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10.

Die Wahlen! Die Wahlen! Frau Maria Jaczynska wird ganz von ihnen absorbiert, sie denkt, redet und träumt nur von ihnen.

»Die Gnädige ist eine große Politikerin,« sagt zu ihr ein Edelmann aus der Nachbarschaft – ihre Händchen mit Küssen bedeckend, und die große Politikerin wird rot wie eine Kirsche und antwortet mit einem reizenden Lächeln:

»O, wir agitieren, wie wir nur können!«

»Herr Josef wird Abgeordneter sein!« sagt der Edelmann überzeugend, und die große Politikerin erwidert:

»Ich möchte sehr, obwohl es sich nicht bloß um meinen Mann, sondern – hier errötet die »große Politikerin« nicht politisch – um das öffentliche Interesse handelt.«

»Ein wahrer Bismarck, so wahr mir Gott lieb ist!« ruft der Adelige und küßt wieder die kleinen Händchen, dann beratschlagen beide über die Agitation.

Der Edelmann nimmt die Dörfer Krzywda Dolna und Mizerow auf sich (Krzywda Wielka ist verloren, denn dort ist Herr Schulberg der Gutsherr), und Frau Maria hat sich vor allem mit Pognebin zu befassen. Ihr Köpfchen glüht ob der ihr zugefallenen Rolle. Sie verliert keine Zeit. Täglich sieht man sie auf dem Wege zwischen den Bauernhütten, in einer Hand das emporgeraffte Kleid, in der andern den Sonnenschirm, und unter dem Kleide lugen winzige Füßchen hervor, die für große politische Ziele eifrig dahintrippeln. Sie betritt die Hütten, den arbeitenden Leuten sagt sie unterwegs: »Hilf Gott!« Sie besucht Kranke, gewinnt die Bevölkerung für sich, hilft, wo sie kann. Sie hätte dies auch ohne Politik getan, denn sie hat ein gutes Herz, für die Politik aber um so mehr. Was würde sie nicht für diese Politik tun? Sie wagt nur nicht ihrem Manne einzugestehen, daß sie unwiderstehliche Lust habe auf den Bauerntag zu fahren, und sie hat sogar in ihrem Köpfchen eine Rede entworfen, die sie dort halten möchte. Was das für eine Rede wäre! Sie hätte zwar wahrscheinlich nicht den Mut gehabt, sie zu halten, wenn aber ja, dann wäre die Sensation fertig. Als nun die Nachricht nach Pognebin gelangte, die Behörden haben den Bauerntag aufgelöst, brach die »große Politikerin« in ihrem Boudoir vor Wut in Schluchzen aus, zerriß ein Taschentuch und hatte den Tag über rote Augen. Vergebens bat sie der Mann, sie möchte sich nicht bis zu diesem Grade aufregen.

Tags darauf wurde die Agitation in Pognebin mit noch größerem Eifer aufgenommen. Jetzt weicht Frau Maria vor nichts mehr zurück. Sie ist an einem Tage in vielen Hütten und schimpft so auf die Deutschen, daß ihr Mann sie zurückhalten muß. Es ist aber keine Gefahr. Die Leute empfangen sie mit Freude, küssen ihr die Hände und lächeln sie an, denn sie ist so hübsch, so rosig, daß es überall, wo sie erscheint, licht wird. Der Reihe nach kommt sie auch in Barteks Bauernhütte. Der Hund läßt sie nicht passieren, und im Eifer versetzt ihm Magda mit einem Holzscheite einen Schlag über den Kopf.

»O, gnädige Frau, meine goldene, strahlende Schönheit!« ruft Magda, ihre Hände küssend.

Übereinstimmend mit seinem Versprechen fällt Bartek ihr zu Füßen, der kleine Franek küßt ihr zuerst die Hand, dann steckt er einen Finger in den Mund und versinkt in vollständiger Bewunderung.

»Ich hoffe,« sagt die junge Herrin nach der Begrüßung, »mein Bartek, ich hoffe, daß Ihr für meinen Mann, nicht für Herrn Schulberg stimmen werdet.«

»O, mein Morgenrot!« ruft Magda, »wer würde einem Schulberg seine Stimme geben! Daß ihn der …«

»Mein Mann hat mir eben gesagt, daß er Just bezahlen wird.«

»Gott segne ihn!« Hier wandte Magda sich an Bartek: »warum stehst du wie ein Klotz? Gnädige Frau, er kann gar nicht reden.«

»Ihr werdet für meinen Mann stimmen,« fragt die Herrin, »nicht wahr? Ihr seid Polen, wir sind es auch, halten wir zusammen.«

»Ich würde ihm den Kopf abdrehen, wenn er nicht stimmt!« sagt Magda. »warum stehst du wie ein Klotz? Er kann gar nicht reden. Rühre dich doch!«

Bartek küßt wieder der Herrin die Hand, schweigt aber in einem fort und ist finster wie die Nacht. Der Landrat steht in seinen Gedanken.

