Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Das erschlossene Herz des verschlossenen Kapital-Menschen.
Kaum als die Thüre sich geschlossen hatte, warf Rübe die Feder weg, drehte sich scharf um, warf einen festen Blick nach der tapetenverkleideten Eisenthüre, gleichsam um sich zu versichern, daß sie sich hinter dem Agenten geschlossen habe und der Raum leer sei.
Dann eilte er rasch auf die Thüre los, drehte den Schlüssel mehrere Male um, zog ihn ab, schob noch einen verborgenen Riegel vor, und versperrte den Schlüssel in einer heimlichen Lade.
Hierauf ging er wieder, mit auf den Rücken gelegten Händen, in der Stube hin und her, den Blick bald auf den Boden, bald starr vor sich heftend.
Er dachte tief und gewichtig nach. Er führte ein lebhaftes Selbstgespräch. Und je tiefer er in's Denken hineinkam, desto schneidender blickte sein Auge. Seine Hände kamen manchmal in Bewegung und seine Schritte verzögerten sich.
»Wäre es also wirklich mißlungen? – Wirklich? – Dieser Heiratsagent, spielt er den ehrlichen Mann, oder ist er es? – Wäre ihm mein Anbot zu geringe? – Zu geringe drei tausend Thaler für einen solchen Menschen? Das kann nicht sein! – Oder ist er behext, bezaubert, unwillkührlich eingenommen von diesem Geschöpfe Adele? – Ist es nicht mit Allen so? Der alte, verkrümmte, heimtückische Kerl, dieser Krimpler, welche Mühe habe ich mir schon mit ihm gegeben! Wenn ich ihm auch nicht mit 320 nackten Worten gesagt, was ich wolle, er verstand mich gut! Und war es nicht vergebens? – Seine Tochter ist sie nicht; und wenn ich sie versorge, gut versorge, mehr als das, und ihn dazu – was will dieser alte, knurrige Hund noch mehr? – Aber sie sind Alle behext und verwirrt! – Dieser Heiratsagent ist der neueste Proselit. Wenn schon solche Leute, die durch ihren Beruf zu Allem fähig sein müssen, bei einem Angebote, wie dem meinen, verweigern – was soll ich denken? – Adele besitzt eine unwiderstehliche, heimliche, bewältigende Macht, in ihren Augen, in ihrem Gesichte, in ihrem verteufelt süßen, unaussprechlich süßen Wesen! – Adele hat eine Gewalt über die Herzen, heißen sie Krimpler, Schwach, Schnepselmann, Aster . . . . Rübe! –
Rübe? – Doch Rübe wirbt nicht umsonst! darf nicht umsonst werben! – Bin ich ein armer Hund wie Aster? Bin ich ein verkrüppelter Narr und Dummkopf wie Krimpler? Eine Puppe an Herz, wie dieser Schwach? – Ich bin Rübe, Chef des Hauses Rübe & Comp., mein Wille muß geschehen! Mein muß sie sein; fallen muß sie, und wenn sie tausend Herzen zu verschenken oder zu verwerfen hätte! – Fallen muß sie! Ja sinken und im Staube vor mir liegen, wie eine Dienerin, meine Sklavin, die ich trete, bei den Haren schleife und von mir stoße – das macht mir Wonne, für mein Kapital! –
Adele? – – Nein, nein, das könnte ich nicht, und sollte ich viel, viel dafür verlieren! Nein, nein! –
Wie sie im Gedächtniß vor mir steht! Ist es nicht, als hätte ich all Das, was mich noch in junger Zeit gereizt, mich bei Andern gelockt, in ihr vereinigt, verschönert, 321 verfeinert gefunden, mit einer rastlos aufstachelnden Macht? –
Ich bin sonst nicht so leicht gefangen! –
Mein muß sie sein, mein! Rübe, wo mein Name interessirt ist, wo ich mir selbst mein Wort gegeben zu erringen, da werde ich es halten, wahrhaftig ich werde! – Nichts will ich unversucht lassen; von allen Seiten will ich sie schlau umstricken und umstellen. Sie muß in meine Netze fallen! Ist sie nicht ein Weib? Weib ist ihr Name, und ihr Herz muß auf Verführung horchen! Ist sie nicht ein Weib? – Bin ich zu arm für die Verführung? Ich bin es nicht; ich habe Kapital, Kapital mein Leben und Sein, mein Streben und Denken, seit meines Denkens Beginn! –
Aber es ist verworfen, verhöhnt, mein Kapital, von einem armen elenden Kerl, wie dieser Aster, von einer hellerlosen Dirne, wie diese Adele, die nichts hat, als ihre glatte, weiße Haut und ihre blauen Augen! –
Ich will sie demüthigen, stürzen, zu meinen Füßen bringen, Alle zusammen! –
Ich bin reich; aber ich will noch reicher sein. Noch reicher! Aster sollen sie hetzen von einem Punkte zum andern; das ist nun mein fester Entschluß. Adele soll darben und grämen bis sie schwindet! – Alle müssen mein sein für mein Geld, um so mehr Jene, die mein Kapital kleidet, nährt, die essen und leben von meinem Kapitale!
