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Zweiundsechzigstes Kapitel.

Der Abend war noch nicht hereingebrochen, als sich die ersten Volksmassen in die Gärten des Caesars hineinzuwälzen begannen. Festlich gekleidet, bekränzt, ausgelassen, singend, zum Teil betrunken, wollte sich die Menge das neue, prächtige Schauspiel betrachten. Die Rufe: » Semaxii, sarmentitii!« erschollen aus der Via Tecta, der Ämilischen Brücke, auf dem jenseitigen Tiberufer, auf der Triumphstraße, in der Nähe des Neronischen Zirkus bis hinauf zu den Vatikanischen Hügeln. Man hatte zwar schon früher in Rom Menschen an Pfählen verbrennen sehen, aber noch nie war eine solche Anzahl Verurteilter beisammen gewesen.

Der Caesar und Tigellinus wollten mit den Christen ein Ende machen und zugleich die Ausdehnung der Ansteckung, die sich aus den Gefängnissen immer weiter in der Stadt verbreitete, verhüten. Sie hatten daher den Befehl gegeben, sämtliche Kerker zu leeren, so daß nur noch verhältnismäßig wenige für den Schluß der Spiele bestimmte Verurteilte zurückblieben. Staunen ergriff die Menge beim Eintritt in die Gärten. In allen Haupt- und Seitenalleen, die zwischen Baumgruppen, Rasenflächen, Inseln, Teichen, Fischbehältern, Blumenbeeten dahinliefen, standen dichtgedrängt mit Pech bestrichene Pfähle, an denen Christen festgebunden waren. An höher gelegenen Punkten, wo keine Bäume die Aussicht versperrten, konnte man ganze Reihen von Pfählen und menschlichen Körpern erblicken, die mit Blumen, Myrtenzweigen und Efeu bekränzt waren und sich in der Ferne verloren, über Hügel und Täler hinweg, so daß Pfähle, die in der Nähe Schiffsmasten glichen, sich in der Ferne wie farbige in die Erde gesteckte Thyrsosstäbe oder Wurfspieße ausnahmen. Ihre Anzahl überstieg die Erwartungen des Volkes. Man hätte glauben können, ein ganzes Volk sei zu Ehren Roms und des Caesars an Pfähle gebunden. Die Scharen der Zuschauer machten vor einzelnen Pfählen Halt, je nachdem die Gestalt, das Alter oder das Geschlecht der Opfer die Aufmerksamkeit fesselte, betrachteten die Gesichter, die Kränze, die Efeugewinde und gingen dann weiter und weiter, sich erstaunt fragend: »Konnte es soviel Verbrecher geben, und wie konnten Kinder, die kaum zu gehen imstande sind, Rom in Brand stecken?« Und zum Staunen gesellte sich nach und nach eine gewisse Unruhe.

Inzwischen war es dunkel geworden, und am Himmel zeigten sich die ersten Sterne. Vor jedem Verurteilten stand ein Sklave mit einer brennenden Fackel in der Hand, und sobald Trompetenstöße in den verschiedenen Abteilungen der Gärten als Zeichen zum Beginn des Schauspiels ertönten, legten alle ihre Fackeln an den Fuß der Pfähle.

