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Wie sich die Kinder bei Liese befinden, und in welchem Verhältniß sie zu Brunk und seiner Leier stehen – Schwach erhält unerwartet Kinder – Alexius bereitet eine sehr ergreifende und niederschmetternde Szene.
Frau Lampe war verschwunden. Ob das Gebet sie gebessert, ob die Furcht sie bewältigt – wer mag es wissen?
Sie hatte die Hallen ihres schönen Wirkens, die stummen Zeugen ihres rühmlichen Strebens geräumt, und ward nicht mehr gesehen!
Liese war installirte Kostfrau, zur allseitigen Zufriedenheit der betreffenden Kinder-Eigenthümer oder Annehmer; und es war erquickend, war eine stille Herzensfreude, zu sehen, wie die Kleinen blühten, wie ihre runden Wänglein sich rötheten, ihre matten, stieren Augen sich geistiger klärten, und wie sie sich drängten, um die Mutter Liese umarmen zu dürfen!
Liese durfte nur sagen, sie gehe und werde Madame Lampe herschicken, und jede Unart, jedes Schmollen war verbannt, die kleinen Händchen falteten sich bittend, die kleinen rothen Mündchen spitzten sich lieblich, und streckten sich eifrig nach der Höhe, um einen Kuß zu bieten!
Wer wollte eine so süße Frucht, von so unschuldigen Lippen nicht pflücken? Ist es doch die reinste Labe, die eine Menschenseele in Unschuld geben und empfangen kann!
Für dieses brave Verhalten der Kinder brachte aber auch Brunk täglich, wenn er Abends mit seinem Stelzbeine 249 nach Hause gehumpelt kam, den Leierkasten in's Zimmer, spielte den Kleinen ein Stücklein vor, ließ sie mit eigener Hand sogar drehen – was sie mit großer Anstrengung thaten – aber sie auch ganz glückselig machte!
Er hatte die Grade der Belohnung genau eingetheilt, in: ein Bischen spielen, mehr spielen, und selbst drehen dürfen! Und wenn er erst den Kasten öffnete und die Kinder in die Walzen, Drahtstiften und Pfeifen hineinsehen ließ, das war ein hohes Fest voll Seligkeit!
Selbst das kleine Kind in den Windeln zappelte mit Händchen und Füßchen und lächelte, wenn die schrille Leier tönte und die größeren entzückt jubelten. – Die Trauer jedoch, bei versagtem Leierkasten, war unsäglich! Und der kleine Arthur konnte solche schwere Tropfen deshalb aus seinen großen Augen gießen, daß sich Brunk nicht zu enthalten vermochte, jedesmal ihm doch Eins vorzuspielen, im Voraus, als D'rangabe, wie er sagte, für morgiges Bravsein!
Liese ward wieder jünger. »Einen hat uns der Herr genommen und Mehrere hat er uns dafür gegeben!« sagte sie. Brunk's Blicke und Geberden dabei drückten eine Welt von Gedanken und Empfindungen aus.
Heute hatte Brunk, wie gewöhnlich, seinen Kasten auf den Rücken genommen, und war seinem alten Geschäfte nachgegangen. »Ich müßte mich schämen,« pflegte er zu sagen, »als so alter Geselle mich von unvernünftigen Kindern erhalten zu lassen. Das Exerziren und die kleinen Geschichten und Märlein haben sie gratis. Werde ich doch selbst wieder jung und ein Kind dabei! Und lebte mein Edi und ich wäre todt – wie wollte ich selig auf Leute herabschauen, die ihm gut thäten! – Liese mag und muß dabei mitleben; aber wenn sie den Kindern was absparen 250 würde – sie thut's nicht, die gute Seele – es wäre besser, sie ginge den Leuten das Geld aus dem Kasten nehmen! – Erwachsene können sich helfen; aber unschuldige Kinder muß man vor Allem erst zu Menschen machen, die leben ohne zu kränkeln; sonst ist man ein . . . ein . . .«, er wollte Aergeres sagen, setzte aber stets hinzu, »eine Lampe!« und das war für ihn genug gesagt.
Es war Nachmittags. Liese war allein und sollte ausgehen, um Einkäufe zu machen. – Sie wußte sich nicht zu helfen, da sie die Kinder nicht auf längere Zeit allein lassen konnte und wollte. Doch gehen mußte sie. In dieser Noth und Bedrängniß erschien ungeahnt und unversehens ein Retter, und dieser war niemand Anderer, als unser geehrter Alexius!
Seitdem Poll, Madame Trullemaier und Schwach die Lampe'schen Angelegenheiten in die Hand genommen hatten, war natürlich der Schnepselmann'sche Hinzutritt unvermeidlich und die Verbindung mit Alexius eine unausbleibliche Folge. Alex ward zuweilen mit dem kleinen Ludwig, oder der kleinen Soundso seines Gebieters, zu den Kindern in Besuch gesendet, und er sagte ihnen, sie sollten sich mit den kleinen »Schwach's« nur recht belustigen!
