse, alles löst sich mir in eine Einheit auf«; allein in Wirklichkeit reicht dieser Gedanke doch nicht aus der abstrakten Höhe seiner Geltung in die Niederungen der Erscheinung hinunter. Sokrates und das Tintenfaß, das vor mir steht, den preußischen Staat und einen Moskito in den indischen Dschungeln wirklich als ein metaphysisches Eines und Dasselbe zu denken, wird uns kaum gelingen. Nun wird man freilich einwenden: die pantheistische Vereinheitlichung solle gar nicht für zwei beliebig herausgegriffene Dinge, sondern nur für alle Dinge gelten, jenem Allgemeinen korrespondiere eben die Totalität der Einzelheiten, aber nicht irgendwelche Einzelheiten für sich – ungefähr, wie zwar alle Farben des Regenbogens zusammen das weiße Licht ergeben, aber nicht jedes willkürlich gewählte Paar von ihnen. Allein, wenn nun wirklich nur die Gesamtheit der Dinge als solche der Spielraum jener göttlichen Einheit ist – so ist das ja gerade ein Sinn oder Wert jener Gesamtheit, von dem wir durchdrungen sind, während uns die Unmöglichkeit entgegenstarrt, diesen Sinn und Wert auf die Einzelheiten anzuwenden, die sich in jener Allheit zusammenfassen. Indem es unserm Geist zwar beschieden ist, das Einssein in Gott für alle Dinge denken zu können, aber nicht für die einzelnen – ist der Unterschied der Distanzen gesetzt; die philosophische Allgemeinheit hat eine Eigengesetzlichkeit und gilt nicht mehr für die aus andrem Abstand gesehenen Einzelheiten, die sie doch, als Allgemeinheit, gerade einzuschließen schien.
Ebenso verhält es sich mit der dem Pantheismus sehr entgegengesetzten Überzeugung, daß die Welt, von der der Mensch überhaupt sprechen kann, nur als seine Vorstellung existiert. Wie sollte das Bewußtsein aus sich herauslangen, um die Dinge, wie sie an sich und für sich sind, in sich hineinzuziehn? Es kann immer nur von seinem eignen Inhalte erfüllt sein, und was es vorstellen soll, kann immer nur von ihm selbst, durch den Prozeß des Vorstellens, hervorgebracht sein. So überzeugt man hiervon sein mag, so dürfte es doch nicht gut angängig sein, diese rein subjektive Produktion angesichts der einzelnen, unwiderstehlich sich aufdrängenden, dem eignen Ich absolut fremden Erscheinung ernsthaft zu realisieren. In der Sphäre philosophischer Allgemeinheit hat jene Reduktion des für uns überhaupt bestehenden Daseins auf das erzeugende Ich das Cachet logischer Unentrinnbarkeit, eines unmittelbar einleuchtenden Axioms, das die Gesamtheit unsrer Welt von einem beherrschenden Zentrum aus zusammenhält. Blicken wir aber auf den Sternhimmel und auf die grauenhafte Gewalt unsrer Schicksale, auf das Gewimmel der Mikroorganismen und aus die Zufälligkeit und gleichzeitige Unwiderstehlichkeit, mit der das Leben jeder Stunde uns seine Bilder einprägt – so hat der Gedanke: dies alles wäre von dem aufnehmenden Subjekt selbst erzeugt, etwas unüberwindlich Paradoxes. Er hat sozusagen eine Wahrheit für sich und läßt sie nicht für diejenigen Einzelheiten verwendbar und überzeugend werden, aus denen die von geringerer Distanz her gesehene Welt besteht. Das Paradoxe aller großen philosophischen Weltbegriffe besteht darin, daß sie eine absolut allgemeine Behauptung aussprechen, der sich das Besondre, logisch von ihnen Umfaßte, nicht fügen will, und daß wir ihnen dennoch einen Wahrheitswert nicht absprechen können, wie wir es doch sonst vorgeblichen Allgemeinheiten gegenüber tun, sobald sie sich nicht an dem Einzelnen beweisen, dessen Allgemeines sie eben sind. Daran markiert sich die Sonderart der philosophischen Allgemeinheit gegenüber der sonst in der Wissenschaft, der Logik, der Praxis gültigen: die Allgemeinheit wird hier nicht von den Dingen her gewonnen, sondern ist ein über die Gesamtheit der Dinge hin reflektierender Ausdruck für die Art, wie sich je einer der großen geistigen Typen dem Eindruck von Leben und Welt gegenüber verhält: nicht um eine Allgemeinheit der singulär betrachteten Dinge handelt es sich, sondern um eine Allgemeinheit einer individuell-geistigen, aber dabei typischen Reaktion auf sie. Da dies aber nun in einer verstandes- und begriffsmäßigen Weise objektiviert werden muß (im Unterschiede etwa gegen den in gleicher Weise angeregten Künstler oder religiös produktiven Menschen), so kann es nur durch die Heraushebung und Verabsolutierung eines einzelnen, einseitigen Begriffes geschehen, der jenes Verhalten eben in die Sprache der objektiven Vorstellungen übersetzt. Durch diese Einseitigkeit, in deren Form sich nun dennoch eine zentrale, prinzipiell der ganzen Welt offene Wesensart ausdrückt, entsteht jener eigentümliche Widerspruch zwischen der Allgemeinheit der metaphysischen Behauptungen und der Unfähigkeit, sie am Einzelnen zu realisieren. Denn es scheint, als ob die sachliche, aus der größten Nähe betrachtete Einzelheit immer der Treffpunkt aller möglichen Ideen und Prinzipien wäre. Sehen wir ein isoliertes Stück des Daseins an, so finden wir in ihm fragmentarische Verwirklichungen, angedeutete Gleichzeitigkeiten der allerentgegengesetztesten Grundbegriffe – es ist Einheit und Vielheit, ist Aktivität und Leiden, ist Sein und Werden, ist irgendwie absolut und zugleich irgendwie relativ, es zeigt die Spur des Zusammenhanges mit dem schöpferischen Ganzen des Kosmos oder der Göttlichkeit, aber ebenso die Spur davon, daß unsre menschliche Auffassung ihm seine Bestimmungen geliehen hat. In diesem Nahverhältnis zu den Dingen scheint ihr Bild noch alle metaphysischen Wirklichkeiten wie in Keimen oder undifferenziert einzuschließen und erst davon zurücktretend gewinnen wir ein von einem Gesichtspunkt dominiertes Bild, wobei die Wahl jenes Gesichtspunktes unvermeidlich von der mitgebrachten Geistesart abhängt; und wobei nun ebenso unvermeidlich die so entstandene einheitliche Überzeugung von der Beschaffenheit des Seins keine Anwendung auf die in der Nahbetrachtung hervortretenden Einzelheiten verträgt. So erklärt sich die Struktur der metaphysischen Allgemeinheiten: nicht für die Besonderheiten zu gelten, als deren Allgemeines sie sich dennoch darbieten.
Auf der Grundlage dieser prinzipiellen Einordnung der Philosophie in den Zusammenhang unsrer Geisteshaltung überhaupt trete ich nun in die Erörterung zweier Begriffe ein, die sich, durch die ganze Geschichte der Philosophie hindurch, als Zentralpunkte der Vereinheitlichung des Weltbildes, als umfassendste Ausdrücke der geistigen Reaktion auf dessen Gesamtheit gezeigt haben: auf das Sein und das Werden.