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Nach dem Schauspiel in den Gärten des Caesars hatten sich die Kerker beträchtlich geleert. Zwar wurden immer noch neue Opfer verhaftet, die der Teilnahme an dem morgenländischen Aberglauben verdächtig erschienen; allein es wurden immer weniger Gefangene eingeliefert, so daß deren Zahl kaum für die noch ausstehenden Spiele ausreichte, die sich ebenfalls ihrem Ende näherten. Das Volk, des Blutvergießens satt, zeigte immer größeren Überdruß und immer größere Unruhe über die unerhörte Geduld der Verurteilten. Tausende wurden von denselben Befürchtungen ergriffen wie der abergläubische Vestinus. Im Volke wurden immer wunderbarere Dinge von der Rachsucht des Christengottes erzählt. Der Gefängnistyphus, der sich in der Stadt verbreitet hatte, vermehrte die allgemeine Furcht. Die häufigen Leichenzüge erregten Aufsehen, und schon flüsterte man sich ins Ohr, es seien neue Piacula erforderlich, um den unbekannten Gott zu versöhnen. In den Tempeln wurden dem Jupiter und der Libitina Opfer dargebracht. Endlich gewann trotz der größten Anstrengungen des Tigellinus und seiner Anhänger die Ansicht täglich mehr Boden, daß die Stadt auf Befehl des Caesars in Brand gesteckt worden sei und daß die Christen unschuldig duldeten.
Aber gerade aus diesem Grunde ließen Nero und Tigellinus nicht von der Verfolgung ab. Zur Beschwichtigung des Volkes wurde die Verteilung von Getreide, Wein und Oliven wieder aufgenommen; Vorschriften wurden erlassen, die den Bau von Häusern erleichterten und den Besitzern große Vergünstigungen gewährten, sowie andere, die Bestimmungen über die Breite der Straßen und die Baumaterialien zur Verhütung eines künftigen Brandunglücks enthielten. Der Caesar selbst wohnte den Senatssitzungen bei und beriet mit den »Vätern« die erforderlichen Maßregeln zum Besten des Volkes und der Stadt, aber kein Gnadenschimmer fiel auf die Verurteilten. Dem Herrscher der Welt kam es vor allem darauf an, dem Volke die Überzeugung einzuprägen, daß so unerhörte Strafen nur Schuldige treffen konnten. Auch im Senate wurde keine Stimme zugunsten der Christen laut, da sich niemand mit dem Caesar verfeinden wollte und diejenigen, die schärfer in die Zukunft blickten, erkannten, daß vor diesem neuen Glauben die Grundfesten der Römerherrschaft nicht würden standhalten können.
Sterbende und Tote übergab man allerdings ihren Angehörigen, denn das römische Recht nahm an Toten keine Rache. Für Vinicius lag ein gewisser Trost in dem Gedanken, daß, wenn Lygia sterben sollte, er sie dann in seiner Familiengruft beisetzen lassen und dereinst neben ihr ruhen werde. Er hegte keine Hoffnung mehr, sie vor dem Tode zu retten, und, halb abgelöst vom Leben, ging er ganz in dem Gedanken an Christus auf und träumte von keiner anderen Vereinigung mehr mit der Geliebten als von der ewigen. Sein Glaube wurde so unerschütterlich, daß ihm in dessen Lichte die Ewigkeit unvergleichlich wirklicher und realer vorkam als die gemeine Wirklichkeit des alltäglichen Lebens. Sein Herz war von grenzenloser Begeisterung erfüllt. Noch lebend verwandelte er sich in ein beinah körperloses Wesen, das für sich völlige Freiheit ersehnte, aber auch eine zweite geliebte Seele daran teilnehmen lassen wollte. Er träumte davon, daß er dann Hand in Hand mit Lygia in den Himmel eingehen werde, wo Christus sie segnen und ihnen gestatten werde, in einem Lichte, das an Frieden und Glanz der Abendröte glich, beisammen zu bleiben. Er flehte zu Christus nur darum, daß Lygia nicht die Qualen des Zirkus zu erdulden haben möge, sondern daß er ihr gestatte, friedlich im Kerker zu entschlummern, denn er wußte mit voller Bestimmtheit, daß er selbst zugleich mit ihr sterben werde. Angesichts dieses Meeres von vergossenem Blut hielt er es für unrecht, auch nur zu hoffen, sie könne allein gerettet werden. Er hatte von Petrus und Paulus gehört, daß sie ebenfalls als Märtyrer würden sterben müssen. Der Anblick Chilons am Kreuze überzeugte ihn, daß der Tod selbst unter Qualen sanft sein könne, und darum wünschte er, daß er ihnen beiden nahe als die ersehnte Vertauschung eines schlechten, trüben, schweren Daseins mit einem besseren.
Mitunter hatte er schon einen Vorgeschmack des kommenden Lebens. Jene Trauer, die über beiden lagerte, verlor allmählich ihre brennende Bitterkeit und ging allmählich in eine unirdische, ruhige Fügung in Gottes Willen über. Während Vinicius früher unter Mühen und Anstrengungen gegen den Strom angekämpft hatte, überließ er sich jetzt den Fluten, überzeugt, sie würden ihn zum Lande des ewigen Friedens tragen. Auch ahnte er, daß Lygia sich in gleicher Weise wie er auf den Tod vorbereitete, daß sie trotz der sie trennenden Kerkermauern ihren Weg gemeinschaftlich wandelten. Und bei diesem Gedanken lächelte er in Seligkeit.