Habe ich bisher Spekulationen gemacht, ich will sie verdoppeln! War ich bisher Verwaltungsrath, Direktionsmitglied, Rath in Handelskammern, Ausschuß in allerlei Banken und kommerziellen Vereinen: ich will noch mehr Stellen, Tantiemen, Gehalte, Einkommen und Benefizien 322 zusammenraffen, häufen; ich will noch mehr die Riesen-Spinne im Gold- und Papier-Netze der Kapitale sein! Habe ich meinen Eifer angestrengt: ich will Tag und Nacht machen! Schwach's Kapital, nebst andern, die ich aufnehme, müssen mir sogleich dazu dienen. Ich verbinde zwei Pläne nun in einem. Heim & Eidam, meine Rivalen, müssen gleichzeitig stürzen; ich will meine schlauen, feinberechnenden Kombinationen um sie herumziehen; sie sollen wirbeln, drehen, schwindelnd werden von meinen Chikanen, Ueberbietungen, mit denen ich sie geschäftlich umziehe; Rübe & Comp. müssen allein herrschend in ihrem Zweige stehen; diese Heim's und Konsorten müssen fallen, müssen! – –
Heim und Adele, es ist Eins und Dasselbe. – Heim trotzt mir, Adele ebenfalls; Heim verlacht mich heimlich, Adele wird es nicht anders machen; Heim und Adele habe ich meine Freundschaft, meine besten Beziehungen angeboten, vergebens! Aber sie sollen nicht ungestraft mir widerstehen! – Ich will mich endlich ganz versteinern! – Heim muß ein bankerotter, hellerloser Hund werden, und Adele muß verkümmern, vergrämen, verderben! – Dann will ich sie lächelnd aufnehmen; und wenn sie wieder satt gefüttert, wenn wieder ihr Lärvchen hergestellt und sie mein geworden ist; wenn ich mich ekel an ihr gesehen, gelebt, geschwelgt; dann will ich sie verstoßen in Schmutz und Elend, wie es ihr gebührt, wie sie es um mich verdient, und wie ich es mir jetzt fest vornehme! – Eines oder das Andere! –
Reich will ich sein, noch reicher als ich bin, viel, viel reicher! – Es kostet ja nur meine Anstrengungen, das Ausbreiten meiner bisher immer geglückten Spekulationen! 323
Ja, ja, nur Kapital, denn das Kapital ist der Mensch – und der Mensch ist ja Herr der Welt!
Haha, Herr der Welt?! Da gehen sie hin, die sogenannten Herren der Welt, bettelnd, hungernd, schreibend, schwitzend . . . ohne Kapital!
Deshalb Kapital! Gebt mir Geld genug, und ich erobere die Staten ohne Schwertstreich! –
Leute, Blut und Knochen und Herzen sind zu bekommen, Tag für Tag, zu jedem Kriege. Wo ist aber das Kapital dazu? Wer das Kapital hat, siegt, die letzte Goldmünze ist der letzte Siegesbericht! –
Der Fürst ist in seinem State gebunden an Herkommen, Gesetz und Verträge. Was für ein Gesetz, welchen Vertrag, welches Herkommen gibt es gegen Geld und Kapital? – Eitle Lügen! –
Der König ist solcher nur in seinem Lande; vor seinen Grenzen, drüben über dem Meere ist er nichts! Wo ist der Fleck Erde, auf dem ich nichts bin mit meinem Kapitale?
Mein Kapital ist die bewegliche Weltseele, ist Alles, ist das Höchste auf Erden, das Kapital ist der wahreste Mensch!
