August Silberstein
Herkules Schwach. Zweiter Band
August Silberstein

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Fünfundvierzigstes Capitel.

Der einsame Gang eines Verzweifelnden – und der Schluß seiner Geschichte.

Draußen auf der Straße wehte ein kühlender Wind, und fächelte Aster Stirn und Wange, die nach Kühlung lechzten.

Er schüttelte das Haupt in dem freien Luftzuge, wie der Löwe, der aus einem Käfige tritt, die Mähne rüttelt. Der kühlende Hauch zog durch seine Locken und that ihm 350 wohl, und mit hochgehobener Brust sog er den mächtigen Athem der Natur in sich, fast als wollte er ein glühend Brennen seines Innern mit diesem kühlenden Hauche stillen.

Er drängte vorwärts, ein Ziel hatte er nicht, er mußte nur hinaus in den freien Raum, unter den hochgewölbten Himmel. Sein Inneres und was ihn umgeben hatte, war ihm zu enge, zu enge!

Sein ganzes Leben, seine Zukunft lag auf seinem Herzen. Seine geträumte Größe von ehemals, seine Schwäche von jetzt, stimmten sein Gemüth krankhaft, drückten mit vernichtender Gewalt auf seine Seele. Verändern mußte er endlich Alles, Alles, das fühlte er!

Aber wie? –

Adele mußte Glück, mußte eine lächelnde Zukunft haben; das stachelte gierig die geheimsten Fasern seines Seins.

Aber das Wie des Erlangens? –

Einmal schon war der düsterste Entschluß der Selbstopferung in seiner verzweifelnden Seele aufgetaucht; das Geschick hatte aber die Reife des unseligen Entschlusses verhindert.

Indem man den stolzen Mann und seine Liebe aus dem Elend rettete, bereitete man ihm nur ein Aufflackern der Lebenshoffnung und des muthigen Lebensreizes; aber die letzten Reste der Nahrung dieser Flamme verzehrten sich bald; und jetzt glühte und glimmte es kaum mehr in seinem Innern – Alles war dem Verlöschen nahe!

Er selbst schien sich kein Opfer mehr zu bringen, wenn er dieses Dasein ließ. Wie der Opferrauch die Höhe sucht, so strebte er oft sehnend empor aus diesem Dunstkreise, in das Reine, Höhere. In auszehrendster Verzweiflung hielt ihn aber noch Eines, wie Eisenklammern, fest an dem Leben: 351 das war Adele. Nicht hielt so seine Liebe, der sinnige Genuß ihres Daseins, als die Sorge: was wird aus ihr werden?

Nun aber schien dem Ungestümen, vom Schicksale und seinem heißen Herzen Gefolterten, ein eigener, von ihm gebahnter Ausweg sich zu öffnen. Mit fast freudiger Selbstverderbniß blickte sein Geist in die sich öffnende Bahn vorwärts und hinein. Aus der schwarzen hohlen Gasse leuchtete im Hintergrunde eine hellröthende Flamme hervor; es war ein Höllen-Breughel-Bild! Sein Herz wand sich schmerzhaft ihm im Busen, und doch war er versucht, freudig zu zucken. –

Unselige Seligkeit!

Der Wind kühlte seine heiße Stirne.

Er drang vorwärts auf der Straße ohne Ziel.

»Er liebt sie, er liebt sie!« rief er in seinem Innern. »Wie belebt sich sein Blick, wie klären sich seine Züge, wie tritt sein Herz in Sanftheit und Güte auf seine Lippen, wenn er spricht!

Und sie? –

Adele, mein guter Engel! – Wie ist sie so wohlwollend, freundlich und zutraulich gegen ihn! –

Gegen ihn?

Wie gegen Alle!

Doch – frevelt Schwach nicht an meiner Ehre? Dringt er nicht, frech und schleichend zugleich, in das Heiligthum meines Seins und spottet meines Unglückes?

Dieser gute, sanfte Mensch, der nichts als Achtung, Theilnahme, Freundschaft zeigt?

Doch, ist Liebe nicht ein unwiderstehbarer Zug des Herzens? Läßt Liebe sich sagen: komme und gehe, oder komme 352 hier und weiche dort? Reißt sie nicht fort mit sich, in Ungeahntes, Niegewolltes?

Und wenn er liebt . . . ich Unseliger! . . . darf ich zürnen?

Nein nein, liebe, Du edler, treuherziger Mann – liebe! –

Und ich?   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .

Es zieht ein Schwan zur Heimat . . .
.   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .
Ein arm erbärmlich Sterben
Im eigenen Herzensblut! –

Gehe zu den Todten, Ernst! – Es ist Zeit – enden wir! –

Aber Adele? Kann sie wieder lieben?

Sie liebt mich mit all' der Innigkeit und Hingebung des jugendlichen Herzens. Was wird aus ihr, wenn ich gehe?

Sie wird verzweifeln!