Das unter Blumen versteckte und mit Pech getränkte Stroh brannte sofort mit heller Flamme, die, rasch um sich greifend, die Efeuzweige versengte, in die Höhe loderte und die Füße der Opfer ergriff. Die Menge schwieg, während die Gärten von furchtbarem Stöhnen und von Schmerzensschreien widerhallten. Einige der Opfer jedoch hoben ihr Haupt zum gestirnten Himmel empor und begannen zu Christi Ehre zu singen. Das Volk lauschte. Selbst die fühllosesten Seelen ergriff Entsetzen, wenn von den kleineren Masten herab Kinder mit herzzerreißender Stimme riefen: »Mutter, Mutter!« und ein Zittern überlief selbst die Betrunkenen beim Anblicke der Köpfchen und unschuldigen, schmerzverzerrten Gesichter der vom erstickenden Rauche ohnmächtig gewordenen Kleinen. Die Flammen schlugen in die Höhe und setzten immer mehr Rosen- und Efeukränze in Brand. Haupt- und Nebenalleen, Baumgruppen und Rasenflächen, die Blumenbeete wurden von der Glut bestrahlt, das Wasser in den Fischbehältern und Teichen spiegelte den Feuerschein wider, das Laub auf den Bäumen erglänzte in rötlichem Lichte, und in den Gärten war es hell wie am Tage. Bald erfüllte der Geruch verbrannten Fleisches die Luft, aber in demselben Augenblicke begannen Sklaven in eigens zu diesem Zwecke zwischen den Pfählen aufgestellten Räucherbecken Myrrhen und Aloe zu streuen. Hier und da ertönten Rufe aus der Menge, man wußte nicht, ob vor Mitleid oder vor Jubel und Entzücken, und verstärkten sich mit der zunehmenden Gewalt der Flammen, die die Pfähle umhüllten, den Opfern bis an die Brust reichten, mit ihrem feurigen Atem das Haar auf ihren Köpfen versengten, einen Schleier über ihre geschwärzten Gesichter warfen und endlich über ihren Häuptern zusammenschlugen, als wollten sie den Sieg und Triumph der Macht verkünden, die den Befehl gegeben hatte, sie anzufachen.

Gleich beim Beginne des Schauspiels war der Caesar auf einer von vier Schimmelhengsten gezogenen prachtvollen Zirkusquadriga mitten unter dem Volke erschienen, in der Tracht eines Wagenlenkers in der Farbe der Partei der Grünen, zu der er und der gesamte Hof gehörten. Ihm folgten andere Wagen mit Höflingen in glänzenden Gewändern, Senatoren, Priestern, nackten Bakchantinnen mit Weinlaub auf dem Kopfe und Weinkrügen in den Händen, zum Teil betrunken und wilde Schreie ausstoßend. Neben ihnen schritten als Faune und Satyrn verkleidete Musikanten einher und spielten auf Lauten, Phormingen, Pfeifen und Hörnern. Auf anderen Wagen saßen römische Matronen und Mädchen, gleichfalls betrunken und halb nackt. Um die Wagen herum sprangen Gaukler mit Thyrsosstäben, andere schlugen Trommeln, noch andere streuten Blumen auf den Weg. Dieser ganze glänzende Zug bewegte sich unter Evoerufen inmitten des Rauches und der lebenden Fackeln durch den Garten von einem Ende zum anderen. Nero, der sich von Tigellinus und Chilon begleiten ließ und sich am Entsetzen des letzteren erlustigen wollte, lenkte die Rosse selbst. Im Schritte fahrend, betrachtete er mit Wohlgefallen die brennenden Körper und lauschte den Beifallsrufen des Pöbels. Auf der hohen vergoldeten Quadriga stehend, umgeben von einer zahllosen Menge von Menschen, die sich vor ihm bis zur Erde neigten, im Scheine des Feuers, mit dem goldenen Kranze des Zirkussiegers überragte er um Haupteslänge die Höflinge, das Volk und machte den Eindruck eines Riesen. Seine übermäßig langen, zum Halten der Zügel vorgestreckten Arme schienen das Volk zu segnen. Auf dem Gesichte und in den blinzelnden Augen lag ein Lächeln; er glänzte hoch über der Menge wie die Sonne oder wie ein Gott, furchtbar, aber hoheits- und machtvoll.

Bisweilen hielt er an, um sich eine Jungfrau, deren Busen unter den Flammen einzuschrumpfen begann, oder das konvulsivisch verzerrte Gesicht eines Kindes näher zu betrachten; dann fuhr er weiter, hinter sich das lärmende, tobende Gefolge. Mitunter verneigte er sich vor dem Volk, dann wieder zog er, sich zurückbeugend, die goldenen Zügel an und sprach mit Tigellinus. Endlich bei der großen Fontäne angekommen, die sich inmitten zweier sich kreuzenden Wege erhob, sprang er von der Quadriga, gab seinem Gefolge einen Wink und mischte sich unter die Menge.

