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Nach einer Seite kehrt Magda mit einer Schar Weiber gegen Pognebin zurück und weint, und nach einer andern Weltrichtung rast in die blaue Ferne der von Bajonetten starrende Zug, und in ihm Bartek. Das Ende der blauen Ferne ist nicht zu sehen. Pognebin ist auch kaum sichtbar. Nur eine Linde dämmert und der Kirchturm glänzt, denn die Sonne spielt auf ihm. Bald entschwand auch die Linde und das goldene Kreuz sah nur wie ein glänzender Punkt aus. So lange dieser Punkt leuchtete, schaute Bartek auf ihn, als aber auch dieser verschwand, war die Betrübnis des Bauern maßlos. Es bemächtigte sich seiner eine große Schwäche, und er fühlte, daß er verloren sei. Und so begann er auf den Unteroffizier zu schauen, denn außer Gott gab es weiter nichts mehr über ihm. Was jetzt mit ihm geschehen wird, das ist schon Sache des Korporals. Bartek allein weiß nichts mehr, versteht nichts mehr. Der Korporal sitzt auf der Bank und, den Karabiner zwischen den Knieen haltend, raucht eine Pfeife. Der Rauch verhüllt jeden Augenblick wie eine Wolke sein ernstes und verdrießliches Gesicht. Nicht nur Barteks Augen starren dieses Gesicht an, sondern sämtliche Augen aus allen Ecken des Waggons. In Pognebin oder anderwärts ist jeder Bartek oder Wojtek sein eigener Herr, jeder muß für sich denken, jetzt aber ist dazu der Korporal da. Wenn er ihnen befiehlt nach rechts zu schauen, werden sie rechts schauen, befiehlt er nach links, so wird's auch geschehen. Jeder fragt mit dem Blicke: »No und was wird mit uns geschehen?« und er weiß gerade so viel wie sie und möchte auch gerne, daß ein Vorgesetzter ihm in dieser Beziehung Befehle oder Aufklärungen erteile. Übrigens fürchten die Bauern ausdrücklich zu fragen, denn jetzt ist Kriegszeit mit dem ganzen Apparate von Kriegsgerichten. Man weiß nicht, was gestattet ist und was nicht. Sie wenigstens wissen es nicht, und der Klang solcher deutschen Ausdrücke, wie Kriegsgericht, die sie nicht recht verstehen und um so mehr fürchten, erschreckt sie.
Gleichzeitig fühlen sie, daß dieser Korporal ihnen jetzt noch notwendiger ist, als zur Manöverzeit bei Posen, denn er allein weiß alles, er denkt an ihrer statt und ohne ihn könnte man sich nicht vom Flecke rühren. Unterdessen schien der Karabiner ihm zu schwer geworden zu sein, denn er warf ihn Bartek zu, daß er ihn halte. Bartek griff hastig nach dem Gewehre, hält den Atem zurück, glotzt die Augen heraus und starrt den Korporal wie einen Regenbogen an, hat aber auch davon wenig Trost.
O, es scheint schlecht zu stehen, denn auch der Korporal ist wie gerädert.
Auf den Stationen ist Gesang und Lärm; der Korporal kommandiert, tummelt sich, schimpft, um zu zeigen, daß er ein Vorgesetzter ist, wie der Zug sich aber in Bewegung setzt, verstummen alle und auch er. Für ihn hat die Welt jetzt auch zwei Seiten: eine helle und verstandene, das ist seine Stube, sein Weib und sein Federbett; eine zweite, ganz dunkle, das ist Frankreich und der Krieg.
Unterdessen dröhnte, pustete der Zug und flog dahin. Auf jeder Station wurden neue Waggons und Lokomotiven angekoppelt. Auf jeder Station sah man nur Pickelhauben, Geschütze, Pferde, Bajonette der Infanteristen und Standarten der Ulanen. Langsam brach ein schöner Abend an. Die Sonne ergoß sich in ein weites Abendrot und hoch am Himmel schwebten leichte Wolkenschäflein mit vom Sonnenuntergange vergoldeten Rändern. Der Zug hörte schließlich auf, in den Stationen Menschen und Waggons zu nehmen, er schüttelte sich nur und flog in diese rote Helle, wie in ein Blutmeer hinein. Aus dem offenen Waggon, in welchem Bartek mit den Leuten aus Pognebin saß, sah man Dörfer, Weiler und Städtchen, Kirchentürmchen, wie Haken gekrümmte Störche, mit einem Fuße auf den Nestern stehend, vereinzelte Hütten, Kirschengärten. All dies hüpfte im Fluge vorüber und war in rote Tinten getaucht. Die Soldaten begannen um so freier miteinander zu flüstern, als der Unteroffizier, den Quersack sich unter das Haupt legend, mit der Porzellanpfeife zwischen den Zähnen eingeschlafen war. Wojciech Gwizdala, ein Bauer aus Pognebin, der neben Bartek saß, stieß ihn mit dem Ellbogen an.