Verzweifeln? Thörichter Gedanke eines eitlen Herzens!
 

Weicht zurück alle ihr Alltagsfrasen über das Dasein! Sehen wir einmal klar und nüchtern, ohne Schwärmerei und nebelumhüllende Poesie, dem Leben ins Auge! Hinweg mit aller Selbsttäuschung!

Sie wird verzweifeln?
 

Ist sie die Einzige, der die erste Liebe begraben? – Sieh' rings in die Welt, Ernst: durch den Witwenschleier flicht sich der Brautkranz, bescheiden aber verklärend schön; und der Kranz schmückt ja doch eine Braut!
 

Adele?
  353

Bedarf ich Adele zu einer Liebesnovelle, die in Treue enden muß, weil ich sie in Treue endend haben will?

Ich nehme die Welt endlich wie sie ist! Adele liebt, oder hat mit aller schwärmenden Hingebung geliebt. Doch muß die Arme nicht meiner überdrüssig werden? Ein steter Kopfhänger, ein steter Alp auf ihrem Herzen; eine Blume, meinethalben, sagt selbst poetisch eine duftende Blume« – er verlachte sich selbst mit ungläubig-ironischer Miene, indem er sich dies sagte – »aber der Duft betäubt sie endlich, kränkelt sie an – es ist ihr Blumentod!

Von dem nackten, kahlen Grunde der Wirklichkeit aus gesehen, ist die Sache so: Ein Bettler freit um ein liebenswürdiges, an Seele und Körper reizendes Geschöpf. Sie liebt ihn, sie wirft gebotenes Glück, das Tausende verlockt hätte, von sich, weil sie an seinen Ruhm, an seine Zukunft, auch an sein Herz innig glaubt. – Das Herz erweist sich quälerisch, der Ruhm dringt zumeist in die Polizeibücher, die Zukunft des Mannes ist Noth, Elend, Darben und Verhetztwerden; – das erschöpft!

Glaube an Unwandelbarkeit, wer glauben will! Und wenn Adele mich liebt, so ist es nicht die Liebe mehr, die stolz auf den Geliebten ist; es ist das Mitleid, der weiche Zug ihres theilnehmenden Herzens!

Mehr! Mehr!

Und wenn auch mehr? Wenn ein liebendes Auge noch so sehr von dem duftigen Schleier der Poesie umzogen ist; – allmälig sinkt der Duft, und der geheimnißvolle Schleier ist . . . das Hungertuch, das Hungertuch!

Wird sie verzweifeln? –

Weg mit dem Schmetterlingsflügelstaube der Poesie, der ein reizloses Gerippe umschimmert! – Sie wird 354 weinen, Thränen werden ihre schönen Augen füllen, diese blauen Augen werden unter Thränen noch himmlischer scheinen – sie wird den schwarzen Schleier nehmen, auch an mein Grab kommen – und mit dem frischen Gras wird frische Hoffnung, frisches Leben in ihre Seele ziehen – sie wird leben, und kann – glücklich werden! – –

Schauerlicher Gedanke . . . todt!

Schauerlicher Gedanke, sich denken, liegend als Gerippe unter der Erde, starr und stumm hinaufgrinsen mit seinen kahlen Schädelknochen auf die Decke, an der die theueren Seinen sind – die Geliebte sich neiget.

Die Geliebte?

Vielleicht das Weib eines Andern?

Schauerlicher Gedanke!

Aber leben, und Schmach und Schande, Verhetztwerden, stetes tieferes Hinabziehen ins Elend, Alles dessen, des Einzigen, was man liebt – es ist noch schauerlicher!

Vielleicht auch liegen als Gerippe, gegangen sein, um Andere, die Geliebteste glücklich zu machen. – Rosen des Glückes über der Verwesung der Schmach – süß einlullender, beruhigender, schlummerwiegender Gedanke!

Kann ich nicht auch leben und glücklich sein?

Leben und Zukunft!

Wie lange soll ich noch das Gnadenbrod des alten Pflegevaters oder . . . Schwach's . . . essen? Wie lange werde ich geduldet; welche Aussichten eröffnen sich mir; was ist meine Zukunft?

Es gibt Gestalten, die sich überlebt – sie wandeln in unverstandener und unverstehender Zeit als Gespenster!

Woher mir Glück und Zukunft? Woher langend Brod für mich und Adele, vielleicht auch ein Drittes? 355

Greif' zu mit Deinen Armen!

Gut gesagt! – Sagt mir auch: reiße Dein Herz aus und wandle ohne dasselbe!

Wenn ich heute mir Brod schaffen wollte mit der rauhesten Arbeit, morgen stände ich, der alte Träumer, neben meiner Art, oder meinem Karren, und träumte – der alte Träumer!

Alter, unglückseliger Träumer!