Laute Beifallsrufe empfingen ihn. Bakchantinnen, Nymphen, Senatoren, Augustianer, Priester, Faune, Satyrn und Prätorianer umringten ihn in tollem Gedränge, während er zwischen Tigellinus auf der einen und Chilon auf der anderen Seite weiterging, die Fontäne, um die herum zwanzig bis dreißig Fackeln loderten, umschritt, bei jeder stehen bleibend, und Bemerkungen über die Opfer machte oder über den alten Griechen spöttelte, auf dessen Gesicht sich grenzenloses Entsetzen malte.

Endlich blieben sie vor einem hohen, mit Myrten und Winden umrankten Maste stehen. Die roten Flammenzungen hatten erst die Kniee des Opfers erreicht, doch war sein Gesicht nicht zu erkennen, da die hell brennenden Blätter es in Rauch hüllten. Nach einiger Zeit trieb jedoch der leichte Nachtwind den Rauch beiseite, so daß ein greises Haupt mit grauem, bis auf die Brust herabwallendem Barte sichtbar wurde.

Bei diesem Anblicke krümmte sich Chilon wie eine verwundete Schlange zusammen, und aus seinem Munde drang ein Schrei, der mehr einem Krächzen als einer menschlichen Stimme glich: »Glaukos! Glaukos! %hellip;«

In der Tat schaute von dem brennenden Pfahle der Arzt Glaukos auf ihn herab.

Er lebte noch. Sein Antlitz war vornübergebeugt, als wolle er zum letztenmal seinen Henker sehen, der ihn verraten, ihm Weib und Kinder geraubt, ihn Mördern in die Hände gespielt, und nachdem ihm dies alles im Namen Christi vergeben war, ihn den Henkersknechten überantwortet hatte. Wohl nie hatte ein Mensch dem anderen furchtbareres und blutigeres Herzeleid zugefügt. Und jetzt loderte das Opfer auf dem pechbestrichenen Pfahle, und sein Henker stand an dessen Fuße. Glaukos' Augen hingen unverwandt an Chilons Zügen. Bisweilen wurden sie vom Rauche verhüllt; wenn jedoch der Wind diesen zerteilte, sah Chilon von neuem jene Augensterne auf sich gerichtet. Er erhob sich und wollte fliehen, vermochte es aber nicht. Es war ihm mit einem Mal, als seien seine Füße von Blei und als hielte ihn eine unsichtbare Hand mit übermenschlicher Kraft an diesem Pfahle fest. Er war wie versteint. Er fühlte nur, daß etwas in ihm überwallte, daß etwas in ihm aufstieg, daß es genug sei der Qualen und des Blutes, daß das Ende seines Lebens gekommen sei, daß alles um ihn herum verschwinde: der Caesar, der Hof, die Menge, daß ihn eine grenzenlose, furchtbare, schwarze Öde umgebe, in der nur jene Augen des Gemarterten sichtbar waren, die ihn zum Gerichte riefen. Und dieser neigte sein Haupt tiefer und tiefer und sah ihn unverwandt an. Die Anwesenden errieten, daß zwischen diesen beiden Männern etwas Bedeutungsvolles vorging; aber das Lachen erstarb ihnen auf den Lippen, denn das Gesicht Chilons zeigte einen wahrhaft entsetzlichen Ausdruck: es packte ihn ein Grauen und eine Qual, als ob jene feurigen Zungen seinen eigenen Leib verzehrten. Plötzlich taumelte er, reckte die Arme empor und schrie mit furchtbarer, herzzerreißender Stimme: »Glaukos, im Namen Christi, vergib mir!«

Ringsherum war es totenstill; ein Zittern überlief die Umstehenden, und aller Augen richteten sich unwillkürlich nach oben.