Dieser unvorsichtige Ausdruck hatte Schnepselmann schon sehr vielen Verdruß, und Schwach, nebst dem fatalen Scheine, noch manche Unannehmlichkeit zugezogen. Die Mutzenberg entlud auf Schnepselmann ein schreckliches Donnerwetter, wie er sich unterfangen könne, ihr sowol als der ganzen Welt, zu verheimlichen, daß Herkules Schwach einen »ganzen Haufen von Kindern« habe, und wie er zu glauben im Stande sei, Damen, hießen sie Mutzenberg, oder anders, würden sich je herbei lassen, solche fremde Kinder, 251 – solche »ungesegnete« Kinder – sie sage nichts Aergeres – zu pflegen und zu züchten? – Schnepselmann hatte lange vergeblich reden; sie antwortete, »er sei ein eben solcher heimlicher Sünder wie Herr Schwach, und sie kenne nun Beide!« – Madame Bockbein schrieb an Schwach einen sehr gefühlvollen Brief, denn Briefe schienen der Bockbein in allen Angelegenheiten unvermeidlich, daß ihr »schwaches Herz« sehr angegriffen sei über die Erfahrung, daß Herr Schwach, den sie für besser gehalten als alle Anderen, auch von dem Leichtsinne aller Männer besessen sei und kein Gewissen sich daraus mache, »arme schwache Herzen« zu bethören! Sie habe die ersten Spuren durch magnetischen Rapport und spiritistisch-vitalistische Manifestationen erhalten. Es sei dies eine sehr, sehr schmerzliche Erfahrung für ihr eigenes »armes schwaches Herz«, und ihr »armes schwaches Herz« werde noch lange hierüber seufzen!
Schwach, so unangenehm ihm der Schein war, ließ sie seufzen und Andere glauben.
Er selbst aber, mit seiner ruhigen, zufriedenen Gestalt, mit seinen kindlich blauen Augen und seinen von Naschwerk und Spielzeug vollgestopften Taschen, erschien oftmals bei den Kindern, und verlebte glückliche Stunden als »der gute Vetter Schwach!«
Die Kinder waren in diesem Augenblicke von ihren gewöhnlichen Pflegern verlassen, nur Alexius blieb ihr einziger Beschützer!
Während er dies war, ging Madame, seine Mutter eben des Weges, um Liese und den Kindern einen Besuch abzustatten. Und als sie dies that, wer schoß aus einer Quergasse heraus und nahezu hinein in ihre Arme?
»Ah, Madame Trullemaier! Guten Tag! Welch' 252 glückliches Zusammentreffen!« rief Schnepselmann, eiligst gefaßt. »Wie befinden Sie sich? Aussehen täglich jünger, täglich liebenswürdiger!«
»Sie Schmeichler! Ich kenne Sie schon! – Die Frau gesund? Die Kinder auch? Was macht mein Alexi?«
»Ich danke für die Nachfrage,« sagte Schnepselmann, indem er bei dem Gedanken an Alexi eine andere Miene annahm. »Alles gesund; aber Ihr Alexi . . .«
»Ist doch nicht krank?«
»Gott bewahre! Der Junge ist nur zu gesund. Madame Trullemaier, der Junge hat zu viel Blut in sich!«
»Sie wollen ihm doch nicht Ader lassen?«
»Bewahre! Aber der Schwerenöther ist wild wie ein arabischer Vollblutrenner! Seitdem Sie ihn zu den Kunstreitern geführt, ist dies mein Unglück! – Der Range stürzt mir das ganze Haus! Jeden Rock, jedes Stück Kleidung benützt er für sich zu Kostumes! Aus den Wäschleinen dreht er Stricke zum Seiltanzen; von den Fässern schlägt er mir die Reife los, um über und durch sie zu schlüpfen; aus allen Schnupftüchern macht er Fahnen; von jedem Balken springt er herunter, auf Alles springt er hinauf; im Hofe schlägt er fortwährend Purzelbäume, geht auf den Händen, steht auf dem Kopfe, verdreht die Beine, wälzt sich wie eine Kugel, läßt auf sich reiten und reitet wieder auf andern Jungen; es ist schrecklich! – Meinem Ludwig hat er sicher schon zwanzig Beulen in den Kopf geschlagen, und die blauen Flecke sind unzählig! Er benützt den Jungen, wenn er »Herkules« spielt, und den ganz Kleinen balgt er herum, wie ein altes Wäschbündel! Wenn das so fort 253 geht, behalte ich kein Kind, kein Bureau, keine Bücher, keine Kleidung, keine Möbel, Alexius richtet mich zu Grunde!«
»Das kann ich nicht glauben; der Junge ist so sanft . . .«
»Madame, ich bitte Sie, lassen Sie ihn Kunstreiter werden: es braucht eine Pferdegeduld für ihn, und ich . . .«
»Sie reden immer Arges über den Jungen; ich wette und möchte Sie überzeugen, wenn Sie jetzt zu Frau Liese mit mir gehen, finden Sie den Jungen sanft wie ein Lamm, mit den andern Kindern spielen.«
»Ist er bei Brunk?«
»Ich habe eben Frau Liese begegnet, und sie sagte mir, Alexi sei mit dem kleinen Ludwig von Ihrer Frau zu ihr hingeschickt worden. Liese mußte gerade ausgehen, und so kam Alexi wie gerufen, um auf die Kinder indeß Acht zu haben. Frau Liese gab mir auch ihren Schlüssel, um einzutreten.«
»Meinethalben, ich gehe mit Ihnen zu Brunk; und wäre es nur, um die Kinder zu sehen. Aber Alexius soll vor Ihnen meine Meinung hören, vielleicht nützt das!«
Sie gingen Beide die nur mehr kurze Strecke und langten vor dem alten Hause an, dessen Theile, so weit sie Frau Liese betrafen, bereits ein viel freundlicheres, reinlicheres Ansehen gewonnen hatten.