Die Hoffnungen, die ich gehegt für Vaterlandsgröße und eigenes Glück – sie liegen darnieder; die Arena meines Geistes ist ein eng umzogener, innen festverschlossener Schrankenraum – das Glück dringt nicht hinein; – woher soll mir das Glück kommen?

Und ist alles Selbstgefühl in mir verschwunden? Bin ich ein Kind geworden, das genährt, gepflegt werden muß; bin ich unreif und geistesunmündig?

Mir das Gnadenbrod, den Bettleraufenthalt! – Es ist zu viel, mehr als ich tragen zu können geglaubt; – enden wir, enden wir!

Aber wie? –

»Ein arm erbärmlich Sterben
Im eignen Herzensblut . . .«

Wilder, verwünschter Gedanke. der an Selbstmord denkt!

Selbstmord?

Was ist's weiter? Ein Schuß. Ein Sprung in die Fluth. Ein sanftes Hinüberträumen und Hinüberschlafen in erstickendem Kohlendampfe. Ein wildes, peinliches Zucken unter Gift, während einer Minute; und dann Ruhe, die ewigen Jahrtausende der Unendlichkeit!

Sie werden spotten, höhnen hinter mir, die Feinde, und 356 werden sagen: Seht ihr den Helden, seht ihn, wie feig er aus dem Leben und dem Geschicke floh!

Höhnt! – Gälte das Geschick blos mir, ich trüge. Bei Gott! ich habe genug getragen, und trüge noch mehr, Alles, wäre es blos meinetwegen! – Ihr wißt aber nicht, welches Opfer ich bringe.

Bei Gott! sie . . . .

Bei Gott!?« – Und sein Herz zuckte bei diesem Worte.

». . . Und doch schaudert mir vor der Verantwortung? Nicht jener hier; aber . . . vielleicht dort?

Und wenn ich auch die That verantworten muß, wenn auch! Ich stelle mich vor den Schöpfer: Herr, hier ist meine Seele; sehe, sie war ohne Falsch und Trug, ich liebte die Menschen, ich liebte mein Heimatland. Ich war verfehmt, gehetzt, gequält, gebrochen an Leib und Geist! – Und sie und sie hatte ich in's Elend gestürzt! Ich wollte sie herausreißen durch ein Opfer, das höchste, das der Mensch bringen kann. – Richte mich, verwerfe mich, Herr! –

Zu den Todten! –

Was wird aus ihr?

Welche Wege öffnen sich ihr?

Sie wird glücklich sein?

Krimpler's altersschwache, zitternde Dienershand, die kaum des eigenen Brodes genug erwirbt?

Jener alte Kaufmann, jener alte, verlockende Schurke!

Fluch und tausendfacher Fluch!

Doch – wozu Adele's Heiligkeit beflecken? Thörichter Gedanke!

Er liebt sie, Schwach tritt die Seligkeit des Herzens 357 in das Auge, wenn er sie sieht. – Wenn sie nicht liebt, sie wird, sie kann glücklich werden! –

Alles blüht und grünt wieder und erneut sich; und in dem ewigen Wechsel der Natur erwachen auch vergangene Gefühle, erneuert sich Fügung und Neigung.

Er ist ein wackerer Mann.

Beschämend ist der Gedanke, sich selbst sagen zu müssen: stehe zurück, lasse den Vorrang Anderen. Aber das Geschick wägt nicht den Mann – blind ertheilt es die Gaben. Und so will ich gehen!

Sie wird glücklich sein. – Weinen wird sie wol über mein erkaltetes Leben; aber die Thränen werden der Lethestrom sein, der das Vergangene, das Elend abwäscht. –

Auf der kleinen Fluth Deiner Thränen, die von Deinem Auge zu Deinem Herzen hinabquellen, süße Adele, wird das Hoffnungsschifflein daher fahren, und die Hoffnung wird in Deinem Herzen landen.

Gehe dahin, ende Ernst!

Geschmückt wird sie sein; geschmückt wird sie prangen in herrlicher Blüthe; was das irdische Herz will, wird sie erlangen; – und so erfüllt sich ein Traum, den ich für sie gehegt – wenn er sich auch erfüllt, nicht in meinem Leben, doch durch mein Leben!

Ja, gebe sie hin, armes, zerrissenes Herz; lasse sie los aus den Klammern deines Geschickes und deiner Seele.

Gebe sie hin – lasse sie glücklich sein! –

O, sie wird mir's danken! Im süßen Auge, das nach mir zum Himmel sieht, werde ich meine Seligkeit lesen!– Sie wird an Gedenktagen an meinen Hügel treten, eine 358 Rose an's Kreuzlein heften und gerührt sagen: er war ein guter Mann!

So will ich gehen – so will ich mich opfern!«

Dies war der Inhalt seines Selbstgespräches, seiner brausenden, fliegenden, stürmenden Gedanken, der Inhalt alles Dessen, was seit einiger Zeit sein tiefes Sinnen in Anspruch nahm.



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