Das Haupt des Gemarterten bewegte sich leicht, dann ertönte von der Höhe des Mastes herab eine ächzende Stimme: »Ich vergebe dir!«

Chilon stürzte auf sein Antlitz nieder, heulend wie ein wildes Tier, scharrte mit beiden Händen Erde zusammen und streute sie sich aufs Haupt. Währenddessen züngelte das Feuer immer höher, umhüllte Glaukos' Brust und Antlitz, der Myrtenkranz auf seinem Haupte geriet in Brand, ebenso die Bänder auf der Spitze des Pfahles, der jetzt vollständig in blendender Glut aufflammte.

Chilon erhob sich nach einiger Zeit mit so verwandelten Zügen, daß die Augustianer einen ganz anderen Mann vor sich zu sehen glaubten. Seine Augen strahlten in einem überirdischen Glanze, auf der gefalteten Stirn lag ein Ausdruck hoher Begeisterung, und der eben noch so unbedeutend erscheinende Grieche glich jetzt einem Priester, der, des Gottes voll, sich anschickt, ungeahnte Wahrheiten zu verkünden.

»Was ist mit ihm geschehen? Er ist rasend geworden!« ließen sich mehrere Stimmen vernehmen.

Er wandte sich nun zu der Menge, streckte die rechte Hand empor und rief oder brüllte vielmehr so laut, daß ihn nicht nur die Augustianer, sondern auch die Menge verstehen konnte: »Römisches Volk! bei meinem Tode schwör' ich, daß hier Unschuldige sterben. Hier steht der Brandstifter!«

Und er zeigte mit dem Finger auf Nero.

Totenstille folgte. Die Höflinge waren starr vor Entsetzen. Chilon stand fortwährend da und wies mit zitterndem Arm und Finger auf den Caesar. Mit einem Male brach der Aufruhr los. Das Volk stürzte sich einer Sturmflut gleich auf den alten Mann zu, um ihn näher zu betrachten. Hier und da ertönten die Rufe: »Haltet ihn! Wehe uns!«

Die Menge pfiff und johlte: »Rotbart, Muttermörder, Brandstifter!«

Der Aufruhr schwoll immer stärker an. Die Bakchantinnen kreischten schrill auf und flüchteten in die Wagen. Plötzlich stürzten einige halb verbrannte Pfähle um, daß die Funken umhersprühten, und vermehrten noch die Verwirrung. Die wie blind und toll einstürmende Menge riß Chilon mit sich fort und entführte ihn tiefer in den Garten hinein.

Auch die übrigen Pfähle fingen an zu verkohlen und stürzten quer über die Wege, die Alleen mit Qualm, Funken, dem Geruche glimmenden Holzes und verbrannten menschlichen Fleisches erfüllend. Fern und nah erloschen die Fackeln. In den Gärten wurde es dunkel. Die erschreckte, erbitterte, aufgebrachte Menge drängte sich zu den Toren. Die Kunde von dem Geschehenen ging von Mund zu Mund, verändert und übertrieben. Die einen erzählten, der Caesar sei ohnmächtig geworden, die anderen, er habe selbst eingestanden, Rom in Brand gesteckt zu haben, andere, er sei schwer erkrankt, wieder andere, man habe ihn wie tot auf seinem Wagen fortgebracht. Hier und da äußerten sich Leute voller Mitleid mit den Christen. »Nicht sie sind es, die Rom angezündet haben; wozu also all dies Blutvergießen, all diese Martern, all diese Ungerechtigkeiten? Werden die Götter diese Unschuldigen nicht rächen, und welche piacula vermögen sie zu versöhnen?« Die Worte innoxia corpora waren immer häufiger zu hören. Frauen klagten laut über die Kinder, die man in so großer Anzahl den wilden Tieren vorgeworfen, ans Kreuz geschlagen oder in diesen fluchwürdigen Gärten verbrannt habe! Die mitleidigen Stimmen verwandelten sich endlich in Verwünschungen gegen den Caesar und Tigellinus. Es gab aber auch Leute, welche plötzlich stehen blieben und sich oder anderen die Frage vorlegten: »Was ist das für eine Gottheit, die eine solche Widerstandsfähigkeit gegen Martern und Tod verleihen kann?« Und nachdenklich kehrten sie nach Hause zurück %hellip;

