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Sechsundvierzigstes Kapitel.

Die Stadt brannte unausgesetzt weiter. Der große Zirkus lag in Trümmern, und in den Stadtteilen, die zuerst angefangen hatten zu brennen, stürzten ganze Straßen und Gassen ein. Bei jedem derartigen Zusammenbruch schlug eine Zeitlang eine hohe Feuersäule zum Himmel empor. Der Wind hatte sich gedreht, wehte jetzt mit Sturmesgewalt von der Seeseite her und trieb die Flammen, Feuerbrände und glühende Asche zum Caelius, Esquilinus und Viminalis. Man dachte jedoch noch an Rettung. Auf Befehl des Tigellinus, der vor drei Tagen aus Antium herbeigeeilt war, begann man die Häuser auf dem Esquilinus niederzureißen, damit das Feuer auf den leeren Plätzen keine Nahrung mehr finde und erlösche. Dies war aber nur eine teilweise Hilfe, bestimmt, den Rest der Stadt zu retten, denn an die Rettung dessen, was schon brannte, war nicht zu denken. Man konnte nur der weiteren Ausdehnung des Unglücks vorbeugen. Zugleich mit Rom waren unermeßliche Schätze zugrunde gegangen, zugrunde gegangen war das gesamte Eigentum der Bewohner, so daß jetzt hunderttausende von Notleidenden um die Mauern herumirrten. Schon am zweiten Tage hatte der Hunger die Menge zu quälen begonnen, da die in der Stadt angehäuften unermeßlichen Vorräte an Lebensmitteln mit verbrannt waren, und in der allgemeinen Verwirrung und Auflösung aller staatlichen Bande niemand daran gedacht hatte, neue herbeizuschaffen. Erst nach Tigellinus' Ankunft ergingen darauf bezügliche Befehle nach Ostia, aber inzwischen begann das Volk eine immer drohendere Haltung anzunehmen.

Das Haus an der Aqua Appia, das Tigellinus zu dieser Zeit bewohnte, wurde von einer Schar Frauen umringt, welche vom frühen Morgen bis in die späte Nacht hinein riefen: »Brot und Obdach!« Vergebens suchten die Prätorianer, die aus dem großen Lager zwischen der Via Salaria und Via Nomentana abkommandiert waren, die Ordnung, wenn auch nur einigermaßen, herzustellen. Hier und da stießen sie auf offenen, bewaffneten Widerstand; an anderen Punkten zeigte die waffenlose Menge auf die brennende Stadt und rief: »Ermordet uns noch dazu angesichts dieses Feuers!« Man beschimpfte den Caesar, die Augustianer, die Prätorianer; die Erregung wuchs von Stunde zu Stunde, so daß Tigellinus beim Anblick der zahllosen Lagerfeuer rund um die Stadt glauben konnte, es seien die Wachtfeuer eines feindlichen Heeres. Auf seinen Befehl wurde außer Mehl auch soviel fertig gebackenes Brot wie nur möglich nicht nur aus Ostia, sondern auch aus sämtlichen benachbarten Städten und Dörfern herbeigeschafft. Als jedoch die ersten Ladungen des nachts im Emporium anlangten, erbrach das Volk das zum Aventin führende Haupttor, bemächtigte sich im Nu aller Vorräte und richtete eine namenlose Verwirrung an. Beim Scheine der Feuersbrunst kämpfte man um die Brote, von denen viele dabei zertreten wurden. Die ganze Strecke von den Speichern an bis zu den Triumphbogen des Drusus und Germanicus war mit Mehl, das aus den zerrissenen Säcken gefallen war, wie mit Schnee bedeckt, und der Aufstand dauerte solange, bis die Truppen alle Gebäude umringten und die Menge mit Pfeilen und Wurfspeeren zu zerstreuen begannen.

Nie seit dem Einfalle der Gallier unter Brennus war Rom von einem so entsetzlichen Unglück betroffen worden. In der Verzweiflung stellte man Vergleiche zwischen beiden Bränden an. Damals war wenigstens das Kapitol gerettet worden, während jetzt die Flammen auch dieses umloderten. Der Marmor brannte allerdings nicht; als aber der Wind nach einiger Zeit die Flammen zur Seite trieb, konnte man die Säulenreihen des hochgelegenen Jupitertempels in Rotglut leuchten sehen wie glühende Kohlen. Endlich besaß Rom zu Brennus' Zeiten eine wohldisziplinierte, einheitliche Bevölkerung, voller Anhänglichkeit an die Stadt und die Altäre; jetzt aber streiften vielsprachige Scharen, die größtenteils aus Sklaven und Freigelassenen bestanden, um die Mauern der brennenden Stadt, heulend, zügellos und geneigt, sich unter dem Drucke der Not gegen die Regierung und die Stadt zu wenden.