 

Der Wahltag bricht an. Herr Jaczynski ist des Sieges gewiß. Die Nachbarn kommen nach Pognebin gefahren. Die Herren waren schon in der Stadt, haben ihre Stimmen abgegeben und werden hier in Pognebin aufs Wahlresultat warten, welches der Geistliche überbringen wird. Dann wird ein Diner stattfinden, abends fährt die Herrschaft nach Posen und dann nach Berlin. Manche Dörfer vom Bezirke haben bereits gestern gestimmt, heute wird das Wahlergebnis bekannt sein. Die Versammelten sind aber guten Mutes. Die junge Gutsfrau ist einigermaßen unruhig, aber hoffnungsvoll und lächelnd, sie ist solch eine aufmerksame Wirtin, daß alle darin übereinstimmen: Herr Josef habe in Kongreßpolen einen echten Schatz gefunden. Dieser Schatz kann jetzt zwar nicht auf dem Platze stillsitzen, rennt von einem Gaste zum andern und läßt sich hundertmal versichern, daß »Josef gewählt sein wird«. Sie ist zwar nicht ehrgeizig, und nicht aus Eitelkeit will sie die Gattin eines Abgeordneten sein, sondern sie hat sich in ihrem Köpfchen ausgemalt, daß sie beide eine wahre Mission zu erfüllen haben. Ihr Herz pocht also so heftig wie während der Trauung, und die Freude erhellt das hübsche Gesicht. Inmitten der Gäste gewandt lavierend, nähert sie sich ihrem Manne, zupft ihn am Ärmel und wie ein Kind, das jemandem einen Spitznamen gibt, flüstert sie ihm ins Ohr: »Herr Abgeordneter!« Er lächelt und beide sind überaus glücklich. Beide haben große Lust sich ordentlich abzuküssen, aber vor den Gästen schickt es sich nicht. Alle blicken jeden Moment zum Fenster hinaus, denn die Sache ist wirklich wichtig. Der verstorbene Abgeordnete war ein Pole, und zum erstenmale stellen die Deutschen in diesem Wahlkreise ihren Kandidaten auf. Offenbar hat der siegreiche Krieg ihnen Mut eingeflößt, aber um so mehr ist den im Pognebiner Gutshofe Versammelten darum zu tun, daß ihr Kandidat gewählt werde. Bald wird sich das entscheiden, sogar sehr bald, denn auf der Straße wirbelt eine Staubwolke auf. »Der Pfarrer kommt! Der Pfarrer kommt!« wiederholen die Anwesenden. Die junge Frau erbleicht. Auf allen Gesichtern prägt sich Erregung aus. Sie sind des Sieges gewiß, und doch beschleunigt der letzte Moment den Herzschlag. Das ist aber nicht der Geistliche, sondern der Meier kommt aus der Stadt geritten. Vielleicht weiß er etwas? Er bindet das Pferd an den Pflock und eilt nach dem Herrschaftshause. Die Gäste mit der Wirtin an der Spitze kommen auf den Gang gestürzt.

»Sind Nachrichten da? Was? Ist unser Herr gewählt? Weißt du es bestimmt? Ist das Resultat veröffentlicht?«

Die Fragen kreuzen sich und fallen wie Raketen, und der Mann schleudert die Mütze in die Höhe.

»Unser Herr ist gewählt!«

Die junge Frau läßt sich jäh auf die Bank nieder und drückt ihre Hand an die wogende Brust.

»Vivat! Vivat!« schreien die Nachbarn. »Vivat!«

Die Dienerschaft stürzt aus der Küche. »Vivat! Die Deutschen sind geschlagen! Es lebe der Abgeordnete! Und die Frau Abgeordnetin!«

»Und der Pfarrer?« fragt jemand.

»Er wird gleich da sein,« antwortete der Meier, »man zählt noch die restlichen Stimmen ..«

»Zu Tisch!« ruft die Frau Abgeordnetin.

»Vivat!« wiederholen andere.

Alles geht vom Gange in den Saal. Die Gratulationen fließen schon ruhiger, nur die junge Frau vermag nicht, ihre Freude zu beherrschen, und ohne Rücksicht auf die Gäste schlingt sie ihre Arme um den Hals des Mannes. Aber man verübelt ihr das nicht; im Gegenteil, aller bemächtigt sich Rührung.