Chilon irrte noch in den Gärten umher, ohne zu wissen, wohin ihn sein Weg führe oder wo er sich befinde. Er war wieder der kraftlose, hinfällige, kranke alte Mann. Bald strauchelte er über halbverbrannte Leichen, bald stieß er an noch brennende Pfähle, die einen Funkenregen auf seinen Pfad schütteten, bald setzte er sich und starrte bewußtlos vor sich hin. Die Gärten waren jetzt schon fast völlig dunkel geworden; durch die Bäume schien nur noch der Mond und warf ein unsicheres Licht auf die Alleen, auf die verkohlt daliegenden Pfähle und die zu unförmlichen Massen zusammengeschrumpften Leichen. Allein dem alten Griechen war es, als erblicke er in der Mondscheibe Glaukos' Antlitz, als verfolgten ihn dessen Augen unablässig, und er entfloh vor dem Lichte. Endlich trat er jedoch aus dem Schatten heraus und wandte sich unwillkürlich, wie von einer unsichtbaren Macht fortgetrieben, der Fontäne zu, bei der Glaukos seinen Geist aufgegeben hatte.

Da berührte eine Hand seine Schulter.

Der Greis wandte sich um und rief, als er einen Unbekannten vor sich erblickte, entsetzt aus: »Wer ist hier? Wer bist du?«

»Der Apostel Paulus von Tarsos.«

»Ich bin verflucht %hellip; Was willst du von mir?«

Der Apostel antwortete: »Ich will dich retten.«

Chilon lehnte sich an einen Baum.

Die Füße wankten unter ihm, und seine Arme sanken schlaff herab.

»Für mich gibt es keine Rettung,« sagte er dumpf.

»Hast du nicht gehört, daß Gottes Sohn dem Schächer am Kreuz verzieh?« fragte Paulus.

»Weißt du, was ich getan habe?«

»Ich habe deine Reue gesehen und gehört, wie du Zeugnis für die Wahrheit ablegtest.«

»O Herr!«

»Und wenn ein Diener Christi dir in der Stunde der Marter und des Todes vergeben hat, wie soll dir dann Christus selbst nicht vergeben?«

Chilon faßte sich mit beiden Händen wie in Verzweiflung an den Kopf.

»Vergebung! Für mich Vergebung!«

»Unser Gott ist ein Gott des Erbarmens,« erwiderte der Apostel.

»Für mich?« wiederholte Chilon.

Und er begann zu stöhnen wie jemand, dem die Kraft fehlt, Schmerz und Qual zu überwinden.

Paulus aber sprach zu ihm: »Stütze dich auf mich und komm mit mir.«

Er führte ihn und schritt auf die Stelle zu, wo sich die Wege kreuzten, geleitet vom Plätschern des Springbrunnens, der in der Stille der Nacht über all die Opfer zu weinen schien, die hier unter den fürchterlichsten Qualen ihr Leben ausgehaucht hatten.