Und in der Tat befanden sich beide in solcher Übereinstimmung, als teilten sie sich täglich ihre Gedanken mit. In Lygia lebte kein Wunsch, keine Hoffnung mehr als die Sehnsucht nach dem jenseitigen Leben. Den Tod begrüßte sie nicht nur als Befreiung aus den schrecklichen Kerkermauern, aus den Händen des Caesars und Tigellinus', nicht nur als Erlösung, sondern auch als ihre Vermählung mit Vinicius. Gegenüber dieser felsenfesten Gewißheit verlor alles andere seine Bedeutung. Nach dem Tode begann für sie sogar auch das irdische Glück, daher erwartete sie ihn mit einer Ungeduld wie die Braut den Hochzeitstag.
Und jener gewaltige Glaubensstrom, der tausende jener ersten Gläubigen dem Leben entriß und ins Jenseits trug, erfaßte auch Ursus. Auch er hatte sich lange Zeit nicht mit dem Gedanken aussöhnen können, daß Lygia sterben solle; als aber täglich neue Kunde von dem, was sich in den Amphitheatern und den Gärten des Caesars zutrug, durch die Gefängnismauern drang, als der Tod das allgemeine, unvermeidliche Los der Christen, aber auch ihre Seligkeit war, die über alle irdischen Begriffe von Seligkeit hinausging, wagte er am Ende gar nicht mehr, Christus zu bitten, er möge Lygia dieses Glück vorenthalten oder auf Jahre hinaus verzögern. In seinem schlichten Barbarensinn glaubte er außerdem, der Tochter des Lygierkönigs gebühre auch ein größerer Anteil an jenen himmlischen Freuden als dem ganzen Haufen gewöhnlicher Leute, zu denen er auch sich zählte, und daß sie in der ewigen Seligkeit dem »Lamme« näher sitzen würde als andere. Er hatte zwar gehört, vor Gott seien alle Menschen gleich, aber in der Tiefe seiner Seele hegte er die Überzeugung, die Tochter eines Häuptlings und noch dazu des Häuptlings aller Lygier nehme denn doch einen höheren Rang ein als die erste beste Sklavin. Auch erwartete er, daß Christus ihm gestatten werde, ihr auch fernerhin zu dienen. Was ihn selbst betraf, so hatte er nur noch einen sehnlichen Wunsch, nämlich so zu sterben wie das Lamm – am Kreuze. Es kam ihm dies aber als so großes Glück vor, daß er kaum um einen solchen Tod zu bitten wagte, trotzdem er wußte, daß in Rom selbst die ärgsten Verbrecher gekreuzigt wurden. Er glaubte sicher, er werde von wilden Tieren zerrissen werden, und dies war sein heimlicher Kummer. Von Kindheit an hatte er in unermeßlichen Wäldern und auf beständigen Jagdzügen gelebt, auf denen er dank seiner Riesenkraft noch vor Erreichung des Mannesalters sich unter den Lygiern einen Namen gemacht hatte. Diese Beschäftigung war ihm so lieb geworden, daß er später, als er in Rom war und ihr entsagen mußte, in die Vivarien und Amphitheater ging, um sich bekannte und unbekannte Tiere anzusehen. Ihr Anblick erweckte in ihm den unbezwinglichen Wunsch nach Kampf und Blutvergießen, und er fürchtete, wenn er mit ihnen im Amphitheater zusammentreffe, von Gedanken heimgesucht zu werden, die eines Christen wenig würdig seien, der geduldig und gottergeben sterben müsse. Allein er fügte sich darin dem Willen Christi und tröstete sich mit anderen, angenehmeren Gedanken. Er hatte gehört, daß das »Lamm« mit den Mächten der Hölle und den bösen Geistern, zu denen der christliche Glaube alle heidnischen Götter rechnete, Krieg führe, und glaubte, daß er dem »Lamme« in diesem Kriege von großem Nutzen sein und besser dienen werde können als andere, da es ihm nicht in den Kopf wollte, daß auch seine Seele nicht stärker sein solle als die anderer Märtyrer. Schließlich betete er ganze Tage lang, widmete sich der Pflege der Gefangenen, half den Aufsehern und tröstete seine Königin, die es zuweilen beklagte, in ihrem kurzen Leben nicht soviel Gutes getan zu haben wie die berühmte Thabita, von der ihr der Apostel Petrus seinerzeit erzählt hatte. Die Wärter, denen seine Riesenstärke selbst im Gefängnis Furcht einflößte, da keine Fessel, kein Gitter für ihn fest genug war, gewannen ihn am Ende seines sanften Wesens halber lieb. Mehr als einmal fragten sie ihn verwundert nach den Ursachen seiner Heiterkeit, und dann setzte er ihnen mit so felsenfester Überzeugung auseinander, welches Leben nach dem Tode seiner warte, daß sie verwundert zuhörten und zum erstenmal sahen, daß auch in einen Kerker, in den nie ein Sonnenstrahl dringe, das Glück einziehen könne. Und wenn er sie aufforderte, an das »Lamm« zu glauben, so verfiel mancher auf den Gedanken, daß sein Dienst der eines Sklaven, sein Leben das eines Bettlers sei, und mancher dachte über sein unglückliches Los nach, dem nur der Tod ein Ziel setzen konnte.
Allein der Tod flößte ihnen neue Furcht ein, und sie versprachen sich nichts nach ihm, während jener lygische Hüne und die Jungfrau, die einer auf das Kerkerstroh gestreuten Blume glich, ihm freudig wie einem Glücke entgegengingen.