»Bartek, höre nur!«
Bartek kehrte ihm sein Gesicht mit versonnenen, stierenden Augen zu.
»Du schaust wie ein Kalb, das zur Schlachtbank geht, drein,« flüsterte Gwizdala, »aber du, armer Schelm, gehst gewiß zur Schlachtbank.«
»Oj, oj!« stöhnte Bartek.
»Du fürchtest?« frug Gwizdala.
»Warum sollte ich nicht fürchten …«
Die Abenddämmerung wurde noch röter, und Gwizdala streckte die Hand aus und flüsterte weiter:
»Siehst du diese Helle? Weißt du, Dumian, was das ist? Das ist Blut. Hier ist Polen, also sozusagen, unser Land. Verstehst du? Und dort in der Ferne, wo es so leuchtet, das ist eben Frankreich.«
»Und werden wir bald hinkommen?«
»Hast du es so eilig? Man sagt, es sei sehr weit. Aber fürchte nicht, die Franzosen werden entgegenkommen …«
Bartek begann mit seinem Pognebiner Kopfe schwer zu arbeiten. Nach einer Weile fragte er:
»Wojtek?«
»Was?«
»Und was für eine Nation zum Beispiel sind diese Franzosen?«
Wojteks Gelehrsamkeit erblickte da plötzlich vor sich eine Grube, in welche es leichter war hinein als hinaus zu geraten. Er wußte, daß die Franzosen eben Franzosen sind. Er hatte von älteren Leuten, die zu sagen pflegten, daß sie immer alle geschlagen haben, etwas über sie gehört; schließlich wußte er, daß sie sehr fremde Menschen sind; wie dies aber Bartek erklären, daß er wisse, wie fremd sie sind.
Vor allem also wiederholte er die Frage:
»Was dies für eine Nation sei?«
»Nun ja.«
Drei Nationen waren Wojtek bekannt: in der Mitte »Polaken«, von einer Seite »Moskowiter« und von der andern »Deutsche«. Aber es gab verschiedene Gattungen Deutsche. Da er mehr deutlich, als genau sein wollte, sagte er:
»Was für Nation die Franzosen sind? wie soll ich dir sagen: eben solche Deutsche, nur noch schlimmere …«
Und darauf Bartek:
»O, diese Brut!«
Bis zu dieser Stunde hatte er hinsichtlich der Franzosen nur eine Empfindung gehegt, das ist ein Gefühl unbeschreiblicher Angst. Jetzt empfand dieser preußische Landwehrmann für sie einen deutlicheren patriotischen Widerwillen. Er hatte aber noch nicht alles gehörig begriffen, und deshalb fragte er wieder:
»So werden Deutsche mit Deutschen Krieg führen?«
Hier beschloß Wojtek, wie ein zweiter Sokrates, den Weg der Vergleichungen einzuschlagen und erwiderte: »Beißt sich denn dein Lisek nicht mit meinem Burek?« Hundebenennungen.
Bartek machte den Mund auf und schaute eine Weile auf seinen Meister.
»O, das ist wahr …«
»Die Österreicher sind ja auch Deutsche,« redete Wojtek weiter, »und haben sich die Unsrigen nicht mit ihnen geschlagen? Hat doch der alte Siviercz erzählt, der Steinmetz habe ihnen in jenem Kriege zugerufen: ›Jungens, vorwärts auf die Deutschen!‹ Nur, daß es mit den Franzosen nicht so leicht ist!«
»Die Franzosen haben noch nie einen Krieg verloren. Wenn ein solcher sich an dich heranmacht, wirst du ihn nicht mehr los. Jeder ist zwei-, dreimal so stark wie einer der Unsrigen, und Bärte haben sie wie die Juden. Ein anderer wieder ist so schwarz wie der Teufel. Wenn du einen solchen erblickst, kannst du dich Gott befehlen!«
»No, wozu gehen wir also zu ihnen?« fragt der verzweifelte Bartek.
Diese philosophische Bemerkung war vielleicht nicht so dumm, wie es Wojtek schien, der sich augenscheinlich unter dem Einflusse offizieller Inspirationen mit der Antwort beeilte:
»Ich hätte es auch vorgezogen, nicht zu gehen. Wenn wir aber nicht gehen, werden sie herkommen. Es gibt keinen Ausweg. Du hast gelesen, was gedruckt stand. Sie sind am meisten auf unsere Bauern erbost. Die Leute sagen, sie sind deshalb so lüstern auf unsere Felder, denn sie wollten aus Kongreßpolen Schnaps hinüberschmuggeln, die Regierung läßt dies nicht zu, und daraus ist ein Krieg entstanden: no, verstehst du?«
»Was sollte ich nicht verstehen!« sagte Bartek resigniert.