»Nun, wir leben noch!« sagt ein benachbarter Gutsbesitzer.

Mittlerweile ertönt vor dem Balkone Wagengerassel, und der Geistliche, vom alten Matthias aus Pognebin gefolgt, betritt den Saal.

»Willkommen! Willkommen!« rufen die Versammelten. »Nun, was für Majorität?«

Der Pfarrer schweigt eine Weile, und plötzlich stößt er in dieser allgemeinen Freude die barschen, kurzen Worte aus:

»Gewählt ist … Schulberg! …«

Ein Moment des Erstaunens, ein Hagel beschleunigter, ängstlicher Fragen, auf welche der Geistliche wieder entgegnet: »Gewählt ist Schulberg!»

»Was ist nur geschehen? Auf welche Weise? Der Meier hat ja gesagt, daß er nicht gewählt wurde. Was ist geschehen?«

In diesem Momente führt Herr Jaczynski die arme Frau Maria, die in das Taschentuch beißt, um nicht in Weinen auszubrechen oder ohnmächtig zu werden, hinaus.

»O, ein Unglück! ein Unglück!« wiederholten die Versammelten, mit ihren Händen nach den Köpfen greifend.

In diesem Momente dringt von der Dorfseite Stimmgewirr wie Freudengeschrei. Die Deutschen in Pognebin feiern so ihren Sieg.

Das Ehepaar Jaczynski kehrt wieder in den Saal zurück.

Man hört, wie bei der Tür der junge Herr zur Frau sagt: »il faut faire bonne mine«. Und die junge Frau weint auch nicht mehr. Sie hat trockene Augen und eine sehr starke Gesichtsröte.

»Jetzt sagt, wie das gekommen ist,« fragt der Wirt ruhig.

»Wie konnte es anders kommen, gnädiger Herr!« sagt der alte Matthias, »wenn auch Pognebiner Bauern für Schulberg stimmten.«

»Wer denn?«

»Was, hiesige?«

»Jawohl. Ich, und auch alle haben gesehen, wie Bartek Slowik für Schulberg die Stimme abgegeben hat …«

»Bartek Slowik?« sagt die Frau.

»Jawohl. Jetzt wird er von den andern beschimpft. Er wälzt sich am Boden, weint, und bekommt von seinem Weibe Schelte. Ich habe aber selbst gesehen, wie er gestimmt hat …«

»Einen solchen sollte man aus dem Dorfe hinausekeln!« sagte ein Gutsnachbar.

»Denn, gnädiger Herr,« sagt Matthias, »auch die anderen, welche im Kriege waren, haben so wie er gestimmt. Sie sagen, man hat sie so geheißen …«

»Das ist Mißbrauch, reiner Mißbrauch, die Wahl ist ungültig, das ist ein Zwang! ein Wahlschwindel!« riefen verschiedene Stimmen.

Das Diner im Pognebiner Gutshofe an diesem Tage war nicht lustig.

Abends reiste die Herrschaft ab, aber nicht nach Berlin, sondern nach Dresden.

Der elende, verfluchte, mißhandelte und gehaßte Bartek saß unterdessen in seiner Hütte, seinem Weibe selbst entfremdet, denn auch sie redete während des ganzen Tages kein Wort zu ihm …

 

Im Herbste bescherte Gott eine gute Ernte, und Herr Just, der Barteks Anwesen in Besitz genommen hatte, war zufrieden, gar kein übles Geschäft gemacht zu haben.

Eines Tages gingen von Pognebin nach der Stadt drei Leute: ein Bauer, eine Bäuerin und ein Kind. Der Bauer war sehr gebeugt, einem alten Bettler ähnlicher, als einem gesunden Menschen. Sie gingen nach der Stadt, denn in Pognebin konnten sie keine Arbeit finden. Es regnete, das Weib schluchzte bitterlich vor Weh um die verlorene Hütte, und weil sie das Dorf verlassen mußte. Der Bauer schwieg. Auf dem ganzen Wege war es öde, man sah weder einen Wagen, noch einen Menschen, nur das Kreuz am Wegrande streckte seine vom Regen durchnäßten Arme aus. Es fiel ein immer heftigerer, dichterer Regen, und es begann zu dunkeln. Bartek, Magda und Franek gingen nach der Stadt, denn der Sieger von Gravelotte und Sedan hatte noch im Winter seine restliche Strafe für die Affäre mit Boege zu verbüßen.

Das Ehepaar Jaczynski weilte noch in Dresden.

Ende


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