»Unser Gott ist ein Gott des Erbarmens,« wiederholte der Apostel. »Wenn du am Meere ständest und Steine hineinwürfest, könntest du die Tiefen des Ozeans damit ausfüllen? Ich sage dir, das Erbarmen Christi gleicht dem Meere und die Sünden und Missetaten der Menschen versinken in ihm wie die Steine in dem Abgrunde des Meeres. Ich sage dir, es ist wie der Himmel, der sich über Bergen, Ländern und Meeren wölbt, denn es ist überall und kennt keine Grenzen und kein Ende. Du littest unter Glaukos' Pfahle, und Christus hat dein Leiden gesehen. Ohne Rücksicht darauf, was dir morgen geschehen kann, riefest du laut: Hier steht der Brandstifter! und Christus hat sich deine Worte gemerkt. Deine Bosheit und Lügenhaftigkeit sind von dir gewichen, und in deinem Herzen ist nur unermeßliche Reue zurückgeblieben %hellip; Komm mit mir und höre, was ich dir sagen will: auch ich habe den Heiland gehaßt und seine Auserwählten verfolgt. Ich wollte nichts von ihm wissen und glaubte nicht an ihn, bis er sich mir offenbart und mich berufen hat. Und seitdem liebe ich ihn aus tiefstem Herzen. Und jetzt hat er dich mit Zerknirschung, Gewissensangst und Reue heimgesucht, um dich zu sich zu rufen. Du haßtest ihn, er aber liebte dich. Du überliefertest seine Gläubigen der Marter, und er will dir vergeben und dich retten.«

Herzbrechendes Schluchzen begann die Brust des Elenden zu erschüttern und sein tiefstes Innere aufzuwühlen; Paulus bemächtigte sich seiner, bezwang ihn und führte ihn von dannen wie ein Krieger einen gefangenen Feind.

Nach einer kleinen Pause fuhr er fort: »Komm mit mir, ich will dich zum Heiland führen. Zu welch anderem Zwecke wäre ich dir sonst nachgegangen? Er hat mir befohlen, Seelen zu erobern im Namen der Liebe, und ich erfülle sein Gebot. Du meinst, du seiest verflucht; doch ich sage dir: glaube an ihn, und die Erlösung harrt deiner. Du bist der Ansicht, er hasse dich; ich aber wiederhole dir: er liebt dich. Sieh auf mich! Solange ich ihn nicht hatte, war eitel Bosheit in meinem Herzen, und nun ersetzt seine Liebe mir Vater und Mutter, Schätze und Königreiche. Bei ihm allein ist Zuflucht zu finden, er allein sieht deine Reue, glaubt an dein Elend, er wird dich von deiner Qual befreien und dich zu sich nehmen.«

Mit diesen Worten geleitete er ihn zu dem Springbrunnen, dessen silberner Strahl schon von weitem im Mondschein erglänzte. Ringsherum war es still und menschenleer, denn die Sklaven hatten hier schon die verkohlten Pfähle und die Leichen der Märtyrer beseitigt.

Chilon warf sich stöhnend auf die Kniee, verbarg das Gesicht in den flachen Händen und verharrte bewegungslos in dieser Stellung. Paulus jedoch erhob sein Antlitz zum Sternenhimmel und begann zu beten: »Herr, sieh auf diesen Elenden, auf seine Reue, seine Tränen und seine Qual! Herr des Erbarmens, der du dein Blut für unsere Sünden vergossen hast, vergib ihm um deines Leidens, deines Sterbens und deiner Auferstehung willen!«

Er schwieg, aber noch lange schaute er empor und betete.

Und jetzt erklang zu seinen Füßen der Schmerzensschrei: »Christe, Christe, vergib mir!«

Paulus trat an den Brunnen, schöpfte Wasser in die hohle Hand und wandte sich zu dem auf den Knieen liegenden Elenden: »Chilon, ich taufe dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, Amen!«

Chilon erhob das Haupt, breitete die Arme aus und blieb regungslos so liegen. Der Mond goß sein volles Licht auf sein weißes Haar und sein ebenfalls weißes, unbewegliches Antlitz, das wie erstorben und aus Stein gemeißelt aussah. Die Zeit verrann; aus den großen Geflügelhäusern in den Gärten des Domitius ertönte das Krähen der Hähne; doch Chilon lag noch immer da gleich einer Grabstatue.