Nur die Furchtbarkeit des Brandes, die die Gemüter mit Entsetzen erfüllte, hielt die Menge einigermaßen im Zaume. Auf das Unglück des Feuers konnte das Unglück von Hungersnot und Seuchen folgen, und um das Unglück vollzumachen, war schon die fürchterliche Julihitze über die Stadt hereingebrochen. Die durch das Feuer und die Sonne erhitzte Luft war kaum mehr zu atmen. Die Nacht, weit entfernt, Erleichterung zu bringen, wurde vielmehr zur Hölle. Am Tage bot dem Blicke sich ein entsetzliches, unheilverkündendes Schauspiel. In der Mitte die Riesenstadt auf den Hügeln, in einen tobenden Vulkan verwandelt, ringsherum, bis zu den Albanerbergen ein einziges großes Lager von Schuppen, Zelten, Hütten, Wagen, Schubkarren, Tragbaren, Krambuden, Feuergeräten – alles mit Ruß und Staub bedeckt, vom Sonnenschein beleuchtet, der noch das Feuer überstrahlte, voller Lärm, Geschrei, Drohungen, Feindseligkeiten und Schrecken, eine ungeheure Ansammlung von Männern, Weibern und Kindern. Neben den Quiriten sah man Griechen, rauhe, blauäugige Männer aus dem Norden, Afrikaner und Asiaten, neben den Bürgern Sklaven, Freigelassene, Gladiatoren, Kaufleute, Handwerker, Bauern und Soldaten, ein wahres Menschenmeer, das die Feuerinsel umbrandete.

Die verschiedenartigsten Gerüchte bewegten dieses Meer wie der Sturm die wirkliche See. Sie lauteten günstig und ungünstig. Man sprach von unermeßlichen Zufuhren an Getreide und Kleidungsstücken, die nach dem Emporium gebracht und ohne Bezahlung verabfolgt werden sollten. Ebenso erzählte man, auf Befehl des Caesars würden die Provinzen in Asien all ihrer Schätze beraubt, die dann unter die Bewohner verteilt werden sollten, damit sich jedermann sein Haus wieder aufbauen könne. Aber auch Gerüchte anderer Art gingen von Mund zu Mund, wie daß das Wasser in den Wasserleitungen vergiftet worden sei, daß Nero die Stadt zerstören und die Bewohner ausrotten wolle, um sich nach Griechenland oder Ägypten zu begeben und von da aus die Welt zu beherrschen. Jedes Gerücht verbreitete sich mit Blitzesschnelle, jedes fand bei der Menge Glauben und rief Ausbrüche der Freude, des Zornes, des Schreckens oder der Wut hervor. Zuletzt packte eine Art Fieber diese tausende von Menschen. Der Glaube der Christen, der Untergang der Welt durch Feuer stehe nahe bevor, gewann von Tag zu Tage weitere Verbreitung auch unter den Anhängern der alten Götter. Manche fielen in Starrkrampf oder Wahnsinn. In den vom Feuerschein beleuchteten Wolken erblickte man die Götter, die auf die Verwüstung der Erde herabsahen, und flehte sie mit erhobenen Händen um Erbarmen an oder fluchte ihnen.

Inzwischen fuhren die Soldaten, unterstützt von einer bedeutenden Zahl Bürger, fort, die Häuser aus dem Esquilin, dem Caelius und auch am jenseitigen Ufer des Tiber niederzureißen, wodurch diese Viertel zum großen Teile gerettet wurden. In der Stadt selbst aber waren unermeßliche, infolge jahrhundertelanger Siege angehäufte Schätze zugrunde gegangen; kostbare Kunstwerke, herrliche Tempel und die schönsten Denkmäler der römischen Vergangenheit und des römischen Ruhmes. Es war vorauszusehen, daß von der ganzen Stadt kaum einige Stadtteile an den äußersten Enden erhalten bleiben und daß hunderttausende von Menschen obdachlos werden würden. Es wurde sogar das Gerücht verbreitet, die Soldaten rissen die Häuser nieder, nicht um dem Feuer Einhalt zu tun, sondern um nichts von der Stadt übrig zu lassen. Tigellinus bat in jedem Briefe, den er nach Antium sandte, der Caesar möge kommen und die verzweifelte Bevölkerung durch seine Gegenwart beruhigen. Aber Nero machte sich erst auf den Weg, als das Feuer auch seinen Palast, die » domus transitoria,« ergriffen hatte, und beeilte sich jetzt, um den Augenblick nicht zu versäumen, wo die Feuersbrunst ihren Höhepunkt erreicht haben würde.


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