Wojtek fuhr fort:
»Auf Weiber sind sie auch lüstern, wie ein Hund auf Speck …«
»Und so würden sie beispielsweise auch Magda nicht verschonen?«
»Sie verschonen auch alte nicht!«
»O!« schrie Bartek mit solch einer Stimme, als wollte er sagen:
»Wenn so, dann werde ich hauen!«
Und es schien ihm, daß es zuviel sei. Schnaps hätten sie aus Kongreßpolen einschmuggeln können, Magda aber haben sie vom Leibe zu bleiben.
Jetzt begann unser Bartek den ganzen Krieg vom Standpunkte des eigenen Interesses zu betrachten, und bei dem Gedanken, daß zum Schutze der von der französischen Flatterhaftigkeit bedrohten Magda so viel Soldaten und Kanonen aufgeboten werden, verspürte er eine gewisse Hoffnung. Unwillkürlich ballten sich seine Fäuste, und die Angst vor den Franzosen vermengte sich in seinem Geiste mit einem Hasse ihnen gegenüber. Er gelangte zur Überzeugung, daß es wohl keinen Ausweg gab, daß man marschieren mußte.
Unterdessen erlosch am Himmel die Helle. Es wurde dunkel. Der Waggon begann bei einem Gefälle stark zu schaukeln, und im Takte seiner Bewegungen wackelten Pickelhauben und Bajonette nach rechts und links.
Es verstrich eine und eine zweite Stunde. Die Lokomotive sprühte Millionen Funken, die sich wie lange goldige Striche und Schlangenlinien in der Dunkelheit kreuzten. Bartek vermochte lange nicht einzuschlafen. Wie jene Funken in der Luft, so hüpften in seinem Kopfe Gedanken über Krieg, Magda, Pognebin, Franzosen und Deutsche. Es kam ihm vor, daß er, selbst wenn er wollte, von der Bank, auf welcher er saß, nicht aufstehen könnte. Er schlief schließlich aber einen ungesunden Halbschlummer. Und bald kamen Traumerscheinungen herangeflattert. Zuerst sah er, wie sein Lisek mit Wojteks Burek sich herumbalgt, daß ihre Haare fliegen. Er greift nach einem Stecken, um sie miteinander zu versöhnen, da sieht er plötzlich was anderes. Neben Magda sitzt ein schwarzer Franzose, und Magda lacht zufrieden und fletscht die Zähne. Andere Franzosen machen sich über Bartek lustig und weisen nach ihm mit den Fingern … Die Lokomotive pustet wahrscheinlich so, ihm aber scheint es, daß die Franzosen: »Magda! Magda!« rufen. Er schreit: »Diebe, die Mäuler gehalten! Laßt das Weib los!« und sie rufen: »Magda! Magda!« Lisek und Burek bellen, ganz Pognebin ruft: »Gib nicht dein Weib!« Und er, ist er gefesselt, oder was? Nein, er reckte sich, die Stricke rissen, Bartek packt den Franzosen am Kopfe und plötzlich …
Plötzlich durchzuckt ihn ein starker Schmerz wie von einen: heftigen Schlage. Bartek erwacht und springt auf die Beine.
Der ganze Waggon ist erwacht, alle fragen, was geschehen sei? Der arme Bartek hatte im Schlafe den Unteroffizier am Barte gefaßt. Jetzt steht er stramm wie ein Draht, zwei Finger an der Schläfe, der Unteroffizier fuchtelt mit den Händen und schreit wie wütend:
»Ach, Sie dummes Vieh aus der Polakei! Hau' ich den Lümmel in die Fresse, daß ihm die Zähne sektionenweise aus dem Maule herausfliegen werden!«
Der Unteroffizier ist vor Wut heiser geworden, und Bartek steht fortwährend mit den Fingern an der Schläfe. Die anderen Soldaten beißen sich in die Lippen, um nicht zu lachen, fürchten aber, denn von den Lippen des Unteroffiziers kommen noch die letzten Pfeile. ›Ein polnischer Ochse! Ochse aus Podolien!‹ Schließlich ward alles still. Bartek setzte sich wieder auf seinen früheren Platz. Er fühlte nur, daß seine Wangen anzuschwellen beginnen, und wie zum Trotz wiederholt die Lokomotive unaufhörlich:
»Magda! Magda! Magda!«
Er empfand auch irgend ein großes Weh …