»Ich bitte Sie, Madame, treten wir nicht rasch ein. Ueberraschen wir Alexi ein wenig, sehen wir zuvor was er macht.«
»Sie sollen ganz Ihren Willen haben. Sie sollen sich überzeugen, daß keine Amme besser auf die Kinder acht geben könnte, als der gute Junge es thut.« 254
Schnepselmann ging mit Madame die Treppe empor, leise, um kein Kommen zu verrathen. Er hielt die Trullemaier am Arme, damit sie nicht unvorsichtig vortrete, und schlich auf den Zehen an die Thüre, um durch's Schlüsselloch zu gucken und Alexi's Thun zu erspähen.
»Langsam, nur leise, ich bitte Sie!« flüsterte Schnepselmann.
Bis in die Treppenhalle hörte man ein Jubeln und Lachen der Kinder. Madame war beseligt, wie der liebe Junge, ihr Sohn, sanft und gelassen die Kinder amusire. Doch, als Schnepselmann durch das Schlüsselloch guckte – welcher Anblick!
Das ganze Zimmer war wie ein wirrer Trödlerladen. Aus den Betten waren die Kissen und Matrazen herausgenommen und lagen auf der Erde herum, vermuthlich zum sicherern Springen und Balgen. Auf der Platte des größeren Tisches stand noch ein Tisch, auf dem zweiten Tische stand ein Sessel, und hoch oben auf dem Sessel, erhitzt und in Röthe wie ein kalekutischer Hahn, bewegte sich Alexi, in den merkwürdigsten gimnastischen Kunststücken. Der kleine Ludwig hatte den Kopf eingebunden, wie ein Verwundeter, und der Kleine lächelte trotzdem, bei sehr jämmerlichem Aussehen. Alexius war ohne Frack und Weste, die er von sich geworfen. In Beinkleidern und lediglich mit dem Hemde auf kühner Brust, führte er seine gimnastischen Produktionen aus, welche alles Turnerische weit hinter sich und kleinlich erscheinen ließen!
Alexius hatte auf irgend welche Ankunft nicht vor Abend gerechnet. 255
Eben stand er oben und redete die Kinder, welche glotzend herumstanden, sehr ernst, mit gehobener Stimme an: »Meine Herrschaften! Hier sehen Sie den großen, hochberühmten Sprung vom merkwürdigen Kunstreiter Alexius Trullemaier, noch nicht dagewesen, seit die Welt steht, und wird kein Mensch kommen, der so was machen könnte; kann nur ich allein und keiner mehr! Passen Sie gut auf, meine Herrschaften . . . Eins! . . . Zwei! . . .«
Schnepselmann zitterte über die Gefahr des Sprunges, und wenn er etwa gerade seinem Ludwig, oder einem andern Kinde auf den Kopf spränge!!
»Warte,« dachte Schnepselmann, »Dir will ich das Springen vertreiben!« Und er drückte die bereits heimlich erschlossene Thüre rasch auf. Da hatte Alexius eben Drei!« gerufen – sprang im Nu herab, und wer seinem Herrn, von der Höhe des piramidalischen Sessels, gerade auf den Rücken sprang, ihn auf die Matraze niederwarf, und dann, mit ihm im schönen Verein, auf dem Boden die Beine in die Höhe reckte – war Alexius!
Die Kinder standen versteint, Madame Trullemaier war sehr überrascht, Schnepselmann wüthend – und Alexius sehr melancholisch. 256