Endlich bewegte er sich, stand auf und fragte den Apostel: »Was habe ich vor dem Tode noch zu tun?«

Paulus erwachte ebenfalls aus seiner Bewunderung jener unermeßlichen Allmacht, der selbst solche Herzen, wie dieser Grieche eins besaß, nicht widerstehen konnten, und antwortete: »Vertraue und lege Zeugnis für die Wahrheit ab.«

Dann machten sie sich zusammen auf den Heimweg. Am Gartentore segnete Paulus noch einmal den Greis, und sie trennten sich; denn Chilon bestand selbst darauf, da er wußte, der Caesar und Tigellinus würden ihn nach dem Vorfalle von gestern abend verfolgen lassen.

Er irrte sich nicht. Als er heimkehrte, war sein Haus schon von Prätorianern umringt, die ihn ergriffen und unter Scaevinus' Kommando nach dem Palatin brachten.

Der Caesar hatte sich bereits zur Ruhe begeben, aber Tigellinus erwartete ihn. Als er des unglücklichen Griechen ansichtig wurde, empfing er ihn mit ruhiger, aber unheilverkündender Miene: »Du hast ein Majestätsverbrechen begangen,« sprach er, »und wirst der Strafe nicht entgehen. Willst du aber morgen im Amphitheater erklären, daß du betrunken und wahnsinnig gewesen bist und daß die Christen in der Tat die Urheber der Feuersbrunst sind, so wird sich deine Strafe auf öffentliches Auspeitschen und Verbannung beschränken.«

»Ich kann nicht, Herr,« erwiderte Chilon leise.

Tigellinus näherte sich ihm langsamen Schrittes und fragte ihn mit gedämpfter, aber schrecklicher Stimme: »Wie, du kannst nicht, Griechenhund? Warst du nicht betrunken und weißt du nicht, was deiner wartet? Sieh dorthin!«

Dabei zeigte er in eine Ecke des Atriums, wo im Schatten neben einer langen hölzernen Bank vier thrakische Sklaven mit Tauen und Zangen in den Händen standen.

Doch Chilon erwiderte fest: »Ich kann nicht, Herr!«

Des Präfekten bemächtigte sich eine rasende Wut; aber er bezwang sich noch.

»Du hast gesehen, wie die Christen sterben?« fragte er. »Willst du auch so sterben?«

Der Greis hob sein blasses Antlitz empor; eine Zeitlang bewegten sich seine Lippen leise, dann sprach er: »Auch ich glaube an Christus! %hellip;«

Tigellinus sah ihn erstaunt an.

»Hund, du bist wirklich verrückt geworden!«

Und plötzlich schäumte seine so lange eingedämmte Wut über. Er stürzte sich auf Chilon, raufte ihm mit beiden Händen den Bart, warf ihn zur Erde und trat ihn mit Füßen, wobei er wutschäumend unablässig wiederholte: »Wirst du widerrufen? wirst du?«

»Ich kann nicht,« versetzte der am Boden liegende Chilon.

»Auf die Folter mit ihm!«

Auf diesen Befehl hin ergriffen die Thraker den alten Mann und legten ihn auf die Bank, dann banden sie ihn mittels der Stricke fest und begannen seine hageren Schenkel zwischen die Zangen zu klemmen. Doch er küßte ihnen, während sie ihn folterten, demütig die Hände, dann schloß er die Augen und bot den Anblick eines Toten dar.

Er lebte aber noch; denn als Tigellinus sich über ihn beugte und noch einmal fragte: »Wirst du widerrufen?« bewegten sich seine blassen Lippen leicht und flüsterten kaum hörbar: »Ich %hellip; kann %hellip; nicht!«

Tigellinus befahl, mit dem Foltern innezuhalten, und ging mit wutentstelltem Gesicht, aber ratlos im Atrium auf und ab. Endlich schoß ihm ein neuer Gedanke durch den Kopf; er wandte sich zu den Thrakern und rief: »Reißt ihm die Zunge aus!«


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