Wappen, Adel? Ei, stolzer Adel! – Erhöht sich der Adel von Stund zu Stund? Aus einer neunzackigen Fürstenkrone, wer macht mir mehr? – Darf ich um die höchste Stelle streben! Aber das höchste Kapital zu erreichen, steht mir frei! –
Wer ist mein Sohn, wenn ich Graf bin? Graf! Mein Enkel, mein Urenkel? – Es geht so fort; in Jahrhunderten bringt es höchstens Einer ausnahmsweise zur höheren Stufe. – Das Kapital jedoch wächst fortwährend, 324 das Kapital wird täglich mehr, das Kapital wird das Unendliche – das Kapital ist allein Mensch, das höchste Begriffswesen!
Ist es ein Talent, sein Adelstitel zu sein, d. h. geboren zu werden und ihn zu tragen? Aber es ist ein Talent, seine Millionen zu besitzen und zu erhalten, es ist ein Talent, von Tag zu Tag mehr zu haben, mehr zu machen, zu häufen, zu gewinnen – Kapitalmensch zu sein! – Ich bin mehr als mein Vater war; mein Sohn kann noch mehr sein als ich; mein Enkel setzt die Welt in Erstaunen und sieht sie zu seinen Füßen täglich mehr und auf's Neue! – Würden, Orden, ja man muß sie haben, sie sind ein Kapitalstheil, der seine Zinsen trägt! Aber sie sind ein Gewand, ein Schmucktheilchen – das Kapital ist höher als Alles, und das Wenigste noch, was ich sagen kann, ist mein altes Sprichwort, »beim Kapital fängt der Mensch an, das Kapital ist der Mensch!«
Mit starrenden, stechenden Augen, mit höhnischen Mienen ging er in seinem Zimmer auf und ab. Sein ganzer kleiner Körper schien fast Hohn, kalte Rachlust auszudrücken. Die schmale, flache, dünne Brust hob und senkte sich; es fehlte nicht viel, so hätte er in Bosheit aufgelacht.
Das war der wahrste, ungeheuchelteste Rübe, in der ganzen Unverstelltheit seiner Gier, seines Gelddurstes, seines Hasses und seiner kalten Verachtung alles Dessen, was nicht Geld war, wie er, oder gar sich ihm entgegenstellen wollte.
Eine kurze Weile ging er, so kalt er schien, doch von der innern Aufregung fast erschöpft, im Zimmer hin und her. Es war als bedurfte sein ganzes Wesen Erholung.
Nachdem er wenige Minuten so hin- und hergegangen 325 war, trat auf seine dünnen Lippen ein Lächeln, er verzog sie bis in die Wangen hinein, und das breite knochige Kinn schob sich.
»Adele?« sagte er und bewegte einen Arm dabei. Es war eine Bewegung, ein Ausdruck, als ob eine Katze mit Erhaschtem spielete. »Adele, o sie wird, sie muß fallen; sei es, indem ich sie mit Geld überschütte, mit Seide und Edelsteinen verblende und verlocke, oder ob ich sie von der Straße aufnehmen muß, damit sie nicht vergehe; – mein muß sie sein, das steht fest!«
»Schnepselmann? Nichts ist mit ihm! Ich werde ihn vor die Thüre stoßen, sobald er meinen Zwecken gedient. Doch jetzt noch nicht. – Krimpler, Schwach? – Schwach ist eine Null, den will ich schon führen nach meinem Belieben, um so mehr, habe ich nur erst sein Kapital in der Hand! – Krimpler . . . dieser alte knurrige . . . Haushund . . . der nicht beißt, doch stets heimlich grimmend die Zähne weist . . . . dem werde ich schon Maßregeln bereiten!«
Die Glocke der Stubenuhr schlug plötzlich mit hellem Schlage die Stunde ab. Rübe ward von ihr aus seinem Brüten, Höhnen und Hassen gerissen. Er warf einen scharfen Blick nach der Uhr, gleichsam sich mit dem Auge zu überzeugen, ob er richtig gehört und ob die Stunden so rasch verschwunden seien.
Dann faßte er rasch einige Papiere, versperrte seinen Schreibtisch, warf noch einen prüfenden Blick um sich, ob er alles in Ordnung zurücklasse und Nichts da sei, was seine Pläne verrathe, dann eilte er rasch aus seinem Schreibezimmer. 326